Czytaj książkę: «Durchschlag am Gotthard»

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IMPRESSUM

Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

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Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.

Umschlagbild Im Gotthard-Strassentunnel, 20.5.1980. © Walter Scheidegger, Ambrì

Lektorat Stephanie Mohler Hier und Jetzt

Gestaltung und Satz Naima Schalcher mit Janina Mosimann, Zürich

Bildbearbeitung Benjamin Roffler Hier und Jetzt

ISBN Druckausgabe 978-3-03919-509-1

ISBN E-Book 978-3-03919-977-8

E-Book-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

© 2021 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Zürich, Schweiz

www.hierundjetzt.ch

INHALT

VORWORT von Heinz Ehrbar

I ZÜGELKARTON 102

II 45 JAHRE PLANUNG

III 14 VARIANTEN UND EIN PROJEKT

IV ARBEITSGEMEINSCHAFT GOTTHARD-STRASSENTUNNEL NORD

V DER TUNNELFOTOGRAF

VI CONSORZIO GOTTARDO SUD

VII TOO BIG TO FAIL

VIII VERTRAGSKULTUR

IX TUNNEL – KANTINE – BARACKE

X MEDIENBERICHTERSTATTUNG UND KULTUR

XI DIE SBB – CASHCOW AM GOTTHARD

XII DIE ZWEITE RÖHRE

Anhang

VORWORT

Die Schweizer Geschichte ist untrennbar mit dem Gotthard verbunden. Der Gotthard, das zentrale Gebiet im Herzen der Alpen, in welchem Reuss, Rhein, Rhone und Tessin entspringen – eine Alpenregion, welche zu römischen Zeiten ein unüberwindbares Hindernis war. Erst um das Jahr 1230 bezwang die Urner Bevölkerung mit dem Bau der Teufelsbrücke und der Twärrenbrücke entlang der Felswand am südlichen Ausgang der Schöllenenschlucht das unwegsame Massiv ein erstes Mal. Verschiedene Sagen und Mythen halten uns diese Zeit immer noch lebendig vor Augen. Der neue Verkehrsweg und insbesondere die Kontrolle über dessen Bewirtschaftung waren eine grosse, treibende Kraft bei der Entstehung der Eidgenossenschaft. Der Gotthard hat die Schweiz schon immer geprägt, in der Vergangenheit wie auch heute.

Weitere Meilensteine folgten mit dem Bau der ersten steinernen Teufelsbrücke (1585), dem Bau des ersten Verkehrstunnels in den Alpen, dem Urner Loch (1708), der zweiten steinernen Teufelsbrücke und der neuen Linienführung in der Tremola (1830), dem Bau des Eisenbahntunnels (1872–1882), dem Ausbau der Passstrasse in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts und schliesslich mit dem Bau der Autobahnverbindung und dem Strassentunnel (1970–1980). Ab 1996 erfolgte der Bau des seit 2016 in Betrieb stehenden Basistunnels, welcher dazu beitragen soll, dass der vom Strassentunnel angezogene Güterverkehr wieder auf die Schiene zurückverlagert werden kann.

Diese lange Geschichte der Verkehrsinfrastrukturbauten am Gotthard ist von vielen Ereignissen geprägt, welche stark unterschiedlich dokumentiert sind. Die Legende von der Teufelsbrücke gehört zur Grundausbildung in der Primarschule. Auch der Bau des Eisenbahntunnels durch Louis Favre ist sehr gut dokumentiert. Zum Bau des Gotthard-Basistunnels und zum Projekt AlpTransit wurde manches publiziert, sodass sich Lehre und Forschung darauf abstützen können. Andere Ausbauetappen sind aber nur einem an der Technikgeschichte interessierten Publikum zugänglich, obwohl es auch daraus viele Erkenntnisse gäbe – gerade für heutige Projekte. So war zum Beispiel das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer dem Zeitgeist folgend entweder kooperativ (Urner Loch) oder aber konfrontativ (Gotthard-Eisenbahntunnel). Wo stehen wir heute?

Zum Bau des Gotthard-Strassentunnels gibt es keine leicht einsehbaren Quellen. Die Grundlagendokumente wurden der Öffentlichkeit nie in einer systematischen Form zugänglich gemacht. Der für das Projekt AlpTransit Gotthard äusserst wichtige Erkenntnisgewinn aus der Ausführung des Strassentunnelprojekts beruhte ausschliesslich auf mündlichen Überlieferungen. Umso mehr ist der enorme Aufwand des Autors Alexander Grass zu schätzen, der sich in die unterschiedlichsten Archive begeben hat, Tausende von Seiten aus Protokollen, Verträgen und Schriftverkehr analysiert, aber auch viele Gespräche mit Beteiligten, Verantwortlichen und Zeitzeugen geführt hat. Die Spannungsfelder und die Tatsache, dass man sich oft nah am Abgrund bewegte, werden offen, ehrlich und dank der vielen Quellen nachvollziehbar dargelegt.

Mit dem vorliegenden Buch ist ein spannender Beitrag entstanden, welcher eine der grössten Lücken in der Technikgeschichte des Verkehrsinfrastrukturbaus am Gotthard schliesst. Dafür gebührt Alexander Grass ein grosser Dank. Mögen die Erkenntnisse aus dieser Publikation dazu beitragen, dass das partnerschaftliche Miteinander bei komplexen Projekten kein Lippenbekenntnis bleibt, sondern weiterentwickelt und täglich umgesetzt wird – zum Wohle des Bauherrn, der Unternehmer und Planerinnen und letztendlich auch des Steuerzahlers. Dazu braucht es aber neben dem fachlichen Können auch das persönliche Wollen und das Dürfen seitens der betroffenen Organisationen. Alexander Grass zeigt deutlich auf, dass der wichtigste Erfolgsfaktor für den erfolgreichen Tunnelbau weiterhin der Mensch ist. Auf allen Stufen gilt: die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu haben.

Heinz Ehrbar ist dipl. Bauingenieur ETH. Von 1981 bis 1996 war er bei der Elektrowatt Ingenieurunternehmung AG (EWI) verantwortlicher Projektleiter beim Bau von Wasserkraftwerken, von 1996 bis 2014 übte er verschiedene Funktionen beim Bau des Gotthard-Basistunnels aus: zuerst als Projektleiter bei der EWI, dann bei der Erstellergesellschaft AlpTransit Gotthard AG als stellvertretender Leiter Tunnel- und Trasseebau und als Abschnittsleiter Sedrun und ab 2006 als Leiter Tunnel- und Trasseebau Gotthard sowie als Mitglied der Geschäftsleitung. Seit 2012 ist er Inhaber eines Beratungsunternehmens im Tunnel- und Untertagebau. 2013 wurde er zudem bei der DB Netz AG Leiter des Managements Grossprojekte, von 2017 bis 2019 war er bei der Deutschen Bahn Leiter des Competence Centers Grossprojekte 4.0. Seit 2017 wirkt Heinz Ehrbar als Executive in Residence an der ETH Zürich.

I
Zügelkarton 102

«Hier meine Hinweise. Freundliche Grüsse.» So endete eine Mail aus dem Zentralsekretariat der Gewerkschaft Unia. Wo liegen die Akten der Gewerkschaft Bau und Holz, die einst für den Gotthard-Strassentunnel zuständig gewesen ist – das war meine Frage. Die Antwort: Sie liegen im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich, im Staatsarchiv Uri in Altdorf und bei der Fondazione Piero e Marco Pellegrini e Guglielmo Canevascini im Kanton Tessin.

Viele dieser Akten sind nicht erschlossen, sondern lediglich in Kartonschachteln verpackt. Zum Beispiel Zügelkarton 102: Dossier zu Baustellenbesichtigungen und -fragen, 1977–1993. Der Staatsarchivar des Kantons Uri sieht nach, er findet Position 102 und schreibt: «Dort sind auch die Unterlagen zu den Baustellenbesichtigungen erwähnt. Die Unterlagen konnte ich jedoch nicht finden, obwohl das Dossier 102 vorhanden ist.» Die Berichte von den Baustellenbesuchen sind verschollen. Erhalten sind Unterlagen zur gewerkschaftlichen Arbeit auf den Gotthard-Grossbaustellen. So begann meine Suche nach Zeitzeugnissen und Dokumenten zum Bau des Strassentunnels.

Neben den Gewerkschaftsakten sind auch die Protokolle der Baukommission erhalten; Planer und Ingenieure verfassten zahlreiche Schriften. Die Kantone Uri und Tessin waren als Bauherren beteiligt, der Bund hatte die Oberaufsicht inne. So entstanden zahlreiche Korrespondenzen zwischen den vier Parteien Bauherrschaft, Amt für Strassen- und Flussbau in Bern und Bundesrat. Der Bau des Gotthard-Strassentunnels beschäftigte eine ganze Generation von Politikern und Planern; Kulturschaffende setzten sich auseinander mit dem Tunnelbau, mit dem ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde in der Beziehungsgeschichte zwischen dem Tessin und den Landesteilen nördlich des Gotthards.

Im Bundesarchiv in Bern liegen über 180 Dossiers zum Bau des Gotthard-Strassentunnels, jedes von ihnen hat bis zu 1000 Seiten. Dazu kommen Bestände im Staatsarchiv Uri, im Archivio di Stato del Cantone Ticino und im Zürcher Sozialarchiv. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) hält Akten über den Arbeitsschutz auf der Baustelle, im Archiv der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) ist die Auseinandersetzung der SBB mit der Lastwagenkonkurrenz am Gotthard dokumentiert. Dazu kommen Hunderte von Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften, Denkschriften, Studien, Parlamentsprotokolle und Berichte von Behörden.

Und es gibt Funde in privaten Archiven: Etwa die Fotos und Dokumente von Walter Scheidegger, dem ehemaligen Bauführer im Südkonsortium, der nach dem Abschluss der Baustelle in der Leventina geblieben ist. Oder den Nachlass von Ezio Censi. Er war Sektionschef beim Ufficio strade nazionali del Cantone Ticino in Bellinzona und ab 1967 örtlicher Bauleiter des Bauloses Süd. Seine Persönlichkeit beeindruckte über die Baustelle hinaus. In seinem ehemaligen Familiensitz befindet sich noch sein Büro mit zahlreichen Schriften – an der Wand hängt noch immer ein drei Meter langer Bauplan, auf dem Censi Tag für Tag den Baufortschritt eingetragen hat. Seine Familie hütet dieses Archiv und zahlreiche Erinnerungen.

Lückenhafte Archive

Trotz der grossen Zahl an Archivdokumenten bleiben blinde Flecken. Akten sind dann erhalten geblieben, wenn eine Institution involviert gewesen ist, die ihre Unterlagen nach Projektende aufbewahrt hat. Das trifft zu bei Behörden in Bundesbern oder im Kanton Uri, nur selten aber bei Firmen, die am Projekt beteiligt waren.

Schriftstücke entstanden dann, wenn politische, rechtliche und finanzielle Konflikte ausgetragen wurden, zum Beispiel bei der Kosten- und Terminkrise im nördlichen Baulos. Viel weniger Unterlagen sind vom Südlos erhalten, wo die Konflikte weniger waren. Mit Interviews sowie mit Akten aus dem Archiv der Baufirma Walo Bertschinger versuchte ich, diese Lücke zu schliessen. Nur wenige Dokumente schildern Arbeitsbedingungen und den Baustellenalltag. In Gesprächen mit am Bau beteiligten Personen konnte ich Erinnerungen festhalten; dazu kommen Reportagen, Radio- und Fernsehbeiträge aus den 1970er-Jahren. Zur Rolle der Frauen beim Bau des Gotthard-Strassentunnels ist keine einzige Unterlage erhalten. Auf der Liste der Gewerkschaftsmitglieder steht keine einzige Frau, in den Sitzungsprotokollen und Schriftwechseln werden ausschliesslich Männer erwähnt. Dieses Thema harrt noch der Recherche.

Der Gotthard ist eine spröde Verkehrs- und Energielandschaft. Er ist auch ein Ort der Erinnerung: an die Vespafahrt zwischen den eiskalten Schneemauern hindurch, an kochende Motorkühler, an Familienmitglieder, die bei der Bergfahrt aus dem Auto aussteigen mussten, weil der Motor die Last nicht schaffte. Es ging um etwas Abenteuer, um Freiheit. Die Massenmotorisierung, der Autobahnbau und damit auch der Bau des Gotthard-Strassentunnels bewirkten eine tiefgreifende Umwälzung. Sie erfasste Gesellschaft, Raumplanung, Volkswirtschaft und Kultur, und sie ist vergleichbar mit jener Revolution, die der Eisenbahnbau bewirkt hatte.

Der Gotthard-Strassentunnel war zu seiner Zeit der längste Strassentunnel der Welt. 2015, also vor der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels, befuhren ihn 36 800 Personen pro Tag. Beim Bahntunnel waren es viermal weniger, nämlich 8900.1 Im gleichen Jahr wurden 8 691 000 Tonnen Güter durch den Strassentunnel befördert, im Bahntunnel waren es 15 251 000 Tonnen.2 Der Gotthard-Strassentunnel ist eines der wichtigsten Infrastrukturbauwerke der Schweiz.

«Swiss open world’s longest road tunnel» – sogar die New York Times thematisierte im September 1980 die Eröffnung des Gotthard-Strassentunnels auf ihrer Titelseite. Doch im Gegensatz zum Basistunnel von 2016 und zum Eisenbahntunnel von 1882 wurde die Geschichte des Strassentunnelbaus am Gotthard in den Jahren 1970 bis 1980 kaum aufgearbeitet. Mit einer Ausnahme3 fehlen Gesamtdarstellungen von Planung und Bau des Gotthard-Strassentunnels, von politischen, sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhängen. Zum Baubeginn erschien ein Band, in dem das Projekt vorgestellt wurde.4 Zum Durchschlag des Sicherheitsstollens wurde eine Broschüre publiziert, 5 im Umfeld der Eröffnung erschienen ein Baustellentagebuch6 und ein Porträt des Tunnels.7 In der Fachpresse gab es zahlreiche technische Berichte. Die Autoren waren Vertreter der auftraggebenden staatlichen Behörden einerseits und solche der auftragnehmenden Konsortien und Ingenieurbüros andererseits. Mehrere Studien untersuchten die Verkehrsentwicklung nach der Eröffnung des Tunnels.8 Und schliesslich war der Gotthard-Strassentunnel immer wieder ein Aspekt in Büchern zu übergreifenden Gotthardthemen wie Verkehrspolitik, Volkswirtschaft oder Geschichte.9

Die Inbetriebnahme des Tunnels wurde zum nationalen Fernsehspektakel. «Beginn und Vollendung dieses Tunnels fallen in unterschiedliche Epochen schweizerischer Strassenbaupolitik», sagte Bundesrat Hans Hürlimann in seiner Ansprache, 10 «unbestrittene Dynamik hat anderen Erwägungen, Skepsis und Vorbehalten gegenüber Fortschritt und Verkehr Platz gemacht.» Hürlimann dachte dabei an die Hoffnung auf Freiheit und Aufschwung, die den Autobahnbau anfänglich begleitet hatte. Doch bei seiner Eröffnung wurde der Strassentunnel zum Symbol für Autolärm, Gestank und Staus in den Alpentälern. Er wurde zum Schauplatz einer veränderten Verkehrs- und Umweltpolitik. Der Gotthard-Strassentunnel entstand in einer Zeit des Übergangs, er steht für diese Zeitenwende.

II
45 Jahre Planung
Der erste Anlauf 1935

Der Kartonumschlag des Buches glänzt bräunlich und ist etwas abgegriffen. «ASTA» steht da in grossen Lettern – «Auto-Strassen-Tunnel durch die Alpen». Ein einziges Exemplar ist in der Bibliothek der Architekturakademie in Mendrisio erhalten. Die Schrift ist 41 Seiten lang und datiert vom 15. März 1935, nach dem Ersten und noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Es ist das erste Projekt zum Bau eines Gotthard-Strassentunnels.1 Verfasser waren der 1905 geborene ETH-Bauingenieur Eduard Gruner und sein Bruder Georg Gruner. Die grossen Handelswege hätten ohne Zweifel zu den wichtigsten Faktoren in der Entwicklung der Kultur gehört, schrieben sie: «Heute noch verdankt die Schweiz ihre wirtschaftliche Stellung als zentraler Verkehrsplatz unseres Kontinents weitgehend dem St. Gotthardübergang.» Die nördlichen und südlichen Nachbarländer hätten grosse Strassennetze bis an die Schweizer Grenzen gebaut. Diese Netze müssten nun zusammengeschlossen werden. Im Alpenraum bestünden die Brenner-Route, die von Frankreich und Italien propagierte Mont-Blanc-Route und die Gotthardroute durch die Schweiz. Es liege im volkswirtschaftlichen Interesse der Schweiz, dem Automobilverkehr einen ganzjährigen Alpenübergang zu bauen. Sonst drohe die Schweiz umfahren zu werden. Die Passstrassen in der Schweiz seien nur während dreier Monate im Jahr sicher befahrbar. Der Autoverlad am Gotthard bringe einen Zeitverlust von drei Stunden und koste 32.60 Franken für den Transport eines Autos mit Fahrgästen. Die einzige befriedigende Lösung sei der Bau eines Strassentunnels.

Die Gebrüder Gruner schlugen einen 15,1 Kilometer langen Strassentunnel zwischen Göschenen und Airolo vor. Sie planten sechs Ventilationsschächte, berechneten Saug- und Druckventilatoren, die sie auf eine Spitzenlast von 150 Fahrzeugen pro Stunde auslegten. Die Tunneleingangsstation in Göschenen sollte eine Tankstelle mit Reparaturwerkstätte und Garagen enthalten. Die Autoren veranschlagten für den Bau achtzig Millionen Franken. «Die jährliche Lohnsumme für Angestellte, Arbeiter und Hilfspersonal beträgt inkl. 6 % für Versicherung und 10 % für soziale Hilfe aufgerundet ca. 200 000 Franken.» Der Tunnel sollte durch eine private, eventuell halbstaatliche Gesellschaft betrieben werden, die ihr Kapital durch Tunnelgebühren von zwanzig Franken pro Fahrzeug verzinsen und amortisieren könnte. Eduard Gruner argumentierte mit dem ausserordentlich starken Wachstum des Strassenverkehrs. 1910 gab es in der Schweiz 7249 Motorfahrzeuge, 1930 waren es schon 17 Mal mehr, 124 676 nämlich. Gruner rechnete nach zwanzig Betriebsjahren mit 319 400 Fahrzeugen pro Jahr im Tunnel. Ein unbekannter Leser des Dokuments notierte neben Gruners Zahlen mit Rotstift: «vermutlich eine Null zu viel!». Der Kritiker hatte sich getäuscht. 2017 fuhren 6 469 291 Fahrzeuge durch den Strassentunnel.

Erstes Gotthard-Strassentunnelprojekt von Eduard und Georg Gruner im Jahr 1935: «Perspektivische Darstellung einer Tunneleingangsstation» mit Tankstelle, Werkstatt, Sonnenterrasse und Raststätte.

Doch damals, im Jahr 1939, gab es noch kaum Verkehrszahlen, auch nicht am Gotthard. Die Bahn verlud im Jahr 1937 9324 Wagen, das seien neun Mal weniger Fahrzeuge als von den Gebrüder Gruner angenommen, stellte ein Kritiker des Projekts fest.2 «Auch die Autoverkehrs-Bäume wachsen nicht in den Himmel, ja sogar: ihre Wachstums-Intensität nimmt derart ab, dass wir uns einem Sättigungspunkt nähern.» Der Sport- und Tourenwagenfahrer wolle immer neue Strecken nehmen, wolle über Pässe fahren und nicht durch Tunnel. Auch anderswo in den Schweizer Alpen entstanden Strassentunnelpläne. 1937 stellte das Ingenieurbüro Simmen & Hunger das erste Strassentunnelprojekt am San Bernardino vor.3 Gemäss einem Vorschlag von 1936 sollte einer der beiden Simplon-Bahntunnels für Autos geöffnet werden. Die Befürworter eines Mont-Blanc-Tunnels hofften auf 100 000 Wagen im Jahr, am Simplon sprach man von 150 000 zahlenden Autolenkern.4

Der Bundesrat dachte bei seiner Strassenplanung aber nicht an Verkehrszahlen, sondern an Arbeitslose. Der Ausbau der Alpenstrassen sollte Arbeitsplätze bieten für die notleidende Bergbevölkerung.5 Von den 105 000 Arbeitslosen im Jahr 1936 entfielen 50 000 auf das Baugewerbe, und auch dieses wollte der Bundesrat mit Strassenbauprojekten stützen. Darum wurde die Gotthardstrasse 1936 ausgebaut – die Kosten beliefen sich auf zehn Millionen Franken auf der Tessiner Seite und auf fünf Millionen im Kanton Uri.

Der zweite Anlauf 1938

Paul Hosch veröffentlichte 1938 das zweite Gotthard-Strassentunnelprojekt. «Der Gotthard Auto Tunnel, seine einfachste Lösung» lautete der Titel seiner sechzig Seiten langen Studie, die nicht nur in deutscher und französischer, sondern auch in italienischer und englischer Sprache publiziert wurde. «Die starke Betonung der Achse Rom–Berlin und die für die Schweiz wichtige Frage, Gotthard oder Brenner, stellt eine baldige Lösung deutlich in den Vordergrund. Obwohl jeder Alpenpaß zu seiner Untertunnelung ruft, steht der Gotthard an erster Stelle. Die gleichen Ueberlegungen, die seinerzeit zum Ausbau seines Saumpfades zur Straße und später zum Bau der Gotthardbahn und des Gotthardtunnels geführt haben, gelten heute immer noch und erst recht wieder. Er ist und bleibt der zentralste und daher wichtigste Alpenübergang.»6

Der Bau von Verkehrstunnels biete keine Schwierigkeiten mehr, einzig das in den Autoabgasen enthaltene Kohlenmonoxid sei gefährlich. Das Besondere an Hoschs Projekt: Der Bahntunnel sollte als Frischluftkanal dienen. «Die Einbeziehung des bestehenden Bahntunnels ist das Geheimnis der bedeutend kürzeren Erstellungszeit und Einsparung von rund der Hälfte der Erstellungskosten.» Der sofortige Bau des Strassentunnels sei eine nationale Pflicht: «Seiner Durchführung steht keine technische Schwierigkeit, aber die gewaltige Macht unserer Bahnen entgegen. […] Die Furcht, in die Belange der Schweizerischen Bundesbahnen einzugreifen, muß überwunden werden; sie gehören uns.» Bis im Jahr 1941 könne der Autotunnel eröffnet werden. Die Baukosten betrügen 48 Millionen Franken. Dank einer Durchfahrtsgebühr von 20 Franken werde der Tunnel zu einem Geschäft. Ein Risiko gebe es nicht. Jedes Zögern sei unbegründet. Hoschs Entwurf fand keine Zustimmung, nicht einmal bei Vertretern des Strassenverkehrs. Die Automobil-Revue nannte Hosch in einem Leitartikel einen «Reissbrett-Phantasten».7