Czytaj książkę: «Irrsinn regiert oder Die Volksmusik-Gesellschaft», strona 2

Czcionka:

»Was ist denn so anstößig an dem neuen Schwerpunkt?« fragte Janis Hauer interessiert.

»Ja, eben gar nichts! Das Berufliche Gymnasium Beauty & Bodyforming war eine großartige Idee des Kollegen Lewsky. Er hat auch große Teile der Lehrpläne und des didaktischen Konzepts selbst geschrieben. Und wir sind als Schule endlich attraktiv für Schülerinnen geworden! Frau von Ahlen meinte hingegen, das neue Berufliche Gymnasium sei reiner Sexismus, wie auch der ganze Unterricht von Herrn Lewsky, in dem sich ein, ich zitiere, ›machohaftes Frauenbild‹ widerspiegele. Und das, obwohl sich knapp 90 Prozent Mädchen dafür anmelden! Und wir haben unglaublich viele Partner aus der Wirtschaft gewonnen. Der Sportunterricht zum Beispiel findet unter anderem im Fitnessstudio oder im Solarium statt! So etwas hätte es früher doch nie gegeben!«

»Ah ja, ich glaube, ich habe davon gehört«, warf Hauer ein. »Eine tolle Sache …«

Die Hauptkommissarin schüttelte unwillkürlich leicht den Kopf über ihren Kollegen. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Einmann stand auf und öffnete diese vorsichtig. Faber vernahm die unverwechselbare Stimme Marko Gellers, der dann mit dem stellvertretenden Schulleiter das Büro betrat.

»Frau Schindler, Herr Einmann, das ist mein Kollege Herr Geller«, stellte Friederike diesen vor. »Was gibt es Neues, Marko?«

»Erstmal sorry«, meinte dieser, »ich habe voll lang hierher gebraucht, weil da vorn im Seki keiner is. Hab mich also durchgesucht. So, jetzt aber: Also die KTU ist noch am Werkeln. Der neue Muslim-Fritze da meinte, vor morgen könnte man nichts wirklich sagen. Wahrscheinlich rutscht der Typ einfach zu oft über den Teppich, um schneller zu sein …«

Friederike stöhnte innerlich einmal mehr auf wegen der Ausdrucksweise Gellers. Schindler und Einmann schauten den Polizisten eher verständnislos an, was Faber hoffen lies, dass sie die rassistischen Kommentare über den Kollegen von der KTU nicht wirklich verstanden hatten. Marko Gellers nächste Aktion wirkte auf den ersten Blick aber noch schlimmer: Er zog einen Gegenstand aus seiner Jackentasche, den man mit etwas Phantasie für eine Art schwarzen Massagestab halten konnte und hielt ihn seiner Vorgesetzten direkt vor das Gesicht.

»Schaut mal hier: Das Teil habe ich aus dem Schrank von der von Ahlen mitgenommen!«

Friederike starrte auf den Gegenstand, den Geller nun wegzog und damit eifrig schüttelnde Bewegungen mit seiner rechten Hand ausführte.

»Das hatte die Tote konfisziert, ist so ein endgeiler Tipp-Ex-Spender! Hab ihn gleich als Beweisstück mitgenommen.«

Da sich die Hauptkommissarin immer noch nicht gefasst hatte und ihren Kollegen, der immer noch den Tipp-Ex-Spender heftig schüttelte, irritiert anblickte, stellte Janis Hauer die naheliegende Frage an die Direktorin: »Könnten Sie vielleicht ein wenig Kontext herstellen, Frau Schindler?«

»Natürlich kann ich das«, antwortete diese. »Junger Mann, könnten Sie vielleicht mit dieser fürchterlichen Handbewegung aufhören?«

Marko Geller stoppte tatsächlich und betrachtete den Gegenstand in seiner Hand nachdenklich. Denn setzte er sich und legte den Spender vor sich auf den Tisch.

»Ich wollte euch aber eigentlich noch zeigen, wie das Zeug da rauskommt«, meinte er enttäuscht. »Das ist echt der Hammer

»Marko, bitte …«, sagte Friederike langsam. Sie sah die Direktorin erwartend an.

»Gut«, begann Frau Schindler, »dieses Ding dort und andere Variationen sind momentan der letzte Schrei unter den Schülern. Diesen Korrekturflüssigkeit-Spender testet der Hersteller exklusiv hier an der Schule für eine mögliche Markteinführung. Interessanterweise ging die Idee dazu aus dem Unterricht des Kollegen Lewsky hervor. Er hat dann einen Partner aus der freien Wirtschaft gefunden, der das Ganze offenbar produzieren und vermarkten will, die Firma Andromeda. Es ist noch unklar, ob und wann das Produkt als Bürobedarf vertrieben werden soll. Soweit ich informiert bin, gibt es drei verschiedene Typen des Spenders. Sie«, die Direktorin deutete auf Marko Geller, »haben ja demonstriert, wie man das Gerät benutzt, zumindest im Ansatz. Nach dem Schütteln muss man die Korrekturflüssigkeit auf das Papier herausdrücken. So, aber nun zu dem, was Sie interessieren wird: Frau von Ahlen bezeichnete das Ganze polemisch als ›Wichs-Ex‹ und führte unter Einschaltung sogar der überregionalen Presse eine regelrechte Schlacht gegen die Verwendung des Spenders.«

»Soweit ich mich erinnere, gab es doch ein Bild in der Zeitung, wo man ein kleines Mädchen mit so einem Gegenstand in der Hand sah«, warf Janis Hauer ein.

»Genau«, rief Frau Schindler aus. »Und es war reichlich perfide einen Bürobedarfsartikel als ›Massagestab‹ zu bezeichnen! Ferner wurde durch das Bild suggeriert, als würden unsere Schülerinnen und Schüler so jung sein, was ja gar nicht stimmt. Und auch unser Schulname wurde dabei immer wieder genannt. Zwar meinte Herr Lewsky, der bei uns für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, das würde die Bekanntheit unserer Schule nur steigern und den Namen als ›Marke‹ weiter bekannt machen, aber ich bin ein wenig skeptisch, wenngleich ich von Marketing nicht so viel verstehe wie er. Außerdem wird die Schule bald umbenannt werden, da wir mit der Schule für Ernährung fusionieren, so dass diese ›Marke‹ dann sowieso verschwindet. Ach was soll es …«, Frau Schindler war plötzlich sichtlich mit den Nerven am Ende und sie redete sich richtig in Rage:

»Sehen Sie: Ich bin hier bald nicht mehr in der Verantwortung. Nächsten Monat fange ich im Kultusministerium an. Und das ist auch gut so! Sie glauben gar nicht, was ich hier alles erleben oder erleiden darf! Da muss ich mich in aller Öffentlichkeit entschuldigen, weil unsere Schulband so besoffen ist, dass der Sänger bei der Weihnachtsfeier von der Bühne stürzt und dabei fast auf dem Staatssekretär landet. Da muss ich mich entschuldigen, dass mal wieder die falsche Person befördert wird. Ich muss mich entschuldigen und mit der Presse herumschlagen, da dieser angeblich perverse Korrekturflüssigkeit-Spender hier ausgetestet wird. Und … Ach, ich habe es endgültig satt, für alles den Kopf hinzuhalten!«

Schindler atmete kurz durch. Dann fasste sie sich und fügte hinzu:

»Wenn Sie also schon unbedingt Verdächtige suchen müssen, dann fangen Sie bei den Beförderungsgierigen an und suchen Sie gegebenenfalls bei der Anti-Gender-Fraktion weiter …«

Sie verstummte plötzlich und blickte indigniert auf den Besprechungstisch.

»Igitt! Jetzt ist das schon wieder passiert«, meinte ihr Stellvertreter, während sich eine weiße Flüssigkeit langsam immer mehr um den Korrekturflüssigkeit-Spender herum ausbreitete.

Lehrpersonenkonferenz

Die Turnhalle der Hjalmar-Schacht-Schule war so sehr mit Lehrkräften bevölkert, dass es Friederike Faber kaum schaffte, sich in die letzte Reihe der aufgestellten Stühle durchzuzwängen. Wie Herr Einmann der Hauptkommissarin telefonisch mitgeteilt hatte, musste die Konferenz an diesem ungewöhnlichen Ort stattfinden, da die Aula der Schule durch einen Wasserschaden seit einem halben Jahr unbenutzbar war. Friederike hatte dem hörbar beunruhigten Stellvertreter der Direktorin zuvor mitgeteilt, dass sich die Polizei veranlasst sehe, den Fall des Todes von Frau von Ahlen weiter als potentiellen Mordfall zu untersuchen und dass sie am morgigen Tag Befragungen von Kollegen der Verstorbenen durchführen wolle. Für die Konferenz hatte sich Faber angekündigt, um Personen zu notieren, die sie zu befragen gedachte.

Während Friederike sich endlich auf einen engen Platz quetschte und die bebilderte Namensliste der Lehrer aus ihrer Handtasche heraussuchte, dachte sie an die Wohnungsbegehung bei der Verstorbenen am heutigen Morgen.

In Henrietta von Ahlens Dreizimmer-Wohnung in der Franz-Kafka-Straße herrschte ein solches Chaos, dass Janis Hauer zunächst davon ausging, jemand sei eingebrochen. Auch der Hausverwalter, welcher den Polizisten die Tür öffnete, äußerte diese Vermutung. Die reichlich vorhandenen Wertgegenstände führten aber dazu, diesen Verdacht schließlich zu zerstreuen.

Auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer fand sich neben einem exorbitant hohen Stapel Klassenarbeiten eine vielseitige handschriftliche Ausarbeitung der Lehrerin zum Thema Feministische Meisterinnenwerke auf der ›Documenta‹. Von Ahlen versuchte darin zu belegen, dass »eben das gesellschaftliche Geschlecht entscheidend für das geschaffene Kunstwerk« sei.

»Was für ein dämliches Geschwafel«, beurteilte Marko Geller den Aufsatz der Verstorbenen nach kurzem Lesen.

Die weitere Durchsuchung der Wohnung brachte keine neuen Erkenntnisse, insbesondere fand sich kein Abschiedsbrief. Die Tatsache, dass Henrietta von Ahlen etwas mehr als eintausend feministische Werke aber kein einziges Schulbuch in ihrer Bibliothek verwahrte, irritierte die Hauptkommissarin ein wenig. Sie ließ gegen Mittag ihre Kollegen zurück und machte sich auf zur Hjalmar-Schacht-Schule. Durch einen kurzen Anruf im Präsidium erfuhr sie, dass man immer noch nach den Angehörigen von Ahlens suchte – die Schule hatte sich diesbezüglich auch als keine nützliche Informationsquelle erwiesen.

»Gut. Dann wollen wir mal«, hörte Friederike Frau Schindlers Stimme in diesem Moment durch die Lautsprecher ertönen. Eine technisch begabte Lehrerin hatte es endlich geschafft, die Powerpoint-Präsentation zu starten, nachdem verschiedene Mitglieder der Schulleitung daran gescheitert waren.

Lustlos nahmen drei Lehrer direkt vor der Polizistin Platz, die sich in der Folge dadurch auszeichneten, das Geschehen der Konferenz untereinander permanent zu kommentieren, ohne sich an der Anwesenheit Fabers im Geringsten zu stören.

»Mal schauen, wie sie uns heute wieder die Lebenszeit stehlen wollen …«, meinte der Lehrer, der sich zwischen seine beiden Kollegen gesetzt hatte. Er hatte schulterlange graumelierte Haare und wedelte demonstrativ mit einer Frankfurter Rundschau.

»Erst einmal wird Trauer vorgetäuscht«, meinte die Person zur Rechten des Zeitungsträgers. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt, hatte eine Halbglatze und einen mächtigen Bierbauch. »Und dann kommen irgendwelche Schweinereien, wenn alle abgelenkt sind.«

Der dritte Lehrer nickte zustimmend, sagte aber zunächst nichts. Er war so dürr, dass Faber ihn zunächst für einen fünfzehnjährigen Schüler gehalten hatte. Friederike schlug in ihrer Liste nach und verglich die Bilder mit den vor ihr Sitzenden. Schließlich war sie sich sicher, dass der Schmächtige Peter Riehmer, der Dicke Hans Otterbein sowie der Mann mit der Rundschau Andreas Meier hieß. Die drei unterhielten sich nun über eine junge Kollegin, Hermine Holingshausen, die in der ersten Reihe saß und von allen dreien völlig auf ihr attraktives Äußeres reduziert wurde. Neben Otterbein hatte ein sehr gut aussehender Mann Ende dreißig Platz genommen, welcher der Hauptkommissarin seltsam bekannt vorkam. Trotz längerer Suche konnte sie sein Bild partout nicht in der ihr von Einmann überreichten »ganz aktuellen Liste des Kollegiums« finden.

»Liebe Kolleginnen, Kollegen und Personen eines anderen Geschlechts. Ich begrüße Sie zur Konferenz in diesen schwierigen Zeiten«, begann Frau Schindler in diesem Moment. »Ich möchte Sie bitten, sich in Gedenken an unsere verstorbene Kollegin Henrietta-Sophia von Ahlen von Ihren Plätzen zu erheben.«

Alle Personen in der Turnhalle standen auf und schwiegen. Friederike beobachtete die Lehrer und musste feststellen, dass einige sich reichlich pietätlos benahmen: Eine mächtig aufgedonnerte Frau um die dreißig, später von der Polizistin als Manuela Hansen identifiziert, nutzte die Gedenkminute tatsächlich dazu, ihr Make-up mit einem Handspiegel genauestens zu kontrollieren. Der vor Faber stehende Andreas Meier summte leise ein fröhliches Liedchen vor sich hin, was seine beiden Kumpane grinsen lies. Otterbein knuffte seinem Kollegen irgendwann aufmunternd in die Seite.

»Ich danke Ihnen ganz herzlich«, sagte die Schulleiterin nach einiger Zeit. Die Anwesenden nahmen wieder Platz auf den eng beieinander stehenden Stühlen. In diesem Moment wurde tatsächlich ein Papierflieger quer durch den Raum geworfen, der den attraktiven Mann schräg vor Friederike knapp verfehlte.

Frau Schindler, welche die Kinderei sicherlich mitbekommen hatte, ließ sich nichts anmerken.

»Gut, liebe Anwesenden. Wie Sie sicher bemerkt haben, befindet sich eine Ihnen unbekannte Person im Raum, dort hinten, noch hinter Herrn Niklas Scholl, das ist Hauptkommissarin Faber. Sie ermittelt hier, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tod unserer Kollegin kein Unfall war«, ein leichtes Geraune ging bei diesen Worten durch den Raum.

»Bitte unterstützen Sie Frau Faber und ihre Kollegen so gut Sie können. Wollen Sie noch etwas anmerken, Frau Faber?«

Friederike erhob sich und nickte kurz in die Runde. »Guten Tag. Wie Frau Schindler Ihnen schon mitgeteilt hat, ist mein Name Faber und meine Kollegen sowie meine Person untersuchen das Ableben Ihrer Kollegin. Leider kann ich Ihnen noch nichts Näheres mitteilen, ich würde aber morgen gerne kurz mit einigen von Ihnen sprechen, damit ich mir ein besseres Bild von der Lage machen kann.«

»Oh Gott, oh Gott! Sie gehen doch nicht etwa von einem Mord aus?« rief eine besorgt drein­schauende ältere Lehrerin.

»Wie gesagt, ich kann Ihnen da leider momentan nichts Genaueres mitteilen, bitte haben Sie noch etwas Geduld.«

Bevor weitere Lehrer etwas einwerfen konnten, unterband Frau Schindler eine solche Entwicklung.

»Gut. Bitte, liebe Anwesende. Haben Sie doch noch ein wenig Geduld. Ich bin sicher, dass Frau Faber uns über ihre Ermittlungsergebnisse rechtzeitig und umfassend aufklären wird.«

Friederike nickte zustimmend und setzte sich nach einem kurzen Blick in die Runde wieder.

Die Direktorin fuhr fort: »In Andenken an unsere verstorbene Kollegin möchte ich Sie bitten, in Zukunft nicht mehr von ›Lehrerkonferenzen‹ zu sprechen, sondern von ›Lehrpersonenkonferenzen‹. Frau von Ahlen hatte es, wie Sie sich erinnern, nach einigen Kämpfen geschafft, dass wir inzwischen ein ›Kollegiumszimmer‹ haben und nicht mehr das althergebrachte ›Lehrerzimmer‹. Ich bitte den Protokollanten, auch die heutige Konferenz schon mit der neuen Bezeichnung zu versehen.«

Während sich ein Deutschlehrer – Herr Randmeier – in der Folge kritisch zu dieser durch Frau Schindler eingeführten Änderung äußerte, dachte Friederike wieder über den schräg vor ihr Sitzenden namens Niklas Scholl nach. Ihr war nun klar, warum ihr der Mann so seltsam bekannt vorgekommen war: Bei ihm handelte es sich um einen populären Schauspieler, der unter anderem einen der Kommissare im neuen Kasseler Tatort spielte. Zwar schaute Friederike solche Filme nur äußerst selten und widerwillig, da sie ihr vollkommen unrealistisch erschienen und ihr die tägliche Arbeit de facto erschwerten, denn viele Personen meinten, es müsse alles genau wie im Fernsehen zugehen, Niklas Scholl aber war auch über den Tatort hinaus ein überaus bekannter Darsteller. Dass er sich hier unter den Lehrern befand, konnte nur bedeuten, dass er sich auf eine neue Rolle vorbereitete: Friederike erinnert sich, dass sie gelesen hatte, dass Scholl für seine Darstellung eines Soldaten angeblich die komplette Grundausbildung bei der Bundeswehr absolviert und danach eine Woche im Verteidigungsministerium hospitiert habe.

Nachdem der Deutschlehrer Randmeier seine scheinbar längeren Ausführungen beendet hatte, meldete sich ein weiterer Lehrer zu Wort: »Was mein Vorredner sagte, möchte ich bestätigen …« Diese Phrase sowie das ähnliche »Ich möchte mich meinem Vorredner anschließen« sollte im Verlauf der Konferenz noch mehrfach fallen. Fabers Gedanken glitten wieder ab und sie studierte längere Zeit die Lehrerliste, während noch weitere Anwesende zu der von der Schulleitung beschlossenen neuen Bezeichnung von Konferenzen Stellung nahmen.

Irgendwann beendete Frau Schindler die Diskussion damit, dass sie meinte, die Einwände würden zu Protokoll genommen und dass man nun weiter mit der Tagesordnung fortfahren würde. Bevor es dazu aber kam, meldete sich ein weiterer Kollege vehement. Es handelte sich um einen asketisch aussehenden blonden Mann undefinierbaren Alters.

»Ja, Herr Heydrich.«

»Ich möchte mich auch noch einmal ausdrücklich dem Vorgehen der Schulleitung anschließen. Durch diese kleine Geste ehren wir die Verstorbene nachhaltig.«

»Gut. Danke, Herr Heydrich«, sagte die Schulleiterin.

»Ich muss Ihnen allen noch einige organisatorische Punkte mitteilen: Die von Frau von Ahlen ins Leben gerufene Gender-AG ruht zunächst einmal. Falls sich jemand dafür interessiert, diese in Zukunft zu leiten, soll er sich bei mir melden. Leider müssen wir auch die Schulband The Funky Nuts auflösen: Deren Mitglieder haben sich endgültig hoffnungslos zerstritten.«

Die Frau im grauen Kostüm, drei Plätze links von Faber sitzend, die ihr schon gestern durch den seltsamen Spruch mit dem Stern, der vom Himmel fiel, aufgefallen war, sagte laut vor sich hin: »Die Musik von Harfenspielern und Sängern, von Flötenspielern und Trompetern hört man nicht mehr.«

Friederike schaute irritiert herüber, wurde dann aber von Frau Schindler abgelenkt, die fortfuhr.

»Des Weiteren habe ich Neuigkeiten bezüglich unserer Fusion mit der Schule für Ernährung. Der Schulträger hat nun einige Rahmenbedingungen festgeklopft, die ich Ihnen mitteilen möchte: Zunächst zur neuen Schulleitung. Der Direktor der Schule für Ernährung, Herr Karlmund, wird nach Ende des Schuljahres pensioniert. Diese Tatsache, plus dass wir sowieso der deutlich größere Fusionspartner sind, führt dazu, dass der Schulleiter unserer Schule auch Schulleiter der neuen Schule wird. Zusätzlich kommen zwei Abteilungsleiterstellen hinzu, die von den dortigen jetzigen Amtsinhabern besetzt werden. Nun zum Namen unserer neuen Anstalt: Mit der Fusion soll nach Willen des Schulträgers auch ein neuer Name gefunden werden. Das ist meines Erachtens aus Sicht unserer künftigen Kolleginnen und Kollegen von der SFE auch gar nicht so schlecht, so fühlen sie sich nicht so ›übernommen‹. Gut, wie dem auch sei: Wir, die Schulleitungen der beiden Schulen, haben unter Federführung von Herrn Lewsky bereits eine Lösung gefunden«, Friederike stellte fest, dass bei der Erwähnung des Abteilungsleiters eine gewisse Unruhe im Kollegium der HSS ausbrach, »und der Schulträger hat sein Einverständnis erklärt. Ich bin zuversichtlich, dass die neue Schule dann im neuen Schuljahr mit einem neuen Namen starten kann. Herr Lewsky, der heute leider auf einem Kongress weilt, wird Ihnen unsere Entscheidung erläutern. Er hat uns eine Videobotschaft zukommen lassen, die ich Ihnen nun vorspielen werde.«

Die Schulleiterin winkte die Kollegin heran, die sich schon zuvor damit hervorgetan hatte, dass sie in der Lage war, die Powerpoint-Präsentation zu starten. Nach kurzer Zeit wurde eine Videodatei abgespielt und an der Wand der Sporthalle wurde ein Mann Mitte dreißig sichtbar. Er trug einen Anzug und saß vor einer imposanten hölzernen Regalwand, die offensichtlich mit verschiedenen Andenken und gerahmten Fotos dekoriert war. Die Hauptkommissarin bemerkte, dass die ausgebrochene Unruhe sich merklich vergrößerte. Das an die Wand projizierte Abbild des Abteilungsleiters blickte scheinbar in die Runde und obwohl das Video schon gestartet war, wartete er ungefähr eine halbe Minute, bis er endlich zu sprechen begann.

»Liebe Kollegen, leider kann ich heute nicht bei Ihnen sein, da ich momentan auf einem Kongress im Ausland weile. Ich habe diese Botschaft deshalb vor einigen Tagen bereits bei mir daheim aufgezeichnet. Wie Frau Schindler Ihnen sicherlich mitgeteilt hat, geht es darum, einen neuen Namen für unsere Schule zu finden. Wir haben zwar bereits eine Entscheidung getroffen, wenn Sie aber noch eigene Vorschläge haben sollten, dann füllen Sie bitte das von mir erstellte Online-Formular aus. Link und Beschreibung, wie man es korrekt bearbeitet, erhalten Sie in diesem Moment per E-Mail. Ich habe mir in meiner Eigenschaft als Abteilungsleiter für Qualitätsmanagement und Öffentlichkeitsarbeit meine eigenen Gedanken gemacht und konnte die Kollegen in den Schulleitungen und auch den Schulträger bereits davon überzeugen. Nun möchte ich auch Ihnen die Entscheidung abschließend mitteilen …«

Der Tumult im Kollegium war inzwischen an einem Punkt angelangt, dass Herr Einmann sich genötigt sah, die Lautstärke des Videos zu erhöhen.

»Mir persönlich erscheint es ja am wichtigsten, dass der Schulname eine richtige ›Marke‹ ist, mit der unser Unternehmen am Markt bestehen kann. Ich selbst empfand den aktuellen Schulnamen, wie ich ja bei verschiedenen Gelegenheiten betont habe, schon immer als suboptimal. Zwar handelte es sich bei Hjalmar Schacht zweifellos um einen bekannten Ökonomen, die von ihm verantwortete Wirtschaftspolitik ist aber zum Teil fatal, wie jeder halbwegs richtig ausgebildete Ökonom weiß. Die Nationalsozialisten sind ja zweifellos wegen ihrer Wirtschaftspolitik zu verdammen: Ich sage nur Konjunkturprogramme! Und da hat sich Schacht leider hervorgetan, sei es nun freiwillig oder aber als willfähriger Helfer.«

Vor Friederike schlug in diesem Moment Peter Riehmers Kopf mehrfach auf einen Aktenordner, so sehr regte sich der Lehrer offensichtlich über das Gehörte auf.

»Die Lösung für das Namensproblem, vor dem die Schule steht, sieht nun nach meinen Überlegungen folgendermaßen aus: Wie auch bei Sportmarketing üblich, sollten wir den Namen für jeweils einen bestimmten Zeitraum, meine Empfehlung wäre hier zunächst fünf Jahre, an einen finanzkräftigen Sponsor verkaufen. Somit werden wir hohe Einnahmen generieren, von denen wir nur zehn Prozent an den Schulträger abgeben müssen. In den nächsten Tagen werde ich Gespräche mit Interessenten führen, denn diese gibt es, wie Sie sich vorstellen können, bereits reichlich.«

Die Lautstärke in der Halle erreichte einen neuen, von Friederike nicht für möglich gehaltenen, Höhepunkt. Fast dachte sie, dass nun eine Revolution ausbrechen würde. Die restlichen Ausführungen des Abteilungsleiters in dem Video gerieten aus diesem Grund auch völlig unverständlich, so dass eine sichtlich genervte Frau Schindler das Abspielen beendete. Herrn Heydrich wurde nun von der Direktorin als erstem das Wort erteilt.

»Ich möchte Herrn Lewsky zustimmen. Ich halte das für einen sehr guten und ökonomischen Vorschlag! Vielen Dank an die Schulleitung für diese schwierige Arbeit.«

Laute »Buh«-Rufe waren zu hören. Friederike beobachtete ungläubig das sich darbietende Panoptikum. Vor ihr titulierte der höhere Beamte Hans Otterbein gerade seinen Kollegen Heydrich ziemlich lautstark als »schwulen Emporkömmling«.

»Lass die Hand unten, es bringt sowieso nichts, sich hier aufzuregen«, sagte Andreas Meier zu seinem Nachbarn Peter Riehmer.

Die Hauptkommissarin wurde abgelenkt, da sie den Metallkoffer, den sie am gestrigen Tag im Büro des stellvertretenden Schulleiters gesehen hatte, nun auf dem Schoß eines ihr unbekannten Lehrers sah, der diesen als Schreibunterlage nutzte. Sie suchte die Liste nach einem Bild der Person ab, konnte diese aber nicht eindeutig identifizieren. Inzwischen hatte es einige kritische Gegenreden von Anwesenden zu den Plänen der Schulleitung gegeben und einen weiteren zustimmenden sehr langen Wortbeitrag von Herrn Heydrich. Dieser hielt seinen Kollegen vor, dass viele derer, die jetzt moralische Reden zum Besten geben würden, sich durch einen, wie er es ausdrückte, »nicht-wertschätzenden Umgang den Schülerinnen und Schülern gegenüber« auszeichneten.

Andreas Meier beugte sich vor Otterbeins Bauch zu Niklas Scholl herüber und meinte zu ihm: »Das ist übrigens der Kollege, der bei der Rückgabe einer Klassenarbeit nur drei Schülern die Arbeiten persönlich überreichte, dann meinte, der Rest hätte ihn tief enttäuscht und diese Personen könnten ihre Arbeiten auf der Toilette abholen, wo sie als ›Toilettenpapier‹ von ihm ausgelegt worden waren.«

Der Schauspieler blickte Meier ungläubig an und notierte sich etwas in seinem Collegeblock.

»Ich verstehe das hier alles nicht«, meinte er dann.

»Das wundert mich aber: Sehen Sie, eigentlich sind alle Lehrer Schauspieler, sei es im Unterricht oder eben hier auf so einer Konferenz. Jeder spielt halt seine Rolle und kann da nicht raus. Ich, zum Beispiel, bin derjenige, der es schon lange aufgegeben hat, hier etwas zu verbessern. Heydrich will befördert werden und hält sich für einen hervorragenden Lehrer. Wenn sie aber eine wirkliche Herausforderung suchen, dann studieren Sie den Kollegen Lewsky. Dessen Götze ist nämlich der Markt und er denkt, dass die Unterwerfung unter dessen unergründliche Weisheit das Paradies auf Erden anbrechen lässt. Und der Erfolg gibt ihm, im Gegensatz zu Heydrich, auch noch recht. Wissen Sie – ich will offen und ehrlich zu Ihnen sein – Schule hat nur noch am Rande mit Pädagogik zu tun. Eigentlich geht es nur noch um Zahlen und alles ist mehr Schein als Sein. Oh, was ist denn jetzt …«

Die Direktorin hatte gerade kundgetan, dass sie zum Ende des Monats die Schule verlassen würde. Es herrschte plötzlich nahezu absolute Ruhe im Raum, bevor eine mehr oder weniger unverhohlene Freude bei einigen der Anwesenden einsetzte. Dies war aber nicht von langer Dauer, denn Frau Schindler teilte dem Kollegium mit, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Herr Lewsky ihre Nachfolge antreten würde. Die Lautstärke erhöhte sich daraufhin gefühlt wieder um mehr als einhundert Dezibel.

In diesem Moment stand der Mann mit dem Metallkoffer auf und verließ die Sporthalle. Friederike schaffte es mühsam, sich ebenfalls zum Ausgang durchzuwühlen, konnte vor der Tür den Gesuchten aber nicht mehr auffinden, obwohl sie schnell in beide mögliche Richtungen rannte. So kehrte sie verärgert wieder zu der Konferenz zurück.

Dort hatten sich die Gemüter soweit beruhigt, dass Frau Schindler mit der Tagesordnung fortfahren konnte. Gerade verwies sie auf eine »Fortbildung für angehende Führungskräfte im Schuldienst«, welche morgen an der Schule stattfinden sollte und für die noch einige Plätze frei waren. Geleitet werden sollte die Veranstaltung wiederum von Herrn Lewsky. Am Rand der ersten Stuhlreihe konnte Faber jetzt erkennen, dass neben Hermine Holingshausen eine Frau saß, die einen ganz ähnlichen Koffer mit sich führte, wie derjenige, der eben mit dem Mann entschwunden war. Zielstrebig ging die Polizistin nach vorne und kniete sich neben die Lehrerin.

»Entschuldigung, was ist das für ein Koffer?«

Die Angesprochene fuhr erschrocken herum. »Oh, die Polizistin. Meinen Koffer meinen Sie?«

Faber nickte.

»Das ist mein ›Methodenkoffer‹.«

»Und darin ist was?« fragte Friederike nachdrücklich.

Die Frau öffnet den Koffer eifrig, aber reichlich ungeschickt und erläuterte dabei:

»Na, was man so braucht, um guten Unterricht zu machen: Stifte, Plakate, Klebstoff, Knetmasse, Bauklötze, bunte Klebepunkte und so was halt.«

Inzwischen hatte sie den Koffer aufgeklappt und eine große Menge der erwähnten Gegenstände fiel heraus und verteilte sich auf dem Boden.

»Oh, dann vielen Dank. Wieder was gelernt …«, meinte Faber enttäuscht.

Die Lehrerin hingegen war sichtlich erleichtert. »Aber gerne doch. Dafür bin ich doch da. Beate Bernhardt ist mein Name, ich bin die ›SoL-Beauftragte‹ hier und damit quasi durch mein Amt für guten Unterricht verantwortlich.«

»Ah ja. Dann schönen Tag noch.«

Friederike drehte sich um und ging an ihren Platz zurück. Hier wurde ihr eine druckfrische Hochglanz-Werbebroschüre für die Schule weitergegeben, für welche ebenfalls der Abteilungsleiter für Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich war. Frau Schindler teilte den Lehrern mit, dass es ein verbindliches Formular geben würde, dass jeder ausfüllen müsse, um zu bewerten, wir gut die Broschüre sei. Auf Friederikes Exemplar hatte jemand mit roter Tinte »Lasciate ogni speranza, voi chʼentrate!« geschrieben.

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