Czytaj książkę: «Scheiss Bullen»
Andreas Widmer
Scheißbullen
Andreas Widmer
SCHEISSBULLEN
Ein Polizist erzählt aus seinem Berufsalltag
zwischen Hass und Gesetz
Hinweis zu diesem Buch:
Das Buch verzichtet auf die unterscheidung von
männlichen und weiblichen Formen und verwendet nur
ein grammatisches Geschlecht, weil das das lesen erleichtert.
Es kann sowohl männlich wie weiblich sein. In beiden Fällen
ist das jeweils andere Geschlecht mitgemeint.
Infos über den Verlag und zu weiteren Büchern:
1. Auflage 2019
© Giger Verlag GmbH, CH-8852 Altendorf
Telefon 0041 55 442 68 48
www.gigerverlag.ch Lektorat: Josef K. Pöllath M. A.
Fotos der Bildtafeln: privat und zur Verfügung gestellt
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Layout und Satz: Roland Poferl Print-Design, Köln
e-Book: mbassador GmbH, Basel
ISBN 978-3-907210-04-8
ISBN 978-3-907210-17-8
Inhalt
Einleitung
Warum schreibe ich dieses Buch?
Zu meiner Person
Mein Zugang zum Thema
Die ersten Jahre ab 1982 bei der Polizei
Feindbild: Scheißbullen
Beispiele und Ausprägungen
Die Polizei als Feind
ACAB: All Cops Are Bastards!
Interview mit einem Polizeihasser
Treffen mit einem ACAB-Tätowierten
Racial Profìling
Gewalt gegen beamte
Demonstrationen
2019 – das Jahr des Frauenstreiks
Klima und Umwelt
Virtuelle oder analoge Welt
Wie militant soll es bitte sein?
Solidarität mit Gilet-Jaunes
Vorfall mit gefährlichen Feuerwerksartikeln
Katz-und-Maus-Spiel: Repression löst Reaktion aus
Szenario Lärm
Klischee Polizei, sprich Bullen
Traumatisierungsgefahr
Erscheinungsbild und Glaubwürdigkeit der Polizei
Eine fiktive episode
Aggressionspotenzial bei Jugendlichen
Mobbing am Arbeitsplatz
Maßnahmen zur Aufweichung des Feindbildes
Trägt bessere Prävention zur Problemlösung bei?
Prävention und Aufklärung in Bildungsstätten
Ist Repression eine Lösung?
Beeinflussungsfaktoren
Auslöser
Siedepunkt
Achtung Filmaufnahmen
Friedenstifter und Selbstanbieter
Der Nutzen von selbsternannten Friedensstiftern
Die Menschrechtsorganisation »augenauf«
Wo liegen die Grenzen?
Kommunikation
Die 24-Stunden-Gesellschaft
Gegenseitige beobachtung
Die Rolle der Politik
Spezialthemen
Hausbesetzungen
Der ständige Kampf gegen die Speckis
Was passiert in den besetzten Häusern?
Grundsätzlich lassen sich die Hausbesetzer in drei Gruppen unterteilen
Wer sind die Hausbesetzer?
Das Wohlgroth
Reithalle Bern
Die linke Subkultur wehrt sich
Präventionsgedanke
Der Freiraum
Ist Freiraum Allgemeingut?
Stadtaufwertung, Ausbeutung und Kommerz
Illegale Partys
Eine private Party artet in einen Alkoholexzess aus
Clubs und Türsteher
Der Umgang mit negativen Schlagzeilen
Deeskalation oder durchgreifen?
RTS »Reclaim the Street«
Die Dynamik ist wie ein lodernder Vulkan
Aktivitäten der Linksextremen
Die Vielschichtigkeit
Legitimierung eines anonymen Demonstranten
Die Pufferfunktion
Der berüchtigte »schwarze Block«
Eine RAS-Anführerin über den »Schwarzen Block«
Der Linksextremismus wird unterschätzt
Merkblätter mit Verhaltensregeln bei Demonstrationen
Nachwuchsförderung im Linksextremismus
Eine ehemalige Linkextremistin erzählt (anonym)
Wie wird agiert?
Straßenkampf und seine Themen
Globalisierung und Kapitalismus
Arbeitskampf
Tierschutz
Chaoten
Der Anarcho-Kreis in Zürich
Es fehlen autonome Räume, so die Ansicht der Revolutionäre
Platzaktion »Wir bleiben alle«
Autonome Schule
Kontroverse in Basel
Rechtsextremismus
Schlagzeilen an Fasnacht
Fußballfans und Gewalt
Rayonverbote
Rechtsanwältin für Fananliegen
Mein persönlicher Umgang mit dem Thema Feindbild
Kindheit bis eintritt Polizei
Gefühlswelt in der Militärzeit
Fazit
Einstecken als Bediensteter des Staates
Alltagssituationen
Amoklauf im bauamt
Das leiden an der limmat bei der letten
Rollenwechsel
Niemand ist schuld
Unter Beschuss
Persönliche Präferenzen
Sympathie zeigen und abwägen
Der surreale Modus
Todesangst
Neue Wege im Jahr 2020
Vernetzung und Hobby
Nachwort und Dank
Der Autor
Gedicht zum Buch
Einleitung
Warum schreibe ich dieses Buch?
Üble Beschimpfungen und tätliche Angriffe auf Polizisten nehmen zu. In meinen 37 Dienstjahren als Polizist stellte ich fest, dass sich die beiden Fronten, wir nennen sie »Polizei und Gegenseite«, bei Konfliktsituationen in spezifische Verhaltensmuster verstricken. Daraus entstehen Unstimmigkeiten. Die Fronten sind weit voneinander entfernt, so scheint es. Das Buch ist kein »Polizei-Knigge«, sondern will das Verständnis fördern und Gedanken anregen. Warum sich Feindbilder entwickeln, wird ausgiebig analysiert und erörtert. In diesem Kontext sehe ich mich als Mediator und Ratgeber. Eigene Erfahrungen und Schilderungen aus der Gegenseite befeuern die Kluft zwischen Gesetz und Hass. Das Feindbild »All Cops Are Bastards« (ACAB) und das Schlagwort »Scheißbullen« bilden den roten Faden im Buch.
Ich resümiere und analysiere die Auswüchse und Anfeindungen. Zwischen der Gegenseite und der Polizei arbeitete ich bis Frühjahr 2020 als eine Art Puffer zwischen den Fronten. Als Fachspezialist geriet ich immer wieder ins Kreuzfeuer der extremen Linken, von denen die Polizei als Feindbild wahrgenommen wird. Wobei das nicht nur auf die Linken und Freiraumaktivisten zutrifft. Im Buch erfahren Sie, wie vielfältig sich dieses Feindbild manifestiert. Hinter jedem Bullenhasser steht eine individuelle Prägung. Wenn wir diese Prägung besser verstehen, ist - wie ich meine - ein respektvolles Nebeneinander eher möglich. Denn ein Polizist ist ja kein Wesen ohne Gefühle und das Gegenüber per se kein Rüpel.
Betrachten wir die Ideologie der Gegenseite genauer. In diesem Buch wird gefragt, wieso vorwiegend Jugendliche gegenüber der Polizei Kontroversen auslösen, und warum häufig Frustration in Aggression überschwappt und die Situationen damit eskalieren. Kann ein besseres Verständnis zu einer allgemeinen Verbesserung beitragen? Wie wird der gesteigerte Frustpegel in Hass verwandelt? Was können wir aus all den Erfahrungen lernen? Diese und mehr Fragen werden uns in diesem Buch beschäftigen und begleiten. Seien Sie gespannt! Dieses Buch wendet sich an alle, die ganze Gesellschaft, seien es Schüler, Lehrlinge, Politiker, Lehrer, Demonstranten oder Polizisten. Gehen wir also gemeinsam auf die Brücke und schauen wir auf die andere Seite.
Zu meiner Person
Ich wuchs zusammen mit zehn Geschwistern in einfachen Verhältnissen als Sohn eines Bauern im Kanton St. Gallen auf. Nach der Schule wollte ich die Kunstgewerbeschule besuchen. Das war jedoch aus finanziellen Gründen nicht möglich. Daher lernte ich Maler und Tapezierer, da es in diesem Beruf auch um das Gestalten geht. 1982 legte ich diesen Beruf nieder, um Polizist zu werden. Ich wollte der Gerechtigkeit und dem friedlichen Miteinander dienen. Den Pinsel brauchte ich fortan nur noch für mein Hobby, die Kunstmalerei. Ich begann meinen Polizeidienst bei der Stadtpolizei Zürich. Damit verzichtete ich auf eine militärische Karriere und machte eine zweijährige, anspruchsvolle Ausbildung. Danach folgten zwölf spannende Jahre im Streifendienst. 1996 war eine Stelle beim spezialisierten Sicherheitsdienst (dem ehemaligen, gefürchteten Geheimdienst KK3) ausgeschrieben. Der Übertritt in diese Spezialabteilung, die sich mit politischen Zusammenkünften und gesellschaftlichen Problemen befasst, klappte auf Anhieb. Dort kam ich als Aufklärer und Szenenkenner zum Einsatz. Der Übergang vom Uniform tragenden Streifendienst in den zivil gekleideten Spezialdienst fiel mir anfangs schwer. Es gab weniger »Kundenkontakt«, und wenn, dann mit Leuten, die mit irgendetwas nicht zufrieden waren. Meist ging es um Konflikte mit Migranten und ihre Ursprungsländer oder um ungerechtfertigten Lohnabbau. Dennoch interessierten mich diese Fälle immer mehr. Ich vertiefte mich in die Materie und studierte unzählige organisationsspezifische Elaborate. Oft fragte ich mich, warum sich Menschen versammeln, welche Anliegen sie haben und warum sie sich auf diese Weise artikulieren. Ich spürte zum ersten Mal, wie sehr Menschen Zorn und Hass entwickeln, wenn in ihren Ländern Menschen umgebracht werden oder wenn ein Unternehmen Massenentlassungen ankündigt.
Mein Zugang zum Thema
Die Wandlung vom Maler zum Gerechtigkeit suchenden Polizisten stellte für mich einen großen Spagat dar. Es sind doch alles Menschen mit eigenen Biografien und Geschichten, so ging es mir oft durch den Kopf. Vor knapp zehn Jahren schrieb ich eine Diplomarbeit für die höhere Fachprüfung mit dem Thema: Beschaffung von Informationen bei illegalen Veranstaltungen. In vielen Vorträgen, die ich in den letzten 20 Jahren gehalten habe, spürte ich das große Informationsbedürfnis zum Linksextremismus. Mich interessierte aber auch, wieso, was, warum und wo wie passierte, die Gefühle und Emotionen, die dahintersteckten. Nur wer die Gegenseite zu Wort kommen lässt, versteht ihre Anliegen und Bedürfnisse, so sagte ich mir. Diese Arbeit führte mich aus der Landidylle in die hektische Stadt. Die Menschendichte und die Stressgesichter in den urbanen Gefilden erschreckten mich anfangs. Es gab kein Grüezi oder Hallo, die Menschen marschierten hastig durch die Bahnhofstrasse als wären sie Roboter. Sie zeigten keine Emotionen, entstiegen eilig den Zügen und steuerten gezielt auf die Trambahnen zu. So nahm ich die Menschen damals im Zentrum Zürichs wahr. Und im Laufe der Zeit wurde ich schließlich selbst einer von ihnen, ganz unbewusst!
Die ersten Jahre ab 1982 bei der Polizei
Zu dieser Zeit gab es noch keine Computer und keine Mobiltelefone. Geschrieben wurde mit der Schreibmaschine auf Durchschlagpapier. Die Kollegen rauchten im Schreib- und Aufenthaltsraum. In den Nachtdiensten gingen wir von der Hauptwache (City Zürich) zu Fuß in die zugeteilten Reviere durch die Gassen des Zürcher Niederdorfs. Einer hatte einen Funk dabei. »Chönd er mal go luegä, im Johanniter hets e re- nitentä Gast« (Könntet ihr bitte mal schauen gehen, im Restaurant Johanniter hat es einen renitenten Gast), tönte es von der Einsatzzentrale. »Verstande, mir sind grad i de Nächi« (Verstanden, wir sind gerade in der Nähe), antwortete ich. Der Fall konnte mit dem Wirt und dem Gast vor Ort geschlichtet werden. Auf der Zähringerstrasse säumten ein paar Prostituierte die schwach frequentierte Straße. Ein Betrunkener befummelte eine Dame des ältesten Gewerbes, die sich dagegen wehrte, und damit hatten wir gleich den nächsten Fall zu lösen. Der Mann fauchte uns gehässig an. Das Feindbild existierte schon damals, es war aber nicht so omnipräsent wie heute, glaube ich.
Feindbild: Scheißbullen
Wir unterscheiden drei Phänomene des Feindbildes:
–Politisch fokussiert: fundamentalistisch ideologisch
–Chronischer Frust: persönliche, grundsätzliche Abneigung
–Sachbezogener Frust: temporäres Problem, z. B. Strafzettel wegen falschen Parkens
Der Hass, respektive das Feindbild, hat eine internationale Prägung. Wenn ein dunkelhäutiger, mutmaßlicher Verbrecher in den Slums der Großstädte von Paris oder New York erschossen wird, entwickeln die sich solidarisierenden Mitmenschen ein kollektives Feindbild gegen die Polizei, selbst wenn die Umstände nur vom Hörensagen bekannt sind. Das stellt eine gefährliche Spirale dar. Denn beim Einschreiten selbst entstehen neue Hassgefühle, allein deswegen, weil die Hüter des Gesetzes für Ordnung sorgen sollen. Die angesprochene Spirale kann ohne Detailkenntnisse von der ursprünglichen Tat (angeblicher Übergriff) hochgetrieben werden, vom Hörensagen gewissermaßen. Das ist vor allem deswegen gefährlich, weil damit auch Unwahrheiten geschürt werden. In den USA verbreiten sich Videos über polizeiliche Übergriffe wie ein Flächenbrand. Sie lösen meist unmittelbar heftige Proteste aus.
In den Augen der chronischen »Bullenhasser« stecken hinter den Uniformen und Zivilpolizisten keine sensitiven Wesen, sondern befehlsausführende Organe des Staates. Ich weiß nicht, wie hoch der Anteil der Bullenhasser in der Gesamtbevölkerung ist. Nur so viel ist sicher: Er liegt bestimmt nur im einstelligen Prozentbereich, hält sich aber hartnäckig und mutiert ständig durch neue Ereignisse.
Ich konstatiere: In der breiten Bevölkerung genießt die Polizei gutes Ansehen. Nicht aber bei den bezeichneten Personenkreisen, zum Beispiel in der linken Subkultur und bei den Hardcore-Fans der Fußballszene. Die ständigen Angriffe auf die Polizei und die zum Teil brachialen Auseinandersetzungen unter den Fußballfans sind gewissermaßen ein Gegenpol zum Gesamttrend. Auf diese Weise pervertiert, was im Großen gut läuft, denn die Jugend ist pragmatischer und vernünftiger als noch vor drei Jahrzehnten. Trotzdem kam es in Zürich im heißen Sommer 2018 immer wieder zu Angriffen auf die Ordnungshüter. Zum Beispiel musste die Stadtpolizei am 19. August 2018 wegen einer Messerstecherei an die Seepromenade ausrücken. Als die Rettungskräfte dort ankamen, wurden sie sofort angegriffen. Unter den Angreifern waren mutmaßlich auch FC-Zürich-Fans aus der Südkurve, die mit Steinen und Flaschen warfen. Die Polizei musste Reizstoff und Gummischrot einsetzen, damit die Verletzten versorgt werden konnten. Auch die Sanitäter wurden skrupellos angegriffen!
Solche Szenarien kommen leider immer wieder vor: Jugendliche, erlebnisorientierte und alkoholisierte Personen provozieren aus Langeweile Polizisten. Die Situation eskaliert, weil die von Adrenalin strotzenden jungen Leute den Verstand ausschalten und dabei einen aggressiven Solidarisierungseffekt auslösen. Die Polizei ist dann gezwungen, klare Schranken zu setzen und Gummischrot einzusetzen. Das wiederum führt zu einem gesteigerten Feindbild, das immer mehr Menschen anzieht. Die Konfliktbaustelle wird auf diese Weise größer und größer, was die Arbeit der Sicherheitskräfte nicht unbedingt erleichtert. Nur mit viel Geduld und Ruhe können solche Situationen bewältigt werden. Im beschriebenen Fall eskalierte das Geschehen nicht wegen falschen Parkens oder der Verhaftung eines Drogendealers, sondern wegen der besonders aggressiven Fußballfans.
Beispiele und Ausprägungen
Erstes Beispiel: Warum die Gegenseite Hassgefühle entwickelt Ein Extrazug mit etwa 650 Fußballfans fährt von Basel nach Zürich. Mehr als die Hälfte sind keine »Risikofans«, sind also nicht gewaltorientiert oder gewaltbereit. Laut Zeugenaussagen wollte ein Teil mit ordentlichen Zügen reisen, wurde aber am Abfahrtsort angewiesen, den bereitgestellten Extrazug zu nehmen. Somit saßen auch gesittete und friedliche Fußballfans im Zug. Unterwegs wird dann gesungen und getrunken, die Stimmung lockert sich immer mehr auf. Nichtsahnend werden die angereisten Fans in Zürich von einer riesigen Abteilung der Polizei in Vollmontur empfangen. Der Normalfan realisiert dies erst, wenn der Zug hält. »Wieso stehen die Bullen da«, fragt er einen Kollegen.
»Wahrscheinlich wegen uns«, bekommt er zur Antwort. Der Puls des Normalo steigt an, und er bekommt ein ungutes Gefühl. Folglich werden alle aussortiert und kontrolliert. Über 400 Personen werden vorübergehend festgenommen. Das führt zu einem kollektiven Frust, auch unter den friedlich gestimmten Fans. Man entwickelt eine massive Antipathie gegen die Bullen.
Die Fans empfanden die Kontrollen als reine Schikane und fühlten sich vorverurteilt und kriminalisiert. Und die Fans aus Basel warfen der Polizei eine unverhältnismäßige Verhaftungsaktion vor, mit der die Rechtsstaatlichkeit nicht gewahrt wurde und die schlicht eine Falle gewesen sei. Viele Fans verpassten das Match, weil sie erst Stunden später wieder freikamen. Eine Person blieb wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte in Haft. Die Polizei setzte damit ein Zeichen und das Feindbild verstärkte sich noch.
Zweites Beispiel: Party
Freiraum liebende Jugendliche mit kleinen Budgets treffen sich spontan zu einer Party auf offenem Gelände in der Stadt. Sie nehmen eine Musikanlage in Betrieb, die sie mitgebracht haben, und trinken sich in Festlaune. Viele der Beteiligten klagen darüber, dass die Clubs in der Stadt zu hohe Eintritts- und Getränkepreise verlangen. Daher suchen sie nach alternativen Partymöglichkeiten. Die Szene setzt sich nicht unbedingt aus Linksextremisten zusammen. Sie will partout keinen Stress mit den Bullen, sondern einfach nur eine geile Party abhalten, sei es am Letten oder unter der Brunau-Brücke (in Zürich). Eine erste Polizeipatrouille erscheint aufgrund einer Beschwerde der Anlieger wegen Lärms. Die Situation wird heikel, weil die Jugendlichen sich an diesem schönen Sommerabend nicht vertreiben lassen wollen. Schließlich gehöre die Stadt allen, wie sie argumentieren. Je nach Verhalten und Vorgehensweise beider Seiten besteht die Gefahr, dass die Situation eskaliert, was aber nicht sein muss. Ob das Ventil platzt, hängt letztendlich davon ab, wie die beiden Seiten reagieren.
Darum rebellieren die Jugendlichen
Den Aktivisten wird der Freiraum genommen, was dazu führt, dass sowohl die politisch engagierten als auch die apolitischen Jugendlichen das herrschende kapitalistische System hinterfragen. Die Sehnsucht, frei zu sein und sich gehen zu lassen, zeigte sich eindrücklich bei der 68er-Generation. Die jungen Leute brauchen solchen Freiraum auch, und das sind ihre Partys.
In Zürich entwickelte sich ab 2010 die sogenannte erlebnisorientierte linke Subkultur, an der sich Hausbesetzer, kreative Eventsprayer, Autonome, Punker und freie Schüler/Studenten sowie Einzelpersonen aus der Zürcher Südkurve des FC Zürich beteiligten. Dieser Personenmix (im Alter zwischen 18 und 28 Jahren) war es auch, der die gefürchteten RTS (6. Februar 2010/12. Dezember 2014) veranstalteten. Ferner wurden unangemeldete, illegale Schülerdemonstrationen und Solidaritätsmärsche für Flüchtlinge (»Refuges welcome«) sowie unerlaubte Partys abgehalten.
Globus-Krawalle und Jugendunruhen
Ursprung der Jugendunruhen sind die Jahre 1967 und 1968. Das Gastspiel der Rolling Stones am 14. April 1967 und das Konzert von Jimi Hendrix am 31. Mai 1968 im Hallenstadion endeten mit Krawallen, bei denen die Stadtpolizei Zürich eingreifen musste.
Manch bürgerlicher Politiker spekulierte, dass die Bewegung vom kommunistischen Ostblock gesteuert werde und man sie darum im Keim ersticken müsse. Bilder von Krawallen in England, den USA, Deutschland und Frankreich gingen um die ganze Welt. Sie zeigten Gummiknüppel schwingende und Helm tragende Polizisten, wie sie den Demonstranten entgegentraten und wie diese mit Steinen und Flaschen warfen.
Am 30. Oktober 1970 wurde in den Anlagen des neuerstellten Parkhauses Urania der sogenannte Bunker eröffnet. Die Stadt stellte der autonomen Szene Räumlichkeiten im Zivilschutzbunker zur Verfügung. Damals befand sich am Eingang des Bunkers ein Schild mit der Aufschrift: »Sie verlassen die Schweiz und betreten den ›Autonomen Republik Bunker‹.« Eine alte Wandmalerei der Besetzer wurde restauriert, die illustre Gestalten zeigt. Manche meinen, dass es sich beim Dritten von links um Altbundesrat Moritz Leuenberger handle. Wegen Unstimmigkeiten mit der Stadt wurde der Bunker nach nur 68 Tagen wieder geschlossen. Dadurch kam es erneut zu Krawallen. Die Besetzung des Bunkers war ein Symbol der damaligen Bewegung. Allerdings gab es auch Differenzen zwischen den Behörden und den Besetzern. Am 22. Dezember 1970 fand eine polizeiliche Kontrolle statt, bei der 115 Jungen und 30 Mädchen kontrolliert wurden, wie es in der Chronik heißt. Einige Linksaktivisten verließen den Ort aber nicht freiwillig. Bei einer Versammlung mit dem Stadtrat im Volkshaus konnte keine Einigung erzielt werden. Die autonome Zürcher Jugend stemmte sich gegen die Beschlüsse. Und so wurde am 6. Januar 1971 der Bunker endgültig geräumt. Übrigens ist der Bunker heute ein Polizeimuseum. Die Wandmalereien und die Geschichte dazu können in den Räumlichkeiten des Parkhauses Urania besichtigt werden.
1980 forderte die Jugend mehr Selbstbestimmung und Freiraum. Vor dem Opernhaus kam es zu Straßenschlachten. Denn im Mai 1980 bewilligte der Zürcher Stadtrat 60 Millionen Franken für die Renovierung des Opernhauses. Gleichzeitig wurde die Forderungen nach einem autonomen Jugendzentrum (AJZ) für selbstbestimmte kulturelle Aktivitäten abgelehnt. Die Polizei musste wieder eingreifen, da die penible bürgerliche Ordnung den Protesten keinen Raum geben wollte, und so entwickelte sich erneut ein kollektives Feindbild.
Die linke Jugend sucht immer wieder nach Freiraum. So entrollte sie am 16. Oktober 2018 vor dem Coop-Provisori- um beim Hauptbahnhof ein großes Transparent, auf dem »Dieser Ort kann mehr! Jugendzentrum her!« stand. Andere Aktivisten der Zürcher Jungsozialisten verteilten vor dem Eingang des Ladens Flyer an die Passanten.