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Alexander Fromm

ACID IST FERTIG Eine kleine Kulturgeschichte des LSD

Impressum Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN: 978-3-86408-214-6 (Print) // 978-3-86408-215-3 (Ebook) Coverillustration: Shutterstock/MastakA © Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2016 www.vergangenheitsverlag.de Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.

„Die Phantasie setzt die künftige Welt entweder in die Höhe, oder in die Tiefe. Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. — Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.“

Novalis: Blüthenstaub §16

~

„Durch alle Wesen reicht der eine Raum:

Weltinnenraum. Die Vögel fliegen still

durch uns hindurch. O, der ich wachsen will,

ich seh hinaus, und in mir wächst der Baum.“

Rainer Maria Rilke: Es winkt zu Fühlung fast aus allen Dingen

~

„Der Ausdruck ist gut gewählt, weil der Innenraum der Seele genauso unendlich und geheimnisvoll ist wie der äußere Weltraum und weil Kosmonauten des äußeren wie des inneren Weltraums nicht dort verbleiben können, sondern auf der Erde, ins Alltagsbewusstsein zurückkehren müssen.“

Albert H ofmann: LSD, mein Sorgenkind 1

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1943 Albert Hofmann: Wer hat’s erfunden?

1947 Delysid

1951 Ernst Jünger: Im Neuronengewitter

1959 Cary Grant: Das unsichtbare Dritte

1960 Ken Kesey: Trip or Treat

1962 Timothy Leary: Tune in, turn on, drop out

1963 The Doors: Slip Into Uncounsciousness

1965 The Beatles: I’d Love To Turn You On

1965 Robert Crumb: Keep On Truckin’!

1965 Grateful Dead: Can’t Come Down

1965 Pink Floyd: A Saucerful of Secrets

1965 Peter Fonda: A Lovely Sort of Death

1969 Bernward Vesper: Wohin die Reise geht

1970 Peter Green’s Fleetwood Mac: Oh Well!

1970 Acid + Sauerkraut = Krautrock

1971 Steve Jobs: Der Apfel der Erkenntnis

1972 Nina Hagen: Alles so schön bunt hier

1988 Beastie Boys: Pass The Mic To Yauch

1993 Die Fantastischen Vier: Tag am Meer

Beeinflusste Kunstwerke

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Einleitung

„LSD?“ werden einige verwundert die Augenbrauen heben. Ist das nicht die Droge, bei der die Menschen verrückt werden, aus dem Fenster springen und wenn sie Glück haben, hängen bleiben? „LSD!“ wird manch anderer denken und dabei verklärt an Hippies, Studentenrevolte und Woodstock denken. Dass man es mit einem Medikament zu tun hat, mit dem man einst Süchtige, psychisch Kranke und Depressionen behandelte, dürfte hingegen den wenigsten in den Sinn kommen.

Man taufte es Blue Cheer, Purple Haze, White Lightning oder einfach Acid. Die chymische Hochzeit von Lysergsäure und Diethylamin ergab Lysergsäurediäthylamid, kurz: Ell, Ess, Dee, drei Silben zwischen Himmel und Hölle, drei Buchstaben, die alles verändern. LSD wirkt direkt an der Schnittstelle zwischen Kultur und Natur, im Gehirn des Menschen. „Es gibt kaum einen anderen Wirkstoff von so weit reichendem kulturellen und gesellschaftlichen Einfluss wie Lysergsäurediäthylamid. Psychiater, Psychologen, Verhaltensforscher, Theologen, Philosophen, Maler, Schriftsteller und Musiker bedienten sich der bewusstseinsverändernden Droge, die ihre Bedeutung bis heute nicht verloren hat“, so Prof. Dr. Peter Nuhn von der Universität Halle.2

Ein Zeugnis psychedelischer Kunst dürfte hierzulande jeder kennen: das Intro des öffentlich-rechtlichen Sonntagskrimis Tatort. Untermalt von hektischen Jazzrhythmen flüchtet der große Unbekannte, Sinnbild des Verbrechers, seit 1970 in eine enger werdende Spirale der Ausweglosigkeit. Der ARD-Brennpunkt bedient sich mit seiner Auftaktmelodie ebenfalls aus dem psychedelischen Klangarchiv; seit 1971 lenkt man mit Pink Floyds „Astronomy Domine“ die Aufmerksamkeit der Deutschen vom Abendbrottisch auf die Mattscheibe. Ein drittes Beispiel: das entspannt daherkommende Lied „Tag am Meer“ von den Fantastischen Vier schildert – heute wissen wir es – einen LSD-Rausch.

Unter den prominenten LSD-Astronauten versammeln sich illustre Namen wie Ernst Jünger, Cary Grant, Allen Ginsberg, Bob Dylan, Leonard Cohen, Jimi Hendrix, Carlos Santana, Jack Nicholson, Keith Haring, Lemmy Kilmister, Steve Jobs. Auch der Neuropsychologe Oliver Sacks, die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff und sogar Erich Honeckers Enkel, Roberto Yáñez Betancourt y Honecker, machten ihren LSD-Gebrauch publik. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Bekanntlich macht die Dosis, dass etwas nicht Gift ist. Beim Alkohol liegt die Grenze irgendwo zwischen Bier und Schnaps. LSD hingegen ist schnell überdosiert und schmal der Grad, der Brian Jones von Keith Richards und Syd Barrett von Roger Waters trennt. Dennoch ist die Substanz erstaunlich verträglich, denn bisher ist niemand an einer Überdosis LSD gestorben. Eine Wirkung gibt es schon ab 20 Mikrogramm (zur Vorstellung: 1 Gramm sind 1.000 Milligramm sind 1.000.000 Mikrogramm – genug, um 10.000 Artgenossen zu entrücken).

Ursprünglich ein legales Mittel zur Behandlung von Alkoholismus (beispielsweise in der Tschechoslowakei, die bis 1974 eigenes LSD produzierte) verließ die Substanz, die mystische Erlebnisse, ein geschärftes Bewusstsein und tiefer gehende Selbsterkenntnis versprach, die Kliniken und Krankenhäuser und wurde zum Treibstoff der Hippiebewegung. Bald gehörte es zum guten Ton, experienced, also LSD-erfahren, zu sein. Der Musiker Kim Fowley machte sich bereits 1966 seinen Reim darauf: „Let’s take a trip, it’s really hip.“ In den USA, wo LSD buchstäblich in aller Munde war, wurden ab 1966 erste Verbote verhängt. Auf Betreiben der Vereinigten Staaten verfügten die Vereinten Nationen ab 1971 eine weltweite Ächtung der Wunderdroge. Aus Medikamentenmissbrauch wurde plötzlich Drogenmissbrauch. Das Verbot war umfassend, der zuvor tausendfach bestätigte Nutzen bei therapeutischer Verwendung wurde aus politischen Gründen ignoriert. Die globale Prohibition hält bis heute an. Dies schreckte aber bekanntlich viele Menschen nicht ab. Durch das Verbot wurde LSD zeitweise nur noch hipper, verboten hip.

Befeuert wurde der Hype durch Pophits, die auf LSD anspielten. In „My Friend Jack“ schwärmten The Smoke ganz offensichtlich von ihrem Dealer, der präparierte Zuckerwürfel unters Volk bringt: „On the West Coast he’s real famous, kids all call him Sugarman.“ Damit schaffte es die britische Band 1967 bis auf Platz 2 der westdeutschen Hitparade. Mit Nancy Sinatra wurde LSD sogar Teil des Easy Listening und erreichte als leicht verdauliche Fahrstuhlmusik und Supermarktbeschallung ein größeres Publikum als alle psychedelischen Rockbands zusammen. Die Tochter von Frank Sinatra schwärmte von Sugar Town (Platz 5 in USA), wo Probleme verschwinden und immer die Sonne scheint. In der Popnummer „In Our Time“ wird sie hingegen ironisch: „Holding hands in the Louvre / some take trips and never move…“

Psychedelische Kunst ist der Versuch, das LSD-Erleben zu verarbeiten. Auf diese Weise hat Lysergsäurediäthylamid mannigfaltige Spuren in der westlichen Kultur hinterlassen. Die Macht der Droge, die Welt fortan mit anderen Augen zu betrachten, wirkte als Ideen-Katalysator und führte besonders in der Musik zur Entstehung vieler neuer Stilrichtungen. Bei einigen steckt es im Namen – Acid Rock, Acid House, Acid Jazz – bei anderen muss man nachforschen. Folk Rock, Raga Rock, Latin Rock und Krautrock entstanden infolge künstlerisch ambitionierter Hochdosierung. Auch dem Roman „Einer flog über das Kuckucksnest“, dem Konzeptalbum „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“, der Rockoper „Tommy“ (mit Tina Turner als Acid Queen) und der Computermaus gingen LSD-Erfahrungen voraus. Mit der Ankunft von „Easy Rider“ und weiteren Filmen des New Hollywood erlebte das Kino eine Wiedergeburt.

Das Besondere am LSD ist die Tatsache, dass uns der Name des ersten Konsumenten als auch der Ort, die Uhrzeit und die Umstände des ersten Lyserg-Rausches überliefert sind. Von welcher Droge lässt sich das noch behaupten.

Berlin im Mai 2016

Die Vierziger.
1943 Albert Hofmann: Wer hat’s erfunden?

Die Geschichte des LSD ist wie die Substanz selbst von extremen Gegensätzen gekennzeichnet. Der Treibstoff der Friedensbewegung ist ein Produkt der Kriegszeit. Ausgerechnet ein akkurater Chemiker und dreifacher Familienvater aus der Schweiz, Sinnbild der Gewissenhaftigkeit, synthetisierte das Lebenselixier der Gegenkultur zum ersten Mal. Obwohl er systematisch vorging, wurde LSD eine Zufallsentdeckung. Und: der erste LSD-Trip der Weltgeschichte fand während der Arbeitszeit statt.

Albert Hofmann ist sowohl der Erfinder als auch der Entdecker des LSD, denn er synthetisierte Lysergsäurediäthylamid als erster 1938 und entdeckte fünf Jahre später die einzigartige Wirkung an seiner eigenen Psyche. Hofmann war damals Forschungschemiker in den pharmazeutischen Laboratorien der Sandoz AG in Basel. Interessiert war er besonders an therapeutischen Wirkungen von Arzneipflanzen. Im Rahmen seiner Forschungen stieß er auf das Mutterkorn (Claviceps purpurea), einen parasitären Pilz, der Getreide und Wildgräser befällt. Der Pilz schmarotzt auf den Ähren und durchdringt mit seinem Myzel einzelne Getreidekörner, um in dem dadurch entstandenen Zapfen – dem Mutterkorn – bis zur nächsten Vegetationsperiode zu überdauern. Die Zapfen sind nicht ungiftig. Im Mittelalter führte durch Mutterkorn verunreinigtes Mehl immer mal wieder zu fatalen Massenvergiftungen. Beim sogenannten Muttergottesbrand oder auch St.-Antoniusfeuer wird die Durchblutung eingeschränkt, bis einzelne Gliedmaßen ganz oder teilweise absterben (Gangrän). Dennoch wurde Mutterkorn aufgrund seiner Wehen auslösenden Wirkung als Heilmittel in der Geburtshilfe eingesetzt. Daher der Name.

Grundbaustein aller Mutterkornalkaloide ist Lysergsäure, eine leicht zersetzliche Substanz, aus der Hofmann mehrere Verbindungen synthetisierte. Ergobasin, die erste Lysersäureverbindung, ist ein Gebärmutter-kontrahierender und blutstillender Stoff, der unter dem Markennamen Methergin in den Handel gelangte. Inspiriert durch das strukturell ähnliche Nikotinsäurediäthylamid synthetisierte Albert Hofmann am 16. November 1938 erstmals Lysergsäurediäthylamid. Da es die 25. Verbindung in der Laborreihe war, nannte er es kurz LSD-25. Die neue Substanz musste anschließend von der pharmakologischen Abteilung in Tierversuchen getestet werden, doch die Versuchstiere reagierten nicht wie erwünscht. Ein erhoffter Einsatz als Kreislauf- und Atmungsstimulanz erfüllte sich somit nicht und Hofmann widmete sich anderen Verbindungen.

Im Frühjahr 1943, inmitten des Krieges, entschied sich Albert Hofmann aus einem „Bauchgefühl“ heraus, wie er später sagte, das Lysergsäurediäthylamid erneut zu testen. Bei der Arbeit im Labor bemerkte der Chemiker plötzlich eine veränderte Wahrnehmung, die er sich zunächst nicht erklären konnte. Im Nachhinein vermutete er, dass sein Körper durch unsauberes Arbeiten ein wenig Lysergsäurediäthylamid über die Haut aufgenommen habe. Erst dieser Serendipität verdanken wir die Kenntnis von der bewusstseinsverändernden Wirkung des LSD. Den ersten LSD-Trip der Weltgeschichte hat Hofmann im Bericht an seinen Vorgesetzten, Prof. Dr. Arthur Stoll, so festgehalten:

„Vergangenen Freitag, 16. April 1943, musste ich mitten am Nachmittag meine Arbeit im Laboratorium unterbrechen und mich nach Hause begeben, da ich von einer merkwürdigen Unruhe, verbunden mit einem leichten Schwindelgefühl, befallen wurde. Zu Hause legte ich mich nieder und versank in einen nicht unangenehmen rauschartigen Zustand, der sich durch eine äußerst angeregte Phantasie kennzeichnete. Im Dämmerzustand bei geschlossenen Augen - das Tageslicht empfand ich als unangenehm grell - drangen ununterbrochen phantastische Bilder von außerordentlicher Plastizität und mit intensivem, kaleidoskopartigem Farbenspiel auf mich ein. Nach etwa zwei Stunden verflüchtigte sich diese Zustand.“3

Um sich seiner Beobachtungen zu vergewissern, unternahm Albert Hofmann am Montag darauf einen gezielten Selbstversuch. Am Nachmittag des 19. April 1943 trank er 250 Mikrogramm in Wasser aufgelöstes Lysergsäurediäthylamid-Tartrat. Hofmann hielt diese Menge, ein Viertel eines Tausendstelgramms, für die kleinste wirksame Dosis. Er verschätzte sich jedoch um ein Vielfaches. Wie man heute weiß, liegt die wirksame Dosis bereits bei 20 Mikrogramm. Was der pflichtbewusste Chemiker parallel in seinem Laborjournal notierte, war der Auftakt zu einem LSD-Horrortrip, der hauptsächlich von der Angst vor dem Unbekannten gespeist wurde:

„17:00 Uhr: Beginnender Schwindel, Angstgefühl. Sehstörungen. Lähmungen, Lachreiz.“

Erschwerend kommt hinzu, dass ihm verständliches Sprechen schwerfällt. Als dem 37-jährigen alles zu viel wird, verlässt er das sterile Labor, um es gegen die vertrautere Umgebung seines Zuhauses einzutauschen. Seine Assistentin, die im Bilde ist, begleitet ihn. Man fährt mit dem Rad. Der Familienvater wird so stark vom Wunsch nach Heimkehr angetrieben, dass er das Gefühl hat, nicht vom Fleck zu kommen. Doch so sehr er auch in die Pedale tritt, er ist zu langsam. Die Assistentin versicherte hingegen, dass beide sehr schnell unterwegs seien. Der 19. April 1943, auch der Beginn des Aufstands im Warschauer Ghetto, wird deshalb in der psychedelischen Popkultur als Bicycle Day zelebriert. Die eingenommene Menge von 250 Mikrogramm gilt seitdem als Referenzdosis für einen heftigen Trip.

Zwischen 18 und 20 Uhr durchlitt Hofmann etwas, das er in seinem Nachtrag vom 21. April als „schwerste Krise“ bezeichnete. Zum verzerrten Zeit- und Raumempfinden gesellen sich typische Symptome eines Horrortrips: Halluzinationen, Vergiftungsangst, das Gefühl wahnsinnig zu werden, Todesangst, eine außerkörperliche Erfahrung, die Ich-Auflösung. Alles Effekte, die später noch bedeutsam werden sollen.

Die Welt gerät aus den Fugen. Eine hilfsbereite Nachbarin, die ihm eiligst die verlangte Milch vorbeibringt, von der Hofmann im Verlauf des Abends mehr als zwei Liter trinken wird, erscheint ihm als „bösartige, heimtückische Hexe mit einer farbigen Fratze“. Die Todesangst wird vor allem von Ratlosigkeit befeuert. Hoffmann hatte in durchaus üblicher Tradition einen verantwortungsvollen Selbstversuch mit einer Minimaldosis gestartet und fühlte sich nun trotz aller Vorsicht dem Tode nah: „Lag ich im Sterben? War das der Übergang? Sterbend ohne Abschied von meiner Familie. Ob sie jemals verstehen würde, dass ich nicht leichtsinnig, verantwortungslos, sondern äußerst vorsichtig experimentiert hatte und dass ein solcher Ausgang in keiner Weise vorauszusehen war?“4

Als der herbeigerufene Hausarzt eintritt, ist das Schlimmste bereits durchgestanden. Bis auf extrem geweitete Pupillen kann der ratlose Mediziner keine anormalen, körperlichen Symptome feststellen. Der Horrortrip wandelte sich schon in das, was dereinst die Hippies locken wird. Im verdunkelten Schlafzimmer liegend durchströmen Hofmann Gefühle von Glück und Dankbarkeit. Er genießt Kreise, Spiralen und kaleidoskopische Farbfontänen, die vor seinen Augen tanzen.

Am nächsten Tag fühlt sich Albert Hofmann merkwürdig erfrischt, die Welt erscheint ihm „wie neu erschaffen“. Alles glänzt in einem anderen, einem helleren Licht, und das Frühstück schmeckt ausgezeichnet. Keine Spur von einem Kater. Das, konstatiert der Chemiker nüchtern, muss am LSD liegen.

Der LSD-Erfinder erkennt in dem Stoff, der bereits im Mikrogrammbereich wirkt, medizinisches Potenzial und setzt auf das Interesse der Pharmakologen, Neurologen und Psychiater. Eine wie auch immer geartete Drogenszene kam ihm allerdings nicht in den Sinn: „Ich habe mir nach meinen ersten Erfahrungen nie vorstellen können, dass LSD jemals auf die Straße gelangen würde. LSD ist ja wirklich kein Genussmittel. Es ist eine Art Konfrontation mit seinem eigenen Unterbewusstsein. Das können auch sehr unangenehme Inhalte sein, schreckliche Erlebnisse. Himmel und Hölle, wie Huxley das bezeichnet hat.“

Hofmann verfasste einen ausführlichen Bericht, der bei den Vorgesetzten großes Erstaunen hervorrief. Stimmten denn die Gewichtsangaben? Das Lysergsäurediäthylamid wurde erneut in der pharmakologischen Abteilung getestet, diesmal jedoch nicht an Versuchstieren sondern vom Chef höchstpersönlich. Professor Ernst Rothlin und zwei seiner Mitarbeiter waren die ersten, die Hofmanns Tropfen probierten. Auch bei ihnen traten bewusstseinsverzerrende Wirkungen auf, trotz wesentlich geringer Dosis. Eindeutig, diese Substanz musste weiter untersucht werden!

1947 Delysid

Nach diesen Selbstversuchen gab es in der pharmakologischen Abteilung weitere neue Testreihen. Bevor eine Substanz, wie von Hofmann vorgeschlagen, in der Psychiatrie direkt am Menschen angewendet werden durfte, musste sie in Tierversuchen auf ihre Giftigkeit und Nebenwirkungen hin geprüft werden. Bei den Tests stellte sich heraus, dass auch Tiere nach der Verabreichung hoher Dosen ein ungewöhnliches Verhalten an den Tag legten. Einige Beispiele: Eine intoxifizierte Katze fürchtete sich plötzlich vor Mäusen (und wahrscheinlich auch vor allem anderen). Spinnen webten bei niedriger Dosierung ihre Netze regelmäßiger und filigraner als gewöhnlich; bei steigender Dosis kippte diese Fähigkeit jedoch dramatisch, und die Spinnweben wurden fahrig und blieben oft unfertig.

Einen aufschlussreichen Hinweis auf ein zukünftiges Zusammenleben mit LSD-Berauschten lieferte eine Käfiggemeinschaft von Menschenaffen. Während bei dem intoxifizierten Schimpansen selbst keinerlei Verhaltensänderung feststellbar war, befand sich der nüchterne Rest der Sippe in heller Aufruhr. Hier liegt die Vermutung nahe, dass sich der Affe nicht der Hierarchie entsprechend verhielt und auf LSD permanent gegen die ausbalanzierte Sippenordnung verstieß. Ähnlich gestaltete es sich später mit den Hippies.

Die Tests ergaben ein optimistisches Bild. Obwohl die wirksame Dosis von LSD außerordentlich niedrig liegt, wurden Überdosierungen körperlich ungewöhnlich gut vertragen. LSD gilt als relativ ungiftig, denn bisher gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass Menschen aufgrund einer Überdosis an LSD gestorben sind. Anders verhält es sich mit einer „psychischen Vergiftung“. Hierbei kann es durchaus zu Unfällen und Verwirrtheitszuständen mit tödlicher Folge kommen.

Darüber hinaus bildet sich rasch eine Toleranz, was bedeutet, dass LSD zu keiner körperlichen Abhängigkeit führen kann, da die Wirkung bei steter Einnahme rapide nachlässt. Nach drei Tagen Dauergebrauch löst das LSD keinerlei Reaktionen mehr aus. Daher kommt LSD zwar als Rauschsubstanz in Betracht, aber niemals als Suchtdroge. LSD-Junkies sind demnach eine rein sprachliche Konstruktion, ohne Entsprechung in der Wirklichkeit.

Nach Beendigung der Tierversuche wurde der neue Wirkstoff erstmals in der psychiatrischen Klinik der Universität Zürich systematisch am Menschen getestet. Die Versuchsreihe fand unter der Aufsicht von Dr. Werner Stoll statt, Sohn des Sandoz-Chefs Arthur Stoll. Die Versuchsgruppe bestand sowohl aus gesunden Probanden als auch aus schizophrenen Patienten. Die Einbeziehung von Schizophrenen erfolgte mit der Überlegung, dass der LSD-Rausch, der einem psychotischen Schub ähnele, künftig zum Verständnis oder gar zur Heilung dieser Erkrankung beitragen könnte.

Die verabreichte Dosis war deutlich niedriger angesetzt als die Hofmann-Dosis und changierte zwischen 20 und 130 Mikrogramm. Die Testreihe war weit entfernt vom heutigen Standard einer Doppelblindstudie, bei der weder Versuchsleiter noch Patienten wissen, ob sie ein Placebo oder ein wirksames Medikament erhalten. Ebenfalls unüblich ist heutzutage die Praxis, dass der zuständige Arzt die neue Substanz am eigenen Leib ausprobiert. Werner Stolls Selbstversuch von 1947 mit 60 Mikrogramm LSD-Tartrat wurde der erste publizierte Trip eines Psychiaters. Nach den Chemikern Hofmann und Rothlin, die eher am Aufbau und der Wirkungsweise von Molekülen interessiert waren, äußerte sich erstmals ein Fachmann der menschlichen Psyche zum LSD-Rausch.

Der Rausch entwickelte sich für Werner Stoll zur emotionalen Achterbahnfahrt, die zwischen Euphorie und Depression oszillierte. Es zeigten sich sowohl Ansätze von Glückseligkeit als auch zum Horrortrip. Bilder vom Vortag, aber auch aus früherer Vergangenheit, gelangten ins Bewusstsein. Diese Fähigkeit des LSD, vergessene oder gar verdrängte Inhalte abzurufen, wird bald das Interesse von Psychoanalytikern wecken. Bemerkenswert bei der Beschreibung seines Rausches ist der Rückgriff auf Elemente der klassischen Bildung:

„Ich fühlte mich eins mit allen Romantikern und Phantastikern, dachte an E. T. A. Hoffmann, sah den Malstrom Poes, schwelgte in den Farben des Isenheimer Altars; ich dachte an abstrakte Bilder, die ich mit einem Mal zu begreifen schien.“5

Obwohl LSD eine völlig neue, künstliche Substanz war, die in der Natur so nicht vorkam, existierten bereits Erfahrungen mit ähnlichen Alkaloiden, die allerdings in der Natur vorkamen. Eines davon war das im Peyotekaktus enthaltene Meskalin, das bei den Indianern in Mexiko und im Süden der USA als sakrale Droge im religiös-medizinischen Kontext eingenommen wird. Mehrere deutsche Chemiker hatten dazu wertvolle Vorarbeit geleistet. Der Berliner Pharmakologe Louis Lewin untersuchte den Kaktus bereits 1886. Aufgrund der halluzinogenen Wirkung hatte Lewin den Peyotl in die eigens geschaffenen Kategorie „Phantastika“ eingeordnet. Arthur Heffter gelang es 1896, aus dem Peyotekaktus das wirksame Prinzip Meskalin zu isolieren. Ernst Späth konnte 1919 Meskalin in seiner chemischen Struktur auflösen und synthetisch herstellen. Damit war man nicht mehr auf die unsichere Ernte von Wüstenkakteen angewiesen.

Psychologen, Psychiater und Neurologen experimentierten mit Meskalin und entwickelten das Konzept einer Modellpsychose. Da bereits winzige Mengen Meskalin ausreichten, um im Körper eine radikale Veränderung der Wahrnehmung hervorzurufen, glaubte man, dass durch eine noch unbekannte körpereigene Substanz in ähnlicher Weise Schizophrenie ausgelöst werde könne. Durch die Einnahme von Meskalin hoffte der Therapeut in sich eine temporäre Psychose auszulösen, um mit dem Schizophrenen auf Augenhöhe zu stehen und Einblicke in dessen Welt zu erhalten.

Auch Künstler und Intellektuelle versuchten sich an dem Phantasticum, um durch den Perspektivenwechsel neue Einblicke in die Realität zu erhaschen. Schriftsteller wie Ernst Jünger und Aldous Huxley nahmen Meskalin, lange bevor sie LSD probierten.

Ende der 1950er trat eine weitere Substanz hinzu, die ebenso wie LSD aus einem Pilz gewonnen wurde. Eine Zeitungsnotiz machte 1956 Albert Hofmann auf einen Pilz aufmerksam, der von den Indianern Mexikos im Rahmen ritueller Zeremonien verspeist wurde und im Anschluss Visionen und Halluzinationen erzeugte. Ebenso wie Peyotl ist der Teonanacatl genannte Pilz den Indios heilig. 1957 gelang Hofmann in Basel die Identifikation und Isolation der wirksamen Bestandteile Psilocybin und Psilocin. Die Substanzen gehören wie LSD zu den Indolverbindungen und ähneln dem körpereigenen Botenstoff Serotonin.

Sechs Jahre nach der Entdeckung der psychischen Effekte brachte der Sandoz-Konzern LSD-25 unter dem Markennamen Delysid in den Handel. Delysid gelangte nicht in den freien Verkauf, konnte aber als Versuchspräparat von Forschungsinstituten und Ärzten bei Sandoz beantragt und kostenlos bezogen werden. Damit begannen die Versuche am Menschen im globalen Maßstab. Die Vorgehensweise mag heutzutage befremdlich wirken, aber angesichts parallel durchgeführter Insulinschocktherapie, hochdosierter Elektroschocks, Deprivation und Lobotomie, für deren Erfindung António Egas Moniz sogar den Medizinnobelpreis erhielt, kann diese Experimentierfreudigkeit durchaus nicht als ungewöhnlich angesehen werden.

Delysid gab es in fester Form als Dragée à 25 Mikrogramm oder als Flüssigkeit in der Ampulle à 100 Mikrogramm. Dragées haben den Vorteil der eindeutigen Dosierbarkeit, während Tropfen gut in anderen Flüssigkeiten verdünnt werden können. Delysid warb mit folgenden Eigenschaften: Es erzeuge „vorübergehende Affektstörungen, Halluzinationen und Depersonalisationserscheinungen“, was zu einer Lockerung oder gar Aufhebung der Ich-Du-Schranke führen kann. Das sollte vor allem den Patienten helfen Kontakt zu ihrem Therapeuten aufzubauen, die in einem ich-bezogenen Problempanzer eingesperrt lebten. Außerdem führte Delysid zum „Bewusstwerden verdrängter Erlebnisse“ und erleichterte die anschließende Integration des Erlebten.

Laut Beipackzettel war Delysid explizit für zwei Personengruppen gedacht. Einmal für die Patienten, „zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie, besonders bei Angst- und Zwangsneurosen.“ Zum anderen für Ärzte und Therapeuten, um an sich selbst „experimentelle Untersuchungen über das Wesen der Psychosen“ durchzuführen und „Einblicke in die Ideenwelt des Geisteskranken“ zu gewinnen. Da die Betroffenen sich auf LSD in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, folgte unten fett gedruckt der Hinweis, solange das Medikament wirke, sei eine fachärztliche Überwachung vonnöten. Kein Zweifel, der Geist war aus der Flasche.

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