Czytaj książkę: «Wenn dem JA kein ABER folgt», strona 2

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Schule als architektonisch gestalteter Lebensraum für alle, die dort leben und lernen: Die Vorstellung geht über den blossen Unterrichtsbetrieb hinaus und läuft hinaus auf einen Ort, der tagsüber jederzeit zugänglich ist. Die Einrichtung der Räume folgt dem Muster der Zeit. Die Zeit von zwölf bis halb zwei ist für Mittagessen und Spielen vorgesehen (Mittagessen kostet 3.50 Euro, – ein Betrag, den manche Familien als schmerzhaft hoch wahrnehmen). Nachmittags bietet die Beerfurther Schule ein Betreuungsprogramm an, das acht Kinder wahrnehmen. Um die Schule für alle nachmittags offen halten zu können, wurden auf dem Bolzplatz, der zum Schulgelände gehört, vom Sportverein Tore angeschafft und aufgestellt: Eine Zugangsmöglichkeit für alle erfordert die Genehmigung des Schulträgers, die Schule auch ausserhalb der Unterrichtszeiten offenzuhalten.

Die Bewirtschaftung der Zeit, meint Antje, sei ein gesellschaftliches Thema, eine Art heimliches Leitbild; sie beobachte, dass die Eltern zunehmend kaum noch die Zeit haben, miteinander zu sprechen: «Sie geben sich die Klinke in die Hand, und die Kinder müssen sehen, wo sie bleiben.» Die Beziehungen der Menschen führen zu Verhaltensmustern, und der Umgang mit der Zeit in unserer Gesellschaft sei geprägt vom Streben, Ersatzbedürfnisse zu befriedigen. Sie zitiert den Hirnforscher Gerald Hüther, der als Ersatzbedürfnisse die Bedürfnisse von solchen Dingen bezeichnet, die man nicht wirklich braucht: «Mein Auto, mein Haus, mein Urlaub usw.». Wo das Leben der Familien durch das Streben nach Befriedigung derartiger Ersatzbedürfnisse bestimmt sei, bleibe wenig Zeit für den Umgang miteinander, ein menschliches Grundbedürfnis, das für eine intakte Entwicklung von Kindern grundlegend ist, um ein gesundes und zufriedenes Leben führen zu können. «Die Eltern wissen es nicht besser; sie unterliegen gesellschaftlichen Lebensbedingungen und sind in gewisser Weise befangen.»

Alternative Wege müssen aufgezeigt und vorgelebt werden. «Gerade Schulleiter und Lehrkräfte sind Vorbilder, vielen scheint das nicht in vollem Umfang bewusst zu sein», sagt Antje.

Die Schule anstelle der Familie als Keimzelle der Gesellschaft? Die Vorstellung mag manchen als Sakrileg erscheinen, aber wo das alte Idealbild der Familie so weit lädiert ist, dass die Erziehungsfunktion nicht mehr ohne weiteres gewährleistet werden kann, beginnt man die Zusammenhänge womöglich klarer zu sehen: War es nicht schon immer der Fall, dass die Loyalitäten und Bande der Familie der Grossfamilie galten und die Stammeszugehörigkeit festigten, also jenen Tribalismus, der demokratischen Wertvorstellungen im Wege steht, die ohne Rücksicht auf Herkunft die Lebenschancen jedes Menschen fördern?

«Schulleiter und

Lehrkräfte sind Vorbilder,

vielen scheint das nicht

in vollem Umfang bewusst

zu sein.»

Bei der Auseinandersetzung über diese Frage steht die Schulleiterin aufseiten der Schule als Keimzelle der Demokratie. Auch wenn sie die Erziehungsphilosophie von John Dewey nicht studiert hat und sich deshalb nicht bewusst an seinen Vorstellungen orientiert, so folgt sie mit ihrer Arbeit doch seiner Philosophie und liefert ein eindrucksvolles Beispiel für Deweys Idee von Schule als «embryonische Gesellschaft». Dewey versuchte vor hundert Jahren in Chicago einen Weg zu finden, inmitten der «grossen Gesellschaft» des modernen Amerika mit seiner materialistischen Orientierung und seiner manipulierten Öffentlichkeit menschliche Züge festzuhalten und zu bewahren: Wie ist die Verwandlung der grossen Gesellschaft in eine grosse Gemeinschaft möglich? Die Lösung lag für ihn in der Bildung der Menschen, seine Hoffnungen setzte er auf das Schulwesen: Wenn es gelänge, die Gesellschaft in der Modellwelt der Schule zu einer Gemeinschaft umzuformen, dann wäre damit in den Köpfen der Schüler ein Bild geschaffen, das weiter wirksam bliebe, sodass das Ziel – die grosse Gemeinschaft – nicht völlig aus der Welt geraten müsste.

Mit den Fragen der Kinder im Zentrum des Lernens löst Dieter Kauffeld Schulprobleme unserer Zeit – wenn er nicht gerade dem Kollegium erklären muss, wie man Hände wäscht – Von Katrin Hille

DIETER

KAUFFELD


Dieter Kauffeld

*1953 in Kassel

wohnhaft in Kassel

verheiratet

zwei erwachsene Kinder

Studium für das Lehramt für die Grundstufe in Mathematik und Sachunterricht, naturwissenschaftlicher Aspekt an der Gesamthochschule Kassel

1976 Erstes Staatsexamen

1979 Zweites Staatsexamen

ab 1977 Lehrer

ab 1992 Schulleiter

Wahrnehmung besonderer Aufgaben für das Hessische Kultusministerium:

Entwicklung eines Konzepts für die Verkehrserziehung in der Grundschule

Erarbeitung eines Entwurfs für die Bildungsstandards

Konzeption der Hess. Orientierungsarbeiten Mathematik über mehrere Jahre

Pädagogischer Berater für Neurowissenschaften und Lernen

Multiplikator und Fachberater für den Hess. Bildungs- und Erziehungsplan

Mit den Fragen der Kinder im Zentrum des Lernens löst Dieter Kauffeld Schulprobleme unserer Zeit – wenn er nicht gerade dem Kollegium erklären muss, wie man Hände wäscht.

Von Katrin Hille

«Ich will die Neugier der Lernenden erhalten.»

M

eine eigene Schulzeit war geprägt von Neugier. Ich hatte Glück mit meinen Lehrern. In den ersten vier Jahren habe ich es richtig gut gehabt. Ganz tolle Lehrer, die wussten, dass Kinder neugierig sind und dass man diese Neugier unterstützen muss. Ich hab teilweise die Hefte von damals noch. Ich habe Romane geschrieben. Ich habe die Nordhessische Geschichte erobert und hab daraus was gemacht mit ganz vielen Abbildungen, die ich selbst angefertigt hab. Meine Lehrerin hat das immer zugelassen, «mach weiter», hat sie gesagt. Ich habe Fachwerkhäuser bauen dürfen, weil mich das interessiert hat. Ich hab kochen lernen dürfen, weil ich das wollte.

Dann kam ich in die 5. Da gab es den Lehrplan. Da gab es das Mathe- und das Physikbuch und was auch immer. Und was da drin stand, musste abgearbeitet werden. Ruckzuck war die Laune dahin. Die weiterführende Schule hat mir in kürzester Zeit meine Freude genommen. Ich war immer neugierig, wollte immer etwas lernen, wollte Sachen auf den Grund gehen. Das war dann plötzlich nicht mehr möglich. Ich hab es nicht verstanden.

«Ich habe Fachwerkhäuser

bauen dürfen, weil mich das

interessiert hat. Ich hab kochen

lernen dürfen, weil ich das wollte.»

Da hab ich dann beschlossen, ich werde Lehrer und mache es anderen möglich. Ich will Lehrer werden, bei dem man sein eigenes Lernen mitbestimmen kann, bei dem die Lernenden im Mittelpunkt des Lernens stehen und nicht der Lehrstoff. Ich will die Neugier der Lernenden erhalten. Aber Grundschullehrer wollte ich werden. Da kommen die Kinder voller Wissbegier an, sind noch nicht verschult worden.

Die weiterführende Schule, die habe ich als ein verkrustetes System erlebt. Wenn man als Schüler einen dringlichen Antrag hatte, musste man sich an unserer Schule vor das Lehrerzimmer stellen und klingeln. Da kam ein gewichtiger Herr heraus und sagte: «Was willst du, begründe dein Begehren!» Mit den Worten! Zitternd stehst du dann da und sagst, ich brauche das oder ich hätte gern dies und jenes. Zum Beispiel ich brauche den Schlüssel zur Bücherei. «Das muss Zeit haben bis zur nächsten Stunde». Also wir waren als Schüler eigentlich nur störend. Wenn du da in so einem System landest, das ist ja grauselig. Das konnte ich mir nicht vorstellen. Und dann die dicken Wälzer, die wir durchzuarbeiten hatten. Konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie man sowas spannend machen kann. Auch deswegen wollte ich Grundschullehrer werden.

Roland, jetzt 19, hat verrückte Interessen gehabt. Also, er fiel eigentlich dadurch auf, dass er immer eigene Lernwege genommen hat, immer. Sich an dem orientieren, was die meisten gemacht haben? Das fand er nicht in Ordnung. Das wollte er nicht. Wir hatten uns entschlossen, nach Hannover in den Zoo zu fahren und wollten Tiere studieren. Ich hab dann da oben angerufen, dass es darum gehe herauszukriegen, warum der Seelöwe so aussieht wie er aussieht. Und der Tukan war den Kindern auch aufgefallen wegen der Schnabelform. Warum sieht der so aus? Dafür muss es doch Gründe geben. Das haben wir dann angemeldet und die haben das auch wunderbar mit den Kindern bearbeitet. Wir sind auch mit zwei Modellen nach Hause gekommen. Die Kinder haben aus Ton einen Tukan nachgeformt und einen Seelöwen, damit wir zu Hause noch Strömungsversuche im Wasser machen konnten. Roland wollte sich weder mit dem Tukan noch mit dem Seelöwen beschäftigen. Ihm war die Stunde zur freien Beobachtung wichtig. Er hat die Museumspädagogik ertragen, verschwand dann und kam pünktlich wieder. Wir sind in die Schule zurück und haben reflektiert. Die Kinder sagten, wir müssen da noch mehr machen. Insbesondere die Tiere, die wir allein beobachtet haben, die müssen auch noch Gegenstand des Unterrichts werden. Als Tierlexikon. Da haben sich alle drauf eingelassen, nur Roland nicht. Hätte mich auch gewundert. Die Kinder fingen an zu arbeiten, zu zweit, zu viert, so wie sie es wollten. Roland saß eine ganze Weile rum und hatte wahrscheinlich einen Plan entwickelt. Er nahm sich stapelweise Tierbücher und blätterte darin wie verrückt. Am Ende der Stunde meinte er, dass er nicht das gefunden hätte, was er brauchte. Er brauche Bücher über Pinguine. Bei den Tierbüchern stand immer nur so ein bisschen drin. Ok, wir haben ja die Stadtbücherei und ich rufe an und frage, ob die uns eine Kiste fertig machen können. Am nächsten Tag hab ich ihm die Kiste auf den Tisch gestellt: Die Augen strahlten, 10 Bücher über Pinguine. Damals hab ich noch alle Fächer unterrichtet, das war super. Wir konnten also den ganzen Tag ein Thema bearbeiten, die ganze Woche, wenn es nötig war. Einen Tag lang hat er nur Pinguin-Bücher gewälzt. Was er da eigentlich macht, hat er nicht verraten. Er sagte, er studiere. Am Ende des Tages kam er zu mir und sagte, wir haben doch hier so ein Videoabspielgerät. Ich sollte ihm Videofilme besorgen mit Pinguinen. Damals habe ich Tierfilme gesammelt. So drei bis vier hatte ich in meiner Sammlung. Die hab ich ihm mitgebracht und er hat drei Tage diese Filme angeschaut. Am Ende der Projektzeit haben die Kinder ihre Seiten des Tierlexikons vorgestellt. Als alle fertig waren, steht Roland auf und sagt: «Ich mache euch jetzt den Pinguin.» Von dem Moment an hat er uns perfekt präsentiert, wie Pinguine laufen, wie Pinguine auf dem Bauch rutschen, wie Pinguine sich auf das Ei setzen, wie Pinguine sich begrüßen, wenn einer unterwegs war und zurück gekommen ist. Er hat nichts ausgelassen, er wusste auch, wie die Pinguine Töne von sich geben. Zum Schluss hat er gefragt: «Wollt ihr noch mehr wissen?» Dann haben die Kinder gefragt, wie er mit seinen Flügeln flattert. Er hat alles perfekt präsentiert und hat einen Riesenapplaus gekriegt. Und er war das glücklichste Kind, das ich gesehen habe.

«Die Kinder haben ihre

Fragen gestellt und ihre

Ideen präsentiert, und

Tina sagte, ‹ich will lernen

herauszubekommen, wie

weit es von hier bis

irgendwo hin ist›.»

Tina ist auch ein ganz besonderes Mädchen. Ich bin ihr Mathelehrer seit 4 Jahren. Erster Schultag, also erster richtiger Schultag, nicht der mit der Zuckertüte, nicht nur zum Schnuppern. Die erste richtige Mathematikstunde. Ich sitze mit den Kindern zusammen, wir beschnuppern uns und ich frag die Kinder: «Und warum seid ihr hier?» Ja, sie wollten was lernen, ist doch ganz klar. «Ja, was wollt ihr lernen?» Da kommt das typische: rechnen, lesen und schreiben. Da meldet sich Tina und sagt, das könne sie alles schon. Ich wusste, dass das so war. Die Erzieherin aus der KITA hatte es mir schon erzählt. Dann frag ich: «Warum bist du überhaupt hier? Du könntest doch schon auch in die 2 und die 3 gehen.» «Ne ne», sagt die Tina, sie will ja auch was lernen bei mir. «So, was denn?» «Wie man schriftlich teilt.» So denkt und lernt die Tina vom ersten Schultag bis heute. Wir haben uns im zweiten Schuljahr auf das Thema Reisen verständigt. Die Kinder haben ihre Fragen gestellt und ihre Ideen präsentiert, und Tina sagte, ich will lernen herauszubekommen, wie weit es von hier bis irgendwo hin ist. Das hat keiner verstanden. Die anderen immer «hä?» «Na ja, ich kann ja von hier nach Kassel fahren, das ist nicht weit, das sind nur ein paar Kilometer, aber ich kann ja von hier bis nach Fritzlar fahren, von hier bis nach Frankfurt, von hier bis nach Frankreich. Und ich würde gerne wissen, wie weit es von hier ist bis dahin, wo ich gerne mal hinmöchte.» Ich hab ihr gesagt: «Das lässt sich irgendwie hinkriegen». Dann hat Tina gelernt, Entfernungstabellen zu lesen, große Zahlen zu addieren, wenn die Entfernung addiert werden musste, weil man sie in der Tabelle nicht eindeutig hat. Das war im zweiten Schuljahr. Zahlenraum bis 100 ist der Standard. Tina rechnete bis 1000, mühelos. Dann kam sie zu mir und sagte, dass jetzt aber Teilen dran sei. Großartig. Inzwischen ist sie als Viertklässlerin im Lernstoff 6. Schuljahr. Topfit ist das Mädchen in allen Bereichen und nach wie vor wissbegierig ohne Ende. Und dann sagt sie: «Aber Herr Kauffeld, du vergisst nicht die Elchaufgabe für mich?». Elchaufgaben sind die besonders schweren. Elche sind ja auch schwer. Ich habe Tina mein Versprechen gegeben, solange sie hier bei uns in der Schule ist, kriegt sie ihre Elchaufgaben.

Tim ist inzwischen 25, und als ich ihn kennengelernt hab, war er 6, erstes Schuljahr. Tim hatte gar keine Lust auf Schule. Das Leben war voller Abenteuer und Schule irgendwie nicht. Er hatte eine sehr konservative Vorstellung von Schule, die er wahrscheinlich von seinen Eltern erzählt bekommen hat. Jetzt beginnt der Ernst des Lebens! Und dann traf Tim auf mich. Es war offensichtlich für ihn ein Glücksfall, weil er merkte, Schule ist nicht so, wie er es sich dachte. Damals war ich an einer kleinen Dorfschule Lehrer und es war mir klar, dass Lernorte außerhalb des Klassenzimmers wesentlich und bedeutend sind. Also sind wir viel draußen gewesen. Wir sind auf die Felder gegangen, zum Bauern, zum Schmied, den es noch im Ort gab, zu den Handwerkern und mir fiel auf, dass es Tim nie gelungen ist, auf dem Weg zu gehen. Wenn wir auf den Wegen gegangen sind, ist Tim daneben gelaufen. Es gab einen Waldweg und Tim lief Slalom zwischen den Bäumen durch. Es gab einen Feldweg und Tim lief durch den Graben. Aber er lief nicht nur, er blieb immer wieder stehen. Dann dauert es einen Moment: Tim bückt sich, Tim kommt aus dem Graben und «Guck mal was ich gefunden habe?» Dann hab ich gesagt: «Tim das finde ich großartig, wir rufen mal die anderen zusammen, das schauen wir uns gemeinsam an, erzähl uns mal was du darüber weißt.» So hat Tim kennengelernt, dass Schule auch anders geht. Und so ganz nebenbei war es ihm auch wichtig, all das, was er gefunden hat, in der Schule auch zu präsentieren. Eine Karte zu malen, Namen dazuzuschreiben. So ist er ganz allmählich zum Schreiben gekommen, ohne dass er einen Schreiblehrgang gemacht hätte. Also Übungsheft und so was gab es bei mir nicht. Im dritten Schuljahr hatte Tim sich zum Spezialisten für Kleinlebewesen entwickelt. Er war ein echter Fachmann. Er kannte sich in allem aus und er hat es sehr bedauert, dass die anderen Kinder nicht so interessiert und neugierig waren wie er. Warum laufen die nicht mit mir durch die Gräben, dann lernen sie doch die Welt nicht kennen. Ich sagte: «Da hast du völlig Recht, was machen wir da?» Wir kamen auf die Idee, die Gräben in die Schule zu holen. Dafür hab ich mit Tim Bücher gewälzt. Wir haben verschiedene Möglichkeiten gefunden, wie wir Kleinlebewesen in unserem Klassenzimmer halten können. So sind Beobachtungsateliers entstanden für Regenwürmer, für Käfer, Spinnen und Ameisen. Ameisen war die absolute Krönung! Wir haben ein Ameisennest aus Gips gegossen. Ich hatte mich mit der Uni Kassel in Verbindung gesetzt und gefragt: «Hat jemand Erfahrung?». Die haben mich an den Kosmos Naturverlag verwiesen. Die schickten mir eine Bauanleitung und schrieben gleich dazu: «Ist extrem schwierig, da brauchen Sie jemanden, der unablässig darauf achtet, dass die Feuchtigkeit und dass die Nahrungszufuhr stimmt, sonst geht Ihnen das Ameisennest kaputt.» «Das ist doch kein Problem», meinte Tim. Wir hatten zeitweise zehn verschiedene Kleintierarten in unseren Ateliers im Klassenzimmer. Tim war der absolute Fachmann. Er wusste über alle Tiere Bescheid. Er wusste, wie man sie im Klassenzimmer halten kann und hat auf die Art und Weise 25 Kindern beigebracht, dass es Kleinlebewesen auf der Welt gibt und dass es sich wirklich lohnt, diese Lebewesen kennenzulernen. Der Junge hat viel gelernt, aber auf seinem eigenen Weg und mir viel Freude gemacht.

«Im dritten Schuljahr hatte

Tim sich zum Spezialisten

für Kleinlebewesen entwickelt.

Er war ein echter Fachmann.»

Ich habe zwei Zeitungsartikel geschrieben über die Ateliers, die wir zusammen aufgebaut haben und wie die Kinder damit gearbeitet haben. Hat damals viel Furore gemacht, ist aber auch schon ewig her («Beobachtungsateliers» in: Die Grundschulzeitschrift Nr. 44, 5/1991/ «Wochenthema Spinnen» in Unterricht Biologie Nr. 188, 7/1993). Fachzeitschriften für Lehrer – Sachunterricht bzw. Biologie. Professor Hedewig, der als Didaktiker bekannt war, ließ es sich nicht nehmen, zu kommentieren: «Das hier beschriebene Lernen mit Beobachtungsateliers kommt dem Projektlernen im eigentlichen Sinn schon sehr nahe. Wenn Sie lesen wollen, wie selbstständiges Lernen im projektartigen Unterricht funktioniert, dann sollten Sie diesen Artikel durchlesen.» Das stand im Prolog, sinngemäß.

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Lernende Gemeinschaft:

Wie viele dieser Chips muss man übereinander stapeln, um den Mond zu erreichen?

«Ich hab mich dann immer gefragt, machst du es richtig?»

Zumindest für Tim hab ich damals gewusst, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Für die anderen war ich mir da nicht so sicher. Als junger Lehrer bekommt man einiges zwischen die Beine geschmissen und man wird sehr argwöhnisch beobachtet von Eltern und Kollegen. Es kam immer wieder die Frage auf, können denn die Kinder was lernen? Ich sagte, ich sehe hier jede Menge Lernen. Ja, brauchen die denn das? Ist es das richtige? Müssen die nicht lieber auswendig lernen, dass Insekten sechs Beine haben? Solche Fragen sind gestellt worden. Das hat mich damals noch sehr verunsichert. Da fehlte mir einfach die Erfahrung. Ich kannte die Reformpädagogen aus dem Studium. Ich wusste, dass Freinet gut gearbeitet hat mit viel Erfolg. Ich habe das von Peter Petersen verstanden. Hab mich mit den neueren Reformpädagogen auseinandergesetzt und die hatten ja alle ihre Wege und ihre Erfolge. Dann hab ich gedacht, ok, das muss ja offensichtlich funktionieren. Aber ich selber hab die Erfolge so nicht sehen können. Ich brauchte Rückmeldung. Aber nicht von Eltern, die sagten, hier macht doch jeder, was er will. Auch nicht von Kollegen, die gesagt haben, lass das mal, das taugt nichts. Die sollen mal gescheit schreiben lernen.

«Vom Gefühl her, hab ich

gesehen: ja, die Kinder

haben Lernerfolge, aber

die sind nicht so in

Kästchen zu packen.»

Ich hab mich dann immer gefragt, machst du es richtig? Vom Gefühl her, hab ich gesehen: ja, die Kinder haben Lernerfolge, aber die sind nicht so in Kästchen zu packen.

Wohlmeinende Kollegen hab ich nicht gefunden, außer meine Schulleiterin. Sonst hätte ich das gar nicht machen können. Sie hat gesagt, du kannst das und du machst das und ich stärke dir den Rücken. Das hat sie auch wirklich getan. Sie hat auch alles zur Verfügung gestellt, was ich haben wollte. Ich hatte als eine der ersten Schulen eine eigene Freinetdruckerei. Hat sie durchgesetzt gegen die anderen Kollegen. Die hat mir ganz viel Mut gemacht und gesagt, mach weiter. Das ist der Weg, versuch das, geh durch.

Was mir auch geholfen hat, war die Rückmeldung aus der weiterführenden Schule. Das war ein ganz wesentlicher Faktor. Die Klasse von Tim hat beschlossen – komplett – in eine weiterführende Schule zu gehen, zu einem Lehrer, der versprochen hat, dass er mit dieser Konzeption weiterarbeitet. Der hat gesagt, die sind perfekt aufgestellt. Das sind selbstständige Lerner. Ich brauche denen nur einen Impuls zu geben und dann lass ich die los.

Der zuständige Schulamtsdirektor hat dann auch Interesse an meiner Arbeit gezeigt: «Mach das bitte weiter. Du wirst es nicht leicht haben, es wird Widerstände geben, durchaus. Du kannst dir aber sicher sein, vom Schulamt wirst du in dieser Arbeit gestärkt.»

Und am meisten gestärkt haben mich die Kinder. Damals hieß ich noch Kaufi. Kaufi war der Größte. Und man wusste: mit Kaufi konnte mal alles lernen, was man nur wollte.

«Die Idee war so großartig!»

«Der allerschönste

Moment war, als ich

gemerkt hab, die Kinder

sind tatsächlich die

Lernenden, die Kinder

haben verstanden, dass

sie ein Recht auf Lernen

haben. Dass sie ihr Lernen

selber in die Hand nehmen

dürfen und sie tun es auch.»

Wrestling Chipz ist so eine Panini-Serie gewesen. Panini hat auf Pokerchips Porträts von Wrestlern, also Schausportkämpfern, draufgesetzt, hat die unterschiedlich eingefärbt und unter das Volk gebracht. Das heisst, an die Kinder verkauft. Alles was man sammeln kann, ist ja bei Kindern sehr beliebt. Das wurde ruckzuck zum Fieber in der Schule. Eigentlich sind ja Pokerchips und Pokern in der Grundschule kein Thema. Kam auch keiner drauf, damit Karten zu spielen. Die Kinder haben eigene Spiele erfunden mit diesen Chips, unterschiedlichster Art und das richtig toll. Ich bin in der Zeit oft auf dem Schulhof gewesen und hab mir angeschaut, was die da denn machen. Die haben Wertesysteme entwickelt, weil es ja unterschiedliche Farben gibt. Ein roter ist so viel wert wie zwei blaue. Ein silberner zehn rote. Dann haben sie überlegt, was man damit anstellen kann? Man kann sie werfen, Kopf oder Zahl könnte man machen, gegen die Wand werfen, wer ist dichter dran, also so ein Pool-Spiel. Solche Geschichten haben sie erfunden. Mit diesen Chips. Das Problem war nur am Ende der Pause. Da ging das Theater im Klassenzimmer los: «Der hat mir einen Chip geklaut!» «Der hat falsch gewechselt!» Das hat die Lehrerinnen genervt. Und dann kam es wie es kommen musste in der Dienstversammlung: «Die müssen verboten werden!» Dann hab ich den Kollegen das schmackhaft gemacht, wie spannend es ist, zu beobachten, wie Kinder sich eine eigene Kultur entwickeln. Das hat nicht gezogen. Das kostet zu viel Zeit, wertvolle Zeit geht da verloren, alles Lernzeit der Kinder. Wir haben abgestimmt. Ich bin überstimmt worden. Es wird abgeschafft, verboten, Schluss aus. Und ich hatte nun die Aufgabe, der Klasse, in der ich Mathe unterrichtete, diese frohe Botschaft zu verkünden. «Können wir was tun, dass dieses Verbot nicht wirksam wird?», haben sie gefragt. Darauf hab ich gesagt: «Nee, ich glaube nicht. Das wird nicht möglich sein. Wenn die Lehrerinnen sagen, die Dinger, die dürfen hier auf dem Schulhof nicht mehr erscheinen, dann ist das gesetzt.» – «Aber wenn wir das zum Unterrichtsthema machen?» Die Idee war so großartig! Ich hätte heulen können vor Freude. Dann hab ich gesagt ok. Die Kinder hatten tausend Fragen zu den Wrestling Chipz. Das war unglaublich, was da so an Ideen und an Fragen kamen. Wir haben wochenlang das Thema Wrestlingchips bearbeitet. Wenn man das quer liest, zu dem was man inhaltlich in der Mathematik machen soll – da ist alles drin gewesen. Unglaublich, ich hätte nie gedacht, dass die Wrestling Chipz so umfassend mathematisch bearbeitet werden können. Großartig, das war das schönste Erlebnis, das ich je hatte. Es gibt viele andere Geschichten, dass Kinder das Zepter in die Hand nehmen und sagen, «jetzt ist Eishockey dran.» «Oh», hab ich dann gesagt, «da kann ich nun überhaupt nicht helfen, das müsst ihr ganz alleine machen.» «Na und?», haben sie dann gemacht.

«Die größte Angst der

Lehrer ist, dass man den

Kindern nicht das

beibringt, was man

ihnen vermeintlich

beibringen muss.»

Es gibt richtig viele schöne Momente, aber der allerschönste Moment war, als ich gemerkt hab, die Kinder sind tatsächlich die Lernenden, die Kinder haben verstanden, dass sie ein Recht auf Lernen haben. Dass sie ihr Lernen selber in die Hand nehmen dürfen und sie tun es auch.

Die größte Angst der Lehrer ist, dass man den Kindern nicht das beibringt, was man ihnen vermeintlich beibringen muss. Das, was im Lehrplan steht. Das, was im Buch steht. Das Buch ist ja noch viel gängelnder als der Lehrplan. Das muss man ja durchnehmen. Daran wird ja auch der Unterricht gemessen. In der Nachbarklasse die sind 5 Seiten weiter. Ach du liebe Güte! Was hab ich falsch gemacht? Jetzt muss ich Gas geben! Das sind die Kriterien, die zählen.

Die zweite Riesenangst der Lehrer ist, dass sie keine Kontrolle mehr über die Kinder haben. In erster Linie ist das Angst. Aber das verändert sich. Das ist das Schöne. Ich merke Veränderungen, insbesondere bei den Grundschulen. Die haben sich da mächtig auf dem Weg gemacht. Heterogenität ist zum großen Thema geworden, durch die Inklusion. Die Kinder sind da, die kommen, da wird auch gar nicht mehr lang gefackelt. Von wegen, wir können ja versuchen, sie vielleicht doch noch an der Schule vorbeizuleiten. Das ist nicht mehr. Grad hier in Nordhessen wird das sehr klar und deutlich so umgesetzt. Da hast du jemanden da sitzen, der langsam lernt. Hast jemanden mit Verhaltensauffälligkeiten. Und hast ein Kind mit einer körperlichen Behinderung. Alle sind da. Du möchtest den Kindern ja auch Lernchancen eröffnen. Es muss ja irgendwas möglich sein. Aber das geht nicht mehr mit dem Buch. Also fangen die Lehrer an zu suchen. Deswegen bin ich im Moment auch viel unterwegs. Weil sie suchen und gehört haben, dass es Leute gibt, die Ideen haben und die seit vielen Jahren so arbeiten. Also es gibt Chancen für die Schule.

«Ja, aber Hausaufgaben müssen sein Herr Kauffeld!»

Bei Eltern hab ich versucht durch Überzeugungsarbeit weiterzukommen. Das ist auch gelungen. Es gab auch Tage, da bin ich nach Hause gekommen und hab gesagt, warum mute ich mir das eigentlich zu? Insbesondere dann, wenn immer wieder dasselbe kommt: «Ja, aber Hausaufgaben müssen sein Herr Kauffeld! Ohne diese Hausaufgaben können doch die Kinder gar nichts lernen!». «Die müssen doch das Einmaleins richtig pauken. Was soll denn aus diesen Kindern werden? Wie sollen die denn das Abitur bestehen?» Und dann fange ich von vorne an.

Am Ende der 4 stehen die Eltern zu dem Konzept. Aber dann geht es wieder von vorne los mit den Eltern der Klasse 1. Das ist manchmal ermüdend gewesen. Vor 10–15 Jahren noch hab ich oft genug gesagt, warum mute ich mir das eigentlich zu. Und dann hat meine Frau geantwortet: «Du kennst doch die Antwort: wegen der Kinder.» Da hat sie Recht, das hat mir dann geholfen. Heute bin ich da gelassener, muss ich ehrlich sagen, es ist eben so, sag ich mir dann, und ich kenne ja die Möglichkeiten, wie ich die Eltern überzeugen kann.

Man muss immer wieder kämpfen und ich muss immer wieder nachweisen, dass es eine Arbeit ist, die den Kindern gut tut. Aber das geht ja in eine positive Schiene. Meine ich jedenfalls. Also sag ich als erstes: Diese Klassenzimmertür ist immer offen. Und das wird auch genutzt von den Eltern. Bis zum ersten Elternabend kommt keiner, aber dann ist die Neugier doch sehr groß. Ich sage den Eltern auch, dass sie ruhig unangemeldet kommen sollen. Damit niemand auf die Idee kommt, jetzt macht er was Fingiertes. Die platzen einfach rein. Und das ist auch gut so und gewollt, und das bringt schon mal ganz viele Erkenntnisse bei den Eltern. Die Skepsis ist damit aber noch nicht aufgehoben.

«Man muss immer wieder

kämpfen und ich muss

immer wieder nachweisen,

dass es eine Arbeit ist,

die den Kindern gut tut.»

Was in der Vergangenheit richtig gut funktioniert hat, ist, dass ich mit den Eltern genauso ein Lernen initiiere, wie ich das mit den Kindern mache. Das komplette Programm, also wir setzen uns zusammen und überlegen uns, welches Thema jetzt akut ist. Dann geht das Schrittchen für Schrittchen weiter und ich bereite eine Lernlandschaft für die Eltern vor. Zwei, drei Wochen später, je nachdem wie die Eltern bereit sind, kommen die und machen einen Lernabend zu ihrem Thema. Zum Beispiel: Kann man überhaupt Schreiben lernen, wenn man nicht Lesen kann? Oder: Wie funktioniert lautgetreues Schreiben. Ich hab den Eltern eine fremde Schrift vorgestellt und gesagt, ok dann lernt bitte diese Schrift. Dann gab es jede Menge Aha-Erlebnisse. Ausprobieren, mit Zeichnen und dann haben die tatsächlich dem Gegenüber das Geschriebene hinlegen können und der war in der Lage zu entziffern was da steht. Dann klickte das ordentlich.

Die Kollegin und ich haben auch einen intensiven Elternabend zum kompetenzorientierten Arbeiten gemacht. Das hat den Eltern geholfen, den Blick weg von den Inhalten zu bekommen. Das war ein bisschen zu spät, ist uns dann aufgefallen, das hätten wir eigentlich gleich nach der Einschulung schon machen sollen. Werden wir jetzt im neuen Durchgang auch so handhaben.

Im 4. Schuljahr ist es im Moment Standard, dass die Eltern da sind. Aber nicht nur um neugierig zu gucken, sondern um mitzumachen. Sie sagen dann, kann ich einen Beitrag leisten oder ich hab jetzt Zeit, ich könnte mich mit den Kindern irgendwo hinsetzen und was arbeiten und lesen, was auch immer. Das zeigt uns schon, dass wir da auf der richtigen Schiene sind.

Ich krieg auch in letzter Zeit Rückmeldung von den Eltern, deren Kinder jetzt schon durch die Schule durch sind. Die sagen dann, «Herr Kauffeld, jetzt verstehen wir erst richtig, was sie mit den Kindern angestellt haben, denen hat das Lernen bis zum letzten Tag Positives gebracht und nicht Negatives. Und das finde ich gut.»

«Jetzt ist es soweit und da bin ich stolz drauf.»

«Dann hab ich gesagt als

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