Czytaj książkę: «Macht und Wort»

Czcionka:

Hans Jürgen Kugler, René Moreau (Hrsg.)

Macht & Wort Macht der Sprache – Sprache der Macht

Mit Beiträgen von: Uli Bendick, Maike Braun, Christopher Ecker, Christian Endres, Kai Focke, Klaus N. Frick, Dominik Irtenkauf, Michael K. Iwoleit, Heidrun Jänchen, Hans Jürgen Kugler, Christian Manske, Monika Niehaus, Nicole Rensmann, Alexa Rudolph, Friedhelm Schneidewind, Rainer Schorm, Robert Schweizer, Nele Sickel, Angela und Karlheinz Steinmüller, Andrea Timm, Jörg Weigand, Karla Weigand, Wolf Welling und Werner Zillig.

Und Grafiken von: Uli Bendick, Mario Franke, Jan Hoffmann und Michael Vogt.

Umschlagillustration von: Michael Vogt



Hans Jürgen Kugler, René Moreau (Hrsg.)

MACHT
& WORT

Die Macht der Sprache

– Sprache der Macht


Originalausgabe

© für die einzelnen Texte bei den Autor:innen,

für diese Anthologie bei Hirnkost KG,

Lahnstraße 25 • 12055 Berlin

prverlag@hirnkost.dewww.hirnkost.de

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage, Oktober 2021

Vertrieb für den Buchhandel:

Runge Verlagsauslieferung; msr@rungeva.de

Privatkunden und Mailorder:

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Layout: www.benswerk.com

ISBN:

PRINT: 978-3-949452-19-2

PDF: 978-3-949452-20-8

EPUB: 978-3-949452-21-5

Dieses Buch gibt es auch als E-Book –

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INHALT

Vorbemerkung

Was schreibt, das bleibt

Christian Endres: Die Finger verbrennen, den Geist entfachen

Nicole Rensmann: Reden ist Macht

Rainer Schorm: Ǣmaitjōn – Scissors 4.0

Christopher Ecker: Vom Sitzen unterm Hollerbusch

Computer streiten nicht

Hans Jürgen Kugler: Davida

Robert Schweizer: She Loves You (Yeah, Yeah, Yeah)

Maike Braun: Hamilton vs. Moore

Christian Manske: Kalliope

Michael Iwoleit: MindMorph

Großer Bruder

Nele Sickel: Justiti.b 21

Andrea Timm: Diktierter Weltfrieden

Alexa Rudolph: Rede an die Waldameisen

Uli Bendick: MachtWorte

Unter der Maske

Klaus N. Frick: Nur ein alter Gärtner

Angela und Karlheinz Steinmüller: Abschied von Melchizedek

Heidrun Jänchen: Die große Stille

Kai Focke: Die Aktuelle Live-Schaltung vom 8. Juni 2049

Dominik Irtenkauf: Miss Verständnis

Jörg Weigand: Der Spezialist

Die Vergangenheit der Zukunft

Werner Zillig: »Führer befiehl …«

Monika Niehaus: Die Mutantin

Wolf Welling: Manifestationen

Friedhelm Schneidewind: Das Versprechen des Schmerzes

Karla Weigand: … Causa Finita!

Autor*innen und Herausgeber

Grafiker*innen

Grafiken


Uli Bendick 26, 186, 335
Mario Franke 10, 66, 80, 88, 109, 124, 132, 156, 162, 195, 198, 234, 254, 259, 271, 274, 323
Jan Hoffmann 167, 177, 203, 312
Michael Vogt 22, 34, 51, 248, 282, 305

VORBEMERKUNG
Autor*innen über das Autoritäre

Orwells Neusprech ist längst in Politik und Wirtschaft angekommen. »Alexa« hat für alles und jeden ein offenes Ohr. Satire darf alles – aber muss sie das auch?

Wer das Wort führt, führt auch Menschen, übt Macht aus. Das Verhältnis von Sprache und Macht ist unabhängig voneinander nicht zu denken. Die Sprache bestimmt unser Denken und gleichzeitig sind wir es, die unsere Sprache bestimmen. Das wirft Fragen auf.

Wer hat in Zukunft das Sagen? Und mit welchen Mitteln werden sich diejenigen ausdrücken, die das Sagen haben – wenn »alternative Fakten« als alternativlos erklärt werden? Welche Propagandaalgorithmen werden uns zukünftig manipulieren? Und lässt sich künstliche Intelligenz überhaupt beherrschen?

Macht die Macht uns am Ende sprachlos?

Zu folgenden Themenfeldern haben unsere Autor*innen versucht, eine mögliche Zukunft zu skizzieren:

•Was schreibt, das bleibt – Der Hort der letzten Erinnerung

•Computer streiten nicht – Von künstlicher Intelligenz und natürlicher Dummheit

•Großer Bruder – Am Anfang war das Wort. Am Ende das Diktat.

•Unter der Maske – Nichts ist, wie es scheint.

•Die Vergangenheit der Zukunft – Früher war die Zukunft auch schon besser.

Die Herausgeber

WAS SCHREIBT, DAS BLEIBT

Hort der letzten Erinnerung

mit den Storys

•von der wilden Ära der Bücher

•vom Glück der Worte

•von der unbestechlichen Autokorrektur

•vom Hollerbusch

DIE FINGER VERBRENNEN, DEN GEIST ENTFACHEN
von Christian Endres
1.

Der Auftrag kam nicht per Mail, Message oder Anruf wie gewohnt aufs Tablet, sondern per Brief. Ja, ein Brief, kein Witz. Ganz altmodisch. Oder auch nicht: Auf Papier und von Hand geschrieben, das sehr wohl – aber außerdem um einen rauen Stein gewickelt, mit einem Stück Schnur befestigt und wie ein unförmiger Baseball durch ein Fenster meiner Wohnung im ersten Stock geworfen.

Als ich mit zwei Einkaufstüten bepackt in meine winzige Bude trat, die zugleich mein winziges Büro ist (vielleicht ist’s auch genau andersherum), erwarteten mich Schnur, Schreiben, Stein und Scherben auf meinem Schreibtisch.

Vorsichtig fegte ich die Glassplitter zur Seite, säbelte die Schnur mit einem Messer auf, wickelte das Blatt vom Stein und stellte überrascht fest, dass mit dem Brief fünf zerknitterte Geldscheine gekommen waren, die für zwei Monatsmieten reichen sollten.

Ich strich das Papier glatt. Die Nachricht war kurz und in sauberen Druckbuchstaben geschrieben, die sich leicht zur Seite neigten. Es war ungewohnt, etwas Handschriftliches zu lesen, ohne Hintergrundbeleuchtung, ohne Zoomen und Scrollen.

Finden Sie 9783949452192.

Wichtig: Ermittlung komplett offline.

Hälfte der Bezahlung vorab & anbei.

Tut uns leid wegen des Fensters.

Aber Scherben bringen Glück.

Suchen Sie uns, wenn Sie haben, was wir wollen.

Wir erwarten Sie.

Mein detektivisches Interesse war angesichts der Kontaktaufnahme und der Nachricht definitiv geweckt. Die Kohle tat ihr Übriges dazu, mich die Anfrage ernst nehmen zu lassen; selbst nach Austausch der Fensterscheibe würde allein von dieser ersten baren Hälfte des Honorars genug übrig bleiben.

Zudem hatten ich und mein Ego einen interessanten, in mehr als einer Hinsicht lohnenswerten Fall bitter nötig.

Leider hatte ich keinen Dunst, was 9783949452192 bedeuten sollte, und es war ewig her, dass ich einen Auftrag ohne Online-Recherche und -Schnüffelei bearbeitet hatte. Wieso auch, in einer durch und durch digitalisierten Welt?

Ich klebte notdürftig ein Stück Karton von innen über das kaputte Fenster. Anschließend rasierte ich mich, zog ein sauberes Hemd an, band eine Krawatte um, schlüpfte in mein Jackett, setzte meinen Hut auf und ging los, um auf die altmodische Art ein paar Erkundigungen einzuholen.

Im Erdgeschoss trat ich auf die Straße und blickte zum Himmel. Jenseits des ewigen, allgegenwärtigen Stroms aus Überwachungs- und Lieferdrohnen konnte ich ein annehmbares Blau ausmachen. Keine Regenwolke weit und breit. Meine Bleibe würde fürs Erste demnach nicht geflutet werden.

Na also.

Dieser Fall ließ sich doch ganz gut an.

2.

Zuerst musste ich herausfinden, wofür diese Zahlen standen.

Eine Adresse? Eine Serien- oder Rechnungsnummer? Ein Lotterielos? Ein Nummernschild? Eine Servernummer? Einen Schiffscontainer im Hafen? Eine Implantat-Registriernummer? Ein Schließfach in einer Bank oder an einem Bahnhof? Einen Flug, ein Flugzeug oder einen Zug? Ein Formular des Ministeriums? Eine Tracking-Nummer zur Sendungsverfolgung oder für ein Haustier?

Die Ziffernkolonne konnte alles Mögliche sein, zu allem Möglichen gehören. Und wenn wir schon dabei waren: war sie vollständig oder ein Fragment, und wenn, der Teil am Anfang, in der Mitte oder am Ende?

Viele Variablen.

Doch ich hatte über die Jahre ein paar nützliche Kontakte geknüpft, darunter Spezialisten für die obskursten Dinge und Disziplinen.

Einer dieser Experten war der alte Leo, der früher einmal mit allem gehandelt hatte, wofür es eine Nachfrage gab, egal wie abseitig, illegal oder gefährlich. Sie erwischten ihn, er saß seine Zeit ab, und nun hockte er hauptsächlich in der Kneipe im Erdgeschoss des Mietshauses gegenüber.

Dort erwischte ich ihn trotz der frühen Stunde. Wie üblich sah Leo aus, als hätte er in der Bar oder auf der Bank davor übernachtet. Ich setzte mich auf den Hocker neben ihm an die Theke, an der in einigem Abstand nur noch ein anderer alter Zausel saß und die Morgennachrichten in den Feeds und Blogs auf seinem Tablet las.

»So was schon mal gesehen?«, fragte ich Leo und schrieb die Zahlen, die ich mir eingeprägt hatte, mit dem Finger und etwas stinkendem Grauschwarz aus dem nächsten Aschenbecher auf den Tresen.

Leo nippte an seinem starken, schwarzen Kaffee, dem lange vor Mittag der erste starke, goldene Whiskey folgen würde, und zog an seiner Zigarette. »Ich glaub, solche Nummern haben sie früher für diese Dinger benutzt. Diese … wie hießen sie noch? Genau, diese … Bücher.«

Bücher? Da klingelte bei mir gar nichts; ich nickte, weil ich mir das nicht raushängen lassen wollte. Außerdem spürte ich wieder einmal, dass meine Gedanken wie ein Lesegerät über fehlende, lückenhafte Daten stolperten, die nicht mehr da waren, wo sie hätten sein sollen, wo sie einmal gewesen sind. Ältere Menschen wie Leo hatten vermutlich in manchen Bereichen noch ein paar Erinnerungsfragmente mehr. Wir anderen … wir spürten oft, dass etwas fehlte, ohne je zu wissen, was genau.

Wenn ich mich nicht irrte, waren diese Bücher so etwas wie eReads – sie gehörten einer nebulösen und wilden Ära der Unordnung an, der Zeit vor dem Krieg, der vieles verwandelt, einige Erinnerungen geraubt und verändert hatte. Vor der Zäsur. Vor dem Ministerium und der Ordnung.

Genau genommen sprachen wir hier über verbotene Dinge.

Nicht, dass mich das davon abgehalten hätte, mich weiter zu erkundigen. »Eine Idee, wo ich mehr erfahren könnte?«

»In einer Bücherei?«, schlug Leo müde vor. »Du weißt schon. Wo früher angeblich die ganzen alten Bücher standen.«

Ich hatte keinen blassen Schimmer. »Schall und Rauch, mein Alter.«

»Das«, sagte Leo nach einem weiteren Schluck Kaffee bewusst umständlich, »ist so nicht ganz korrekt.«

»Was soll das heißen?«

»Ich glaub, mit einem Whiskey könnt ich mich gleich viel besser erinnern, Junge …«

3.

Ich fand das Gebäude anhand von Leos Wegbeschreibung ohne Probleme. Es lag in einer miesen Gegend, in der kaum noch Drohnen flogen, erst recht keine Lieferdrohnen. Die mehrstöckige Bruchbude war außen wie innen total heruntergekommen. Die Menschen, die sie behausten, passten dazu: schmutzig wirkende, zottelige Männer und Frauen, Greise und Kinder und alles dazwischen. Sie trugen abgetragene Klamotten, rochen, husteten, kratzten sich und schnieften. Die meisten campierten mit ihrem wenigen, in Tüten oder Rucksäcke gestopften Hab und Gut auf dem versifften Teppich. Ein paar lange Regalreihen an den Wänden und mitten im Raum, deren Einlegebretter mit Gerümpel und Blumenkübeln vollgestellt waren, sorgten im Ansatz für einen Hauch von Privatsphäre, die Illusion von Wänden, Fluren und Zimmern.

Ich hielt nach einer Person Ausschau, die mehr als Altkleider und den Dreck von letzter Woche trug.

Die junge Frau, die ich erspähte, wirkte wie eine Lehrerin, deren Pensionierung in weiter Ferne lag und die schmerzlich genau wusste, wie viele Tage sie noch einem Haufen Kinder dabei zusehen würde, geistlos auf ihre Tablets zu glotzen und darauf herumzudrücken.

»Ich kenne diesen Ort nur als Obdachlosenheim«, beantwortete sie meine Frage. »Kann sein, dass es vor dem Krieg etwas anderes war.«

»Eine Bücherei?«

»Eine was? Keine Ahnung. Da war ich noch nicht mal auf der Welt. Vor dem Krieg, meine ich.«

Ich versuchte, mir meine Frustration nicht anmerken zu lassen. »Erinnert Sie diese Nummer an etwas?«, fragte ich stattdessen und sagte artig die Zahlenreihe auf - so einen Schüler wünschte sie sich bestimmt.

Sie hörte zu, runzelte die Stirn. »Nein, da klingelt nichts. Sorry. Ich muss jetzt auch weiter, heute kommt ein potenzieller Sponsor.« Sie rauschte davon, blieb aber plötzlich stehen und drehte sich noch einmal zu mir um. »Wenn Sie sich für diese alten Sachen interessieren, sprechen Sie mal mit Dimitri. Zweiter Stock, rote Brille, grauer Vollbart, dicker Zopf bis zum Arsch. Zeug von früher ist sein Thema.«

Hätte nicht gedacht, dass sie Arsch sagen würde.

Machte sie mir direkt sympathisch.

Ich erklomm die Treppe und durchquerte ein Labyrinth aus Regaltrennwänden voller Kram und Kübeln.

Inmitten dieses Irrgartens stöberte ich Dimitri auf, leuchtend rote Brille, grauer Bart und jepp, dicker Zopf bis zum Arsch. Ich stellte mich kurz vor und schrieb meine mysteriöse Nummer in den Staub eines Regalbodens neben uns.

Dimitri besah sich die Zahlen. »So was hab ich lange nicht gesehen«, sagte er schließlich bedächtig.

»Sie wissen, was das ist?«

Er nickte. »Mein Großvater war einer der letzten Sammler, bevor Bücher endgültig verboten wurden. Familiengeschichte, wenn Sie so wollen.«

Schon wieder diese Bücher, aber ich schwieg.

»Vor dem Krieg«, fuhr Dimitri fort. »Das ist eine Nummer für gedruckte Bücher. Heute kennt so was kaum noch wer. Verdammt, die meisten haben noch nie ein echtes Buch gesehen. Sie? Nee, ich auch nicht, leider. In diesen Regalen standen mal lauter Bücher, können Sie sich das vorstellen? Jetzt ist natürlich alles nur noch digital, damit die es kontrollieren können. Das heißt, synchronisieren, wie sie es nennen.« Er sah zu ein paar Kindern und Erwachsenen in der Nähe, die an ihren überholten Tablets hingen, dem Mittelpunkt all unsren Tuns, ob reich oder arm. »Schätze, das sollten wir überhaupt nicht bequatschen. Die Kameras und Mikros überall … ich will keinen Ärger mit dem Ministerium.«

»Ach was«, tat ich seine Bedenken ab, froh, endlich weiterzukommen. »Haben Sie eine Ahnung, wo ich das zu dieser Nummer gehörende Buch finden könnte?«

»Woah, Kumpel!« Dimitri wich mit erhobenen Händen vor mir zurück und trat eilig zwischen zwei Regale, die uns überragten. »Sie sind auf der Suche nach einem echten Buch? Das wird mir jetzt zu heftig. Über solche Dinge sollte man echt nicht reden, wenn man nicht in einem dunklen Loch enden will.«

Bevor ich etwas Beschwichtigendes sagen konnte, war Dimitri um die nächste Ecke verschwunden. Ich eilte ihm nach, doch als ich den von Regalen gesäumten Gang erreichte, war er fort, als hätte es ihn nie gegeben.

Gerade als ich fürchtete, dass meine heiße Spur umgehend wieder kalt wurde, ertönte eine Flüsterstimme aus dem Labyrinth.

»Sie suchen den Hort der letzten Erinnerung«, drang Dimitris Wispern wie aus weiter Ferne zu mir.

»Danke«, sagte ich.

Stille antwortete mir.

4.

Ich ging zurück in mein wohnliches Büro, um über das alles nachzudenken, nach der Pappe vor dem Fenster zu sehen und mir ein Sandwich zu machen.

Mir war gerade mal ein Bissen vergönnt, als die Wohnungstür aufflog und zwei Kerle in schwarzen Anzügen eintraten.

Sie mussten sich nicht extra als Agenten des Ministeriums für Synchronisation und Ordnung ausweisen.

Es gab auch kein Vorspiel. Einer der beiden beugte sich über meinen Schreibtisch und schlug mir das Sandwich aus der Hand, als würde er mir eine beiläufige Ohrfeige geben.

»Sie sollten keine weiteren Fragen über Bücher stellen«, sagte er außerdem.

»Sonst wird es sehr unangenehm«, fügte der andere hinzu.

»Noch unangenehmer als zwei Clowns in meinem Büro?«, fragte ich unbeeindruckt, obwohl mein Herz raste.

»Netter Pappkarton«, sagte derjenige, der mein Sandwich angegriffen hatte, mein geflicktes Fenster betrachtend. »Aber ist das sicher? Da könnte man leicht rausfallen.«

Damit zogen sie wieder Leine.

Ich hob mein Sandwich vom Boden auf, pustete es ab, aß weiter und dachte noch etwas angestrengter nach.

5.

Nun wusste ich, was die Nummer bedeutete, jedoch nicht, worum es sich bei diesem Hort der letzten Erinnerung handelte. Einen geheimen Treffpunkt? Einen Schwarzmarkt? Eine Underground-Kultstätte? Eine Serverfarm? Ein Restaurant? Einen Club? Einen Bunker? Ein Museum, das nicht vom Ministerium mit Wissen und Wahrheit bestückt wurde?

Ich hätte gern Leo gefragt, doch sein Stammplatz am Tresen war verwaist. »Leo gesehen?«, fragte ich Daniel, der gerade Schicht hinter der Bar hatte.

»Nur kurz«, antwortete er, ohne damit aufzuhören, den Kühlschrank mit Bierflaschen und Energy-Drink-Dosen zu bestücken. »Zwei Kerle in Anzügen haben sich mit ihm unterhalten. Danach hat er sich flugs vom Acker gemacht.«

Das war ungünstig.

Möglicherweise hatte ich übertrieben, als ich die vielen Experten erwähnte, die mir zur Verfügung standen.

Mit Leo aus dem Spiel, blieb im Grunde nur noch Giselle.

Auf dem Weg zu Gis Laden hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden, aber wer konnte das bei all den surrenden Drohnen über unseren Köpfen schon sicher sagen?

Gi betrieb einen kleinen Gebrauchtwarenhandel und Reparaturservice für Alltags-Tech aller Marken. Sie hatte Connections zum Schwarzmarkt und bekam ihre Teile zu entsprechend guten Konditionen.

»Sagt dir der Hort der letzten Erinnerung was?«, fragte ich nach ein bisschen Smalltalk. Der enge Verkaufsraum, hinter dem nur noch eine längliche Werkstatt lag, war bis auf uns leer. Er quoll über vor Geräten und Kisten mit Komponenten, Ersatzteilen, Kabeln und Akkus.

Gi schüttelte den Kopf, was ihre Locken tanzen ließ. »Nie gehört. Mir reichen aber auch die Erinnerungen, die ich an dich hab und nicht loswerde.«

Hatte ich erwähnt, dass Gi und ich mal zusammen waren?

Spoiler-Alarm: Es gab kein Happy End, obwohl wir inzwischen wieder halbwegs zivilisiert miteinander redeten.

»Ich arbeite an einem Fall, Gi.«

»Führt der dich wieder ins Schlafzimmer einer Stripperin?«

»Sie war Go-go-Tänzerin.«

»Oh, entschuldige bitte vielmals!«

Wie gesagt: halbwegs zivilisiert.

Wir sahen einander an.

»Sorry«, sagten wir beinahe gleichzeitig; Gi wegen ihrer Aggressivität, ich zum x-ten Mal, weil ich ein Idiot war.

»Ich hab eine Nummer zu einem Buch, das ich finden soll«, führte ich aus. »Jemand sagte mir, ich soll es an einem Ort versuchen, den man den Hort der letzten Erinnerung nennt.«

»Nummer zu einem was

»Einem Buch. Vorkriegskrempel.«

»Also verboten.« Sie überlegte kurz. »Einer meiner Geschäftspartner« – ihre Betonung und ihre Körpersprache gaben mir genügend Hinweise auf die Natur ihrer Geschäftsbeziehung, und etwas in mir knurrte ungehört – »hat mal einen Ort voller Erinnerungen erwähnt, der einen reich machen könnte, an dem man sich aber die Finger verbrennen würde.« Sie nannte mir die Adresse ihres Bekannten und wirkte nachdenklich. »In was bist du da diesmal reingeraten?«

»Schwer zu sagen. Ich hatte jedenfalls bereits Besuch von Ministerium.«

Gi verzog das Gesicht. »Sei vorsichtig, ja?«

Ich tippte mir an die Hutkrempe. »Du kennst mich doch.«

»Eben deswegen.«