Zaubertanz und weiser Funke

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Zaubertanz und weiser Funke
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Zaubertanz und weiser Funke

Zwei Novellen

neobooks, Oktober 2021

Copyright Anita Lang, Wien


Inhaltsverzeichnis

I. Wie ein Bissen Brot

II. Die schimmernde Tänzerin

1. bis 10. Kapitel

III. Felix und seine Heilsversprechen

1. bis 4. Kapitel

I. Wie ein Bissen Brot

Personal ist zur Ware geworden, zur Mangelware. Karin betrachtet die ihr Zugewandten vom Beifahrersitz aus.

„In Kürze werden wir in Wien ankommen. Einige von euch kennen die Patienten bereits.“ Pflegekräfte werden heutzutage gebraucht, wie ein Bissen Brot. Doris war Kellnerin.

„Macht es euch etwas aus, wenn wir per du sind?“ Scheint okay zu sein. „Doris, deine Patientin, achtundsiebzig, rüstig, in Währing. Ihr Gesundheitszustand hat sich nicht verschlechtert.“

„Gott sei‘s gepfiffen und getrommelt.“ Doris lächelt sonnig. Sie kennt die Gepflogenheiten, den Hausbrauch in der Villa. Ein angenehmer Auftrag.

Miriam hat früher Klaviere verkauft. Sie ist nach ihrer Ausbildung zum ersten Mal im Einsatz.

„Miriam, wir werden den ersten Tag gemeinsam arbeiten. Sondieren wir, was im Haushalt benötigt wird. Den Sollstand, sozusagen.“ Der alte Herr ist fünfundachtzig, Parkinson seit zehn Jahren. Kooperativ und geistig rege. „Gedächtnistraining nimmt er sehr positiv auf.“ Miriam ist sanft und ernst. Gelegentlich summt sie, wenn sie putzt. In der Ausbildung hat sie im März 2020 mit ‚sehr gut‘ abgeschlossen.

Ein wechselhaftes Aprilwetter, as usual, am Stadtrand von Wien sieht alles gleich aus. Die staubigen Metallplanken an der Autobahn lassen wir links liegen, wechseln die Spur an der Ausfahrt zur Bundesstraße. Den Abbiegestreifen eskortieren improvisierte, rot-weiße Schilder. Als Rauch aus der Kühlerhaube dringt, wird unsere Fahrt jäh unterbrochen.

„Jetzt wird’s brenzlig“, sagt der Fahrer. Abrupt lenkt er den Minibus an den Fahrbahnrand. Neben einer Leitplanke, die uns Gestrandete gegen die Böschung abschirmen soll.

„Bleibt bitte hier sitzen. Ich muss nachsehen, was da los ist.“ Herr Kerala schaltet die Warnblinkanlage ein und stellt den Motor ab. Rasch verlässt er das Fahrzeug und klappt geräuschvoll die Motorhaube hoch. Damit sich der Qualm in die Luft verziehen kann. Angeblich stehen die Sterne denkbar schlecht. Laut heutigem Radio-Horoskop stehen mir lästige, große Hindernisse bevor.

Wir sind auf einer zweispurigen Bundesstraße. Spärlich zeigen sich junge Laubbäume auf ausgeblichenem Rasen. Dahinter undurchdringliches Dickicht, wild wuchernde Sträucher, an welchen zarte Blätter sprießen. Von seinem Smartphone aus ruft er den Pannendienst. Eine angenehme, sonore Männerstimme gibt die Position durch. Versucht, alles in den Griff zu bekommen. Wir Reisende sitzen in diesem goldfarbenen Kleinbus fest. Vier Pflegekräfte haben sich in Linz am Sammeltreffpunkt, vor dem Viersternehotel nahe der A eins, eingefunden. Sie sollen unverzüglich zu ihren Patienten nach Wien, wo sie sehnlichst erwartet werden. Pietro war Fahrradbote in Salzburg.

„Pietro, du wirst das Ehepaar in Stammersdorf weiter betreuen.“ Zwei Jahre arbeitet er bereits für unser Dienstleistungsunternehmen. Acht Monate in dem Pensionistenhaushalt. Sie, ein zänkisches Weib, behäbig und renitent. Ihr Ehegatte ist flexibel, vernünftig und praktisch veranlagt.

„Mit ihm verstehe ich mich inzwischen bestens“, sagt der Betreuer. „Sie ist auch irgendwie auszuhalten. Man muss sie nur zu nehmen wissen.“ Beim Entblößen seiner Zähne kommt eine reizende Lücke zwischen seinen Schneidezähnen zum Vorschein. Wir können uns unsere Kunden nicht aussuchen. Siglinde war Gärtnerin, bevor sie zu uns kam.

„Siglinde, dein Auftrag ist klar. Das Seniorenheim in Brigittenau braucht Verstärkung. Die Belegschaft wird dich einschulen.“ Es ist ein Zeitauftrag, drei Monate, wenn’s hoch hergeht. Bringt lediglich siebzig Prozent ein, am üblichen Honorar gemessen.

„So, und was machen wir jetzt mit dem angebrochenen Vormittag?“ Kerala hat seine silberfarbene Stoffmaske aufgesetzt und wieder auf seinem Fahrersitz Platz genommen. Er sieht Karin erwartungsvoll in die Augen. „Etwas Orientalisches“, sagt er. „Die Covid 19-Masken haben etwas Orientalisches an sich.“

„Da könnte ich dir Sachen erzählen“, sagt sie. „Du würdest staunen.“

„Na dann los. Wir haben Zeit. Wer weiß, wann die eintrudeln.“

„Ja, bitte erzähl doch“, sagt Siglinde. „Es würde uns sehr interessieren.“

„Ich muss noch die Patienten informieren, dass wir uns verspäten werden. Um, sagen wir – zwei Stunden.“

„Mindestens“, sagt Kerala. „Wenn die in einer halben Stunde da sind, dann entweder flugs den Schaden beheben. Oder uns in die nächste Werkstatt abschleppen. Fahrtzeit zum Ziel: eine Stunde. Ergo zwei Stunden.“ Seine dichten Augenbrauen heben sich. Er interessiert sich für mich, denkt Karin. Grau-weiße Schläfen, volles Haar. Braune Augen, die funkeln. Ein liebenswürdiger Gentleman. Fragt sich, wie alt. Vielleicht sechzig. Schwer zu sagen, in der heutigen Zeit. Bei den vielen, meist rüstigen Senioren.

„Die Story, Karin Asminda. Die Story.“

„Ja doch, Kerala. Es ist die ausgefallenste Geschichte, von der ich je gehört habe.“

II.Die schimmernde Tänzerin
1.

Ich kannte sie gut, die Tänzerin Dajana. Sie tanzte bereits als Kind – nahezu wie ein Profi. Sie entstammte einer gutbürgerlichen Familie. Vater Gerichtsvollzieher, Mutter im Haushalt. In den Achtzigerjahren war sie Sachbearbeiterin in einer Kanzlei. Ein undramatischer Broterwerb, der nach einer aufregenden Freizeitgestaltung verlangte. So fand sie. Tagsüber im Büro, erledigte sie ihre Aktenberge, um sich anschließend mit Tanzstunden dafür zu belohnen. Mit dreiundzwanzig fand sie ihre Berufung im Bauchtanz. Sie genoss ihre Jugend und die Bewunderung ihres Publikums.

„Könnt ihr euch die exotischen Kostüme vorstellen?“ Sie waren die reinste Augenweide. Samtige, mit Pailletten besetzte Oberteile, wallende Röcke und Pluderhosen in knalligen Farben. Seidene Schleier, die Wolken gleich geschwungen wurden. Es war die Liebe zur Musik, die sie durch das Leben trug und gleichsam ernährte. Man taucht in einen Schwall von Gefühlen. Spielerisch, wie ein Fisch, der das Riff umkreist. Wendig tänzelnd, wie ein zartes Seepferdchen.

Bauchtanz entfacht gleichsam eine feine Welle. Im Nu erfasst sie das Publikum. Dutzende Augen verfangen sich in den vibrierenden Münzen, die der Shimmy klimpernd in Trance versetzt. Die Tänzerin ist zum Instrument geworden, zu einem Kleinod der Musizierenden. Röhrende Flöten nebst heiteren, lichten Zimbeln. Der hämmernde Rhythmus der Darbuka mitsamt ihrer Zauberkraft. Unweigerlich zieht dich das sinnliche Pochen der Trommeln in seinen Bann. Wiegt dich, und entführt dich, in ein glückverheißendes, träumerisches Land.

„Wusstest du, dass es eine Vielzahl von Shimmys gibt?“

„Das ist das Zittern in den Hüften, nicht wahr? In Hawaii haben sie das auch, soviel ich weiß.“

„Marilyn Monroe setzte ihn ein. Elvis ebenso. Den Handshimmy. Das ist der am meisten gebräuchliche.“

Kerala streckt seine Hand hoch und versucht, die Bewegung zu simulieren.

„Gar nicht so einfach.“

„Du sagst es. Es braucht eine entspannte Haltung. Der schwierigste ist der Bauchshimmy. Unser Meisterstück, wenn man so will.“

„Du verstehst etwas davon?“

„Ein wenig. Ich werde niemals so perfekt sein wie Dajana. Nicht in hundert Jahren.“

Es war an einem Wochentag, im Mai 1985 in der Nähe der Wiener Landstraße. Das Studio lag direkt am Park. Die mächtigen Bäume standen in üppigem Blätterwuchs. Die blühenden Fliederhecken versprühten verschwenderisch ihren leichten Duft. Auf den Parkbänken hatten sich junge Mütter mit ihren johlenden Kindern eingefunden. An einem der Tische dahinter, spielten seelenruhig zwei bärtige Männer Schach. Aus den Räumen des Kellergeschoßes drang Instrumentalmusik. Dajana kam die Treppe herauf, ihre Umhängetasche über die Schulter geworfen. Ihr langes Haar lag offen um ihre wohlgeformten Schultern. Sie war eine anmutige Person. Ihr Gesicht bezauberte durch große, ausdrucksstarke Augen und eine hohe Stirn über einer zierlichen Nase. Sie hatte eine dieser handgewebten Taschen, die man in Dritteweltläden erwerben kann. Orange und türkisfarben, mit breitem Tragegurt. In die man wahnsinnig viel hineinstopfen kann. Hinter ihr fiel scharf die Stahltür ins Schloss. Die Schatten wurden länger, die Laune der Werktätigen beschwingter, gegen Ende des Arbeitstages.

Eine Gruppe junger Männer pflanzte sich lasziv auf und um einen der Holztische. Für gewöhnlich fanden sie sich im Park ein, um sich zu unterhalten. Miteinander zu scherzen. „Herumlungern“, sagte die ältere Generation, die es nicht gerne sah, wenn sie ihre Zeit vergeudeten. Sie leben in kleinen Wohnungen, in denen sie zumeist nur ein Bett besitzen. Deshalb verbringen sie den Großteil ihrer Stunden im Freien. So es das Wetter erlaubt. Bei Regen sieht man sie in den Hauseinfahrten, gegen Wände gelehnt. In der Hocke oder auf ihren zusammengeknüllten Klamotten sitzend. Mit einer Zigarette zwischen den Fingern. Einer von ihnen, mittelblond und hochgeschossen. Sein ganzes Auftreten schien zu sagen: „Ich wollt, ich wäre ein Prinz.“ Sein ausgeprägtes Kinn fiel ihr als Erstes auf. Und dass er seinen Kumpels imponieren wollte, die ihn Eddy nannten.

„Ach bitte, schöne Lady“, raunte er. „Nur eine Kostprobe ihres Tanzes.“ Er faltete seine Hände und sah sie aus bittenden Augen an.

 

„Leider“, meinte Dajana achselzuckend und wandte sich zum Gehen. „Wir haben keine Musik.“

„Ach, bitte. Tun sie uns den Gefallen. Wir sind die Music Brothers.“ Kaum hatte er dies gesagt, begann die Gruppe auf den Tisch zu klopfen. Einer trommelte mit seinen Fingerkuppen auf den Bänken. Einer anderer schnipste mit den Fingern und pfiff melodisch. Unverkennbar, ein orientalischer Gig. Eddy und ein anderer seiner Freunde klatschten im Takt. Sie ließ sich erweichen. Zaudernd stellte sie ihre Tasche an den Wegesrand und ging in Position. Du musst immer lächeln, locker bleiben, deine Blicke ins Publikum wandern lassen. Jeder soll glauben, du tanzt nur für ihn. In deinem Kopf zählt nur die Musik. Sie wandert, strömt leise in deine Gesten. Deine Sohlen fühlst du gelegentlich, als würden sie abheben. In weichen Achterschleifen lässt die Bauchtänzerin ihre biegsamen Hüften kreisen. Ihre Arme schlängeln sich um die Konturen ihres Körpers, sinnlich und verführerisch. Einladend, wie er später ständig betonte. Bei der Frage nach einer Zugabe winkte sie ab. Höflich, doch entschieden.

„Ich muss jetzt wirklich gehen“, sagte sie entschlossen, und zwang sich zu einem Lächeln.

Dem jungen Mann, der ihr nachlief, misstrauten die meisten Menschen. Er schien etwas verrückt zu sein. An seinem Blick erkannte man es. Es war nur ein Aufblitzen. In seltenen Momenten, sporadisch zu sehen.

„Ich kann sie berühmt machen“, versprach er. „Edward Krenz, vielleicht haben sie schon von mir gehört.“ Als wäre er einer dieser Agenten auf Talentsuche. In Wahrheit jedoch war er Gelegenheitsarbeiter. Abladen eines LKWs, Hilfsarbeiten an einer Baustelle. Dies und das, wie befristete Jobs so gelagert sind. Ab diesem Augenblick wurde sie ihn nicht mehr los. Er klebte an ihr, wie eine dieser ausgemergelten Strauchfrüchte. „Wie heißt die noch?“

„Du meinst eine Klette.“

„Genau. Danke.“

Er war ein ausnehmend schöner Mann. Sein ebenmäßiges Gesicht, seine gerade Nase und sein wohlgeformter Mund erinnerten an eine Büste aus dem antiken Griechenland. Vor allem das Blau seiner Augen, wie die dunkle Tiefe eines Gebirgssees. Man konnte sich eines rätselhaften Staunens nicht erwehren. Seine lässige Haltung erschien mutig und tatkräftig zugleich. Er konnte sich geschmeidig bewegen und führte dies exemplarisch vor. Er war imstande, aus dem Stillstand auf eine Parkbank zu springen, ungestüm wie ein Puma. Viele hielten ihn für äußerst lebenstüchtig, dem ersten Anschein nach.

Seit dem tragischen Verlust ihrer Eltern, träumte Dajana von einem Menschen, bei dem sie sich erneut geborgen fühlen könne. Von einem Mann, der sie liebte, und sie auf Händen trug. Ihre Liebe zu ihm war hell und fürsorglich. Hin und her gerissen von seinem Charme, zog sie mit ihm. Er hatte eine Altbauwohnung in der Ungargasse aufgetan, die für ihn erschwinglich war. Sie brachte einige Möbelstücke aus ihrer alten Wohnung mit. Nico und Tom erklärten beflissen, beim Umzug mitzuhelfen. Eddy dirigierte sie lautstark, als sie die Teile des Einbauschranks, und anschließend das Doppelbett, die Stiegen hochschleppten. Eddy strahlte. Endlich war er unabhängig, der Herr im Haus. Das junge Paar fand sich spielerisch in die neue Umgebung ein. Das Glück des Neuanfangs setzte Berge von Energie frei. Beide waren voll der Hoffnung, einer wunderbaren Zukunft entgegenzugehen. Zimmer, Küche, Fensterscheiben aus gerilltem Glas trennten die Wohnung zum Gang ab. Von außen konnten Vorbeigehende die Konturen der Bewohner sehen. Dajana über den Herd gebeugt, im Kochtopf rührend. Eddy auf der Küchenbank, die Ellenbogen auf die kleine Tischplatte gestützt. Linsen mit Speck und Knödeln waren sein Leibgericht.

„Viel Knoblauch“, darauf bestand er. Es sollte nicht das Einzige sein, worauf er bestand.

Einige Male am Tag klingelte ihr Telefon im Büro und er war dran. Seine geistlosen Telefonanrufe langweilten sie bald. Er wollte minutiös wissen, wo sie war, wann sie ankäme. Wie lange sie für den Heimweg brauche. Wenn sie sich um eine Minute verspätete, löcherte er sie mit durchdringenden Fragen, wo sie denn gewesen wäre.

„Und was bitte hast du dir angesehen“, sagte er dann. „Was genau war so interessant?“

„Geschirr“, sagte sie. „Wir brauchen neue Suppentassen.“

„Und die musstest du dir alleine ansehen. Ohne mich?“

„Entschuldige.“ Meistens endete dies in einer Entschuldigung ihrerseits. Sein Gehaben befremdete sie sehr. Ihre Eltern hätten es als aufdringlich und penetrant angesehen. Allerdings schmeichelte es ihrem Selbst.

„Ich kann ohne dich nicht leben“, beteuerte er oft. Das musste doch Liebe sein, sagte sie sich. So lange, bis sie daran glaubte. Allem voran lobte er ihre Tanzkünste, ihr angestammtes Talent. Das gab ihr das Gefühl, einzigartig zu sein. Sie glaubte seinen Liebesschwüren. Dass er alles über sie wissen wolle, weil sie ihm doch so viel bedeute.

Erheitert erzählte Eddy davon, wie er seine Geschwister gegeneinander ausspielte. Er prahlte regelrecht damit. Ein breites Grinsen, wie ein verrutschter Mond, ging auf. Begleitet von einem Glucksen, während der Szenen, die er für lustig hielt. In seiner angestammten Familie hatte er die Machtverhältnisse zu seinen Gunsten verändert. Er nannte fünf Geschwister sein Eigen, die er allesamt unter seiner Fuchtel hielt. Nico und Tom waren älter, Adrian, Lukas und Gerhard jünger als er. Sein bevorzugtes Druckmittel waren Drohungen. Er hatte keine Scheu davor, die perfidesten Lügen zu erfinden. Die er anschließend dem Vater vertrauenerweckend vor die Füße legte. Er verstand es vortrefflich, sich als Opfer darzustellen. Seine älteren Brüder als unfair zu bezeichnen, die ihm Gewalt antäten. Längst hatte er sich einen Plan ausgedacht, wie er seine Sache glaubwürdig aussehen lassen könnte. Einmal schlug er sich den Kopf an einem Tisch blutig, um dann unbeirrt zu behaupten, Nico und Tom hätten ihn mit Faustschlägen traktiert. Eddy achtete darauf, genug Indizien zu legen, die jedem ins Auge stechen mussten. So auch seine Verletzungen auf Nase, Wangen und Stirn, die von den Gegenständen auf der Tischplatte herrührten. Die blutigen Tücher, mit welchen er alles sorgfältig abgewischt hatte, taten das Übrige, um seine Version zu untermauern. Ihr Vater zog wutentbrannt ins Feld und wendete „das Unangenehme“ an, wie sie es nannten. Worin das bestand, darüber verlor Eddy kein Sterbenswörtchen. Nicos Beteuerungen, dass das alles nicht stimme, halfen ihnen nicht. Zu schlimm waren die Verletzungen des Bruders, als dass ihr Vater an der Geschichte gezweifelt hätte. Mit den Jüngeren, Adrian, Lukas und Gerhard, begann er, ein ungleiches, böses Spiel zu inszenieren. Waren sie doch von Beginn ihres Lebens an seinen Launen ausgeliefert. Eddy war hellhörig darauf bedacht, keinem Außenstehenden unangenehm aufzufallen.

„Vielleicht kennt ihr solche Szenen aus eigener Erfahrung. In kleinerem Ausmaß oder vom Hörensagen. Einer stellt einem anderen unbemerkt ein Bein.“ Es entsteht ein Schaden, doch im Verborgenen. Eddy war komischerweise immer aus dem Schneider. Es war ihm nichts nachzuweisen. Ihre Mutter spielte eine loyale Rolle, ihrem Mann gegenüber. Er hatte das Sagen und es galt letztlich, die heranwachsenden Kinder zu bändigen. Sie zu einem geordneten Leben zu erziehen. Also erfüllte der halbwüchsige Eddy eine Funktion, die dem Familiensystem nützte. Er verbreitete die Angst, die nötig war, um die Geschwister in die schützenden Arme der Eltern zu treiben. Als er erwachsen wurde, hatten sie ihn satt. Seine Launen, sein herrschsüchtiges Wesen. Umso lieber sahen sie ihn hernach in der Rolle des Verlobten.

„Du bist die beste Frau für ihn, die man sich denken kann“, sagte seine Mutter zu Dajana, als sie auf Vorstellungsbesuch bei ihnen weilte.

„Dieser Glückpilz“, betonte Nico. „Dass eine solche Schönheit, wie du, sich um unseren Eddy kümmert…“ Sie lobten sie über alle Maßen. Außerdem schaffte sie ihnen den anstrengenden, ungeliebten Sohn und Bruder vom geplagten Hals.

Edward Krenz, der neue Mann in ihrem Leben, wurde schließlich lauter. Schimpfworte und Wutausbrüche dominierten ihr Leben, das schließlich aus dem Ruder lief. Sie verstand die Welt nicht mehr. Glaubte sie doch, alles getan zu haben, dass es ihrem Liebsten gut ginge. „Ich muss dir sagen: du hast dich verändert“, sagte ihre Freundin. „Im Freundeskreis munkelt man, dass er dich schlecht behandelt.“

„Er hat ein Problem, zur Zeit“, versuchte Dajana, ihn zu verteidigen.

„Es schmerzt mich, mit anzusehen, wie es mit dir bergab geht. Ich bin doch deine Freundin.“

„Eddy ist noch in der Probezeit, weißt du. Das wird sich legen, wenn er seinen Arbeitsvertrag hat.“

Einige ihrer Freunde verurteilten sie, weil sie sich Derartiges gefallen ließ. Auch war ihr mittlerweile anzusehen, dass sie litt. Ihr hübsches Gesicht war mager geworden, ihre Wangenknochen standen hervor. Die blauen Flecken versuchte sie, unter langen Ärmeln zu verstecken oder unter blickdichten Strumpfhosen. Trotz allem verlieh ihr dies eine geheimnisvolle Aura, eine elegante, blasse Schönheit.

Seine Arbeit verrichtete Eddy recht und schlecht. Es verdross ihn, seine Stunden mit Tätigkeiten zu verbringen, die ihm keinen Nutzen einbrachten.

„Es fadisiert mich, die Fahrtzeiten für den Transporter aufzuschreiben“, sagte er. „Ich bin doch keine Büroklammer. Soll das doch der Fahrer selbst tun.“ Ein anderes Mal war es der Partieführer, der ihn schief angesehen haben soll.

„Was glotzt du“, fragte er ihn herausfordernd. An diesem Tag kam es zu einer Rauferei. Er überwarf sich mit seinem Chef, wurde gekündigt. Erneut suchte er Arbeit, legte sich mit Kollegen an und verlor im Nu seine Stelle. Die Leute sahen ihn schief an, wenn er untertags an ihnen vorbeiging.

„Du solltest dich nützlich machen“, sagte ein Nachbar. Frustriert schlug er sich die Zeit um die Ohren und beschuldigte Dajana, wenn sie abends heimkam.

„Du hast mir das vermasselt. Deinetwegen wurde ich gefeuert“, warf er ihr vor. „Mit einer Frau wie dir kann man nicht gewinnen.“ Er beschuldigte sie, anderen schöne Augen zu machen. Dadurch könne er nicht mehr klar denken.

„Meine Arbeit leidet darunter. Alles nur wegen dem Stress mit dir“, sagte er. Im Grunde seines Herzens gloste die Eifersucht. Er wollte erreichen, dass einzig und allein er geliebt wurde. Dajanas beste Freundin und Arbeitskollegen, die sie mochten, standen ihm dabei im Wege und er nahm sie unter verbalen Beschuss.

„Sie wollen dich doch nur ausnützen“, stichelte er. „Siehst du nicht, wieviel Arbeit sie dir zusätzlich aufhalsen? Damit sie sich einen Lenz machen können.“

„Aber, ich arbeite gerne fürs Team“, sagte sie. Er legte nach, erfand Anschuldigungen, bezichtigte ihre Kollegen der Profitgier. Einer ihrer Freundinnen, die sie bereits seit der Schulzeit kannte, dichtete er den Ruf an, drogensüchtig zu sein.

„Merkst du das nicht: Ein schlechter Umgang für dich“, sagte er. Das Wesen, das er zu besitzen glaubte, durfte niemand anderen mögen oder gar lieben. Schlechte Schwingungen griffen um sich. Eddys Ärger schlug in Wut um. Unter dem Übermaß an Vorwürfen und bösen Worten, zog sich Dajana ratlos zurück.

Anfangs versuchte sie, ihre Clique zu verteidigen. Zu kostbar waren die Erinnerungen an glückliche, unbeschwerte Tage. An wolkenlose Sommertage, die sie mit ihren Freundinnen im Strandbad herumhing. Die freizügigen Bikinis, beschallt von den wildromantischen Songs der Transistorradios.

„Das stimmt nicht“, sagte sie. „Es sind Freunde. Völlig harmlos.“ Insgeheim wusste Sie, er hatte kein vernünftiges Argument. Es würde jedoch zu weit führen, ihm dies alles auseinandersetzen. Eines Tages, es war nicht einmal ein besonderer Tag, gab sie ermüdet auf, ohne Widerworte. Ihr Schweigen brachte sie nur noch mehr in Bedrängnis. Er legte es als ein Schuldeingeständnis aus. Steigerte sich in Rage, die ihn blind machte. Die darin gipfelte, dass er unangenehm wurde. Generationen, die, wie selbstverständlich, mit der Furcht vor der Strafe des Vaters aufwuchsen. „Das Unangenehme“ in abscheulichen Worten, meist in ebensolchen Taten.

Da siehst du dich plötzlich auf dich allein gestellt. Deine Freundinnen können dir nicht beistehen, wenn du geschlagen wirst. Sicherlich hätten sie sich vor dich gestellt, getragen von der Hoffnung, dass er einer ihm fremden Person nichts antun könnte. Du musst dich entscheiden, ob du dich wehrst oder verteidigst. Und Dajana versuchte, mit der Geduld eines gefallenen Engels, ihren Angreifer umzustimmen. An diesem Dienstag trug sie Abschürfungen an den Beinen davon. Für andere unübersehbar, ihre Blutergüsse im Gesicht. Als Eddy in die Küche ging, um sich eine Flasche Bier zu holen, konnte sie zu einer Freundin flüchten, die zwei Häuserecken weiter wohnte. Diese verarztete sie aus der Notapotheke, mit Wundsalbe und Pflastern. Eine Untersuchung bei einem Arzt lehnte sie ab. Sie befürchtete, dass Eddy angezeigt würde. Im Alltag versuchte sie krampfhaft, ihn nicht zu reizen. Ein Leben auf Zehenspitzen begann. In dem sie versuchte, ihm alles recht zu machen. Ihre Leidenschaft verblasste zusehends. Sie konnte und wollte ihm nicht mehr in die Augen sehen.

 

„Ich bin zu müde“, sagte sie, als er versuchte, sie zu küssen. Sie konnte seine Annäherungsversuche nicht mehr ertragen. „Die viele Arbeit im Büro, lass mich doch bitte schlafen.“ Als sie seinen Forderungen nach körperlicher Liebe nicht nachkam, beschlich ihn die Angst, er könnte sie verlieren. Er bewachte sie auf Schritt und Tritt, verlässlich wie ein Kettenhund. Abends nahm er ihr die Wohnungsschlüssel ab und versperrte die Tür von innen. Tagsüber erlaubte er ihr, ins Büro zu gehen. Akkurat bei Dienstschluss, stand er, wie ein Wärter in der Toreinfahrt gegenüber, passte sie ab und führte sie heim.

„Ich wünsche mir doch nur eine Familie“, beteuerte er wieder und wieder. „Ich will eine anständige Frau haben, die zu mir hält.“ Dann zweifelte sie an sich selbst. Nichts wollte sie mehr, als ihm eine gute Frau zu sein. Nun war sie weit davon entfernt, ihn zufrieden zu stellen. Eine geölte Stimme sang aus dem Radio: „Ramona, denk jeden Tag einmal daran, dass nichts vergeht, was so begann.“ Vielleicht hat er Recht, schoss ihr durch den Kopf und ein Hoffnungsschimmer glimmte auf.