Czytaj książkę: «Zwischen Knast und Alltag», strona 2

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Ein seltsamer Brief

Wir haben heute den neunten Mai. Fünf Monate ist John nun schon hier, davor sieben Monate Stadelheim und nicht abzusehen, wie lange er hier noch ausharren muss. John geht zwar von einer Zwei-Drittel-Strafe aus, aber verlassen kann er sich darauf natürlich nicht.

Jeden Tag der gleiche Spaß: Fünf Uhr morgens aufstehen, mit kaltem Wasser in der Zelle waschen, duschen darf man nur nachmittags im Bad auf dem Gang, Aufgusskaffee trinken und um viertel vor sieben geht John in die Arbeit. Danach bekommt er heute zur Abwechslung mal wieder einen Brief. Für John ist es jedes Mal aufs Neue ein schönes Gefühl, wenn da draußen noch jemand an ihn denkt. Meist ist es zwar nur ein Brief von seinem Anwalt, aber dieser Brief kommt von keiner ihm bekannten Person und Werbung ist es auch nicht. Er ist von einer Katarina Brunner. Diesen Namen hat John noch nie gehört. Trotzdem scheint sie ihn zu kennen. In dem Briefumschlag findet John jedoch nicht mehr als einen Seite aus der Süddeutschen Zeitung mit einer markierten Annonce unter SIE SUCHT IHN.

Zunächst denkt John: »Was will die denn, hat die 'nen Knall? Wer ist das überhaupt und warum meint die, dass ich mir eine Freundin aus der Zeitung suchen soll?«

Jedenfalls liegt vor ihm dieser Zeitungsausschnitt, der offensichtlich auch noch uralt ist, vom dreißigsten März. Doch von der markierten Anzeige fühlt John sich in der Tat angesprochen. Schon immer wollte er eine große Familie haben.

»Aber warum schickt mir eine unbekannte Person eine Anzeige von vor fast sechs Wochen?«, wundert sich John. Sei's drum, noch am selben Abend setzt er sich hin und antwortet auf diese Annonce.

Hallo liebe Unbekannte!

Zunächst wünsche ich dir einen wundervollen Wochenbeginn. Es ist bereits sechs Wochen her, dass du diese bezaubernde Anzeige in die Zeitung gesetzt hast und sicherlich wurdest du daraufhin mit Antworten nur so überhäuft. Vielleicht hast du deinen Traumprinz ja bereits gefunden? Vielleicht gibst du uns aber auch die Möglichkeit, dass wir unser gemeinsames Glück in Zukunft teilen dürfen.

Dafür sollst du aber zunächst etwas mehr über mich erfahren und ich hoffe, dass dir gefällt, was es zu berichten gibt. Mein Name ist John, ich bin genau wie du sechsunddreißig Jahre alt, ein Meter vierundachtzig groß und ich wiege fünfundachtzig Kilogramm. Meine Augenfarbe ist blau, ich habe dunkelblonde kurze Haare. So viel zu meinem Äußeren. Was gibt es sonst noch über mich zu sagen? Ich bin treu, kinderlieb, einfühlsam, spontan, sportlich, eigentlich auch romantisch, optimistisch, aber auch sehr realistisch.

Geboren bin ich in Berlin, habe einige Zeit in den Staaten gelebt und seit circa dreizehn Jahren, nenne ich München meine Heimat. Momentan bewohne ich zeitlich begrenzt ein Domizil in Kaisheim. Beruflich bin ich erfolgreich in der Medienbranche tätig und bereits seit Jahren selbständig. Somit kann ich mir meine Zeit frei einteilen.

Ich liebe es zu kochen und die Frau an meiner Seite zu verwöhnen…

Mehrere Stunden sitzt John an diesem Brief. Nur eine Sache lässt John nicht los: Wer ist diese Katarina und woher weiß sie überhaupt, dass er sich momentan hier befindet? John schreibt ihr ebenfalls einen Brief zurück, bedankt sich für ihren Tipp und fragt sie, woher sie seinen derzeitigen Aufenthaltsort kennt. Er hört allerdings so schnell nichts mehr von ihr. Auch von der Unbekannten kommt erst einmal NICHTS.

Aber das war ihm eigentlich von vornherein schon klar. Welcher normale Mensch antwortet schon einem Knacki? Das hat die Unbekannte bestimmt sofort herausgefunden, nicht zuletzt von dieser Katarina. Trotzdem geht John täglich in freudiger Erwartung zum Briefkasten, um leider doch nichts vorzufinden.

Annonce abgehakt

Zurück in meiner alten Routine dreht sich mein ganzes Leben wieder einzig und allein um meine Kinder. Morgens aufstehen, die Jungs fertig machen, in die Kita fahren, laufen gehen und dann von zu Hause aus am Rechner arbeiten, bevor ich um vierzehn Uhr wieder am Kindergarten sein muss. Jetzt, bei schönstem Wetter, mit Temperaturen seit Tagen über zwanzig Grad, sieht alles gleich wieder viel freundlicher aus.

Die Jungs sind begeistert, heute Nachmittag stellen wir das erste Mal das Planschbecken auf. Während ich kurz in der Küche war, um einen Snack vorzubereiten, ist es schon passiert. Die beiden haben nicht nur das Planschbecken mit dem Wasserschlauch gefüllt, sondern sich zusätzlich gegenseitig nassgespritzt. Jetzt sitzen sie zum Teil noch mit Klamotten im kalten Wasser und strahlen mich an. »Oh je, seid ihr verrückt? Das ist doch noch viel zu kalt!«, rufe ich entsetzt. »Aber wieso denn, Mami? Die Sonne scheint doch«, antwortet Nic unschuldig. Die beiden haben ihren Spaß und reagieren entsprechend sauer, als ich sie schließlich hinausscheuche: »Auf geht‘s Jungs, ab nach oben! Ich möchte nicht, dass ihr krank werdet.« Mit Gemaule ziehen sie los Richtung Badewanne, wo die zwei Wasserratten wenige Minuten später voller Freude weiterschwimmen.

So werden die Nachmittage draußen länger, die Grillabende häufiger und die Zeit, die ich am Computer verbringe, wieder weniger. Schnell habe ich auch vergessen, dass ich mich ja eigentlich um eine eigene Wohnung für uns kümmern wollte. Nur ab und zu merke ich, wie sehr ich mich nach einem liebevollen Partner sehne.

Und plötzlich, nach über sechs Wochen, kommt doch noch eine Antwort auf meine Annonce, dieses Mal per Post. Meine Freude darüber verfliegt allerdings schnell, denn der Brief ist von einer Partnervermittlungsagentur. »Schade«, sage ich enttäuscht. Wäre auch zu schön gewesen, wenn nach so langer Zeit noch etwas Brauchbares dabei gewesen wäre. Nein, so viel muss ich mir selbst eingestehen, die Anzeige hat nicht das gebracht, was ich mir erhofft hatte. Scheint halt leider doch nicht so zu sein, dass die Traummänner dieser Erde nur auf meine Anzeige gewartet haben.

Eine Antwort per Brief

Bereits am nächsten Tag bekomme ich ganz überraschend wieder einen Brief. Dieser ist nicht von einer Partnervermittlung, sondern von einem Mann aus Kaisheim. Er klingt sogar richtig nett, individuell und schreibt total natürlich. Garantiert ist das niemand, der diesen oder ähnlichen Brief jede Woche auf eine Annonce hin abschickt. Er ist von einem John Jackson. John Jackson? John? Der Name bringt Erinnerungen zurück. Okay, Jackson ist mir unbekannt, aber John. John J.?

Schnell verwerfe ich den Gedanken und freue mich über diesen unerwarteten Brief von dem Mann mit der wunderschönen sauberen Handschrift, etwas, was mir als Allererstes ins Auge sticht. Wo wohnt dieser John eigentlich? Im Internet suche ich sein »momentan zeitlich begrenztes Domizil in Kaisheim«, wie John es in seinem Brief so nett beschreibt. Kaisheim? Das ist ein total kleines Nest, circa zweihundert Kilometer von uns entfernt.

Okay, hier draußen auf dem Land wollte ich sowieso nicht auf Dauer bleiben. Aber Kaisheim oder der nächstgrößere Ort, Donauwörth, muss es ja nun auch nicht unbedingt sein. Was macht er überhaupt dort, wenn er eigentlich München seine Heimat nennt? Naja, zeitlich begrenzt heißt doch, dass John in Sachen Wohnort flexibel ist, oder? Zum gegenseitigen Kennenlernen werden wir die zweihundert Kilometer wohl in Kauf nehmen müssen.

»Oh man, Lara, du hast sie ja nicht alle. Du denkst schon wieder viel zu weit. Das ist doch gerade mal ein erster Brief!«, rede ich laut vor mich hin. In Gedanken bin ich bereits bei einer glücklichen Familie mit John Jackson, einem einfühlsamen Partner für mich und einem liebevollen Papa für die Jungs.

Ich nutze den freien Vormittag, um John zu antworten. Leider hat er mir weder eine E-Mail-Adresse noch eine Telefonnummer mitgeschickt. »Super, was ist das denn für ein Held?«, schüttle ich den Kopf. Wie soll ich ihn denn jetzt erreichen? Ich gebe seinen Namen bei Skype ein. Prima, sofort finde ich einen John Jackson. Ich schicke ihm eine Freundschaftsanfrage und schreibe eine kurze Nachricht dazu.

Spätestens am zweiten Tag wundere ich mich, warum er mich nicht zu seinen Kontakten hinzufügt. Gefällt ihm etwa mein Foto nicht? Klar, das muss es sein. Warum sollte er mich dann noch adden? Oder nutzt er Skype vielleicht überhaupt nicht? Und es war ein ganz anderer John Jackson, dem ich die Nachricht geschickt habe.

Also suche ich im Internet nach seiner Telefonnummer, aber der Name John Jackson ist in ganz Kaisheim nicht zu finden. Als ich Kaisheim bei meiner Suche weglasse, taucht ein John Jackson aus München samt Firmen-Homepage und Telefonnummer auf. Ich scrolle mich ein wenig durch seine Seite. Klingt interessant, er schreibt über »Sport-Neuheiten«. Trifft sich gut, da ich mein Leben vor den Kindern komplett dem Sport gewidmet hatte. Ich suche seine Nummer raus und schicke ihm folgende SMS:

Hallo John. Habe mich sehr über deinen lieben Brief gefreut. Ich würde mich freuen wieder von dir zu hören. Meine Telefonnummer hast du ja jetzt und meine E-Mail über die Annonce sowieso. LG und ein schönes WE! Lara

Voller Spannung warte ich, jedoch wieder vergebens. Und dann: Oh man, bin ich blöd! John Jackson! Das ist bestimmt kein Deutscher, klingt eher nach einem Amerikaner. Sofort springen meine Gedanken drei Schritte weiter. Genial, dann können unsere Kinder doch noch zweisprachig aufwachsen.

Als Ami wird John definitiv auf Facebook vertreten sein. Ist ja heutzutage sowieso fast jeder. Ich gebe seinen Namen ein und drücke auf Search. Oh je, davon gibt es aber viele. Ich beschränke meine Suche auf Deutschland. Drei Treffer, schon besser! Jedoch kein John Jackson in Kaisheim. Einer, leider ohne Foto, wohnt in Freising. Das wäre wenigstens nicht weit von hier und zählt theoretisch fast noch zu München. Der Nächste lebt in Trier und ist über vierzig. Das kann er also nicht sein. Und dann ist da noch einer aus München. Der hat dieselbe Firmen-Adresse angegeben, die ich vor ein paar Tagen im Netz gefunden habe und er ist mein Jahrgang. Das muss er sein! Ich schreibe ihm eine Nachricht.

Sein Profilbild kommt mir zwar irgendwie bekannt vor, aber ich lasse den Gedanken, der seit seinem Brief durch meinen Kopf schwirrt, gar nicht erst zu. Schließlich ist das Bild äußerst unscharf! Außerdem kann es gar nicht so viele Zufälle geben. Wie um alles in der Welt sollte gerade John J. von meiner Annonce erfahren haben? Und warum sollte ausgerechnet er darauf antworten, nach über sechs Wochen. Das ist schier unmöglich. Wenn es wirklich »mein John« von damals wäre, hätte er ja auch reinschreiben können, um wen es sich handelt. Warum dann diese Geheimnistuerei mit dem Brief? Trotzdem, passen würde es irgendwie schon. In seinem Brief steht schließlich: »Ich habe einige Zeit in den Staaten gelebt.«

Plötzlich kommen alle Erinnerungen an diese Zeit vor – Mhm, wie lange ist das jetzt wohl her? – dreizehn, vierzehn Jahren zurück.

Rückblick

Das war in meinem zweiten Semester in Amerika, als ich mit Katti und unserem damaligen Coach, Brandon Short, nach Kalifornien geflogen bin. Wir waren die Einzigen aus unserer Mannschaft, die in diesem Jahr an den NCAA Tennis-Finals in L.A. teilnehmen durften.

Im Turnier konnten wir leider nicht sehr lange überzeugen, zumindest nicht im Einzel. Ich gewann die erste Runde und verlor danach sang- und klanglos gegen die achtundsiebzigste der amerikanischen Uni-Rangliste, NCAA. Ich kam mit den Windverhältnissen überhaupt nicht zurecht, spielte bodenlos schlecht und war am Ende total frustriert. Unser Trainer hatte mir eine riesige Chance gegeben, indem ich überhaupt mitfahren durfte und ich musste ihn so früh enttäuschen. Aber Los Angeles war halt nicht Memphis. Das erste Mal vor Hunderten von Zuschauern spielen, der Wind blies kräftig und ich stand völlig neben mir.

Ich erinnere mich an diese ganze Reise noch immer, als hätten wir sie erst gestern angetreten. Und wie oft habe ich danach versucht, gerade diese Reise komplett aus meinem Hirn zu verbannen. Nicht wegen des verlorenen Matches, sondern vielmehr wegen der darauffolgenden Tage…

Katti hatte im Einzel ebenfalls gleich verloren, aber sie sah das alles ein wenig entspannter als ich. Selbst Stunden später war ich immer noch am Boden zerstört, wollte mich am liebsten im Zimmer einschließen und bis zum nächsten Morgen dort bleiben. Doch Katti ließ nicht locker: »Wir sind nur einmal in L.A., zumindest nur einmal auf Kosten der Uni«, lachte sie. »Und ich möchte mir jetzt nicht den ganzen Abend von deiner miesen Laune kaputtmachen lassen!« Ich murmelte ein: »Okay okay, ist ja schon gut«, hüpfte unter die Dusche und dann gingen wir gemeinsam mit Coach Brandon, den wir intern »unseren Häuptling« nannten, ins TGI Friday‘s mitten in L.A. zum Essen.

Das Lokal war enorm voll, das Essen super lecker, die Portionen groß wie üblich in den Staaten, und spätestens nach meinem Gang zur Toilette war meine schlechte Laune wie weggeblasen.

Er war mir zuvor schon aufgefallen, als er zwei Reihen vor uns zusammen mit seinen Freunden ebenfalls auf einen freien Tisch wartete. Immer wieder schaute er zurück. Er war vielleicht einen Kopf größer als ich, hatte ein zuckersüßes Grinsen und einen sportlich-durchtrainierten Körper. Da wusste ich allerdings noch nicht, dass er auch deutsch sprach und somit alles verstand, was Katti und ich so quatschten. Ich schenkte ihm keine weitere Beachtung und habe somit nicht einmal bemerkt, dass er letztlich nur zwei Tische hinter uns saß.

Er muss jedoch gesehen haben, als ich aufstand, um zur Toilette zu gehen. Genau dort auf dem Gang sprach er mich plötzlich von hinten an: »Hallo schöne Frau!« »Hä, spricht da etwa jemand deutsch? Meinte der etwa mich?«, dachte ich und drehte mich erstaunt um. Da war es wieder, dieses breite Grinsen. Er hatte wunderschöne blaue Augen und kam tatsächlich auf mich zu. »Hallo«, antwortete ich und blieb ansonsten erst einmal stumm. Zu perplex war ich in dem Moment. Er war der typische Sunnyboy, wie man ihn sonst nur aus Kinofilmen kennt. Dessen war er sich voll bewusst, das merkte ich sofort. Ich war hier also Mr. Flirt persönlich über den Weg gelaufen. Und: Es fühlte sich gut an! Besonders an diesem Tag, die Gedanken an die Niederlage waren schlagartig vergessen.

Ich wollte etwas sagen, aber ich wusste nicht was. Zum Glück war er nicht so auf den Mund gefallen: »Ihr zwei seid mir vorhin schon aufgefallen. Wo kommt ihr denn her?« »Deutschland und Österreich. Wir studieren in Memphis und sind nur für ein paar Tage hier. Und du?« Er erzählte, dass er in L.A. arbeitet, John J. heiße und sich freuen würde, wenn er uns nachher die Stadt zeigen dürfe.

Leider musste ich ihm für diesen Abend absagen. Der Häuptling hätte uns erschlagen, wenn wir am Abend weggegangen wären und am nächsten Tag im Doppel noch so eine Leistung wie heute abliefern würden. John ließ nicht locker. Schließlich drückte er mir seine Telefonnummer in die Hand und ich musste ihm versprechen, dass wir uns melden. Doch hätte ich das wirklich getan? Ich glaube nicht.

Bis wir endlich zurück auf unser Zimmer kamen, platzte ich fast vor Ungeduld. Doch erst dort waren wir wieder allein und ich konnte Katti in aller Ruhe von meiner Begegnung mit John erzählen. Sie war völlig aus dem Häuschen. Auch ihr war der Typ sofort aufgefallen: »Der hat sich ja wirklich ständig nach uns umgedreht.« Na, und da John auch nach UNS gefragt hatte, ging ich insgeheim davon aus, dass es wohl Katti sein musste, die er eigentlich kennenlernen wollte.

So gerne hätte ich im Restaurant noch länger mit ihm gequatscht. Jedoch war mir das vor den Augen unseres Häuptlings zu peinlich. Also verließ ich den Laden ohne einen Gruß und war mir in dem Moment sicher, dass ich John nie wieder sehen würde.

Später, im Bett liegend, ärgerte ich mich über meine Verklemmtheit. Was war denn so schlimm daran? Ich meine, wir waren erwachsen. Wir durften ganz sicher auch jemanden kennenlernen. Ist ja nicht so, als hätten wir alle noch nie einen Freund gehabt. Es war zwar teilweise schwierig, Freund, Uni und die zeitintensiven Wochen während der Saison unter einen Hut zu bekommen, aber wir waren trotzdem noch Studenten und hatten unseren Spaß.

Dennoch, ich hatte es verpasst, John zumindest einen Wink zu geben, dass auch ich Interesse an ihm hatte. Da sprach mich einer der coolsten Typen in L.A. an und ich reagierte kaum. Ich drehte und wendete mich gefühlte einhundert Mal in meinem Bett, bevor ich irgendwann in Gedanken an meinen Sunnyboy einschlief.

Am nächsten Morgen mussten wir früh raus. Vor unserem ersten Doppel stand noch Laufen, Stretching und lockeres Einspielen auf dem Programm. Wir gingen gegen halb acht zum Frühstück. Danach fuhren wir direkt zur Tennisanlage der UCLA.

Ich war noch nicht ganz auf der Terrasse vor der Tafel mit dem Turnierplan angekommen, da sah ich ihn bereits von weitem. John wartete allem Anschein nach auf uns. Ich war total überrascht. Mit ihm hätte ich nun wirklich nicht gerechnet. Auch noch um diese Zeit! Ich hatte gestern Abend kurz erwähnt, dass wir am nächsten Morgen unser erstes Doppel an der University of California bestreiten würden, aber eigentlich eher beiläufig. Vielleicht war er ja doch nicht so oberflächlich, wie ich zunächst angenommen hatte.

Jedenfalls freute ich mich sehr, ihn wiederzusehen, sogar mehr als mir in diesem Moment lieb war. Ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und mein breites Grinsen konnte ich jetzt auch nicht mehr verbergen. Aber da Katti vorlaut, frech und wie immer vornweg lief und sie John ebenfalls sofort erkannte, drückte sie ihm auch gleich ein Gespräch auf die Nase. Somit hatte ich Zeit, mein Gesicht und meine schwitzigen Hände wieder auf Normaltemperatur runterzukühlen. Katti hatte offensichtlich überhaupt kein Problem damit, was der Häuptling von uns dachte. Und dass sie John ebenfalls total süß fand, wusste ich seit unserem Gespräch gestern Abend auch.

Doch plötzlich ließ John sie mehr oder weniger unterm Reden stehen und kam auf mich zu. Er gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte: »Ich wollte dich unbedingt wiedersehen, Lara.« Schon wieder stand ich sprachlos vor ihm. Träumte ich etwa noch? Nein, John stand tatsächlich vor mir.

Verwirrt fragte ich ihn: »Es ist acht Uhr dreißig. Was machst du hier?« »Nun, meine Liebe, ich wusste leider nicht, wie ich dein 'Morgen früh' einzuordnen habe, somit warte ich hier seit kurz nach acht.« Nach kurzer Pause fügte er augenzwinkernd hinzu: »Glaubst du wirklich, ich lasse dich ohne Verabschiedung einfach so zurück nach Memphis fliegen?« Peinlich gerührt auf diese Anspielung von gestern Abend kontere ich: »Ich hätte dich schon noch angerufen!« Aber hätte ich das wirklich?

Konnte mich dieser Mann, den ich gerade einmal fünf Minuten in meinem Leben gesprochen hatte, jetzt schon so genau einschätzen? Und was brachte ihn dazu, uns – also in dem Fall tatsächlich mir – so hinterherzulaufen? Ich meine, er war der »Pretty Boy«. Normalerweise stehen die Frauen bei ihm Schlange. Er könnte bestimmt jede haben. Warum um alles in der Welt stand er um acht Uhr morgens auf dem Tennisplatz, um mich irgendwann im Laufe des Vormittags hier anzutreffen? Ich sagte ihm, dass ich mich wirklich sehr freue ihn zu sehen, aber jetzt trainieren müsse, um mich auf unser bevorstehendes Doppel vorzubereiten.

Ich ließ ihn tatsächlich ohne weiteren Kommentar allein zurück, schnappte meine Tasche und ging. Katti stiefelte mir entsetzt hinterher. Sie konnte nicht glauben, wie ich »den gerade abserviert hatte«, und wusch mir auf dem Weg zum Platz ordentlich den Kopf: »Hast du gesehen, wie hammermäßig gut der ausschaut? Ist dir vielleicht aufgefallen, wie spät es ist? Und wie der dich ansieht, wenn er mit dir spricht? Du tust mir echt leid. Was ist denn in dich gefahren? So bist du doch zu Hause auch nicht.«

Sie hatte recht. Der arme Kerl musste denken ich hab 'nen Schlag. Ich war so kalt und förmlich und verklemmt, wie ich es selbst von mir kaum kannte. Für mich zählte scheinbar nur das Tennis und sonst gar nichts. Er fuhr mitten in der Nacht los, stand sich am Eingang die Beine in den Bauch, um uns bloß nicht zu verpassen, und ich nahm mir noch nicht einmal zehn Minuten Zeit für ihn. Ich wusste ja selbst nicht, was mit mir los war. Nein, so war ich zu Hause wirklich nicht.

Aber bei John benahm ich mich echt komplett daneben und ich hatte keine Ahnung warum. Irgendwie fühlte ich zu schnell zu viel für ihn und das machte mir Angst. Außerdem kannte ich ihn überhaupt nicht und es kam mir höchst suspekt vor, dass er hier um diese Uhrzeit auf uns wartete.

Vor unserem Spiel sah ich ihn nicht mehr. Während dem Training schossen mir unendlich viele Gedanken durch den Kopf. Ich hatte mich verhalten wie ein dummes Schulmädchen, welches zum ersten Mal von einem Jungen angesprochen wird. Offensichtlich hatte John nun endgültig die Schnauze voll, ich hatte ihn vergrault. Wütend auf mich selbst, drosch ich alle Bälle ins Netz, hatte plötzlich keine Lust mehr zu trainieren und wollte nur noch zurück nach Memphis. Was genau ich in der Zeit zwischen dem Training und unserem Doppel machte, weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall versicherte ich Katti und unserem Trainer, dass ich mich nachher zum Spiel wieder im Griff haben werde und dass mir mein Verhalten von vorhin leid tat. Ansonsten verbrachte ich die Zeit, bis wir aufgerufen wurden, allein.

Als wir schließlich am Platz ankamen, boxte mich Katti freudig in die Seite: »Schau mal, da drüben am Zaun.« Anscheinend hatte John die Schnauze doch noch nicht voll. Pünktlich zum Doppel war er wieder da. Wir spielten auf einem Nebenplatz ziemlich weit hinten auf der Anlage. Es gab keine Stühle für die Zuschauer, somit setzte er sich unweit vom Zaun in den Rasen und blieb dort die kompletten zwei Stunden sitzen. Während dem gesamten Match sagte er nichts, er applaudierte auch nicht, er saß einfach nur da. Fast war mir die Situation schon unheimlich.

Später erklärte er sein Verhalten: »Ich wollte dich nicht noch zusätzlich unter Druck setzen. Aber dein Spiel zu sehen, das konnte ich mir einfach nicht nehmen lassen. Auch auf die Gefahr hin, dich damit nervös zu machen.« Dann gab er mir einen liebevollen Klaps auf den Hintern und fügte mit seinem unwiderstehlichen Lächeln hinzu: »By the way, du sahst so süß aus in deinem Tennisröckchen.« Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ich hoffnungslos verknallt.

An dem Tag hatten wir noch ein weiteres Spiel, welches wir ebenfalls gewannen. Auch dieses Match schaute John sich bis zum Ende an. Unser Coach war sehr zufrieden mit uns und wir nutzten die Gelegenheit, ihn zu fragen, ob wir am Abend allein zum Essen gehen dürften. Wir versprachen pünktlich zur vereinbarten Sperrstunde um zweiundzwanzig Uhr zurück im Hotel zu sein. Dem Häuptling war unsere neue Bekanntschaft natürlich nicht entgangen, allerdings genauso wenig die Klasse Leistung, die wir auf dem Platz abgeliefert hatten. Er war einverstanden und wir sollten ihn nicht enttäuschen.

Katti kam selbstverständlich auch auf ihre Kosten. Ich hatte John gebeten, am Abend einen Freund mitzubringen. Er lachte nur und meinte: »Das hätte ich ohnehin gemacht. Ich will schließlich noch viel mehr über dich erfahren. Und da ich schon bemerkt habe, wie schüchtern du vor anderen bist, muss ich deine Katti doch irgendwie ablenken.«

Und mit dieser »Ablenkung« hatte keine von uns beiden gerechnet. Noch so ein kalifornischer Dream-Boy stand da plötzlich vor unserer Hoteltür und holte uns zusammen mit John ab. Es fehlten nur noch ihre Surfbretter unterm Arm, ansonsten lief es ab wie im Fernsehen. Connor war ungefähr im selben Alter wie wir, sah aus wie ein Abercrombie-Model und holte uns in seinem schwarzen offenen Cabrio ab.

An diesem Abend blieb es beim gemeinsamen Abendessen und einem Abschiedskuss. Katti und ich waren wie zwei Teenager, wir quatschten danach die halbe Nacht in unseren Betten. Wir konnten kaum glauben, welche Prachtschätze uns da über den Weg gelaufen waren und überlegten bereits an diesem Abend, ob wir unsere Zeit hier um die Ferienwoche verlängern sollten. Normalerweise ging es nach dem Ausscheiden aus einem Turnier oft noch am selben Tag zurück. Nur dieses Mal, mit Spring Break im Anschluss, bot es sich quasi an, unsere »Flitterwochen« noch ein wenig auszubauen.

Katti und ich konnten unser Glück kaum fassen. Zu unserem Erstaunen stellten sich die beiden als nicht nur oberflächliche Schönlinge heraus, sondern sie lasen uns jeden Wunsch von den Lippen ab und trugen uns die verbleibende Zeit in L.A. auf Händen. Längst waren wir mehr als nur Freunde.

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