Die erfundene Armut

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Die erfundene Armut
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Alex Bergstedt

Die erfundene Armut

Wie machtgierige und populistische Politiker den Menschen einreden, sie seien arm

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Die erfundene Armut

Einleitung

Schockierende Zustände (?)

Wer ist arm?

Der Investor, der die gesamte Bevölkerung in bittere Armut stieß

Definition: Wer gilt als arm

Welches ist der Bezugsraum zur Berechnung der Armutsstatistik?

Was ist die angemessene Bezugsgröße zur Berechnung der Armut?

Das Beispiel Monaco

Eigene Berechnung

Das absolute Minimum zum Überleben

Lieber ein Reicher unter Armen sein als ein Armer unter Reichen?

Gefühlte Armut

Nico und Franz feiern Sylvester

Eine Parabel über den Neid

Der großzügige Bürgermeister

Das Kind auf dem Bergbauernhof

Wer hat Interesse daran, dass Menschen sich arm fühlen?

Fehlstart

Die armen westdeutschen Arbeiter in der Propaganda der DDR

Arme Reiche und reiche Arme

Meine eigene Situation

Töten oder vertreiben wir den reichen Insulaner!

Bist du reich oder arm?

Der Birnbaum

Was Gott herstellt ist billig, aber gesund?

Eine Mahlzeit unterwegs für 1 Euro

Kalorienangaben für normale Menschen oder nur für Reiche?

"Armut ist kein unausweichliches Schicksal"

Armut beeinträchtigt die Bildung?

Zwei Jungen am Sonntag

Eine Analphabetin macht ihre Kinder zu Leseratten

Lesen macht intelligent

Herausbildung der Intelligenz in den ersten Monaten

Ehrgeiz ja, Neid nein

Was kann ich machen, wenn ich arm bin?

Was ist mit Menschen, die sich nicht organisieren können und daher nicht mit 50 Euro für Lebensmittel auskommen?

Arme Familien

Gespräch in Belo Horizonte

Wie kann man armen Menschen helfen?

Was sind wirklich arme Menschen?

Wie kommt man fast ganz ohne Geld aus?

Pflicht zur Hilfeleistung endet wo?

Falsche Werte

Armenquote

Gewerkschaften für mehr Gleichheit oder für mehr Privilegien?

Welchem armen Kind kann ich sie schenken?

Ein Leserbrief

Nörgeln und Schwarzmalen als Beruf

Zufriedenheit

Juliane und der verlorene Koffer

Echte Armut

Echter Reichtum

Ungenutzter Reichtum und Ressourcen

Christliche Ethik und Kapitalismus

Anhang: Brief an eine verzweifelte Person

Über den Autor:

Impressum neobooks

Die erfundene Armut



Alex Bergstedt


Die erfundene Armut


Armut in reichen Ländern:

Eingebildetes Phänomen oder

tatsächliches gesellschaftliches

Problem?


Sassnitz

2018





Impressum

Texte: © Copyright by Alex Bergstedt

Umschlag: © Copyright by Alex Bergstedt


Einleitung

Die meisten Menschen würden, wenn sie einmal die Möglichkeit hätten, Deutschland zu besuchen, über den unwahrscheinlichen Reichtum staunen. Stattliche, solide Häuser, teure Autos, teure Handys, Markenkleidung, kostenlose Schulen und für mittellose Arme sogar kostenlose Krankenversorgung, Sozialhilfe, Wohnungen auf Staatskosten, kostenlose Parks, Wälder, Spielplätze und andere Einrichtungen, Sportangebote und Kultur, oft ebenfalls kostenlos, zumindest aber kostengünstig, kostenloses Internet und viele andere oft kostenlose Angebote von Chören über Wandergruppen bis hin zu Kinderbasteln oder Gottesdiensten. Berichtete man über ein solches Schlaraffenland in den armen Gegenden der Welt, würde man wohl oft für einen Lügner gehalten werden.

Auf der anderen Seite mehren sich immer dramatischer die Pressemeldungen, die über die stetig wachsende Armut in Deutschland berichten. Immer mehr Kinder sollen davon betroffen sein, sogar von Hunger ist die Rede.

Welche von den beiden Alternativen ist wahr? Oder gelten beide, weil die einen sehr viel reicher werden, die anderen aber in die Armut herabgesunken sind? So titelte ein Rundfunksender: „Die Wirtschaft wächst, die Armut auch.“

Schockierende Zustände (?)

„Schockierende Studie: Immer mehr Menschen in Deutschland von Armut betroffen“ lautete ein Zeitungsartikel, der anprangert, dass die reichsten zehn Prozent die Hälfte des Vermögens besitzen.

Zehn Prozent sind eine abstrakte Größe. In Deutschland wären das rund 8 Millionen Menschen. Ist das viel oder wenig? Meistens kann man es sich besser vorstellen, wenn man viel geringere Zahlen hätte, mit denen man eher gewohnt ist, zu hantieren. Daher hier ein überschaubares Beispiel:

Auf einer Insel leben zehn Leute. Zwei verdienen 10.000€ im Monat, einer von den beiden gibt 9000€ im Monat aus, der andere liebt keinen Luxus und lebt von 2000€. Den Rest legen sie jeweils an. Vier Leute verdienen 4000€, drei geben alles aus, einer gibt nur 2000 aus und legt den Rest an. Zwei Leute verdienen 2000 Euro, einer gibt alles aus, der andere spart monatlich 500€ an. Zwei Leute sind nicht berufstätig und verdienen nichts.

 

Nach zehn Jahren haben alle Insulaner zusammengerechnet ein Vermögen von rund 1,4 Millionen aufgebaut, mögliche Zinsen, Aktiengewinne usw. der Einfachheit halber nicht mitgerechnet. Die reichsten zehn Prozent entsprechen auf dieser Insel genau einer Person, (denn 10% von 10 Personen sind eine Person,) und diese ist natürlich diejenige, die monatlich 8000€ zurückgelegt hat und daher nach zehn Jahren 960.000€ besitzt. Damit sind die Zustände auf dieser Insel noch schockierender als in Deutschland, denn die reichsten zehn Prozent, also die eine Person, besitzen nicht nur die Hälfte des Vermögens, sondern zwei Drittel. Sollte man dem Typ sein Geld wegnehmen oder einen Teil wegnehmen, oder sollte man ihn zusätzlich auch noch mit Gefängnis o.a. bestrafen? Oder sollte man womöglich seinen Reichtum tolerieren, auch wenn sich die anderen vielleicht darüber ärgern und er somit die Lebensqualität der anderen durch seinen Reichtum beeinträchtigt? Oder müsste man ihn gerade umgekehrt dafür loben, dass er durch seine Sparsamkeit und bescheidene Lebensweise so viel angespart hat.

Wer ist arm?

Eines Tages trafen sich zwei Männer in einer U-Bahn-Station gerade an einer Stelle, an der ein Obdachloser zusammengerollt auf einer Bankschlief. Der eine sagte: „Es ist eine Schande.“

„Ja, diese Obdachlosen haben kein Benehmen.“

„Nein, ich meinte, es ist eine Schande für unsere Gesellschaft, dass wir es nicht schaffen, diesen Leuten zu helfen, damit sie wieder auf die Beine kommen.“

„Da kann unsereiner nichts machen. Oft sind das Alkoholiker oder wollen gar keine feste Wohnung. Was willste da machen? Dafür gibt es doch Kirchen und Wohlfahrtsverbände mit Sozialarbeitern, und die sollten sich da auskennen.“

„Ja, das stimmt, aber die Kirchen und Wohlfahrtsverbände haben viel zu wenig Mitarbeiter dafür. Wir Reichen müssten diese Verbände mehr unterstützen, damit sie Sozialarbeiter einstellen können.“

„Was heißt hier „wir Reichen“? Ich bin ein ganz normaler Lehrer und kein Millionär. Ich komme finanziell gerade so über die Runden.“

„Wie du weißt, bin ich seit einem Jahr arbeitslos und bekomme Hartz IV. Aber seitdem ich zwei Jahre in Afrika gearbeitet habe, weiß ich, dass ich reich bin, auch wenn ich nur ein Viertel von dem bekomme, was du verdienst.“

Arm oder reich – das ist hier die Frage. Immer häufiger erschrecken uns Zahlen, die von wachsender Armut berichten. So gab der Spiegel online am 22.8.2018 bekannt, dass 4,4 Millionen Kinder in Deutschland arm seien. Auf der anderen Seite gibt es viele Bürger, die Geld übrighaben und froh wären, einmal einem armen Kind zu helfen, ihm Klavierstunden zu ermöglichen, ihm einen Aufenthalt am Strand oder einen anderen Ausflug zu ermöglichen oder ihm mit Büchern zu helfen, aber sie finden keine hilfsbedürftigen Kinder. Was ist also los?

„Immer mehr arme Menschen in Deutschland“ titelten Medien in den vergangenen Jahren. Es gibt immer mehr arme Menschen in Deutschland - aber auch immer mehr Reiche. Die Schere zwischen arm und reich wird in der Gesellschaft immer größer. Parteien vom rechten und linken Rand hauen in diese Kerbe und prangern die Regierung an, die sie für die „grassierende Armut“ verantwortlich machen. Aber während sonst die Medien besonders zu den Parteien des rechten Rands Distanz halten, ziehen sie in diesem Punkt meistens am selben Strang und informieren ihre Leser darüber, dass sie zu einem großen Teil arm sind. Selbst gemeinnützige Organisationen und Kirchen verbreiten diese Propaganda, ungeachtet des einstmals propagierten Armutsideals, dessen zufolge die Armut dann ja eigentlich nicht verteufelt werden dürfte.

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung informiert, wie viel die Menschen in Deutschland verdienen. Demnach leben 5,4 % der Befragten dauerhaft unter der Armutsgrenze, das bedeutet seit mehr als fünf Jahren. Als Armutsgrenze für eine alleinstehende Person wurde für diese Studie ein Einkommen von 12.192 Euro im Jahr angenommen, das sind rund 1016,00 Euro im Monat zum Leben. Als reich zählt man hingegen, wenn man allein 40.639 Euro im Jahr verdient (das sind im Schnitt 3.364 Euro im Monat). Dauerhaft reich sind rund 3,4 % der Bevölkerung. Es gibt also mehr arme als reiche Menschen - und die Zahl der Armen nimmt schneller zu. Das Problem ist, so schreibt die Studie, dass sich auch die Lebenswelten der Armen und Reichen immer mehr entfremden: Kinder werden auf unterschiedliche Schulen geschickt, die Häuser oder Wohnungen liegen in verschiedenen Vierteln, die Freizeitgestaltung und die Einkaufsmöglichkeiten sind andere.

Angeblich war früher alles besser. In den Jahren nach dem Krieg waren fast alle arm, die Löhne waren sehr gering, aber man hat gemeinsam das Land wieder aufgebaut. Lehrer, Pastoren, Richter oder andere Beamte waren genauso zu einfachem Leben gezwungen wie Arbeiter und Angestellte. Somit hat es mehr Gerechtigkeit gegeben. Seit den 70ger Jahren ist die Schere zwischen arm und reich dann immer weiter auseinander gegangen. Der zunehmende Wohlstand machte Unternehmer, aber auch viele kleine Selbständige wohlhabend und der Staat erhöhte die Besoldung der Beamten und Angestellten stetig. Wer in den 70ger Jahren aus Deutschland ausgewandert ist und jetzt zurückkommt, wird es nicht mehr wiedererkennen. Alle Leute besitzen unheimlich viele Dinge. Die Anzahl der Autos ist unermesslich. Viele Familien besitzen mehrere Autos, teure Fernseher oder ganze Anlagen (Heimkino oder Home Cinema o.a.) in raumfüllender Größe, Handys für alle Familienmitglieder, kaufen Fertiggerichte, fahren überallhin mit Autos oder anderen kostenerzeugenden Verkehrsmitteln und leisten sich kostenpflichtige Dienste wie Netflix, Pay-TV, Streamingdienste und vieles mehr. Auf der anderen Seite sieht man Obstbäume und Sträucher, die niemand aberntet, und in der Landwirtschaft (z.B. auf den Erdbeerplantagen) verdienen sich nicht mehr Kinder, Hausfrauen oder Arbeitslose ein Taschengeld, sondern die Landwirte müssen sich ihre Arbeitskräfte aus dem Ausland holen.

Als ich in den 70ger Jahren selbst auf einem Erdbeerfeld pflückte, war ich 14 oder 15 und damit bei weitem nicht der Jüngste. Auch andere Kinder verdienten sich dort ein Taschengeld, und manchmal pflückten dort Mütter, oft auch türkische Gastarbeiterfrauen, und alle ihre Kinder bis zu den kleinsten halfen mit.

Als ich jedoch 2019 auf ein Feld zum Selbstpflücken fuhr, war ich mit 57 Jahren der Jüngste.

Die Hans-Böckler-Stiftung hat eine Grenze von rund 1000 Euro als Grenze definiert, unter welcher ein Mensch in Deutschland als arm gelten soll. Nun könnte die Regierung einfach allen Menschen, die weniger als 1000 Euro haben, etwas dazugeben, dann wäre die Armut ausgelöscht.

Organisationen, die daran ein Interesse haben, dass es so wirke, dass das Land von Armut gebeutelt sei und dass die Menschen glauben, dass sie arm sind, haben daher eine andere Definition erfunden. Danach gilt als arm, wer weniger als 60% des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Mit dieser Definition ist die Existenz der Armut für immer garantiert, denn es ist praktisch unmöglich, sie auszurotten.

Denken wir zum Beispiel an eine exklusive Insel, auf der sich nur Schickeria tummelt, rund hundert Leute, von denen der ärmste 7 Millionen besitzt, der reichste 37 Milliarden. Der durchschnittliche Verdienst liegt wegen der hohen Einnahmen der Milliardäre bei 5 Millionen pro Monat. 60% davon sind 3 Millionen. Die meisten Millionäre kommen bei weitem nicht auf diese Armutsgrenze, so dass 70% dieser Multimillionäre als arm gelten müssen.

Der Investor, der die gesamte Bevölkerung in bittere Armut stieß

Ein anderes Beispiel: Auf einer Insel in der Südsee wohnten 20 Eingeborene ein primitives, aber glückliches Leben. Sie ernteten Kokosnüsse und andere Früchte, aber bauten auch ein wenig an, fischten und jagten. Alle verdienten für europäische Verhältnisse sehr wenig, so um die 100 Euro, wenn sie mal etwas an gelegentlich in Yachten vor der Insel ankernde Touristen verkauften, aber da sie für Nahrung kein Geld auszugeben brauchen, ihre Hütten selbst bauen und bei dem gleichmäßig warmen Klima kaum Kleidung brauchen und diese zudem oft selbst herstellen, brauchen sie im täglichen Leben gar kein Geld, so dass viele mehrere Tausend Euro in ihren Hütten angesammelt haben und sich sehr reich fühlen.

Eine Untersuchung einer gemeinnützigen Einrichtung kam sogar zu dem Ergebnis, dass es sich um eine der Regionen mit der geringsten Armut weltweit handelte. Als arm gilt dieser Einrichtung ein Mensch, der weniger als 60% des Durchschnitts verdient. Niemand verdiente weniger als 60% des Durchschnitts, da alle etwa gleich arm waren, und so war für die Statistiker alles auf der Insel im sozialen Sinne in Ordnung, denn laut ihrer Statistik war ja niemand arm.

Eines Tages hatte ein Tourist, der mit seiner Yacht die Insel kennengelernt hatte, eine Idee. Er verhandelte mit den Bewohnern, mietete ein Grundstück an und baute ein kleines Hotel für Touristen, die ein unberührtes Eiland zum Ausspannen suchen. Als Grundstücksmiete zahlte er jedem Bewohner 100 Euro pro Monat, außerdem nahmen auch fünf oder sechs Bewohner das Angebot an und arbeiteten für monatlich 200 € in dem Hotel, so dass fast jede Familie auch davon profitierte, und bald besaßen etliche Familien Fernseher, Handys, neue Kleidung und andere Artikel. (200 € waren nicht nur auf der Insel, sondern in der ganzen Gegend eine sehr gute Bezahlung, vor allem für einen ungelernten Job.)

Als die gemeinnützige Organisation im nächsten Jahr wiederkam, um die Statistik zu aktualisieren, kam sie allerdings zu einem schrecklichen Ergebnis. Der Investor war inzwischen auf die Insel gezogen. Er war reich, verdiente gut an seinem Hotel, vermietete seine Yacht und hatte sein zuvor bewohntes schönes Haus in Europa und sein dortiges Sommerhaus verkauft und sein gesamtes Vermögen gut angelegt, so dass er auf ein monatliches Einkommen von rund 100.000 € kam. Die auf der Insel wohnhaften Hotelangestellten verdienten mit Nebeneinnahmen so 400 €, die anderen kamen durch den stärkeren Touristenzustrom nun auf 200 € im Monat. Das verheerende Ergebnis ergab, dass das Durchschnittseinkommen der nunmehr 21 Bewohner nunmehr 5000 € betrug, aber 95% der Bevölkerung verdienten noch nicht einmal 10% des Durchschnittseinkommens, waren also jämmerlich arm. Da sieht man mal wieder, dass die Investition eines bösen Kapitalisten der Bevölkerung keinen Wohlstand bringt, sondern Elend! Karl Marx hat wohl doch recht, oder?

Die Inselbewohner selbst hatten allerdings weder von Marx noch von der Theorie, dass alle arm seien, die weniger als 60% des Durchschnitts verdienten, gehört und sagten in der Befragung, es gehe ihnen wesentlich besser als zuvor und sie seien glücklich mit ihrem Leben.

Traurig über das primitive Denken der Bewohner schickte die Organisation den Bewohnern daher einen politisch gebildeten Aufklärer, der den Bewohnern erklärte, dass der Hotelbesitzer zwanzig bis fünfzig Mal mehr verdiene als sie, ein Hotel besitze und über viele Aktien verfüge, von denen die Bewohner zwar keine Vorstellung hatten, die aber wohl wichtig für ein menschenwürdiges Leben sein mussten.

So kam es, dass die Bewohner sich mit der Zeit benachteiligt und als Bürger zweiter Klasse fühlten und traurig und depressiv wurden.

Definition: Wer gilt als arm

Laut Wörterbuch ist derjenige „arm“, „dem das Notwendige zum Leben fehlt“.

Die Berthelsmann-Stiftung dagegen definiert: „Als arm gelten laut Definition der Studie Kinder aus Familien, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens auskommen müssen oder Hartz IV beziehen.”

So gilt ein Mensch als armutsgefährdet, wenn er weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. 2016 lag dieser Schwellenwert für eine alleinlebende Person in Deutschland bei 1064 Euro, für zwei Erwachsene mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 2234 Euro im Monat. In Deutschland gilt dies für jeden Sechsten, das sind 16,5 Prozent der Bevölkerung. 3,7 Prozent müssen sich materiell erheblich einschränken. Das heißt, die Betroffenen waren nicht in der Lage, die Miete, Hypotheken oder die eigene Versorgung zu bezahlen oder die Wohnung angemessen zu beheizen. 9,6 Prozent der Bürger unter 60 Jahren lebten in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung.

Auf ähnlich lautende Berechnungen berufen sich auch andere Institutionen oder Parteien, die die Armut in Deutschland anprangern und das Thema „Armut in Deutschland” propagieren.

 

Nun kann man dabei allerdings einen großen Einwand erheben: Was wäre, wenn ein gigantischer Wirtschaftsaufschwung dazu führen würde, dass alle plötzlich doppelt so reich wären? Würde die Armut dann abnehmen? Antwort: Nach der obigen Definition, die die 60% zur Grundlage hat, würde die Armut danach genau so groß sein wie zuvor.

Um das genauer zu verstehen, könnten wir uns ein übersichtliches Beispiel vorstellen, zum Beispiel ein Dorf mit hundert Einwohnern. Einige Menschen wissen vielleicht nicht, dass es so kleine und doch selbständige Dörfer gibt, da sie in Gegenden wohnen, wo kleinere Dörfer ihre Selbständigkeit verloren haben und von einem Bürgermeister aus einem größeren Dorf im Rahmen einer Gesamtgemeinde regiert werden. In vielen Staaten und auch in einigen deutschen Bundesländern ist das die Regel. In Brasilien werden sogar mitunter zwei oder drei kleine Städte unter einem Bürgermeister (oder sollte man besser „Landrat“ sübersetzen?) zusammengefasst.

Das kleinste deutsche Dorf liegt auf einer Hallig und hat sieben Einwohner. Die Menschen regieren sich selbst und können selbst darüber abstimmen, wenn sie irgendetwas verändern wollen, zum Beispiel, ob sie in der Weihnachtszeit einen Weihnachtsbaum auf der Hallig aufstellen wollen, wo er stehen soll, wie lange er stehen soll, von wann bis wann er stehen soll, wieviel er kosten soll usw. Wäre es nicht im Grunde absurd, wenn so etwas andere Menschen in einer Stadt auf dem Festland für die Halligbewohner entscheiden würden?

Nehmen wir an, alle Bewohner wären Buddhisten oder Moslems, aber der Bürgermeister in der Stadt schreibt ihnen vor, dass sie im Zentrum der Insel einen Weihnachtsbaum aufstellen müssen.

Oder umgekehrt, alle sind Christen, aber der Bürgermeister in der Stadt ist der Meinung, dass man keine Kreuze und Weihnachtsbäume öffentlich aufstellen solle, da islamische und atheistische Mitbürger sich in ihrer Gemütsruhe gestört fühlen könnten.

In Schleswig-Holstein ist es übrigens zum Beispiel so, dass Dörfer unter 100 Einwohnern zwar einen Bürgermeister, aber keine Gemeindevertreter haben, sondern alle Belange in Vollversammlung entscheiden. Also eigentlich eine perfekte Demokratie.

Also, da wir nun wissen, dass es Dörfer mit hundert Einwohnern gibt, stellen wir uns einmal eines vor. Es liegt abgelegen, vielleicht sogar auf einer Insel vor Schleswig-Holstein.

Einige Einwohner sind Landwirte, andere arbeiten auswärts, andere sind bei Staat oder Kirche angestellt oder arbeiten als Fischer, manche sind Rentner. Manche haben kein eigenes Land oder kein eigenes Fischerboot, und erhalten als Helfer in der Landwirtschaft oder auf einem Fischerboot nur einen geringen Lohn.

Insgesamt sieht die gerundete Einkommensverteilung so aus: 10 Einwohner verdienen rund 1000 Euro, 10 rund 1500, 20 rund 2000, 30 rund 3000, 20 rund 4000, 10 rund 5000.

Das durchschnittliche Monatseinkommen beträgt also 2850 Euro. 60% davon sind 1710 Euro. Also verdienen 20 Einwohner weniger als 1710 und müssen als arm gelten.

Als das bekannt wird, macht der örtliche Pastor eine Kampagne in der Presse zur Bekämpfung der Armut und das Problem erscheint in den Medien. Die Menschen, die plötzlich als arm bezeichnet werden, hatten zuvor vielleicht nicht einmal den Eindruck, dass sie arm seien, nun aber wird ihnen erklärt, dass sie arm sind, und wenn sie darüber nachdenken, fällt ihnen auf, dass sie tatsächlich manche Dinge nicht besitzen, die andere haben. Manche von ihnen sind auch Rentner und besitzen bereits alles, was man sich vorstellen kann, was sie sich im Laufe des Lebens angeschafft haben, oder haben sogar beachtliche Ersparnisse, aber der Besitz geht ja nicht mit in die Rechnung ein und daher gelten sie weiterhin als arm.

Immer mehr Zeitungen schreiben über die Armut in dem Dorf und veröffentlichen Apelle des Pastors und nun auch des Bürgermeisters an die Bundes- und Landesregierung, aber die Regierungen verweisen auf die allgemeinen Maßnahmen, die es bereits gibt und sagen, für die Menschen in diesem Dorf könnten keine anderen Regeln gelten als für den Rest des Landes.

Da hört der reichste Mann Deutschlands von dem Dorf und seinen Problemen, und er beschließt, zu helfen. Er ruft den Pastor an und verspricht, dass er allen denjenigen, die arm seien, das Einkommen verdoppeln wolle. Die unteren zehn Prozent erhielten damit statt 1000 nunmehr 2000 Euro, die nächsten statt 1500 nunmehr 3000 Euro.

Euphorisch ruft der Pastor sogleich den Bürgermeister an und teilt ihm mit, dass das Problem Armut besiegt sei. Der Bürgermeister veröffentlicht das sogleich, aber der Oppositionsführer im Dorf verdirbt die Freude und attackiert den Bürgermeister. Der Oppositionsführer gehört nämlich zu denjenigen, die 2000 Euro verdienen, und er wird in Zukunft zu den Ärmsten gehören. Andere, die vorher weniger hatten, würden durch die Spenden mehr als er und andere seiner Einkommensklasse haben. Die 20 Bürger, die bereits zuvor 2000 Euro verdient hatten, machen zusammen mit einigen Sympathisanten so viel Druck, dass der Bürgermeister um ein Gespräch mit dem Spender bittet.

Als der spendable Milliardär von den Schwierigkeiten in dem Dorf hört, ärgert er sich zwar, aber er will seine Spenden nicht widerrufen, zumal er in allen Zeitungen gelobt und bereits fürs Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen wurde. Daher entschließt er sich spontan: „Damit niemand unzufrieden sein muss, werde ich die Einkommen derjenigen, die 2000 Euro verdienen, auch verdoppeln.“

Der Bürgermeister bedankt sich, gibt aber zu bedenken: „Ich fürchte, dass dann diejenigen, die jetzt 3000 Euro verdienen, protestieren werden, denn sie wären dann in Zukunft schlechter gestellt, als diejenigen, die jetzt 2000 Euro verdienen, denn diese werden ja in Zukunft 4000 Euro haben.“

Daraufhin seufzt der Milliardär: „Ich sehe schon, wenn ich Ihnen etwas Gutes tun will, muss ich die Einkommen aller Ihrer Einwohner verdoppeln. Was soll´s, ich habe genug Geld, ich werde es so machen, alle werden das Doppelte erhalten.“

Die Freude im Dorf ist riesig. Der einzige Anhänger der Linken im Dorf versucht jedoch, die Augen der Mitbürger zu öffnen, dass es sich ja nur um eine Augenwischerei eines Kapitalisten handelt, mit der er die Menschen betrügen wolle. Er rechnet vor: „Das durchschnittliche Monatseinkommen werde nunmehr 5700 Euro betragen, und somit würde die Armutsgrenze (also 60 Prozent davon) bei 3420 Euro liegen. Somit seien unverändert 20% der Einwohner arm.“

Der Pastor weigert sich jedoch, den Mann seine Sicht der Dinge im Kirchenblatt veröffentlichen zu lassen, und so tut er sich in dieser Not mit den drei AfD-Anhängern des Dorfes zusammen, und sie bezahlen eine Anzeige in der Lokalzeitung, in der sie die Rechnung veröffentlichen, mit der sie zweifelsfrei nachweisen, dass die Armut keineswegs abgenommen habe, wobei sie noch darauf hinweisen, dass die „Mainstreammedien“ (damit meinen sie das Kirchenblatt) diese Tatsache verschweigen.

Aber die Euphorie über das geschenkte Geld ist so groß, dass die Menschen nichts davon wissen wollen; stattdessen bestellen sie bereits Waren auf Kredit. Da sie Angst haben, der Milliardär könnte über die Anzeige der vier Nörgler verärgert sein und seine Spenden einstellen, veröffentlichen sie ihrerseits eine Anzeige, in der sie ihre tiefe Dankbarkeit ausdrücken, den Milliardär zu Besuch einladen und ihm die Ehrenbürgerschaft antragen. Einige Bürger taten sich sogar zusammen, besuchten die vier Nörgler und beschworen sie, still zu halten, damit der Milliardär auch weiterhin seine Spenden beibehalte.

Der Besuch des Milliardärs in dem Dorf ist ein voller Erfolg, und durch die Sympathie der Menschen, die Ehrenbürgerverleihung, die Blumenüberreichung und die damit verbundenen Umarmungen durch drei Kinder sowie ein Konzert in der Kirche zu seinen Ehren ist der Milliardär tief berührt, und einige Wochen später kündigt er an, das riesige historische Pfarrhaus, in dem zur Zeit kein Pfarrer mehr wohnt und welchem der Verfall droht, aufzukaufen und zu restaurieren. Er werde in einem Teil ein kostenloses Bücher- und Medienzentrum für das Dorf einrichten, und Bürgermeister und Kirche könnten die Räume im Erdgeschoss kostenlos für die Belange der Gemeinde nutzen.

Der Milliardär selbst würde das Obergeschoss bewohnen. Er ist alleinstehend, lebt relativ bescheiden, verpflichtet aber eine Frau aus dem Dorf, die ihm der Bürgermeister auf seine Bitte hin als zuverlässig empfiehlt, für ein großzügiges Gehalt als Haushälterin.

Als jedoch die nächsten Kommunalwahlen herannahen, gründen die vier Nörgler eine eigene Partei, die BfuD (Bürger für unser Dorf). Sie prangern die große Armut in ihrem Dorf an.

Die 100 Alt-Einwohner des Dorfes haben im Schnitt wie bereits früher berechnet 5700 Euro verdient, nur die Haushälterin erhält mit satten 10.000 Euro deutlich mehr als zuvor und ein Bauer, der dem Milliardär frische Produkte liefert, hat daran einige Hundert Euro verdient. Der Milliardär verdient hingegen mit seinem Großunternehmen 100 Millionen im Monat. Das durchschnittliche Monatseinkommen liegt, wie rechnerisch einwandfrei nachgewiesen werden kann, nunmehr bei rund 996.000 Euro. 60% davon sind 597.000 Euro, so dass alle Bürger dieses Dorfes mit Ausnahme des Milliardärs weit unter dieser Armutsschwelle liegen und als bitterarm gelten müssen.

Die neue Partei fordert eine gerechtere Verteilung des Geldes und gewinnt fünf neue Mitglieder.

Als Nächstes prangern die Kritiker die Tatsache an, wie der Bürgermeister der Haushälterin den lukrativen Job bei dem Milliardär verschafft habe. Anstatt die Stelle öffentlich auszuschreiben, so dass jeder sich hätte bewerben können, habe der Bürgermeister eine Frau empfohlen, die früher seine Schulfreundin gewesen sei, eine unerträgliche Kungelei und Vetternwirtschaft, man forderte den Rücktritt des Bürgermeisters.

Schließlich prangerte man noch an, dass ausdrücklich eine Frau angefragt war; damit sei das Gebot der Geschlechtergerechtigkeit verletzt worden, da Männer von vornherein ausgeschlossen gewesen waren. Alle Männer, so forderte man, müssen eine Entschädigung gezahlt bekommen.

Die Partei bekam Auftrieb und stellte fest, dass der Milliardär mehrfach in der Türkei und in anderen islamischen Ländern Urlaub gemacht habe. Dazu passte es, dass man bemerkte, dass in dem Medienzentrum auch ein Koran zu finden war. Vergeblich wies der Pastor darauf hin, dass es dort auch drei Bibeln, das Kapital von Marx und ein Buch über Zarathustra gebe. Viele Bürger bekamen Angst, dass der Milliardär heimlich eine islamische Unterwanderung des Ortes plane, und so geschah es, dass die BfuD die Wahl gewann und den neuen Bürgermeister stellte.

Dem Milliardär gefiel das nicht. Er verlegte seinen Hauptwohnsitz nach Monaco, entließ die Haushälterin und stellte seine Spenden ein. Damit verdienten alle Bürger wieder dasselbe wie früher. Sie hatten zwar in den vergangenen Monaten ihren Besitz durch viele Anschaffungen vergrößern können und verfügten nun über neue Boote, Fernseher usw., aber viele hatten sich an das viele Geld und das großzügige Ausgeben gewöhnt und oft auch auf Kredit größere Anschaffungen gemacht und hatten nun Schwierigkeiten, wieder mit der Hälfte des Einkommens auszukommen.

Die PfuD konnte hingegen nach einem Jahr eine positive Bilanz ihrer Arbeit veröffentlichen: „Armut in unserem Dorf bereits um 80% gesunken. Nur noch 20% liegen unterhalb der Armutsgrenze.“

Diese Geschichte ist sicherlich ein drastisches und daher satirisch anmutendes Beispiel, aber es wirft ein bezeichnendes Licht darauf, wie irreführend solche Statistiken sein können, wenn bestimmte Leute sie für ihre Zwecke benutzen, und wie unsinnig manche Methoden zur Berechnung der Armut sind. So kann es nach solchen Berechnungen in einem reichen württembergischen Dorf, in dem die Menschen zwischen 5000 und 20.000 Euro verdienen, mehr Arme geben als in einem abgelegenen armen pommerschen oder brandenburger Dorf, in dem die Menschen 1500 bis 2500 Euro verdienen.