Czytaj książkę: «Das Leben ist ein Ponyhof»
ANJA LERZ (Hrsg.)
Das Leben
ist ein
Ponyhof
Tierisch turbulente Geschichten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-86506-824-8
© 2015 by Joh. Brendow & Sohn Verlag GmbH, Moers
Einbandgestaltung: Brendow Verlag, Moers
Titelfoto: fotolia Rita Kochmarjora
Satz: Brendow Web & Print, Moers
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015
Inhalt
Cover
Titel
Impressum
Annekatrin Warnke
„Wir wollen keine Haustiere“
Christiane Müller
„ICH … chrrrrrr … BIN … chhhrrrrrrr … DEINE … chhhrrrrrrrrr … KATZE!“
Heike Wendler
Eine Hundehütte für Bello
Rainer Buck
Verkatert
Julia Pfläging
Philippus
Karin Ackermann-Stoletzky
Schopenhauers Hund
Elizabeta Karlstetter
Leonessa Gingko
Karla Schniering
Happy End für Kurz vor Sieben und Co.
Albrecht Gralle
Alma
Karin Ackermann-Stoletzky
Veni vidi vici
Marlis Büsching
Wenn schon kein Küken, dann doch ein Pferd!
Nicole Vogel
Die Mausefalle
Inken Weiand
Ein unverhofftes Glück
Claudia Althaus
Monty
Albrecht Gralle
Die Nacht der Tiere
Die Autorinnen und Autoren
„Wir wollen keine Haustiere!“
Annekatrin Warnke
Da waren der Gatte und ich uns ganz einig, als wir vor 30 Jahren sehr jung ins Eheleben starteten. Wir wussten damals noch nicht, dass manche hehren Grundsätze unterwegs versanden. Vor allem, weil Vieles ganz anders läuft, wenn man gemeinsam drei Kinder in die Welt gesetzt hat.
Also nicht, dass ich Tiere nicht mag! Wenn wir zum Beispiel auf dem Land spazieren gehen, müssen wir an jeder Pferdekoppel anhalten, damit ich die Pferdeflüsterin versuchen kann. Aber meine Kindheit hatte mir die Lust an eigenen Haustieren, für die man ständig verantwortlich ist, gründlich vermiest. Schuld daran war Flaps – ein weißer Zwergpudel, der in unsere Familie kam, als ich neun war. Alleine schon die Idee, sich ausgerechnet einen Zwergpudel anzuschaffen – in Weiß! Keine Ahnung, was meinen Paps damals geritten hat! Er hatte nämlich so ziemlich das Gegenteil dieses Minipudels mit in seine Ehe gebracht: Einen reinrassigen Schäferhund namens Rex. Der war gar nicht so begeistert, dass ich plötzlich als neues Mitglied in seinem „Rudel“ auftauchte. Solange ich in der Wiege lag, war meine Existenz für Rex ganz in Ordnung. Aber sobald ich laufen konnte, betrachtete er mich wohl als Konkurrenz. Anders ist es nicht zu erklären, dass er mich, wann immer er konnte, umgeworfen hat. Ich sehe mich heute noch auf meinen kurzen Beinchen die Außentreppe zum Balkon hoch rasen, um Rex das Balkontörchen vor der Nase zuzuschlagen. Diese Erinnerungen sprechen nicht gerade für die Fähigkeiten meines Papas in der Hundeerziehung. Obwohl Rex mir nie ernsthaft etwas getan hat, sollte er doch gelernt haben, dass man das Kind vom Rudelchef nicht einfach umwirft. Als ich vier war, kam mein kleiner Bruder zur Welt und das war meine Rettung. Mutter setzte sich durch und der Hund kam weg.
Knapp fünf Jahre später hatte ich dann diesen Pudel an der Backe. Natürlich hatte Papa den für uns gekauft und nicht, weil er unbedingt wieder einen Hund haben wollte … Und mein Bruder war zu klein, um Verantwortung zu übernehmen. Also blieb Vieles an mir hängen. Nach „Pudel“ sah Flaps übrigens nur aus, wenn er frisch vom Trimmen kam. Dann entsprach er mit seinem schicken weißen Krönchen ganz der Vorstellung, die man sich von seinem adeligen Stammbaum machte. Sein eingetragener Name lautete „Ferdinand Ludwig Anton“ und irgendetwas von und zu mit „P“ und „S“. Deswegen nannten wir ihn „Flaps“. Die weiße Pracht nach dem Trimmen hielt aber nicht mal einen Tag. In seinem Inneren war der Hund eben kein Pudel, sondern ein abenteuerlustiger Mischlingshund mit ADHS. Oder vielleicht lag es auch wieder daran, dass mein Papa keine Hunde erziehen konnte. Jedenfalls liebte dieses adelige Vieh nichts mehr, als im Dreck zu wühlen. Meistens sah er nicht weiß aus, sondern grau. Und er schlug Kapriolen vor Begeisterung, wenn wir Besuch bekamen. Sprang die Leute an, schleckte sie ab, kläffte quietschend vor Freude. Er war einfach nur peinlich! Am Schlimmsten war aber seine Abenteuerlust. Flaps hatte Spaß daran, abzuhauen. Keine Ahnung, wie er das immer wieder schaffte, aber er büxte ständig aus. Ich war zehn – und während andere Kinder fröhlich spielten, rannte ich durch unser Dorf am Rande des Sauerlandes und versuchte, den Hund wieder einzufangen. Ich war elf – und rannte über die „Rauhe Hardt“ (ein hügeliges Waldgebiet in der Umgebung des Dorfes) und versuchte, den Hund wieder einzufangen. Ich war zwölf und … na ja.
Und dann wurde Flaps plötzlich sehr krank. Die Diagnose lautete: Gehirnstaupe. Offensichtlich hat man adelige Pudel Anfang der Siebziger nicht dagegen geimpft. Eines Tages war Flaps dann nicht mehr da. Papa hat gesagt, eine wohlhabende Witwe, die sich gerne um kranke Tiere kümmert, habe ihn aufgenommen, und dort habe er es jetzt gut. Die Geschichte habe ich damals nur zu gerne geglaubt. Sehr viel später wurde mir klar, dass unser Hund eingeschläfert worden war. Mein Papa war schon immer gut darin, sich schöne Geschichten auszudenken. Mit zwölf habe ich Papas Fabulierkunst aber nicht weiter hinterfragt, sondern war einfach nur froh, die Verantwortung für Flaps los zu sein, ohne trauern zu müssen.
Viele Jahre später war ich selbst erwachsen und musste so einen schmerzhaften Abschied durch Einschläfern ganz bewusst ertragen. Aber das ist erst das Ende einer Geschichte mit eigenen Haustieren, zu denen ich immer kam wie die Jungfrau zum Kind – ungewollt und unerwartet.
Es begann mit zwei Zwergkaninchen, einem tragischen Unfall und einem Ehekrach.
Unsere Kinder waren knapp drei, fünf und sieben und wir waren nach sechs Jahren in Bayern frisch in die Nähe von Hamburg gezogen. Meinen Mann, der recht spontan ist, hatte irgendwie das schlechte Gewissen gepackt. Er war beruflich sehr eingespannt, dazu kam die Verpflanzung der Kinder. Eines Tages stand er nach Feierabend mit einem großen Indoor-Käfig auf der Matte. Darin saßen zwei entzückende junge Zwergkaninchen, eines war schwarz und das andere schneeweiß. Leider hatte er völlig vergessen, dieses Geschenk mit mir abzusprechen. Ja – selbst die besten Ehemänner der Welt schaffen es, hin und wieder handfeste Gründe für einen Ehekrach zu liefern, der sich gewaschen hat! Aber was sollte ich tun? Die Kaninchen waren da und ich konnte sie den Kindern nicht einfach wieder wegnehmen.
Leider hat das weiße Kaninchen unsere Familie nur einen Tag überlebt. Wir waren alle in einem Kinderzimmer versammelt, und ich tat zumindest so, als ob ich mich über den Familienzuwachs freute, der munter durch den Raum flitzte. Unser Dreijähriger freute sich wirklich und hüpfte vor Begeisterung auf seinem Kinderbett auf und ab. Das krachte dann im ungünstigsten Augenblick zusammen und erschlug das weiße Kaninchen. Da gab es viel Geschrei und Tränen. Die Beerdigungszeremonie im Garten stellte ich ganz in die Verantwortung des Gatten. Er hatte uns das schließlich eingebrockt!
So kurz das Leben des einen Tieres war, so lang war das des anderen. Maxi wurde eine Art Methusalem unter den Zwergkaninchen. Für mich bedeutete das, viele Jahre Käfig ausmisten und Streu aus dem Supermarkt schleppen. Es bedeutete Angst und Sorge. Maxi war ja ein „Drinnenkaninchen“. Für schöne Tage hatte der Gatte ihm einen großen Auslaufkäfig für draußen gebastelt. Leider ist mein Mann kein Heimwerker und der Käfig war entsprechend wackelig und schief. Ich hatte ständig Angst, eine der Nachbarskatzen würde den Kleinen töten, wenn er draußen ist. Und dann immer die Frage: Wohin mit dem Tierchen, wenn wir in Urlaub fahren? Maxi wurde so alt, dass unsere Kinder das Interesse an ihm verloren. Also blieb es an mir hängen, ihm ein schönes Leben zu machen. Beim Fernsehen hatte ich ihn jeden Abend auf dem Schoß. Zum Glück war er ein Kaninchen, das Streicheleinheiten wirklich genossen hat! Gestorben ist er dann, als meine Nachbarin ihn hütete. Er ist einfach kurz und schmerzlos vor Altersschwäche umgefallen. Das Grab musste die Nachbarin dann in unserem Garten schaufeln. Wir waren ja im Urlaub.
Aber nicht, dass wir dann endlich wieder ohne Haustiere gewesen wären! Da waren ja noch die zwei Wellensittiche, die auch ohne meinen Entschluss zur Familie gehörten. Und das war so gekommen:
Als unsere Älteste in der achten Klasse war, hatte ein rühriger Lehrer Kontakte zu einer Schule in der Ukraine geknüpft. Nun suchte er Schüler an seinem Gymnasium, die an einem Schüleraustausch interessiert waren. Unsere abenteuerlustige Große hatte natürlich Interesse daran und flog mit 14 Jahren nach Kiew, um dort zwei Wochen in einer Gastfamilie zu verbringen. Sie kam begeistert zurück. Sie liebte ihre Gastschwester und erzählte lebhaft von Begegnungen mit großartigen Menschen. Dass der Lebensstandard weit unter ihrem gewohnten Level war, hat sie kein bisschen gestört. Die wunderbare Gastfreundschaft hatte sie einfach umgehauen. Ein Jahr später kam der Gegenbesuch. Gastschwester Anja war zehn Tage bei uns. Anjas Papa wollte unbedingt ein Gastgeschenk mitschicken. Er war Hobbyzüchter von Wellensittichen. Also baute er einen winzigen Käfig um eines seiner Zuchttiere drum herum und steckte ihn – mit Vogel – in eine Plastiktüte. Denn damals musste ein lebendes Tier über die Grenzen geschmuggelt werden. Jedenfalls, wenn kein Geld für ordentliche Impfungen und Ausweise vorhanden war. Leider, leider konnten sich die ukrainischen Kinder keine Flüge leisten. Sie kamen mit dem Europabus. Nun kann man sich ja leicht vorstellen, dass eine fast dreitägige Reise in einem winzigen Käfig, der in einer Plastiktüte steckt, an einem Vogel nicht spurlos vorübergeht. Als der Wellensittich endlich bei uns angekommen war, hatte er einen gewaltigen Sprung in der Schüssel! Natürlich bin ich sofort losgezogen und habe ihm einen richtig großen Käfig gekauft. Wieder einmal musste ich ja um der Kinder willen gute Miene zum bösen Spiel machen.
Der große Käfig hat den armen Vogel leider auch nicht therapiert. Er wollte einfach nicht herauskommen und wellensittichmäßig durch das Zimmer fliegen. Es war, als ob er Angst hätte, sein neues Zuhause aufzugeben und wieder in den winzigen Reisekäfig eingesperrt zu werden. Das war jedenfalls meine laienhafte Psychoanalyse. Nicht, dass ich wirklich gewusst hätte, wie geschädigte Wellensittiche so ticken! Zumal ich ja kein Fan bin von Käfigvögeln, die einfach nur viel Dreck machen. Aber das Tier war nun mal da – und ich fühlte mich verantwortlich. Nicht umsonst nennt man mich in meiner Familie „Mutter Beimer“. Und genau deshalb bin ich dann in unser heimisches Zoogeschäft gestiefelt und habe einen zweiten Wellensittich gekauft. Das war ein Weibchen, und wir tauften es „Kira“. Unser Gastgeschenk hatte ja schon einen Namen gehabt, einen russischen natürlich: Kesha. „Kesha und Kira“ – das klingt nach einem exotischen Liebesroman. Und so etwas wie eine Romanze wurde es unter den Vögeln wohl tatsächlich. Zumindest vertrugen sie sich gut. Und der Psychovogel Kesha fing tatsächlich wieder an zu fliegen. Mit dem positiven Ergebnis meiner Psychotherapie habe ich die Verantwortung für die Vögel dann abgegeben. Sie gehörten ja unserer Großen, und somit wurde der Käfig auch in ihrem Zimmer geparkt. Sie war fortan zuständig für die Reinigung des Vogelheims und ihres Zimmers. Eine Aufgabe, die man Teenagern wirklich zumuten kann. Als Mutter lernt man dann auf jeden Fall, die Toleranzgrenze bezüglich Sauberkeit ein wenig auszudehnen …
Unsere Große hatte ihr Abi bestanden, erfolgreich ihre Ausbildung absolviert und zog aus. Kesha und Kira zogen mit. Seitdem sind mein Mann und ich endlich wie geplant haustierlos.
Zwischendurch haben wir allerdings für ein gutes Jahr noch einen Kater beherbergt. Den hatte ich mir auch nicht selbst ausgesucht, Elvis hat sozusagen uns adoptiert. Und er war das erste und einzige Haustier, in das ich von ganzem Herzen verliebt war – von Anfang an. Aber der Reihe nach:
Eines schönen Frühsommertages kam ich vom Einkaufen nach Hause. Das war eine ganze Weile, bevor Maxi das Zeitliche segnete und lange, bevor Kesha und Kira auszogen. Auf der Fußmatte vor unserer Haustür lag ein schwarz-weißer Hauskater. Damals dachte ich noch, er sei eine schwangere Katze, weil das Tier recht zierlich war und ein sehr rundes Bäuchlein hatte. Als ich mich der Tür näherte, sprang die vermeintliche Katze auf, maunzte freundlich und strich mir schmeichelnd um die Beine. Ich war sofort verliebt. Was auch an dem ziemlich bescheuerten, aber irgendwie liebreizenden Katzengesicht lag. Selbst bei geschlossenem Maul hing die Zungenspitze von Elvis immer ein Stückchen heraus. Man muss das wohl gesehen haben, um die Wirkung zu verstehen! Er war eben besonders.
Obwohl ich damals immer noch kein Experte bei Tieren war, ahnte ich: Sobald ich die Katze ins Haus lasse, haben wir verloren. So schlug ich ihr schweren Herzens erst einmal die Tür vor der Nase zu. Als die Kinder jeweils aus der Schule kamen, zog das Tier seine Schmeichelnummer nach und nach noch einmal durch. Und ein letztes Mal am Abend, als der Gatte von der Arbeit kam. Dann hatte Elvis gewonnen, und wir ließen ihn immerhin schon mal in die Diele. Am nächsten Morgen bin ich dann gleich zum Tierarzt. Alles war in Ordnung, die Katze ein kastrierter Kater, und ich kaufte die Entwurmungskur. Außerdem ein Katzenklo. Weitere zwei Tage später hatte unsere Hintertür dann eine Katzenklappe. Wir hatten instinktiv gespürt, dass unser Zulauf ein Freigänger war. Und tatsächlich benutze Elvis das Katzenklo höchst selten. Seine Geschäfte erledigte er hauptsächlich auf seinen nächtlichen Streifzügen.
Tagsüber liebte er unsere Nähe. Und er liebte es, abends mit mir auf dem Sofa zu kuscheln. Und ich liebte das auch.
So schmusig Elvis tagsüber veranlagt war, so kämpferisch war der kleine Kerl nachts unterwegs. Er hat unser Grundstück höchst energisch gegen jeden Katzeneindringling aus der Nachbarschaft verteidigt. Über ein Jahr lang gab es keinen Katzenkot auf unserer Wiese. Immer wieder kam Elvis allerdings auch mit Blessuren und oberflächlichen Wunden nach Hause. Die präsentierte er stolz wie ein Ritter der Tafelrunde. Und entsprechend habe ich meinen „Lanzelot“ gewürdigt, gesalbt und gepflegt.
Ein gutes Jahr, nachdem Elvis bei uns eingezogen war, begann das Elend. Immer öfter erbrach er sich – wohlerzogen, wie er von irgendwem war – in sein Katzenklo. Er wurde zusehends dünner. Die tierärztliche Diagnose war niederschmetternd: Inoperabler Tumor, der den Magen abschnürt. Deshalb also hatten wir anfangs gedacht, Elvis sei eine trächtige Katze. Der Tumor war schon da gewesen, hatte ihn aber noch nicht beeinträchtigt. Nun begann Elvis sich zu quälen.
„Je eher Sie ihn einschläfern lassen, desto weniger muss er leiden“, sagte die Tierärztin.
Und ich beschloss, dass mein Abschiedsschmerz weniger wiegt als die Qual meines Freundes. Ich handhabte den Abschied anders als mein Paps vor vielen Jahren und gab den Kindern einen Tag, um ganz bewusst Abschied zu nehmen. Dann war es an mir, diesen schrecklichen Gang mit Elvis in seinem Katzenkörbchen anzutreten. Still und ergeben lag er auf dem Untersuchungstisch der Praxis. Ich hielt seinen Kopf, als er die Beruhigungsspritze bekam, kraulte seinen Nacken – und er schnurrte dabei wohlig wie immer. Schläfrig leckte er mit seiner rauen Zunge über meine Hand. Dann bekam er die Todesspritze, und schnell und schmerzlos war alles vorbei. Ich konnte sofort sehen, dass Elvis uns verlassen hatte und da nur noch eine Hülle auf dem Tisch lag. Den Kadaver habe ich nicht mehr mit nach Hause genommen. Ich wollte, dass alle den lebendigen Elvis in Erinnerung behalten. Die ersten Wochen ohne ihn waren schwer. Wir erwarteten tagsüber ständig, dass unser Freund auf leisen Pfoten um die Ecke kam, um uns freudig zu begrüßen.
Dafür, dass wir nie Haustiere haben wollten, trauerten mein Mann und ich sehr intensiv um Elvis. Dabei war er nur ein gutes Jahr bei uns gewesen! Erstaunlich, wie schnell man sich an einen liebenswerten Hausgenossen gewöhnen kann! Und plötzlich konnte ich auch den Dichter Erich Fried besser verstehen. Von bittersüßen Liebeserfahrungen mit Männern bin ich ja verschont geblieben. Deshalb konnte ich so manches Liebesgedicht zwar schön finden, aber nicht unbedingt nachvollziehen. Dank Elvis wurden diese Zeilen plötzlich für mich lebendig:
„Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich gar nicht getroffen hätte. Weniger Trauer …., wenn wir uns trennen müssen … Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Es wäre nur nicht mein Leben.“
Aber selbst Kesha und Kira, Maxi und das weiße Kaninchen, das nicht lange genug lebte, um von uns einen passenden Namen zu bekommen, haben mich viel über das Leben gelehrt. Vor allem, dass Gott sich etwas dabei denkt, wenn er uns „zwangsbeglückt“ – also mit Unerbetenem und Ungewolltem beschenkt. Durch diese Tiere habe ich trainiert, Verantwortung zu übernehmen, die ich gar nicht gesucht habe. Deshalb kann ich heute gut für Menschen da sein, die ich mir auch nicht ausgesucht habe. Gott weiß schon, welche Leute er zusammenbringt!
Außerdem ist mir deutlich geworden, dass manchmal Dichter und Denker Sätze formulieren, die so voller Weisheit sind, dass sie genauso in der Bibel stehen könnten. Manchmal benutzt Gott auch eine nichtfromme Weise, um Wahrheiten unter das Volk zu streuen!
Der Pudel, der Kater, die Kaninchen und Vögel, die ungebeten in mein Leben gekommen sind, haben mir gezeigt, wie wahr diese berühmte Aussage in Der kleine Prinz ist: „Du bist ein Leben lang verantwortlich für das, was du dir vertraut gemacht hast.“
Allerdings spitze ich den Satz nach meinen Erfahrungen noch mal so zu: „Du bist ein Leben lang verantwortlich für die, mit denen du vertraut gemacht wurdest.“
Und ich möchte gerne hinzufügen, dass so eine „Zwangsverantwortung“ auch immer beglückende Erfahrungen im Gepäck hatte. Wie schön ist das heute, mit den erwachsenen Kindern Familienanekdoten auszutauschen! Zu den „Weißt du noch?“ gehören auch die ungebetenen Hausgenossen Maxi, Kesha, Kira und Elvis. Wir kichern dann über den „Methusalem-Hasen“ oder den „russischen Psycho-Vogel“. Und ich stelle mir gerne vor, Oma zu sein und die Familientiergeschichten einem staunenden Enkelpublikum farbenprächtig ausgeschmückt zu präsentieren. Ganz in der Tradition meines Papas. Der von Tieren zwar wenig Ahnung hatte, aber wunderbare Geschichten über sie erzählen konnte.
„ICH … chrrrrrr … BIN … chhhrrrrrrr … DEINE … chhhrrrrrrrrr … KATZE!“
Christiane Müller
„Auuuua!!!!“
Ich erwache, jäh aus den Träumen gerissen, mit einem grellen Schmerzensschrei, völlig desorientiert im Dunkeln. Mein rechter Fuß steht in Flammen. Sekundenbruchteile später weiß ich jedoch zum Glück, wer und wo ich bin. Die Leuchtzifferanzeige des Radioweckers zeigt 5 : 47 Uhr. Heute ist Samstag. Ich befinde mich im Schlafzimmer des Pfarrhauses der Lutherkirche zu Lauerstadt an der Laber. Ich bin seit knapp einem Jahr die Pfarrerin dieser Gemeinde. Und Jessy, meine völlig bescheuerte rotbraune Tigerkatze, hat soeben im frühmorgendlichen Jagd-und Spieltrieb meinen rechten Fuß attackiert. Wahrscheinlich habe ich mich im Halbschlaf geräkelt. Dabei hat sich meine große Zehe unvorsichtigerweise unter der Bettdecke hervorgeschoben. Und dann gab es für Jessy kein Halten mehr. Was sich im Dunkeln bewegt, wird attackiert! Auf ihn mit Gebrüll! Wo ist die Übeltäterin jetzt? Vermutlich unterm Bett. Ich beuge mich vorsichtig über die Kante und luge darunter. Ein grünes Augenpaar leuchtet mir entgegen.
„Doofes Vieh!“, knurre ich heiser.
Noch leicht benommen, stehe ich leise fluchend (der Herr möge mir verzeihen) auf, humple ins Badezimmer und betrachte die Misere. Vier feine blutige Striemen zieren meinen Fußrücken. Es könnte schlimmer sein. Ich streiche etwas Wundsalbe darauf, lege mich wieder hin und döse ein wenig ein.
Doch bald hat es mit der Ruhe ein Ende.
„Chrrr …“ macht es unter dem Bett. Ein kehliger, asthmatischer Laut.
Und dann noch einmal etwas lauter: „Chrrr …“
Es klingt wie Darth Vader vor dem ultimativen Showdown: „Chrrrrrrr … ICH … chrrrrrr … BIN … chhhrrrrrrr … DEINE … chhhrrrrrrrrr … KATZE … chhhhrrrrrr …!“
Meine, pardon, Jessys Tierärztin Frau Dr. Gabler hat auch keine Ahnung, was mit der Stimme sein könnte: „Es klingt seltsam, Frau Müller. Aber ich glaube, bei Ihrer Jessy ist irgendwie die Schnurrfunktion kaputt. Im Röntgenbild sieht man nichts. Das ist sehr eigenartig, aber offenbar geht es ihr gut damit. Vielleicht hat sie irgendetwas mit der Luftröhre, aber solange sie normal frisst und munter ist, würde ich da mal nichts weiter machen.“
Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt. Andere Katzen schnurren. Jessy macht mit halboffenem Maul „Chrrr“. Zumindest kann ich dank dieses „Chrrr“ immer sehr genau orten, wo sie gerade steckt. Nun nähert sich das Geräusch. Und ich weiß genau, was jetzt kommt. Gleich wird sie zu mir ins Bett springen und es sich auf der Bettdecke bequem machen. Erst am Fußende. Dann wird sie sich immer weiter nach oben arbeiten, sich auf meiner Brust niederlassen, mir tief in die Augen schauen und mir dabei ihren Pestodem ins Gesicht blasen. Dem entkomme ich, ihrer Majestät ergebene Dienerin, nur dann, wenn ich mich von meinem Lager erhebe und ihr das Frühstück bereite.
Es hat also alles keinen Sinn. Die Nacht ist vorbei. Ich seufze ergeben, werfe mir den Bademantel über und tappe kurzsichtig in die Küche. Ein schwarzer Tee und Müsli für mich. Whiskas für Madame. Ich setze Teewasser auf und will mich eben auf dem Sofa niederlassen. Da höre ich aus der Küche ein leider nur allzu vertrautes Geräusch.
Bitte nicht. Bitte nicht vor sieben Uhr am Samstagmorgen!
Es klingt etwa wie: Hhhhhnnnnggggggg … hhhhhnnnnggggg …
Ich stürze zurück in die Küche, packe meine würgende Katze im Nackenfell und manövriere sie ins Badezimmer.
Und noch einmal macht sie HHHHHNNNNGGGG-GGG … …
Und dann: HHHUUUUÄÄÄÄÄÄHH!!!
Mein Chef, der Dekan von Coburg, selbst Besitzer eines stattlichen Katers (eines vierpfotigen) meinte einmal: „Das Wort Katze ist eine Krasis aus Kratzen und Kotzen.“
Ziemlich angewidert wickle ich den hochgewürgten Haarballen in mehrere Lagen Klopapier und versenke ihn in der Biotonne. Der Appetit ist mir vergangen, als ich endlich zu meinem merklich abgekühlten Tee und meinem Müsli zurückkehre. Ich frühstücke.
Jessy kommt ins Wohnzimmer, kratzt an der Terrassentür, und wirft mir einen auffordernden Blick zu. Ich öffne die Tür. Madame schlendert in den Garten. Drei Minuten später will sie wieder rein. Tür auf. Katze rein. Tür zu. Ich widme mich der Zeitung. Zwei Minuten später dasselbe Spiel: Jessy sitzt vor der Terrassentür und guckt auffordernd.
„Nein.“
„Mau.“
„NEIN!“
„MAAAUU!“
Also gut. Tür auf. Katze raus. Tür zu.
Kurz darauf will sie wieder rein.
Mir reicht es. Ich lasse die Jalousie so weit herunter, dass eine Katze gerade eben hindurch schlüpfen kann, und öffne die Terrassentür. Zu dumm, dass man in eine Glastür keine Katzenklappe einbauen kann.
Ich fahre einkaufen. Da wir hier auf dem Land sind, ist das immer ein größerer Akt. Mal schnell eine Tüte Milch oder ein Stück Butter holen geht nicht. Anschließend mache ich noch kurz zwei Geburtstagsbesuche bei älteren verdienten Gemeindemitgliedern.
Wieder zu Hause, erwartet mich eine böse Überraschung. Die Küche schwimmt in einem dreiviertel Liter H-Milch. Ich habe wohl vorhin nach dem Frühstück vergessen, den angebrochenen Tetrapack katzensicher im Kühlschrank zu verstauen. Madame hat ihn von der Anrichte gefegt und sich einen kleinen Drink genehmigt. Nun sitzt sie mitten in der weißen Pfütze, duckt sich schuldbewusst und macht große Augen, während ich mein Donnerwetter loslasse. Mit dem Bauch am Boden und hängendem Schwanz schleicht sie betreten von dannen, und ich habe sofort ein schlechtes Gewissen.
Immer noch leise schimpfend, putze ich die Küche. Dann widme ich mich der Predigt für den morgigen Sonntag. Gedanklich ganz vertieft in das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, will ich eben meinen Laptop aufklappen und loslegen, da höre ich von draußen ein ungemein triumphales, hohes und helles „MIIIIAUU-UUUU!!!!“
Zu Deutsch: „Guck mal, was ich hier Tolles habe!“
Ich springe auf, renne zur Terrassentür und hoffe, dass es mir gelingt, sie zu schließen, bevor …
Es ist leider schon zu spät. Die Mörderin im Tigerfell ist schon im Wohnzimmer. Sie trägt ein zappelndes Etwas im Maul, ganz vorsichtig, um es ja nicht zu beschädigen, und setzt es mir vor die Füße. Es ist eine Wühlmaus, die sofort in heller Panik unter das Sideboard flitzt. Jessy schaut ihr hinterher. Dann sieht sie mich vorwurfsvoll-resigniert an. Wenn sie könnte, würde sie genervt die Augen verdrehen und sagen:
„Du ungeschickter, plumper Zweibeiner! Nicht mal, wenn ich sie dir frei Haus liefere, bist du schnell genug, sie zu fangen!“
Ich weiß, dass ich sie nicht schimpfen darf. Sie meint es ja so gut und ist immer so stolz. Also lobe ich sie überschwänglich, was bleibt mir auch anderes übrig. Jessy schmiegt sich begeistert schnurrend an meine Beine und folgt mir ins Arbeitszimmer. Irgendwann heute Abend muss ich halt sehen, wie ich die Maus einfange und wieder an die Luft setze. Möglichst so, dass die Katze es nicht merkt und sie mir gleich wieder zurückbringt.
Wieder am Schreibtisch, vertiefe ich mich in den Wust an Notizzetteln, der bei mir jedes kreative Arbeiten begleitet. Jessy setzt sich mir zu Füßen und stößt einen zärtlichen gutturalen Laut aus, wie ein hohes Gurren oder Zirpen: „Brrrp!“
Dann nimmt sie einen kurzen Anlauf und springt auf die Rückenlehne meines Schreibtischstuhls. Behaglich schmiegt sie sich an mich, wie eine lebendige Nackenrolle. Und dann, direkt in mein linkes Ohr: „Chrrr … chrrr … chrrr …“
Diese Momente seliger Zweisamkeit sind es, die mich für hochgewürgte Haarballen, Mäuse unterm Sideboard und stinkendes Katzenfutter in der Küche entschädigen.
Und so eine schlafende Katze im Genick hat auch ganz konkrete Vorteile. Für die Dauer des Katzennickerchens bin ich nämlich am Schreibtisch festgenagelt. Dank meiner Mieze schaffe ich es, mich zwei bis drei Stunden auf meine Predigt, meinen Unterrichtsentwurf oder meinen Haushaltsplan zu konzentrieren, ohne der Versuchung zu erliegen, in der Wohnung herumzuwandern oder mal schnell mit einer Freundin zu telefonieren. Nur, dass ich nicht aufs Klo gehen kann, ist manchmal etwas hinderlich.
Heute komme ich gut voran. Es ist Samstag, 16 Uhr 30. Und ich bin, dank kätzischer Unterstützung, fast fertig mit meiner Predigt. Jetzt merke ich, dass sich etwas rührt in meinem Genick. Madame ist aus dem Schlafe erwacht. Gähnt und räkelt sich und springt dann in einem anmutigen Satz auf den Schreibtisch.
„Na, Süße? Ein bisschen muss ich noch arbeiten.“
„Brrrp …“, macht sie zärtlich.
Dann legt sie den Kopf schief, lagert sich elegant neben meinen Laptop und beobachtet interessiert meine tippenden Hände. Ich halte beim Tippen inne und bemerke die verräterisch zuckende Schwanzspitze und das gesträubte Nackenfell. Sie lauert! Und die arme ahnungslose Beute sind diesmal meine Finger.
„Jessy! Untersteh dich!“
Zu spät. Mit ausgefahrenen Krallen wirft sich das Raubtier auf den Laptop und auf meine armen Hände, begeistert von der für sie so eindeutigen Aufforderung zu dem heiteren Gesellschaftsspiel „Zehn kleine Mäuschen hüpfen auf und ab“.
Ich schreie und springe auf. Während ich nach Heftpflastern suche und meine malträtierten Hände verarzte, bricht der Wahnsinn sich Bahn. Meine Katze heißt eigentlich Jessy. In Momenten wie diesem nenne ich sie Lady Gaga. Gaga im Sinne von total bekloppt.
Wie eine wild gewordene Hummel fegt sie miauend durchs Haus, rast treppauf, treppab, rauf auf den Kleiderschrank, runter vom Kleiderschrank, einmal quer durch die Küche, rauf auf den Küchentisch, haarscharf am Rotwein vorbei, runter vom Küchentisch, mit irrem Blick unterm Sofa durch. Es folgen ein halbes Dutzend Luftsprünge. Einfach so, mit allen Vieren gleichzeitig, aus dem Stand über einen Meter hoch. Mit einem Riesensatz wirft sie sich schließlich auf den Flickenteppich in der Diele und schlittert damit drei Meter übers Parkett, bevor die geschlossene Schlafzimmertür ihren wilden Ritt zum Stoppen bringt. Die verrückten fünf Minuten enden genauso abrupt, wie sie begonnen haben. Wie aus einer Trance erwacht, sieht sie sich blinzelnd um. Ganz erstaunt, als könne sie selbst nicht fassen, was da eben mit ihr passiert ist. Schüttelt nacheinander alle vier Pfoten kurz aus, springt auf den Laserdrucker im Arbeitszimmer, rollt sich zusammen und schläft ein. Manchmal bin ich fest überzeugt: Meine Katze spinnt. Aber angeblich haben alle Katzen ab und zu diese Anfälle von Raserei. Nur nicht jeden Tag, so wie meine.
Von dem Schreck muss ich mich erstmal erholen. Meine Hände hat es leider ziemlich erwischt. Ich mache mir noch einen Tee, setze mich aufs Sofa und telefoniere mit meiner Mutter in München.