Czytaj książkę: «Feindin der Wikinger. Die Jelling-Dynastie. Band 1», strona 5

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»Das Lied, welches ich sang, sind meine einzigen Worte in eurer Sprache«, stotterte Thyra nervös und versuchte, ihre Fassung wieder zu finden. »Also«, fing sie an, stockte und sah den bärtigen Männern in die Gesichter.

»Iorp bip ak uarpae ok uphimaen sol ok santae Maria ok sialfaen Guddrotten.« Sie sang und blickte in die erschütterten Gesichter der Wikinger.

»Das ist alles!«

»Sie ist eine Zauberin«, meinte Siguror.

»Eine Angeln-Frau? Eine Zauberin?«

»Vielleicht – keine Gute?«

»Oder nur eine, die Geschichten erzählt!«

Thyra sah im Wechsel von einem zum anderen.

»Eine Heilerin?«, verdächtigte Siguror sie grinsend.

»Erzähle mehr!«, forderte Gorm, den Blick auf Thyra gerichtet. Diese sah ihn unschuldig an und wiederholte das eben Gesagte.

»Sie ist dumm.« Siguror sah seine Vermutung bestätigt.

»Sie stellt sich dumm.«

Wieder richtete Gorm eine Frage an Thyra, doch sie wiederholte nur die Worte aus Solvors Lied.

Siguror schüttelte den Kopf und sah seinen Freund zweifelnd an. »Sollen wir ihr drohen?«

Gorm grinste. »Willst du deinen Schwanz zuerst zur Verfügung stellen?«

Siguror fing schallend zu lachen an und schlug sich übermütig auf seine muskulösen Oberschenkel. Grinsend begutachtete er seinen Schwanz. »Guter Häuptling! Ich glaube nicht.« Siguror schüttelte abweisend den Kopf. »Aber diese Sklavin wird uns erheblichen Ärger bereiten.«

Gorm grinste und nickte.

Fragend sah Thyra die Nordmänner an. Doch diese ignorierten die Frau und unterhielten sich mit einem anzüglichen Grinsen auf den Lippen.

›Fasst mich nur nicht an!‹, drohte Thyra unnahbar und starrte böse.

»Sie wird deinen Schwanz für alle folgenden Frauen und auch für dich unbrauchbar machen.« Gorm feixte, als er in das Gesicht der störrischen Angeln-Frau sah. »Soll sich doch einer ihrer Landsmänner mit ihr vergnügen.«

»Derjenige wird seine wahre Freude an ihr haben«, mutmaßte Siguror. »Aber wenn sie wirklich von Adel ist, bringt sie uns einen wertvollen Tribut ein.« Er ahnte nicht, wie wahr seine Worte werden würden.

Abschätzend ließ Gorm seinen Blick über die zarte Frau wandern, so dass Thyra sich vor seinen Blicken schützte, indem sie ihre Arme vor der Brust überkreuzte. ›Brünstiger Moloch‹, beschimpfte sie ihn im Geiste.

»Nur, wenn sie wirklich mit dem König verwandt sein sollte.«

********************

Thyra wurde in den Käfig zurückgebracht, ohne dass die Nordmänner auch nur ihren Körper berührt hatten. Sie hatten sie nicht vergewaltigt oder gefoltert! Nur Fragen. Sonst nichts!

Sprachlos ging sie im Käfig auf ihren angestammten Platz. Hockte sich auf den Boden, den Rücken gegen die Stäbe gelehnt und starrte ausdruckslos zum mit Sternen übersäten Nachthimmel. Ihre Mitgefangenen beäugten Thyra. Teils mitfühlend, teils neugierig, doch auch verächtlich. Sie tuschelten und flüsterten. Thyra ignorierte sie alle. Sollten sie doch denken, was sie wollten!

Die Wikinger hatten ihr heute Nacht ein völlig neues Bild gezeigt.

Sie hatten miteinander gelacht und gescherzt. Der Große und der Gezopfte hatten höflich gefragt und waren nicht zornig geworden. Auch als sie bemerkt hatten, dass sie ihre Sprache nicht verstand oder nicht verstehen wollte! Die Nordmänner am Feuer waren nicht über sie hergefallen. Sie hatten sie nicht gefoltert und am Ende der Nacht ihre Beine gespreizt, um in sie einzudringen, sie mit ihrem Samen zu füllen und in ihrem Leib eine ungeliebte Frucht zu säen.

Wenig von dem was Ethelgiva erzählte, entsprach der Wahrheit.

Thyra musste nachdenken, überlegen. Dazu brauchte sie Zeit, Ruhe und Einsamkeit!

Der Morgen dämmerte. Sie hatte kaum geschlafen. Verzerrte Traumbilder raubten ihr den Verstand. Abgekämpft erhob sie sich mit rotgeränderten Augen. Jede Faser ihres Körpers schmerzte, der harte Boden und die nächtliche Kälte fraßen sich ins Blut, in jeden Muskel und drangen zuletzt bis in die Knochen. Steif und stöhnend stellte Thyra sich gegens Gitter und starrte müde auf die nun schon vertrauten Bilder.

Die morgendlichen Rituale begannen.

Thyra drehte sich nicht um. Sie hörte, wie ihre Mitgefangenen die Abortecke aufsuchten und sich erleichterten. Ebenso missachtete sie das Schreien der Kinder und die verzweifelten Versuche der Mütter, diese zu beruhigen. Genervt von der Situation lehnte sie den Kopf gegen die Gitterstäbe und schloss die Augen. »Ich brauche Ruhe, will Schlaf und endlich wieder allein sein! Selbst in den kalten Räumen in einer dieser Burgen würde ich jetzt schlafen wollen.«

Ihr Onkel, König Alfred, hatte in den letzten Jahren ein Netz aus Festungen und ummauerten Städten errichtet, welches sich durchs gesamte Königreich erstreckte. Thyra hatte gehört, wie er die notwendigen Anordnungen für den Unterhalt und den Schutz der Anlagen befahl und wie er den Schutz der Untertanen regelte.

Der Adel teilte die Meinung des Königs. Sie buhlten um die Gunst des Monarchen, wollten seine Burgen und Städte befehligen und diese in ihren eigenen Besitz bringen. Sie erlernten die Kriegskunst in seiner Armee, kämpften zum Wohle des Königs und ihres eigenen Reichtums, während das eigene Volk den Krieg bezahlte, die Felder bestellte und unter Armut und Hunger litt.

Thyra lächelte mit geschlossenen Augen, als sie an ein Geschehen zurückdachte. Ein entfernter Vetter erhielt die Befehlsgewalt einer Burg in Wessex. Sie kannte ihn seit Kindertagen und las in dem Gesicht des Cousins wie in einem offenen Buch! Mit stolzgeschwellter Brust und ernster Miene nahm er die Auszeichnung entgegen, doch Thyra wusste, dass er seine Bauern für sein persönliches Wohlergehen gnadenlos arbeiten lassen würde.

›Zum Wohle des Volkes – und zu seinem‹, fügte sie in Gedanken hinzu.

Ein Habicht schrie und riss Thyra aus den Gedanken. Blinzelnd sah sie in den Himmel und folgte dem Flug des Raubvogels. Abermals vergegenwärtigte Thyra sich, wo sie tatsächlich war!

»Ich bin in Wessex!«, murmelte sie schlaftrunken. Zerschlagen sah sie sich um. »Und wo sind die Kämpfer? Wo sind die Soldaten meines Volkes? Warum kommen sie nicht und vertreiben die Eindringlinge?« Sehnsüchtig blickte sie zur Themse. Doch sie erkannte nur die schwankenden Masten der Nordmannschiffe. Wo waren die imposanten Kriegsschiffe zur Verteidigung?

›Wussten sie es denn noch nicht, dass die Wikinger die Themse hinauf gesegelt waren?‹

»Doch! Sie müssen es wissen!« Mit aufbrausendem Herzklopfen fing sie ganz langsam zu verstehen an! »Es müssen viele Wikinger sein! So viele, dass sie genügend Schiffe aufbringen, um an Ludúnir, Slough, Reading und Oxford vorbei zu segeln und sogar noch einige Kriegsschiffe samt Besatzung für das entfernte Oxfordshire zum Kampf einsetzen können.«

Dann fing Thyra zu rechnen an.

»Wie viele Kriegsschiffe braucht ein Kriegsherr, um eine Stadt einzunehmen? Zum Beispiel für Southend an der Flussmündung.« Sie wiegte den Kopf hin und her. »Keine – vielleicht – wenn sie bei Nacht an der Stadt Southend vorbeisegeln, um in Ludúnir einen Überraschungsangriff zu starten.«

Sie verstummte, um gleich darauf mit ihren Gedanken fortzufahren.

»Aber in Ludúnir brauchen sie eine stattliche Anzahl an Kriegsschiffen. Doch wie viele Krieger fahren auf einem Schiff?« Sie schwieg und überlegte, ob sie jemals eine Zahl gehört hatte. »Wie viele Seemänner fahren auf einem Drachenschiff?« Grübelnd betrachtete Thyra die Masten, auf denen sich die weißen Möwen schreiend niedergelassen hatten und sich um einen fetten Fischkopf stritten.

»Dreißig vielleicht oder fünfzig?« Dann riss sie ihre Augen auf und zählte die schwankenden Masten. Gleichzeitig überlegte sie, wie viele Masten ein Wikingerkriegsschiff besaß.

Dann begriff sie! Sie erinnerte sich an eine Skizze der Wikingerschiffe. »Ein Schiff mit einem einzigen bauchigen Segel.«

Thyra grinste. »Ein Segel! Also ein Mast!« Sie schluckte und zählte noch einmal. »Sieben«, wisperte sie. »Sieben Schiffe und auf jedem Schiff fahren vierzig bis fünfzig Wikinger.« Sie erschrak furchtbar und erkannte, dass 200 Nordmänner Oxfordshire überfallen hatten!

»Wie viele Wikinger mochten dann Ludúnir, Slough, Reading und Oxford überfallen haben?« Sie weigerte sich, weiter zu denken. Doch die Zahl schoss ihr wie von selbst ins Hirn.

»900.« Ihr Magen zog sich allein bei diesem Gedanken zusammen. »Oder mehr!«

Ihre Gedanken machten sich selbstständig. Doch Thyra sollte sich noch mehr erschrecken, wenn sie erfuhr, dass die genaue Zahl der Wikingerschiffe bei 330 lag!

250 an der Südküste in Kent und 80 an der englischen Nordküste.

»900 Männer«, murmelte sie. »Kann das sein?«

Langsam fuhr sie mit ihrer Zunge überlegend über die Lippen und presste sie zusammen. »200 hier im kleinen Ort Oxfordshire, dann sind in Oxford vielleicht …?« Sie zog ihre Stirn kraus. »Zwanzig, dreißig Schiffe. Demnach 1000 bis 1500 Nordmänner.« Heftig schlug sie ihre Hand auf den Mund. Schluckte. Biss die Zähne aufeinander. »Dann sind in Reading und Slough vielleicht …?«

Sie mochte nicht rechnen, legte den Kopf in den Nacken und beobachtete den eleganten Flug einer Möwe am wolkenlosen Himmel.

›Nein, nein, nein!‹, schrie sie im Geiste. ›Nicht denken! Nicht!‹

Doch sie zählte im Geiste schon die Schiffe, die Ludúnir überfallen haben könnten.

»Dann sind über 100 Kriegsschiffe der Nordmänner in Ludúnir.« Ihre Stimme war kaum noch zu verstehen. »Und mit ihnen könnten dann über 5000 Wikinger in der Stadt eingefallen sein und sie haben …!«

Thyra weigerte sich zu denken. Ihre Knie wurden weich. Sie rutschte am Gitter herab auf den festgetretenen Boden. Dort hockte sie und krallte sich mit leichenblassem Gesicht an den Stäben fest. Ihr Magen rebellierte und ohne Vorwarnung schmeckte Thyra Magensäure auf der Zunge.

»Das kann nicht sein!«, schrie sie unbeabsichtigt. »Hirngespinste!«

Erstaunt blickten die Mitgefangenen Thyra an. Sie sah in die fragenden Augen des Kammmachers und starrte einfach durch ihn hindurch. Es war zu ungeheuerlich! Zu groß! Zu viele! Unbegreiflich!

»Ist so etwas überhaupt möglich? Gibt es überhaupt so viele Menschen? Wie weitläufig ist denn das Land, wo die Nordmänner ihre Heimat haben?« Thyra rieselte es prickelnd über die gesamte Haut.

»Wie viele Angelsachsen gibt es in Northumbria, in Gwynedd, in Dyfed, in Mercia in Mittelanglia oder in Ostanglia?«

Sie wusste, Wessex war bedeutsam. Doch wie viele Menschen lebten dort und dann gab es ja auch noch Kent? Und die Schotten! Noch nie hatte sie sich diese Frage gestellt! Grübelnd hob Thyra die Finger ans Kinn und schloss die Augen.

»Wenn ich am Ostermorgen zum Dom in Ludúnir ging«, murmelte sie, »sah ich jedes Mal unzählige Menschen auf den Straßen. Mmmh!«

Langsam stellte sie sich aufrecht hin. »Waren es 1000 Menschen?« Gedankenverloren fuhr sie mit den Fingern über ihre Lippen.

»1000.«

»Was sagt Ihr da?«, fragte der Schmied grob. Er stand hinter ihr und stierte mit zornesrotem Gesicht auf Thyra.

Langsam drehte sie sich um und betrachtete den hochgewachsenen Schmied herablassend. »Was ich sage, mache oder tue, geht Euch nichts an«, zischte sie böse.

Die Gesichtshaut des Mannes wurde noch eine Nuance dunkler. Er drückte die zusammenballten Fäuste in die Hüfte und schritt auf Thyra zu. Sie erschrak! Blieb jedoch vor dem massigen Mann stehen.

»Ich befehle es Euch!«, drohte der Schmied.

Thyra wurde blass vor Zorn. Ein Schmied! Ein einfacher Dorfschmied wagte es, so mit ihr zu reden! Und noch ehe Thyra überlegte, schmetterte sie dem Mann ins Gesicht: »Ihr habt mir nicht das Geringste zu befehlen.« Tief holte sie Atem und trat dem stattlichen Handwerker einen Schritt entgegen, obwohl kaum noch Platz zwischen ihnen war.

»Ihr seid eine Frau«, schmetterte er.

»Sicher bin ich eine!«

»Eine Frau«, er baute sich vor ihr auf. »Eine Frau darf keine Zahlen in den Mund nehmen!«

»Wer sagt das?«

»Ich! Ich bin der Schmied des Dorfes.«

»Und ein Schmied in einem Dorf weiß, was ich, die Nichte des Königs, zu unterlassen habe?«

»Ich …«

»Ihr seid einer meiner Untertanen!« Thyra schmiss ihm die Worte entgegen und drückte ihren Zeigefinger fest in seinen weichen Bauch. Er wich erstaunt zurück.

»Und Ihr!« Sie holte erneut Atem. »Ihr habt mir weder etwas zu sagen, geschweige denn das Wort mit einem Befehl an mich zu richten!« Ihr gesamter Körper zitterte vor Zorn.

»Ihr, Ihr, Ihr …!« Der Schmied brüllte mit hochrotem Kopf und seine geballte Faust zitterte vor ihrem Gesicht.

»Was!«, schrie sie ihn schneidend an.

Er wollte gerade antworten, als eine behaarte Männerhand sich um seinen Oberarm krallte. Jählings drehte der Schmied sich um und starrte zornentbrannt in das besonnene Gesicht des Kammmachers.

»Lass es gut sein«, raunte er.

»Was!«, dröhnte der Schmied. »Wenn sie so weitermacht, dann schlitzen uns die Nordmänner im Berserkerrausch auf und fressen uns zum Frühstück!«

»Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Doch genau das! Hast du nicht gesehen, wie sie die Männer unserer Feinde umgarnt und für sich einnimmt.« Hastig zeigte anklagend sein Finger auf Thyra. »Sie zählt sie«, beugte er sich zischend zu Thyra hinab und flüsterte ihr direkt ins Gesicht.

Thyra spürte seinen warmen Atem – und roch den fauligen Gestank. Sie schnappte nach Luft, öffnete den Mund, um sich zu verteidigen.

Doch er kam ihr zuvor. »Dieses Weib opfert uns alle. Nur um selbst zu überleben!«, donnerte der Schmied.

Alle standen erstarrt in den Käfigen. Keiner bewegte sich.

»Ist das wahr?«, fragte der Kammmacher mit leiser Stimme.

Thyra antwortete ihm nicht.

»Ist das wahr?«

»Ich werde Euch nicht Rede und Antwort stehen. Nur weil Ihr Euch nicht beherrschen könnt«, warf sie dem Schmied kalt entgegen.

»Ihr werdet nicht …«

»Nein!«, warnte sie ihn mit schneidender Stimme. »Und sagt jetzt kein Wort mehr, es könnte Euch Euren Kopf kosten.« Sie sagte es leise, fast liebevoll, doch ihre zornigen Augen warnten den schwitzenden Mann.

Der hervorgetretene Kehlkopf des Schmiedes tanzte im Schlund auf und ab.

»Lass es gut sein.« Der Kammmacher beruhigte ihn und zog ihn fort.

»Mmph«, grunzte der Schmied und schüttelte angewidert die Hand des Kammmachers ab. »Sie ist ein Weib wie jedes andere. Und ein gehässiges dazu!«, ächzte er. Doch plötzlich erinnerte er sich an ihren einflussreichen Onkel. Den König, den das Volk ›Alfred den Großen‹ nannte. Seine Haut glänzte vom Schweiß und nicht nur Thyra sah, wie seine Muskeln beunruhigend flatterten. Zitternd atmete er die feuchte Luft ein, drehte sich kurz darauf abrupt um und ging. »Mit einem König im Nacken kann man mit Leichtigkeit fauchen!«

Thyra stand steif und starr. Stolz und beherrscht sah sie einen nach dem anderen an. Doch niemand wagte es, ihrem Blick standzuhalten. »Was war denn das?« Bedächtig drehte sie sich um und starrte, ohne wirklich etwas zu sehen, auf das Heer der Wikinger.

Auch bei den Nordmännern blieb der lautstarke Streit nicht unbeobachtet.

Siguror lehnte in einiger Entfernung am Stamm einer uralten Buche und beobachtete im Schatten des Baumes den Disput. Er hielt einen Becher und trank mit vorsichtigen Schlucken den heißen Tee.

»Diese Frau ist streitsüchtig und nicht zu unterschätzen«, murmelte Siguror. »Sie wird uns einen prächtigen Tribut einbringen! Wer hätte das gedacht!« Sein breites Grinsen schmiss Falten um seine Augen. »Dieses Weib kastrierte Hafr mit einer Hand und sie schafft es, diesen englischen Hünen und alle anderen Gefangenen nur mit ihrer Zunge und ihrem Blick zum Schweigen zu bringen!«

Gemächlich entfernte Siguror sich aus dem Schatten der weiten Baumkrone. Gorm war sicher schon wach.

*********************

Nichts geschah in den folgenden Tagen. Aber die Gefangenen bekamen jetzt jeden Tag zu essen und Wasser in einem Eimer, welches sich die Käfigmenschen einteilten. Das Lagerleben nahm einen beschaulichen Verlauf. Die Sonne stieg mit jedem Frühlingstag höher und wärmte die Tage.

Nur die Bauern im Käfig wurden mit jedem Tag mürrischer. Der Acker musste gepflügt und die Saat in die fette, schwarze Erde gesät werden. Sie sorgten sich um das Vieh, welches sie vor dem Überfall im Wald versteckt hatten. Es verhungerte. In ihren Träumen hörten sie die Kühe brüllen, weil ihre prall gefüllten Euter schmerzten. Die Hühner, Gänse, Enten und Puten in ihren engen Weidenkörben waren sicher schon elendig verreckt.

Die Pferde und Rinder hatten sie eilig an Bäume gebunden und waren, von der Angst um die eigene Familie getrieben, zurück ins Dorf gerannt. Niemand hatte früher an einen Überfall gedacht. Die Dorfbewohner hatten keine Vorsorge getroffen. Sie hatten von den Schergen des Königs gehört, dass burhs51 im ganzen Land errichtet und ausgebaut wurden zum Schutz der Landsleute.

Sie hatten sich sicher gefühlt, so tief im Landesinneren.

Im Laufe der Zeit waren Geschichtenerzähler ins Dorf gekommen und hatten von unglaublichen Gräueltaten der Berserkerhorden aus Skandinavien berichtet. Gebannt hatten die Dörfler dem Erzähler gelauscht. Hatten sich um den Fremden geschart und gebannt der erfahrenen Stimme zugehört. Einer dieser Berichte hatte von einem beträchtlichen Dänenheer erzählt, das ins Land der Angelsachsen eindrang.

Und jedes Mal hatten die Geschichten mit den Worten angefangen:

»Damals, im Jahre 871, als das große Sommerheer der Wikinger einfiel, um unseren Reichtum, die Frauen und das Land zu stehlen – doch die Westsachsen vergossen unbarmherzig das Blut und siegten nach unermesslichen Verlusten.«

Dann hatte der Geschichtenerzähler immer eine Pause gemacht und zustimmendes Gemurmel geerntet.

»Wir kämpften und töteten. Immer mehr Wikinger kamen in unser Land und schließlich verloren wir im Jahre 871 bei Reading gegen diese Bluthunde.« Traurig hatte er seinen Kopf gewogen und von einer Frau einen Kanten Brot bekommen, den er sich eilig in die Rocktasche geschoben hatte.

»Schließlich schlossen die Westsachsen unterwürfig Frieden, aber nur, um ihr Leben zu retten. Was bedeutete, dass sie das große Dänenheer mit Lebensmitteln zu versorgen und Tributzahlungen an die Wikinger zu entrichten hatten.«

Er hatte einen Schluck getrunken, um seine trockene Kehle wieder geschmeidig zu machen.

»Dann, nur drei Jahre später, trieben die Wikinger König Burgred ins Exil und eroberten das Königreich Mercia. Ein großer Schritt für die Wikinger und ein entsetzlicher für uns! Sie setzten einen ihrer Männer auf unseren Thron.«

Eine Schande, wie der Geschichtenerzähler den Dorfbewohnern zugeflüstert hatte. »Doch Ceolwulf war jetzt der neue Wikingerkönig in Mercia. Zusammen mit drei weiteren nordischen Königen, Guttorm, Oscetel und Anwend, errichtete er nach vielen Kämpfen skandinavische Siedlungen in den östlichen Midlands und dehnte sich immer mehr in die westlichen Midlands aus.«

Der Geschichtenerzähler hatte einen weiteren Becher vom süßen Met gewollt, wohl wissend, dass seine Zuhörer nach seinen Geschichten hungerten.

Er hatte den Becher bekommen und fortgefahren.

»Guthrum ging mit seiner Wikinger-Streitmacht im Januar 878 von Wessex ans Werk, besetzte das Land und vertrieb König Alfred in die Sümpfe bei Athelney von Sommerset. Aber Alfred sammelte seine Truppen zu einem riesigen Feldzug zusammen und siegte in der Schlacht von Wiltshire.«

Allgemeines zufriedenes Gemurmel hatte eingesetzt und der Geschichtenerzähler hatte in die Runde gegrinst.

»Und jetzt, glaubt es oder nicht«, hatte er mit erhobener Stimme angefangen, den weiteren Verlauf der Geschichte anzukündigen, und erneut seinen Becher in die Höhe gehalten, der sofort gefüllt wurde. »Jetzt befahl Alfred ein Fest von großer Wichtigkeit. Die ausgedehnte Zeremonie begann in Aller, in der Nähe der Sümpfe von Athelney und endete auf dem königlichen Gut in Sommerset.«

Er hatte beifallheischend in die Runde gesehen und sich unersättlich seinen dicken Bauch gerieben. Eilig war ihm ein dünner Streifen Speck gereicht worden, den er aber geringschätzig zurückwiesen hatte.

»Liebe Leute, ihr müsst wissen, Geschichten erzählen macht hungrig und mit einem knurrenden Magen könnte ich wichtige Bestandteile des Geschehens vergessen, ohne es zu merken!«

Die Dorfleute hatten sich angesehen. Wer opferte ein Stück seines guten Schinkens? Schließlich war eine Bäuerin eilig in ihr Häuschen gegangen und mit strahlenden Augen, in der Hoffnung auf die weitere Geschichte, mit einem fetten Streifen des Räucherwerks herausgekommen.

»Mhhh! Der duftet aber köstlich«, hatte der Geschichtenerzähler gegrinst, einmal hineingebissen und den fetten Schinken in der Tasche seiner Jacke verschwinden lassen.

»König Alfred ließ Guthrum und dreißig seiner Anführer taufen. Sie alle wurden zum christlichen Glauben bekehrt und mussten ihren heidnischen Göttern abschwören!«

Ein zustimmendes Gemurmel hatte den dicken Mann umrundet.

»König Alfred und der jetzt christliche König Guthrum zogen eine Grenze – das Danelag! Das Danelag wurde formell anerkannt und ordnungsgemäß in einem Vertrag festgelegt.« Er hatte sich selbst beifällig zugenickt.

»Das Danelag ist die Grenze zwischen Mercia, Mittelanglia und Ostanglia zu Wessex!« Er hatte einmal tief durchgeatmet. Seine Geschichte war gleich zu Ende gewesen und er hatte gewusst, es war die letzte Möglichkeit, seinen Becher noch einmal füllen zu lassen.

»Seit dem Jahr 878 sorgt unser König Alfred dafür, dass wir in Frieden leben können!«

Zustimmendes und zufriedenes Gemurmel hatte sich erhoben und der Geschichtenerzähler hatte lächelnd in die Runde geblickt. Es war wichtig für ihn, dass die Leute zufrieden waren. Denn nur dann konnte er wiederkommen und weitere Geschichten erzählen.

Er hatte den Leuten von Oxfordshire allerdings verschwiegen, dass ihr Gebiet – Wessex – vom ehemaligen dänischen König, vom christlichen Guthrum, regiert wurde.

Wer wollte das denn schon wissen?

Thyra sah auf die schwankenden Masten der Wikingerschiffe.

Das waren vierzehn Jahre. Vierzehn Jahre, in denen die Äcker in Frieden bestellt werden konnten! Eine unbekümmerte Zeit, in der Eltern sich keine Sorgen um ihre Kinder machen mussten! So lange Frieden, keine mörderischen Kämpfe, keine Kriege um Land und Macht und keine Tränen für die Toten.

Lange Jahre der Sicherheit, welche ihr Leben bestimmt hatten. Niemand hatte je daran gedacht, dass erneut Wikinger ins Land eindringen könnten.

Um die Mittagszeit bekamen die Käfigmenschen eine wässrige, geschmacklose Getreidegrütze. Keine Kräuter, kein Salz gaben der Zunge einen winzigen Gaumenkitzel. Thyra aß emotionslos den Brei. Sie wollte leben und bei Kräften bleiben!

Mit der klebrigen Substanz auf der Zunge beobachtete sie den Himmel und sah, wie massige Gewitterwolken sich am Horizont auftürmten. Dunkelgrau und ungestüm bauten sie sich auf und der Wind trieb sie unablässig näher.

Zuerst nur sanft, fast wie das Schlagen der Flügel eines Zaunkönigs, dann immer heftiger, bis die Kronen der Laubbäume sich bogen und im Sturm schüttelten. Thyra aß hastig den Rest ihrer dürftigen Mahlzeit, bevor der Regen, den sie schon riechen konnte, ihn noch mehr verwässerte.

Dann hörte sie ihn – den Regen!

Zuerst hörte sie nur ein sanftes Rauschen, welches sich bedrohlich auf die Menschen zubewegte. Mit jedem Meter, den das Gewitter näherkam, erhöhte sich das rauschend-tosende Geräusch. Die Tropfen prallten auf die Blätter der Bäume, krachten ins trockene Laub, platschten in die rasant wachsenden Pfützen.

Dröhnend herab prasselnd. Eine unheimliche grauweiße Wand!

Dann sah sie den undurchdringlich grauen Regenvorhang. Eine Wasserwand, vom Sturm angetrieben. Laut und drohend, immer schneller, immer dichter peitschten die Tropfen die Blätter der Bäume, bis die gefürchtete Regenwand die Menschen erreichte.

Die ersten wenigen, jedoch haselnussgroßen Tropfen platschten auf die staubige Erde, schlugen auf die Menschen. In Sekunden erreichte sie der kalte Regen und sofort prallte die Regenwucht nieder. Die Menschen wurden gnadenlos von harten Regentropfen geschlagen und bis auf die Haut durchnässt. Die eiskalten Tropfen klatschten auf die Erde und es dauerte nur Minuten, bis teichgroße Pfützen den Boden bedeckten, um dann in Strömen zum Fluss zu fließen.

Die überfüllten Wolken hüllten das Land in einen mystischen grüngelben Lichtschein. Blitze tanzten grell blendend am Himmel, gefolgt vom dunklen Donnergrollen.

»Das ist ein Zeichen«, murmelte Thyra von Grauen gepackt. »Ein Zeichen der Götter – Solvors Götter!«

Sie presste sich hoffnungslos zitternd gegen die Stäbe. Die Arme um den Körper geschlungen. Blinzelte gegen die Wassermassen und erblickte die Mutter mit ihren vier Kindern, wie sie erfolglos versuchte, ihre Kinder vor dem Unwetter zu schützen. Thyra schloss ihre Augen.

›Die Kinder können ja nichts für ihre schwache Mutter‹, dachte Thyra und rannte zu ihr. Riss der erstaunten Frau zwei Kinder aus der Umklammerung und beugte sich schützend über die kleinen frierenden Körper. Die Blicke der Frauen trafen sich und Thyra erkannte eine große, staunende Dankbarkeit in den braungrünen Augen der Frau.

Der Regen prasselte auf die zusammengekauerten Menschen. Der Sturm nahm an Kraft zu, wurde stärker. Der Wind war aggressiv, schneidend. Plötzlich sah Thyra den grellen, gezackten Lichtstrahl.

Ein Blitz! Sofort folgte ein furchterregendes Donnergrollen.

Die Erde bebte. Die Luft vibrierte.

Erschrocken starrte Thyra in den wirren Wolkenhimmel!

»Das war nah.«

Der Blitzeinschlag war körperlich spürbar. Thyra wehte der unangenehme Luftdruck des Donners entgegen. Sie schnupperte.

»Kein Rauch. Auch nichts zu sehen.« Fröstelnd suchte sie die hoch emporragenden Wolken ab. »Ist das ein Fingerzeig Gottes? Oder straft uns der Donnergott der Heiden?« Ihre blauen Lippen zitterten. Heftig atmend sah sie sich um. Ein magerer Hund schlich mit vor Angst weit unter dem Bauch geschlagenem Schwanz über den regennassen Dorfplatz.

Thyra nestelte mit kalten, steifen Fingern an den Bändern ihrer Röcke. Sie weinte vor Verzweiflung, denn die nassen Bänder boten ihren Öffnungsversuchen erbitterten Widerstand. Doch nach ihr unendlich lange erscheinenden Minuten gelang es ihr schließlich, das nasse Zeug zu lösen. Eilig stieg sie aus ihren Röcken.

Der eiskalte Regen vermischte sich mit gefrorenem Hagel und schnitt in die Haut. Sie sah, wie die harten Tropfen die junge Haut der zitternden Kinder rötete.

Jeder Treffer schmerzte. Sie zitterten, wischten sich das Wasser aus den Augen und durch den Wasserschleier sah Thyra die verängstigten Kinder zusammenkauernd Schutz suchen.

Die Eistropfen ließen die zarte Gesichtshaut aufplatzen. Nun vermischte sich ihr hellrotes Blut mit dem Wasser des Himmels. Eilig legte Thyra ihre Röcke über die dünnen Leiber der Kinder.

Ihr ehemals weißer Unterrock klebte an ihren Beinen wie eine zweite Haut. Fest umarmte Thyra die jammernden Kinder und murmelte beruhigende Worte.

Der Wind zerrte an der Kleidung, an den Haaren und unvermittelt spürte sie harte Schläge auf ihrem Rücken. Fest und unnachgiebig schlugen jetzt vogeleigroße Hagelkörner auf alles ein, was sich auf ihrer Bahn befand. Die Kinder schrien vor Schmerz und die beiden Frauen rückten noch enger zusammen.

Sie sahen sich nur an und verstanden einander wortlos. Die Kinder weinten und Thyra drang mit ihren beruhigenden Worten nicht mehr zu ihnen durch. Sie schluckte. Die Hagelkörner ließen die Haut auf ihrem Rücken aufplatzen. Von Schmerzen gepeinigt schloss sie die Augen und biss die Zähne zusammen.

»Verdammtes Unwetter!«, schrie sie dem Sturm entgegen. »Warum?« Sie hörte keine Antwort, nur das Wimmern der Kinder drang an ihr Ohr.

»Habt keine Angst«, rief sie in die Kinderohren. Doch die Kleinen reagierten nicht. Sie hörten das Tosen des Windes, das Rauschen in den Baumkronen und spürten die Angst der Erwachsenen. Die schwarz verkohlte Linde auf dem Dorfplatz bog ihre verbrannten Arme und schüttelte sich im Wind. Der heilige Baum hatte den Blitz eingefangen und brannte!

Thyra erkannte, wie der knorrige alte Baum mit den Unbilden der Natur kämpfte – und verlor. Zuerst ganz sanft, fast liebevoll, neigte sich der brennende Stamm zur Seite.

Noch eine Bö. Die uralte Linde kämpfte. Schüttelte sich. Sie warf Zweige ab, um ins Gleichgewicht zu kommen. Der kalte Regen lief schwarzglänzend an der schon verkohlten Rinde herab und der Orkan wagte einen erneuten Angriff.

Sie hörten, wie der Wind sich aufbaute und sahen, wie er die Wasserschneise des Flusses nutzte, um seine Kraft zu erhöhen. Die riesigen Pappeln am Themseufer bogen sich und knarrten im Wind. Aber die Pappeln waren biegsam, sie spielten mit der Kraft des Windes.

Erneut griff der Wind an! Gezielt traf er die Linde und – sie gab auf.

Entsetzt riss Thyra die Augen auf und sie sah, wie der Baum sich neigte, der Stamm laut knarzend einriss und das goldene Innere sichtbar feucht glänzte.

Noch eine Sturmbö! Die Linde ergab sich dieser tödlichen Naturgewalt. Sie neigte sich der Erde entgegen. Ihr Holz splitterte. Die ersten Astspitzen berührten das matschige Erdreich. Holzfetzen schossen durch die aufgepeitschte Luft. Thyra hielt den Atem an.

Ihr Todeskampf war beendet.

Laut krachend fiel der hochbetagte Baum auf die Erde. Wasser spritzte. Schlamm schleuderte auf.

Wippend federten die Äste den Baum in die Höhe. Es war sein letzter Atemzug. Sein Abschied. Jetzt lag er bewegungslos. Selbst der Wind verbeugte sich vor seinem Tod. Dieser uralte Baum, die Linde, welche das Dorf seit vielen Jahrhunderten behütet und beschützt hatte – starb.