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Anja Nititzki


E-Mail-Roman

mitteldeutscher verlag

Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sowie realen Geschehnissen ist rein zufällig.

2014

© mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale)

www.mitteldeutscherverlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Gesamtherstellung: Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale)

ISBN 9783954623808

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

1. Kapitel – Der Chemiebaukasten …

2. Kapitel – Die Herkules-Wette …

3. Kapitel – Das Experiment …

4. Kapitel – Die Kennenlern-Rubrik …

5. Kapitel – Eastern Escort Services …

6. Kapitel – Schöne Aussichten …

7. Kapitel – Rausch …

Dankeschön

// 1. Kapitel – Der Chemiebaukasten //


Betreff: Gut angekommen?

Datum: 11. 07. 2012, 20 : 23:00

Sehr geehrter Herr Nowitzki,

es war sehr schön mit Ihnen!

Ich hoffe, Sie sind gut und schnell in Bonn angekommen.

Freundliche Grüße aus Leipzig

Anna Fröhlich


Betreff: Re: Gut angekommen?

Datum: 11. 07. 2012, 23 : 56:12

Hallo Frau Fröhlich,

schön, von Ihnen zu hören bzw. zu lesen. Und ja, ganz meinerseits! Der Fernsehdreh in Moritzburg mit Ihnen und Ihrem netten Kamerateam war mir ein Vergnügen. Nun hat mich Bonn heil wieder.

Schöne Grüße

Roger Nowitzki

***


Betreff: „Kleine Morde hinter der Mauer“

Datum: 12. 07. 2012, 08 : 12:00

Guten Morgen, Herr N. aus B. am R.,

dann hoffe ich, dass der Fernsehbeitrag, den wir über Ihr neues Buch gedreht haben, etwas bewirkt. Vielleicht können Sie dadurch ein paar Bücher mehr verkaufen, wenn unsere Fernsehzuschauer ihn sehen. „Kleine Morde hinter der Mauer“ ist doch ein verheißungsvoller Titel.

Ihre Frau F. aus L.


Betreff: Re: „Kleine Morde hinter der Mauer“

Datum: 12. 07. 2012, 10 : 23:19

Guten Morgen, liebe Frau F.,

ja, das hoffe ich auch. Grüßen Sie Ihren Kameramann von mir. Seinen Namen werde ich nie vergessen. „Klaus Kleemann“ klingt gut, irgendwie so unbeschwert, wie „Hans im Glück“. Ich werde ihn in einer meiner nächsten Krimikomödien unterbringen.

Liebe Grüße aus Bonn, ergebenst Ihr Herr N.


Betreff: Idee

Datum: 12. 07. 2012, 10 : 57:11

Lieber Herr N.,

ich habe eine Idee. Was halten Sie davon, wenn wir aus Ihren Mordgeschichten eine kleine Serie für den Sender produzieren? Ein Sendeplatz ist frei geworden. Bis nächste Woche Freitag dürfen alle Redakteure Exposés einreichen. Das beste gewinnt.

Wenn es klappt, müssten Sie wochenweise nach Sachsen kommen und mit mir zusammen produzieren.

Was sagen Sie dazu?

Frau F.


Betreff: Re: Idee

Datum: 12. 07. 2012, 12 : 03:10

Bin dabei! Super Idee. Allerdings kann ich erst nach meinem Urlaub einsteigen. Ich bin ab morgen für drei Wochen nicht im Lande. Mein Sohn hat Sommerferien. Ich muss jetzt auch Schluss machen, Sachen packen. Morgen früh geht unser Flieger.

Ich vertraue Ihren Künsten, schreiben Sie ein schönes Exposé. Wenn Sie damit zufrieden sind, bin ich es auch.

Bis bald also, ich hoffe, Ihre Fernsehredaktion weiß, was gut ist!

Und ich hoffe, dass Sie mich nicht vergessen!


Betreff: Das große Krabbeln

Datum: 12. 07. 2012, 12 : 13:08

Lieber Herr Nowitzki,

wie könnte ich Sie vergessen?

Sie sind der erste Mann, der mir wie selbstverständlich einen Käfer von meinem Schlüsselbein geschnippt hat. Wenigstens haben Sie vorher noch „Darf ich?“ gefragt.

Ich bin vermutlich die erste Frau, die sich geradeso zurückhalten konnte, Ihnen eine winzige Spinne von Ihrer Glatze zu pusten. Ich habe es nicht getan, weil ich es in der Situation unangemessen fand. Tragen Sie die Spinne noch bei sich? Haben Sie das arme Tier gegen seinen Willen in den Westen entführt?

Und dann gab es noch diesen klitzekleinen Moment. Sie haben mir Ihr Buch gereicht und dabei mit Ihren Armhaaren ganz leicht meinen Unterarm gestreift. Eine Berührung so kurz wie ein Wimpernschlag. Vergessen habe ich sie nicht.

Ihre Frau Fröhlich


Betreff: Re: Das große Krabbeln

Datum: 12. 07. 2012, 12 : 24:09

Sie haben recht, ich habe seit zwei Tagen das Gefühl, eine Spinne auf dem Schlüsselbein mit mir herumzutragen und einen Käfer geschluckt zu haben. Das kann ich freilich auch nicht vergessen. Aber jetzt muss ich wirklich los, den Laptop zuklappen und ab in den Urlaub.

Ihr Tierfreund

***


Betreff: Herzliche Grüße

Datum: 13. 07. 2012, 06 : 59:10

Sind Sie schon abgehoben? Oder stehen Sie noch mit beiden Beinen auf sicherem Boden? Wohin fliegen Sie in den Urlaub? Wohin muss ich Ihnen mein Herz nachschicken?


Betreff: Re: Herzliche Grüße

Datum: 13. 07. 2012, 07 : 24:11

Ich nehme Ihr Herz mit nach Portugal. Und meines gehört Ihnen doch schon längst.


Betreff: Böses Omen?

Datum: 13. 07. 2012, 08 : 02:01

Ob es ein böses Omen ist, dass Sie mir Ihr Herz ausgerechnet an einem Freitag, den 13. in den virtuellen Briefkasten stopfen, es mir ausgerechnet heute servieren? Ich musste es herausholen, konnte nicht bis morgen damit warten. Ich bin nicht abergläubisch.

Ich mag Ihr Herz außen knusprig angebraten und innen medium.

Bis in drei Wochen! Denken Sie an mich! Ich denke an Sie. Bestimmt.

Guten Flug!

***


Betreff: Schlechte Nachrichten

Datum: 06. 08. 2012, 09 : 00:02

Lieber Herr Nowitzki,

nun sind drei Wochen nach unserem gemeinsamen Fernsehdrehtag vergangen. Sie sind hoffentlich erholt aus Ihrem Familienurlaub zurück.

Es gibt schlechte Nachrichten. Die Redaktion hat unser Exposé für „Kleine Morde hinter der Mauer“ sehr gelobt, sich aber dennoch für das eines Kollegen entschieden.

Ihre Frau F.


Betreff: Re: Schlechte Nachrichten

 

Datum: 06. 08. 2012, 10 : 09:13

Liebe Frau Fröhlich,

ich bin untröstlich. Ich will, Sie wollen, aber der Sender ist gegen uns. Und nun? Müssen wir unseren privaten Kennenlerntermin verschieben. Ich weiß allerdings nicht, wann ich wieder in Leipzig oder in der Nähe von Leipzig sein werde. Darf ich Sie dann zum Essen einladen?

Untröstlich, Ihr Herr N.

***


Betreff: Warten bis zum jüngsten Tag?

Datum: 07. 08. 2012, 11 : 08:11

Lieber Herr N.,

ich werde mich jetzt weit vorwagen, auch auf die Gefahr hin, dass ich einen Korb von Ihnen bekomme. Ich möchte Sie unbedingt wiedersehen, Sie treffen. Und ich will nicht warten, bis Sie einmal wieder zufällig in der Gegend sind! Bis dahin könnten Lichtjahre vergehen. Ich habe einen Vorschlag: Wir treffen uns zwischen Leipzig und Bonn. Kassel liegt genau in der Mitte zwischen unseren beiden Städten. Das sind für jeden von uns etwa zweihundertundfünfzig Kilometer. Dort könnten wir:

A: Essen bei McDonald’s,

B: über Meliorationsanlagen reden,

C: ein Picknick machen und uns berühren und küssen, bis wir wieder nach Hause müssen, oder

D: Wir haben uns geirrt, sehen uns an und gehen wieder unserer Wege. Das halte ich allerdings für unwahrscheinlich.

Ich bin natürlich für „B“, ostdeutsche Ackerbewässerungsanlagen.

Und Sie?

Grüße aus Leipzig, Anna Fröhlich


Betreff: Re: Warten bis zum jüngsten Tag?

Datum: 07. 08. 2012, 11 : 28:17

Liebe Frau Fröhlich,

für Sie fahre ich sogar nach Kassel. Kassel ist gut, sehr gut sogar. Und ich bin für „C“. Sie lieben es, mich auf den Arm zu nehmen, ich liebe es auch. Frau Fröhlich, ich bin verheiratet. Das wird ein Abenteuer. Über die Konsequenzen will ich gar nicht nachdenken. Ich bin keiner, der zweigleisig fährt. Aber dennoch will ich Sie treffen.

Grüße aus Bonn, Roger Nowitzki

***


Betreff: Chemieunfall

Datum: 08. 08. 2012, 08 : 14:11

Guten Morgen nach Bonn,

wird es ein schräges Abenteuer? Herr Nowitzki, Sie machen mich glücklich! Sie ahnen nicht, wie sehr. Ich wusste, dass Sie kommen würden. Herr Nowitzki, ich muss gestehen: Ich bin wohl Opfer eines Chemieunfalls geworden. Was soll in den Picknickkorb hinein?

Ihre Frau Fröhlich


Betreff: Re: Chemieunfall

Datum: 08. 08. 2012, 10 : 17:11

Was soll in den Korb? Obst und, ach, eigentlich ist es mir egal, ich vertraue Ihrem Geschmack. Immerhin haben Sie mir auf dem Fernsehdreh erzählt, dass Sie ein altes Saab Cabrio fahren. Das spricht für Ihren guten Geschmack.


Betreff: Aw: Chemieunfall

Datum: 08. 08. 2012, 15 : 15:17

Sind Sie freischaffend? Wenn ja, dann gehe ich davon aus, dass Sie terminmäßig ebenso flexibel sind wie ich? Anna Fröhlich

***


Betreff: Termin

Datum: 09. 08. 2012, 10 : 12:10

Ja, ich bin freier Autor, schreibe, wie ich will, mache das im Moment aber mit meinem Kollegen Oliver Richter zusammen. Wir teilen uns ein Büro. Wir haben den Auftrag, aus „Kleine Morde hinter der Mauer“ ein Drehbuch zu machen. Es soll in vier Wochen fertig sein. Deshalb bin ich im Moment nicht so frei in meiner Zeitplanung wie gewohnt. Vielleicht klappt es am übernächsten Donnerstag mit uns beiden?

Und was die Chemie betrifft, klar, das muss wohl so sein. An meinem Buch wird es kaum liegen, oder? Ich wäre wohl der Erste, der mit einem Krimi eine Frau … ja was eigentlich?


Betreff: Re: Termin

Datum: 09. 08. 2012, 10 : 14:15

Sitzen Sie?


Betreff: Aw: Termin

Datum: 09. 08. 2012, 10 : 15:18

Ja, immer noch am Schreibtisch.


Betreff: Klartext

Datum: 09. 08. 2012, 10 : 19:19

Lieber Herr Nowitzki,

ich bin für klare Worte. Ich glaube so wenig an spontane Liebe wie an die Wirkung von Globuli, aber ich befürchte, ich habe mich auf unserem Fernsehdreh direkt in Sie verknallt, gleich als ich Sie wartend mit Ihrem Buch in der Hand auf der Bank sitzen sah und obwohl wir noch kein Wort miteinander gewechselt hatten. Das Wort „verknallt“ klingt, als ob ich gerade im richtigen Alter für die Jugendweihe wäre, aber nicht so schwerwiegend wie „verliebt“. Für wen das von uns beiden schlimmer ist, vermag ich noch nicht zu sagen. Auf jeden Fall sollten Sie das wissen, bevor Sie mich treffen. Fühlen Sie sich umarmt.

***


Betreff: Du!

Datum: 10. 08. 2012, 09 : 29:12

Meine liebe Frau Fröhlich, nach Deiner letzten E-Mail wäre es ziemlich albern, wenn ich Dich weiter siezen würde, oder? Ich hab nur wenig geschlafen, weil ich mir vorgestellt habe, wie ich mich fühle, wenn Du mich umarmst. Ich wünsche DIR einen wunderbaren Tag. Roger


Betreff: Du?

Datum: 10. 08. 2012, 10 : 29:07

War mein „Du“ zu intim? Frau Fröhlich, ich wünschte, wir wären nicht durch so viele sinnlose Kilometer getrennt. Ich möchte Sie sehen und Ihnen zumindest die Hand schütteln!


Betreff: Re: Du?

Datum: 10. 08. 2012, 10 : 32:19

Du wolltest ja damals vor der Wende unbedingt nach Bonn! Erzählst Du mir die Geschichte Deiner Flucht aus dem Osten? Ich habe davon in der Biografie in Deinem Buch gelesen.


Betreff: Aw: Du!

Datum: 10. 08. 2012, 10 : 34:32

Ja, aber erst sagst Du mir, ob unser Fernsehbeitrag heute endlich gesendet wird.


Betreff: Flucht

Datum: 10. 08. 2012, 10 : 37:11

Der Beitrag setzt bereits Schimmel an. Ich wünschte, er würde endlich gesendet, dann wüsste ich wieder, wie Du aussiehst und wie Deine Stimme klingt. Erzähl mir trotzdem Deine Fluchtgeschichte, ja? Besonders interessiert mich, wie Du drüben Fuß gefasst hast. Ich nehme an, Du bist mit leeren Taschen geflüchtet, ohne Rollkoffer und Reiserücktrittsversicherung.


Betreff: Kellner mit Migrationshintergrund

Datum: 10. 08. 2012, 11 : 15:03

Ich war zwanzig, als der Osten rebellierte. Ich hatte gerade meine Ausbildung als Wirtschaftskaufmann beendet. Du siehst, in der DDR war Wirtschaft auch ein Thema, auch wenn man das kaum glauben mag. Und Du siehst, ich habe einmal einen richtigen Beruf erlernt. Bevor ich Buchautor wurde, übte ich mich im Verwalten der Planwirtschaft.

Nun, die Aussichten auf eine lebenslange Beschäftigung als Wirtschaftskaufmann in einem sozialistisch geplanten Betrieb in Dresden und auf eine Plattenbauwohnung waren für mich nicht verlockend.

Immer mehr Kollegen und Bekannte flohen im Sommer 1989 in den Westen. Ich wollte nicht als Einziger zurückbleiben und das Licht ausmachen.

Über die Grüne Grenze sind wir geflüchtet, zu dritt.

Wir liefen über Feldwege und durch den Wald, wussten nicht genau, wo wir waren, bis wir in ein kleines Dorf gelangten. Wir stromerten durch die Gassen. In einem einzigen Haus brannte noch Licht. Wir klingelten dort, bei einem Elektromeister. Als er uns die Tür öffnete, blickte er uns an, als wären wir eine Erscheinung, als wären wir die Heiligen Drei Könige in Trainingsanzügen, die sich im Tag geirrt hatten. Ich hätte gern selbst in meinem Gesicht gesehen, was der Elektromeister sah. Wie schaut man drein nach einer gelungenen Republikflucht? Er bat uns herein, machte uns allen ein Bier auf und lauschte unseren Schilderungen. Er war so ergriffen, dass er uns für zwei Nächte in einem Raum in seiner Werkstatt übernachten ließ. Danach hat er uns eine Übernachtung im nächsten Hotel gesponsert. Von da an mussten wir allein weiterkommen.

Ich fand natürlich keine Arbeit als ostdeutscher Wirtschaftskaufmann. Planwirtschaft war im Westen nicht angesagt. Ich hielt mich mit Kellnern über Wasser, während ich mein Abitur nachholte und in einer WG lebte. Die Jungs in der WG fanden es wohl exotisch, einen Ossi bei sich aufzunehmen, einen Wirtschaftskaufmann mit Migrationshintergrund. Auch in der Kneipe, in der ich mein Geld verdiente, war ich eine Attraktion. Immerzu wurde ich aufgefordert, ein paar Worte Sächsisch zu sprechen. Ich kann aber kein Sächsisch, bis heute nicht. Im Hause meiner Eltern wurde sauberes Hochdeutsch gesprochen, auch wenn das Haus in der Nähe von Dresden stand.

Zum Bücherschreiben kam ich wie die Jungfrau zum Kind. Ich hab schon immer nebenbei geschrieben und es einfach mal bei einem Verlag probiert. Geschrieben, eingereicht und fertig. Anfängerglück. Ich hatte sofort einen Fuß in der Tür und konnte mich voll aufs Schreiben konzentrieren.

Und nun bin ich seit dreiundzwanzig Jahren im Westen und begegne Dir, dem Schönsten und Besten, was meine alte Heimat für mich zu bieten hat.


Betreff: Respekt!

Datum: 10. 08. 2012, 12 : 13:16

Du siehst mich beeindruckt, wirklich sehr sogar. Ich kam nie auf die Idee, die DDR zu verlassen. Ich war sechzehn, als die Mauer fiel. Ich habe die Wende „aktiv“ am Schwarz-Weiß-Fernseher meiner Eltern mitgestaltet. Dazu habe ich Erdnussflips gegessen.

Ich muss jetzt los. Wir können uns heute nur noch per SMS den Tag versüßen. Roger, ich verzehre mich nach Dir. Meine Fantasie ist so stark, dass ich manchmal das Gefühl habe, Du wärest wirklich hier. Ich kann Dich spüren, fühlen, riechen, dabei sind wir uns nur einmal begegnet.


Betreff: geschafft!

Datum: 10. 08. 2012, 20 : 57:00

Anna, heute hast Du es geschafft! Ich weiß jetzt schon nicht mehr, was ich geschrieben habe. Nur Deine Kurznachrichten geistern durch meinen Kopf und hinterlassen sehr plastische Bilder. Fast ist es so, als hätte ich Dich tatsächlich schon berührt, Deinen Mund an meinem Hals gespürt, meine Hände auf Deiner Haut, Dein Duft, der mich um den Verstand bringt. Wir kennen uns doch gar nicht! Aber wenn Post von Dir kommt, bekomme ich Herzrhythmusstörungen, und wenn nichts von Dir im Postfach ist, will mein Herz stehen bleiben. Warum ich, Anna? Ich bin ein langweiliger Familienvater. Eine gequälte, aber irgendwie total beglückte Seele.

 

***


Betreff: Herzstillstand

Datum: 13. 08. 2012, 08 : 01:32

Mein Herz bleibt übrigens auch stehen, wenn nichts von Dir im E-Mail-Fach landet.


Betreff: Re: Herzstillstand

Datum: 13. 08. 2012, 09 : 37:23

Entschuldige, ich komme gerade erst rein. Es war Wochenende, das heißt für mich Familienprogramm ohne E-Mail-Zugang.

Und ich war auf dem Weg ins Büro noch im Verlag, um mir noch ein paar Exemplare meines Buches abzuholen, die ich verschenken will. Das scheint mir überhaupt die einzige Möglichkeit zu sein, sie unters Volk zu bringen. Laut Verlag haben sich bis heute erst 1.988 Stück verkauft und da sind die fünf, die ich gerade geholt habe wahrscheinlich schon dabei. Du und Deine Fernsehkollegen, Ihr hattet recht, die Kurzkrimis interessieren offensichtlich niemanden. Ich bin deprimiert.


Betreff: Aw: Herzstillstand

Datum: 13. 08. 2012, 09 : 45:20

1.988! Das ist doch gut! Hast Du mehr erwartet? Ein Longseller, wie die Bibel einer ist, wird es freilich nicht werden, aber bestimmt auch kein Ladenhüter. Ich würde mich darüber freuen. Außerdem hat Dir das Buch dennoch etwas gebracht: Mich!


Betreff: Re: Herzstillstand

Datum: 13. 08. 2012, 09 : 46:56

Du bist in der Tat unbezahlbar! So viel Schönes, Du, die Schönste, bist mir begegnet. Mir geht es schon wieder besser.

***


Betreff:

Datum: 14. 08. 2012, 08 : 31:20

Heute ist nicht mein Tag.

Anna


Betreff: Re:

Datum: 14. 08. 2012, 09 : 05:21

Was kann ich tun, um Deine Laune zu verbessern? Dir sagen, dass ich mehr an Dich als an meine Figuren aus dem Drehbuch denke? Dass ich mir vorstelle, wie Du durch Leipzig radelst, ich Dich sehe und denke, was für eine schöne Frau! Was trägst Du?


Betreff: Was trägst Du?

Datum: 14. 08. 2012, 09 : 09:13

Oh nein, Roger, niemals diese Frage! Ich fühle mich nicht gut, wenn unsere Kommunikation abgleitet. Und außerdem habe ich eine negative „Was trägst Du?“-Geschichte hinter mir.

Hier ist sie: Ich hatte einmal einen Handwerker bei mir, die Dusche war kaputt. Er kam nach der Reparatur mehrfach zu mir und wollte mir einreden, dass er eine Zange in meiner Dusche vergessen habe. Ich verneinte, also rief er immer wieder bei mir an und fragte, was ich denn heute trage. Es war schlimm. Ein Freund half mir und ging ans Telefon: „Wenn du noch einmal anrufst, dann schneide ich ihn dir ab!“ Danach war Ruhe. Ich vergesse das nicht.


Betreff: Re: Was trägst Du?

Datum: 14. 08. 2012, 09 : 14:11

Davon hatte ich ja keine Ahnung, das tut mir sehr leid! Anna, ich liebe Deine Energie, Deine Ausstrahlung. Ist das besser?


Betreff: Fragen

Datum: 14. 08. 2012, 09 : 18:43

Ja, viel besser, Roger. Darf ich Dich etwas fragen? Ich meine, bevor wir uns treffen. Ich will noch einiges wissen.


Betreff: Re: Fragen

Datum: 14. 08. 2012, 09 : 20:00

Ja, Anna. Du darfst mich alles fragen. Nur zu!


Betreff: Aw: Fragen

Datum: 14. 08. 2012, 09 : 20:59

Wo und wie hast Du eigentlich Deine Haare gelassen? Ich habe noch nie einen Mann ohne Haare getroffen.

***


Betreff: Elbe-Nazi

Datum: 15. 08. 2012, 09 : 29:56

Mit fünfzehn hatte ich noch Haare. Wo heute meine Glatze in der Sonne glänzt, wippten damals dunkelblonde Locken. Ich hatte sie mir abschneiden und die übrigen Stoppeln schwarz färben lassen. Übrig ließ ich einen kleinen, schmalen Zopf am Hinterkopf, der aussah wie ein Korkenzieher. Das war damals revolutionär, sah sicher albern aus und es provozierte meinen Klassenlehrer. Meine „Westler-Frisur“ erschüttere die sozialistische Schule in ihren Grundfesten! Er hatte wohl zu viel Westfernsehen geschaut und die Haarmode des Klassenfeindes studiert. Er sorgte dafür, dass ich keine Zulassung zum Abitur bekam.

Starre und sinnlose Regeln fordern meinen Widerspruchsgeist heraus, dagegen kann ich nichts machen. Mit der Mauer fielen dann auch meine Haare, wobei da kein unmittelbarer Zusammenhang bestand.

Einmal wurde mir meine Glatze zum Verhängnis. Ich war auf „Heimaturlaub“ in Dresden, kurz nachdem die Mauer gefallen war und ich dem Frieden langsam traute, fuhr ich zurück, um ein paar Sachen zu holen. Damals lieferten sich Linksautonome und Rechtsradikale, wir nannten sie „Antifas“ und „Faschos“, gelegentlich Kämpfe auf der Straße. Die Linken fürchteten wohl, dass die Nazis durch die Wiedervereinigung wieder Land gewinnen könnten. Deshalb wurden auch nicht in Rudeln auflaufende, einsam am Elbufer spazierende Männer mit Glatzen bereits als Bedrohung empfunden. Ich hörte die Antifas schon von weither grölen. Sie hatten Bier und Spaß und die Idee, einen freilaufenden, wenn auch nur vermeintlichen Fascho wie mich zu verprügeln, ihm auf die Glatze zu hauen. Panik machte sich in mir breit, als der Lärm immer näher an mein Ohr drang. Sie haben nicht versucht, sich leise anzuschleichen, nein, sie polterten von hinten an mich heran. Ich wusste, dass ich den Linken nicht zu erklären brauchte, dass meine Glatze nicht gewollt, sondern mir gegen meinen Willen einfach zugefallen war. Ich verspürte nackte Angst. In meiner Verzweiflung begann ich zu laufen, zu rennen. Die lallende Meute war erstaunlich fit, trotz Alkoholkonsums oder gerade deshalb. Sie waren mir auf den Fersen, immer dichter. Ich hatte Angst um mein junges Leben.

Ich hatte Glück im Unglück, denn ich war auf der Uferseite unterwegs, von der aus man auf Dresdens prächtige Altstadt blicken kann. Die Uferseite, von der aus die Touristen bis heute die schönsten Postkartenfotos machen. Der Einstieg ins Wasser ist dort seicht, nicht steil und mit Mauern befestigt wie gegenüber.

In meiner Panik stürzte ich mich ins kalte Elbewasser. Es war furchtbar, denn es war Winter, trotzdem sprang ich. Das Ufer war steinig, Geröll. Ich stolperte in die Elbe und versuchte mich in Ufernähe treiben zu lassen, ich hatte Angst, von dem breiten Fluss erfasst und davongetragen zu werden. Aber alles war besser, als von besoffenen Linken aus Dummheit gekillt zu werden.

Damit hatten sie wohl nicht gerechnet. Ich trieb schnell einige hundert Meter voran. Die Antifas blieben grölend am Ufer stehen und freuten sich über meinen feuchten Abgang. Einen gefühlten Kilometer weiter konnte ich mich ans Ufer retten. Unversehrt. Mir war nur furchtbar kalt. Aber das war besser als alles, was mir bevorgestanden hätte, wenn ich nicht in die Elbe gegangen wäre.

„Oben ohne“ zu leben war für mich also manchmal ein Problem. Jetzt nicht mehr. Was ist mit Deinem Haar? Ist das Rot echt?

Ich habe noch nie eine Frau mit roten Haaren getroffen.

***


Betreff: Re: Elbe-Nazi

Datum: 16. 08. 2012, 08 : 31:54

Ja, meine Haarfarbe ist echt. Das Rot war durchaus konform mit der sozialistischen Gesellschaftsordnung. Als Kind wurde ich oft gehänselt. Man nannte mich „Pumuckl“, wie den kleinen Kobold aus einer Kinderfilmserie, oder „Duracell“, wie die Batterie mit dem Kupferkopf. Die gab es in unseren dünn bestückten Geschäften im Osten freilich nicht zu kaufen, wie Du sicher noch weißt. Die Kinder hatten sich aber im Westfernsehen gründlich über die Produktvielfalt in unserem kapitalistischen Nachbarland informiert und sofort mit meiner Haarfarbe in Verbindung gebracht.

Meine Zulassung zum Abitur sollte aber nicht an Haarspalterei scheitern, sondern daran, dass ich mich weigerte, meinen monatlichen FDJ-Beitrag zu entrichten. Dreißig Ostpfennig waren mir schlichtweg eine zu große Investition in die Freie Deutsche Jugend.

Ich wurde bekehrt. Es wäre doch schade, wenn ein Arbeiterkind wie ich nicht studieren könne wegen dreißig Pfennigen.

Nach dem Abitur färbte ich meine Haare grün. In der Grünphase meines Lebens fühlte ich mich alternativ. Ich trug schwarze Lumpen und war militant gegen alles. Jetzt bin ich nur noch ich.

Nächste Frage: Rauchst Du? Ich nicht. Hier kommt meine Geschichte zum Rauchen: Ich hab es nur ein einziges Mal versucht. Eine Verzweiflungstat. Eine Geschichte, für die ich mich schäme, ich erzähl sie Dir trotzdem: Ich war schwer verliebt. Der Angebetete besuchte mich, um nie wiederzukommen, und er rauchte dabei. Das durfte er in meiner Nichtraucherwelt. Ich war so süchtig nach seinen Lippen, dass ich seine alten Kippen aufgeraucht habe, nachdem er weg war. Das ist peinlich. Es ist etwa fünfzehn Jahre her. Wie konnte ich mich nur so sehr erniedrigen. Ich habe nie wieder eine Zigarette angerührt und ihn auch nicht.

***


Betreff: Rauchen

Datum: 17. 08. 2012, 10 : 00:12

Erniedrigt? Du hattest wenigstens ein romantisches Motiv. Du bist sehr leidenschaftlich. Ich habe früher geraucht, und wenn ich keine Zigaretten mehr hatte, habe ich die Kippen aus dem Aschenbecher aufgeraucht. Einmal musste ich dafür sogar den Mülleimer entleeren. Wie kann man sich so erniedrigen? Später habe ich mich für diese Sucht gehasst. Meine letzte Zigarette habe ich zur Jahrtausendwende ausgedrückt. Und ich fange auch nicht wieder an zu rauchen. Du musst Dir also keine Sorgen machen, dass ich mich gehen lasse, wenn wir zwei an einem öffentlichen Aschenbecher vorbeikommen. Schreib mir bitte weiter Geschichten aus Deinem Leben. Ich will alles wissen!


Betreff: Bravo! Schlagen!

Datum: 17. 08. 2012, 11 : 13:10

Ich war geschäftstüchtig und kleinkriminell. An unserer sozialistischen Schule blühte der Schwarzhandel mit abfotografierten Bildern aus dem kapitalistischen Ausland, genauer gesagt waren die Fotos aus der „Bravo“. Ich muss Dich jetzt nicht fragen, ob Du diese Jugendzeitschrift noch kennst, oder? Die weisen Ratschläge des Dr.-Sommer-Teams waren uns doch allen sehr wichtig. Mein Opa hatte ein kleines mobiles Fotolabor. Immer wenn Filme zu entwickeln waren, hat er es in Omas Küche aufgebaut. Wir haben zusammen die Stars meiner Jugend abfotografiert und auf Fotopapier entwickelt. Die „Bravo“ war ein rares Gut. Also verkaufte ich die Fotos von den Star-Postern für ein paar Ostmark. Ich durfte mich freilich nicht erwischen lassen. Ich wäre mit Sicherheit beim Schulappell getadelt worden und hätte niemals die Lessing-Medaille für gute schulische Leistungen verliehen bekommen.

Was machst Du mit meinen Geschichten? Ich erlaube Dir, aus allem, was wir schreiben, ein Buch zu machen. Ich hätte nur gerne einen anderen Namen. Schon deshalb, weil ich einmal einen Mann geschlagen habe. Das solltest Du vielleicht wissen, bevor wir uns treffen. Er hat mich so gereizt und geärgert, dass ich meiner Wut freien Lauf ließ. Es war in einer Disco in Leipzig. Ich habe ihm ins Gesicht geschlagen. Ein guter Schlag, er kam direkt aus der rechten Schulter, voller Körpereinsatz. Mein Opfer flog nach hinten in die Massen und sein Freund bewahrte ihn vor meiner nächsten Attacke. Mir ging es danach sehr gut. Manchmal muss man machen, wonach einem der Sinn steht. Das befreit. Wir waren danach noch zwei Jahre zusammen. Ein kleiner Schlag wirkt manchmal Wunder.

Dich aber küsse ich, Dich schlage ich nicht.

Deine Ex-Schlägerin


Betreff: Re: Bravo! Schlagen!

Datum: 17. 08. 2012, 12 : 00:00

Vor Deinen Schlägen habe ich keine Angst, Anna, eher vor Deiner möglichen Zärtlichkeit und was sie in mir auslösen könnte.

Ich muss für heute Schluss machen, das Wochenende steht vor der Tür, ich muss nach Hause. Am Montag bin ich wieder voll für Dich da. Bis dahin hoffe ich, dass ich Dir wenigstens zwischendurch eine SMS schicken kann.

Darf ich Dich auch küssen, Anna?

Roger


Betreff: Aw: Bravo! Schlagen!

Datum: 17. 08. 2012, 12 : 02:08

Ja, Roger, Du darfst mich Küssen. Seit Wochen träume ich davon. Fühl Dich zart angeatmet, an Deinem Hals rechts. Bis Montag!

***


Betreff: Schlagende Argumente

Datum: 20. 08. 2012, 10 : 13:09

Guten Morgen, da bin ich wieder und ich habe schlagende Argumente für Dich.

Mir ist einmal die Hand ausgerutscht. Ich war 17 oder 18 und fest davon überzeugt, dass meine erste, echte Freundin mich betrügt. Ich hatte meine Informationen. Es geschah auch nach einem Discoabend in einem Jugendclub in Dresden. Sie war schon im Club und wir hatten die Absprache, dass der Erste, der im Club ist, dafür sorgt, dass der andere am Türsteher vorbeikommt. Ich sah ihr Gesicht einige Male hinter der Scheibe, aber nichts geschah. Als ich es endlich allein geschafft hatte hineinzukommen, war ich schon so sauer, dass ich zur Beruhigung einige doppelte Wodka-Cola trank. Der Alkohol, das Gerücht, sie würde mich betrügen, und ihr Verhalten an der Tür. Ich war in einem Tunnel, wollte mich prügeln, aber keiner nahm das Angebot an, wahrscheinlich, weil ich schon so jämmerlich wirkte. Ich stellte sie auf dem Weg nach Hause zur Rede. Sie log, sagte, sie hätte mich vor der Tür nicht gesehen, da gab ich ihr eine Ohrfeige. Klatsch!

Ich fühlte mich so schlecht. Frauen schlagen macht nicht frei. Sie hat mir verziehen und wir waren noch einige Monate ein Paar. Und heute gratulieren wir uns immer noch gegenseitig zum Geburtstag.

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