Czytaj książkę: «Unerhört – Esther Vilar und der dressierte Mann»

Czcionka:

ALEX BAUR

UNERHÖRT

ESTHER VILAR UND DER DRESSIERTE MANN

Alex Baur

Unerhört

Esther Vilar und der dressierte Mann

Elster & Salis AG, Zürich

info@elstersalis.com

www.elstersalis.com


Lektorat/Korrektorat Anja Linhart und André Gstettenhofer
Satz Peter Löffelholz für Torat GmbH
Umschlaggestaltung André Gstettenhofer
Umschlagbild Sven Simon, Sven Simon Fotoagentur GmbH & Co. Pressefoto KG
Gesamtrealisation www.torat.ch
Gesamtherstellung CPI Books GmbH, Leck

1. Auflage 2021

© 2020, Elster & Salis AG, Zürich

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-03930-012-9

eISBN 978-3-03930-013-6

Elster & Salis AG wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Förderbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

INHALT

Wünsch dir was

La Bomba

Eine deutsche Biografie

Die große Freiheit

Zum Autor

WÜNSCH DIR WAS

Als sie an jenem Morgen in einem Wiener Hotelzimmer aufwachte, war Esther Vilar eine berühmte Frau. Wusste sie das? Zumindest eine Ahnung hatte sie. Die Spannung in der Wiener Stadthalle war noch mit den Händen zu greifen gewesen, als die Scheinwerfer und die Kameras längst ausgeschaltet waren. Alle Augen und Ohren, so schien es ihr, waren auf sie gerichtet. Esther Vilar hatte sich so schnell aus dem Staub gemacht, wie es der Anstand nur erlaubte. Der Rummel war ihr nicht geheuer. Sie spürte, dass ein Bann gebrochen war. Nur wusste sie nicht recht, in welche Richtung es nun weitergehen sollte. Kaum im Bett, war sie eingeschlafen. Nach einer traumlosen Nacht – schon lange hatte sie nicht mehr so tief geschlafen, welch wohliges Gefühl – ließ sie im Halbschlaf ihren Auftritt in der Wiener Stadthalle Revue passieren: Feministische Erbauungsliteratur … fantastische Ausrede … sexuelles Monopol … Luxusleben … Kuchen backen … geistige Tätigkeit … Dressurakte … Koffer tragen … Krieg … Sklaven … Brutinstinkt … Kindergeiseln … streunende Hunde … Straßenecke … Freier. Nein, sie hatte nichts ausgelassen. Ja, die Sendung war optimal gelaufen. Zweifellos.

Wie erfolgreich ihr Auftritt tatsächlich gewesen war, wurde Esther Vilar allerdings erst richtig bewusst, als sie an jenem Morgen auf der Suche nach einem Kaffeehaus durch die Wiener Innenstadt schlenderte. Wildfremde Menschen grüßten, als wäre sie eine alte Bekannte. Kinder, die in der Straßenbahn vorbeifuhren, zeigten ungeniert mit den Fingern auf sie. Die einen nickten ihr mit einem verschmitzten Grinsen zu, andere starrten sie verdutzt an (oder war es eher feindselig?). Ein Passant, den sie um Rat gebeten hatte, führte sie persönlich zu einem Kaffeehaus (»Aber bitte, Frau Vilar, das ist doch selbstverständlich«). Man schrieb den 31. Oktober 1971, es war ein Sonntag.

Mit einem genialen Coup über Nacht in die Sphäre der Stars katapultiert, auf wundersame Weise von der gesichtslosen Raupe zum bunten Schmetterling transformiert, den Namen unsterblich in die Annalen der Geschichte graviert. Das ist es, wovon Millionen und Abermillionen Menschen – Künstler, Unternehmerinnen, Wissenschaftler, Ärztinnen, Philosophen, Schauspielerinnen, Generäle, Helden des Alltags aller Art – jeden Tag mindestens einmal träumen. Wie viele haben sich schon aufgeopfert für diesen Traum, haben alles gegeben, sich prostituiert, sich nächtelang in ihren Betten gewälzt, sich gequält und geschunden, sich alles Mögliche und Unmögliche eingeredet und eingebildet, im Wissen darum, dass es nur ganz wenige, eigentlich nur Einzelne schaffen. Und selbst wenn sie es schaffen, dauert die Aufmerksamkeit meist nicht länger als jene flüchtigen fünfzehn Minuten zweifelhaften Ruhms, die Andy Warhol einst jedem Erdenbürger zubilligte.

Waren das nun ihre fifteen minutes – die fünfzehn Minuten der Esther Vilar? »Die Eitelkeit, der kleine Argentinier in uns allen«, schoss es ihr durch den Kopf. Vilar lachte leise auf. Ein Herr am Nebentisch, der sie schon seit geraumer Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, nickte ihr freundlich zu, sie lächelte flüchtig zurück, wandte sich aber gleich wieder ihrer Kaffeetasse zu. Sie hatte keine Lust auf Gespräche. Der kleine Tango-Argentinier in uns allen, den musst du dir merken, der ist gut. Gewiss, kein Mensch ist frei von Eitelkeit, das wusste sie nur zu gut, auch Esther Vilar nicht (eigentlich war das nicht ihr richtiger Name, doch davon später). Aber nein, sie hatte den kleinen Argentinier, mit dem sie im Übrigen einen recht unbeschwerten Umgang pflegte, ganz leidlich unter Kontrolle. Abgesehen davon war ihr die öffentliche Aufmerksamkeit eher eine Last denn eine Freude, aufjeden Fall ungeheuer. Das Aufsehen war nützlich, ja unabdingbar für ihre Karriere als Schriftstellerin, mehr nicht. Der Rummel um ihre Person würde die Auflage ihres Buches steigern. Und nichts misst den Erfolg eines Werkes so unbestechlich wie die Verkaufszahlen (über den kommerziellen Erfolg lästern nur jene, die ihn vermissen – oder etwa nicht?). Schließlich schrieb man für das Publikum (ein möglichst großes Publikum, so einfach ist das). Und ganz abgesehen davon konnte sie das Geld gut gebrauchen, nach ihrem Rausschmiss beim Pharmaunternehmen mehr denn je. Obwohl – nein, das Finanzielle hatte ihr nie wirklich Sorgen bereitet.

Tatsächlich fürchtete sie nichts mehr in ihrem Leben als öffentliche Showdowns wie jener vom Vorabend in der Wiener Stadthalle. Es war ihr erster TV-Auftritt überhaupt gewesen. Zahllose sollten folgen. Die panische Angst vor dem Rampenlicht blieb Vilar auch später als stetige Begleiterin erhalten. Lag etwa gerade hier das Geheimnis ihres Erfolgs? War es diese Urangst, die sie jeweils zu Höchstleistungen antrieb?

Jedenfalls dauerte der Hype um Vilar länger als die besagten fünfzehn Minuten, bedeutend länger, nämlich sechs Jahre, um genau zu sein. Bis sie sich selber dafür entschied, damals auf der Dachterrasse eines Hotels in Madrid, dem Schreiben ein Ende zu setzen. Es waren sechs verrückte Jahre …

Wo immer sie auftrat, diese stets freundliche, aber auch unnahbare Frau Doktor, von der man nie recht wusste, ob sie nun aus Südamerika oder aus Europa stammte, waren hitzige Debatten garantiert: zuerst in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz, dann in England, in Nord- und Südamerika. In Spanien wurden sogar Bücher über sie geschrieben. Ein geschlagenes Jahr lang hielt sich ihr Erstling Der dressierte Mann nach jenem legendären Wiener TV-Auftritt in den Top Ten der Spiegel-Bestsellerliste. Im spanischen Sprachraum dauerte der Boom sogar noch länger an. Das millionenfach verkaufte und in mindestens zwei Dutzend Sprachen (ein weiteres Dutzend Raubkopien nicht mit eingerechnet) übersetzte Büchlein sorgte für rote Köpfe von Istanbul bis Reykjavik, von Tokio bis Caracas. Der dressierte Mann prägte eine ganze Generation, in welche Richtung auch immer.

Gemäß den einen Umfragen stießen Vilars Thesen um den dressierten Mann mehrheitlich auf Ablehnung. Andere schienen das Gegenteil zu belegen. Es kommt halt immer drauf an, wer wen wie befragt. Wer sieht schon in die Köpfe der Menschen hinein, zumal in keinem Bereich so viel gelogen und geschummelt wird wie bei den Fragen des Geschlechts. Wenn es um Beziehungen und Sex geht, entspricht die geäußerte Meinung nicht immer (oder auch eher selten) dem tatsächlichen Empfinden. Es war auch von Land zu Land verschieden. Die Deutschen debattierten eher mit harten Bandagen, die Angelsachsen etwas kühler, bei den Lateinern wurde es oft chaotisch. Das Entscheidende aber war: Es erschien unmöglich, keine Meinung zu diesem Büchlein zu haben – man war entweder für oder gegen Vilar, dazwischen gab es nichts.

Wie war es möglich, dass ein dünnes Büchlein – eine Streitschrift, ein Pamphlet, wie sie es nannte – einer bis dahin völlig unbekannten Autorin, die bar jeder Rückendeckung allein gegen den gefühlten Rest der Welt angetreten war, einen derartigen Wirbel auslöste?

Es kommt nicht oft vor, dass ein Einzelner mit einer zündenden Idee, mit nichts als Worten und Sätzen einen Flächenbrand auslöst. Gewiss, mit den Tricks der Werbung kann man einiges steuern, und wenn das Budget nur groß genug ist, lässt sich jeder Schund an den Mann oder die Frau bringen. Doch echte Scoops lassen sich weder voraussehen noch lenken, sie passieren einfach. Als Martin Luther vor 500 Jahren seine 95 Thesen ans Tor der Schlosskirche zu Wittenberg hämmerte, war ihm kaum bewusst, dass man seinen Protestakt dereinst als Auftakt zur Reformation memorieren würde. Zweifellos hatte Karl Marx nicht weniger als eine Weltrevolution im Auge, als er 1848 mit dem kommunistischen Manifest der kapitalistischen Ordnung den Krieg erklärte. Doch wie viele Revolutionäre hatten vor Marx schon Kampfschriften verfasst, die vielleicht viel besser und eloquenter waren – und die, sofern sie überhaupt einer auch nur zur Kenntnis nahm, unbeachtet auf der Müllhalde der Geschichte landeten. Mutmaßlich haben die wenigsten, die sich auf Marx berufen, das schwer verdauliche und von Pathos nur so strotzende Manifest zu Ende gelesen, geschweige denn verstanden. Aber aus irgendeinem Grund setzte es sich durch.

Zugegeben, der Titel war genial: Der dressierte Mann! Eine solche Marke provoziert, weckt Neugierde. Schon die englische Übersetzung, The Manipulated Man, klang dagegen eher holprig und auch die spanische, El Varón Domado, nur halbwegs verheißungsvoll. Offenbar steckte doch mehr als nur Marketing und Provokation (ein Vorwurf, den sich Esther Vilar immer wieder anhören musste) in diesem Stoff. Offensichtlich hatte sie einen Nerv getroffen, einen zentralen Nerv. Und eigentlich war das Verwunderlichste an der ganzen Geschichte, dass noch keiner vor ihr auf diese Idee gekommen war.

Bleibt die große Frage: War die Aufmerksamkeit lediglich dem Zeitgeist geschuldet – oder ging es hier um etwas viel Grundsätzlicheres, etwas Universales?

Vilars Kernthese: Die Frauen sind weder benachteiligt noch unterdrückt, sie sind bloß zu faul und zu bequem, um in der Wirtschaft, in der Kunst, in der Wissenschaft oder in der Politik Führungsverantwortung zu übernehmen; für die harte und anspruchsvolle Arbeit schicken Frauen Männer vor, die sie zu diesem Zweck mit allerlei Tricks manipulieren; sie zelebrieren sich als Dummerchen, vermitteln dem Mann das Gefühl von Überlegenheit, so dass der eitle Geck gar nicht merkt, wie sie ihn an der Nase herumführen; Frauen erpressen ihre Männer in zwei existenziellen Bereichen, in denen sie ihnen weit überlegen sind: Sie kontrollieren den Sex und den Nachwuchs; das Getöse um die Ausbeutung der Frau ist nicht mehr als eine raffinierte Täuschung, deren Ziel es ist, die tradierte Rollenteilung zu zementieren; wahre Emanzipation beginnt mit der Befreiung des Mannes aus seiner von den Müttern anerzogenen Unterwerfung.

Das war auch und gerade in jener Zeit eine unerhörte Theorie. Die erste Welle von Woman’s Lib, die seit Mitte der 1960er Jahre von den USA aus über die ganze Welt schwappte, hatte Anfang der 1970er Jahre Europa erreicht. Gewiss, die Emanzen, Mannsweiber oder Suffragetten, wie sie von ihren Gegnern beschimpft wurden, waren stets auch auf Widerstand gestoßen. Doch was Vilar postulierte, entsprach nicht dem gängigen Muster der Abwehr. Sie rief die Frauen ja nicht zurück an den Herd, sondern im Gegenteil, die Frauen sollten endlich aus ihren Haushaltungen herauszustürmen und Verantwortung übernehmen. In ihrer Radikalität überholte Vilar viele Feministinnen sogar – allerdings, um beim Bild zu bleiben, nicht auf der linken, sondern auf der verpönten rechten Fahrspur. Das Problem lag aus ihrer Sicht nicht bei den Männern, sondern bei den Frauen. Sie sollten nicht darauf warten, dass ein Gentleman nach alter Väter Sitte ihnen den Vortritt ließ, sie sollten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Frauen waren keine Opfer, sondern Täterinnen.

Es gab durchaus engagierte Feministinnen, die in Vilar eine Verbündete erkannten und sich von ihrem Weckruf begeistern ließen. Doch das war eine kleine Minderheit. Vor allem gab es auch keine Bewegung, wirklich keine einzige, die sich auf ihre Seite geschlagen hätte. Esther Vilar war eine Solokämpferin, die sich nirgends einordnen ließ. Auf der politischen Ebene mag das ein Nachteil gewesen sein, der ihren Kampf aussichtslos erscheinen ließ. Auf der intellektuellen aber war es ihr vielleicht größter Vorteil. Vilar musste nie auf die Befindlichkeiten von Mitstreiterinnen Rücksicht nehmen. Das Ringen um den kleinsten gemeinsamen Nenner brauchte sie nicht zu kümmern; sie konnte sich auf die maximale Kontroverse konzentrieren. Diese große Freiheit nutzte sie gnadenlos. Diese Freiheit machte Vilar zu einer ungemein agilen und schwer berechenbaren Gegnerin im Rededuell. Und sie verschaffte ihr eine hohe Glaubwürdigkeit.

Wäre es anders gekommen, wenn Vilar sich an den Kopf einer Bewegung gestellt hätte, wenn sie Kompromisse eingegangen wäre? Vielleicht. Nur stellte sich ihr diese Frage gar nicht. Es lag nicht in ihrem Naturell. Wo sie es trotzdem versuchte, sollte sie grandios scheitern. Vilar baute allein auf die Kraft der Argumente in der offenen Debatte. Und von diesen hatte sie doch einige auf ihrer Seite – starke Argumente, die nicht so einfach zu widerlegen waren und die ihre Kontrahenten (meistens waren es Kontrahentinnen) regelmäßig aus der Fassung brachten.

Es war ja nicht so, dass die Frauen in den 1970er Jahren auf der Weltbühne von der politischen Macht ausgeschlossen gewesen wären. Schaut man zurück, fragt man sich vielmehr augenreibend, wo all die Powerfrauen von damals heute geblieben sind. In Indien, immerhin der größten Demokratie der Welt, regierte Indira Gandhi (1966 bis 1977); Golda Meir führte Israel (1969 bis 1974) durch den vielleicht gefährlichsten Krieg seiner Geschichte; in Großbritannien trimmte die eiserne Parteivorsitzende Margrit Thatcher (1975 bis 1990) die Konservativen gerade auf ihren Kurs und zettelte eine liberale Revolution an, die weit über ihr Land hinausstrahlen sollte. Gandhi, Meir, Thatcher, das waren keine Quotenfrauen, sondern Macherinnen, die sich in der Männerwelt offensichtlich durchsetzen konnten. Keine von ihnen hat sich je beklagt, dass ihr Geschlecht ein Nachteil gewesen wäre.

»Dass ich eine Frau war«, schrieb Golda Meir in ihrer Autobiographie, »hat mich nie in irgendeiner Weise behindert.« Es habe ihr allerdings auch nicht genützt, es sei einfach ohne Bedeutung gewesen. Women’s Lib war aus Meirs Sicht »ein Haufen Torheit« (a lot of foolishness). »Mächtig zu sein ist, wie eine Lady zu sein«, spottete Thatcher einmal, »wer es zur Schau stellt, ist es mit Sicherheit nicht.« Der Frauenbewegung, erklärte die eiserne Lady, schulde sie »rein gar nichts«. Genderfragen, so schrieb ihr Biograph Allan Mayer, hätten sie nur gelangweilt.

Es zeigte sich auch, dass Frauen nicht unbedingt die friedfertigeren und rücksichtsvolleren Machthaber waren. Sirimavo Bandaranaike gilt als erste demokratisch gewählte Präsidentin der Welt, sie regierte Ceylon beziehungsweise Sri Lanka von 1960 bis 1965 und von 1970 bis 1977. Ihr rücksichtsloses Vorgehen gegen die tamilische Minderheit gab den Anstoß zu einem blutigen Bürgerkrieg; die von Bandaranaike forcierten Verstaatlichungen ruinierten das Land nachhaltig. Die übelsten Despotenjener Epoche waren wohl Männer, doch diese hatten nicht selten raffgierige Frauen – wir erinnern uns an Imelda Marcos oder María de Trujillo – an der Seite, die ihren Ehegatten bei der Plünderung der Staatskassen eifrig zur Hand gingen. Auf der anderen Seite schaffte es im sozialistischen Block, wo die Gleichstellung der Frauen seit je besonders forciert wurde, nie eine Genossin zur großen Führerfigur.

Offensichtlich waren die Machtverhältnisse unter den Geschlechtern etwas komplizierter, als sie in den gängigen feministischen Lehren propagiert wurden. Was Esther Vilar predigte, war zudem mehr als hölzerne Theorie, sie konnte es mit anschaulichen Beispielen belegen.

Der dressierte Mann beginnt mit einer Geschichte aus dem Alltag. Ein eleganter Sportwagen steht mit einer Reifenpanne am Straßenrand. Doch die Besitzerin des Autos denkt nicht daran, Ersatzreifen und Wagenheber in die Hand zu nehmen, um das Malheur zu beheben. Sie setzt den dümmsten Blick auf, den sie für solche Fälle intus hat, und stellt sich neben ihr Auto. Sie muss nicht lange auf einen netten Unbekannten warten, der die missliche Lage erkannt hat und ihr zu Hilfe eilt. Sie muss ihn nicht einmal bitten. Von sich aus wirft sich der Gentleman in den Schmutz, um das Rad zu wechseln, selbstverständlich gratis. Dankbar dafür, dass er einer Dame in Not dienen durfte, öffnet ihr der Herr nach getaner Arbeit noch die Autotür und rät, den havarierten Reifen möglichst bald reparieren zu lassen. Während sie davonrauscht, reinigt er behelfsmäßig seine verschmutzten Schuhe und klopft seinen Anzug aus, schaut auf die Uhr, er ist im Verzug. Gegen seine Gewohnheit fährt er unvorsichtig schnell weiter, um die versäumte Zeit aufzuholen. Den geplanten Termin hat er gleichwohl verpasst. Doch er nimmt es mit fröhlicher Gelassenheit hin: »Nach einer Weile fängt er an, leise vor sich hinzusummen. Auf eine gewisse Art ist er glücklich.«

Eine nette Alltagszene in der Art, wie sie wohl jeder schon einmal erlebt hat oder zumindest locker nachvollziehen kann. Was Vilar mit der Anekdote illustrieren will, ist weniger nett.

»Die meisten Männer hätten sich in der gleichen Situation gleich verhalten, die meisten Frauen ebenso: Die Frau lässt den Mann – nur aufgrund der Tatsache, dass er ein Mann ist und sie etwas ganz anderes, nämlich eine Frau – bedenkenlos für sich arbeiten, wann immer es eine Gelegenheit gibt. (…) Die Frauen lassen die Männer für sich arbeiten, für sich denken, für sich Verantwortung tragen. Die Frauen beuten die Männer aus. (…) Warum werden die Frauen nicht entlarvt? (…) Alle Eigenschaften eines Mannes, die der Frau nützen, nennt sie männlich, und alle, die ihr nicht nützen und auch sonst niemandem, nennt sie weibisch. (…) Was ist der Mann? Der Mann ist ein Mensch, der arbeitet. Mit dieser Arbeit ernährt er sich selbst, seine Frau und die Kinder seiner Frau. Eine Frau dagegen ist ein Mensch, der nicht (oder nur vorübergehend) arbeitet. Die meiste Zeit ihres Lebens ernährt sie weder sich selbst noch ihre Kinder, geschweige denn ihren Mann. (…) Was immer der Mann tut, wenn er arbeitet – ob er Zahlen tabelliert, Kranke heilt, einen Bus lenkt oder eine Firma leitet –, in jedem Augenblick ist er Teil eines gigantischen, unbarmherzigen Systems, das einzig und allein auf seine maximale Ausbeutung angelegt ist, und er bleibt diesem System bis an sein Lebensende ausgeliefert. (…) [Die Männer] tun es, weil sie dafür dressiert werden: Ihr ganzes Leben ist nichts als eine trostlose Folge von Dressurkunststückchen. Ein Mann, der diese Kunststückchen nicht mehr beherrscht, der weniger Geld verdient, hat ›versagt‹ und verliert alles: seine Frau, seine Familie, sein Heim, den Sinn seines Lebens – jedwede Geborgenheit. (…) Der Mann sucht immer jemand oder etwas, dem er sich versklaven kann, denn nur als Sklave fühlt er sich geborgen – und seine Wahl fällt dabei meist auf die Frau.«

In diesem Tonfall geht es weiter, über 200 Seiten. Vilar formuliert rasiermesserscharf und in einem halsbrecherischen Tempo, kein Wort ist zu viel. Grautöne, ein Einerseits-Andererseits, Relativierung und Vorbehalte gibt es nicht. Alles ist auf den maximalen Kontrast in Schwarz und Weiß getrimmt. Widerspruch erscheint zwecklos. Denn während der Leser in seinem Kopf noch den Haken an der Sache sucht, ist ihm die Autorin schon zuvorgekommen und widerlegt seinen Einspruch, bevor er ihn zu Ende gedacht hat.

»Es gilt als erwiesen, dass Männer und Frauen mit den gleichen geistigen Anlagen geboren werden, dass es also keinen primären Intelligenzunterschied zwischen den Geschlechtern gibt. Ebenso erwiesen ist aber, dass Anlagen, die nicht entwickelt werden, verkümmern: Die Frauen benützen ihre geistigen Anlagen nicht, sie ruinieren mutwillig ihren Denkapparat und gelangen nach einigen Jahren sporadischen Gehirntrainings in ein Stadium sekundärer, irreversibler Dummheit. (…) Warum benützen die Frauen ihr Gehirn nicht? Sie benützen es nicht, weil sie, um am Leben zu bleiben, keine geistigen Fähigkeiten brauchen. Theoretisch wäre es möglich, dass eine schöne Frau weniger Intelligenz besitzt als beispielsweise ein Schimpanse und dass sie sich dennoch im menschlichen Milieu behauptet.«

Starker Tobak? Das war bloß der Anfang, es kommt noch heftiger. Zarte Gemüter schnallen sich nun besser an.

«Spätestens mit zwölf Jahren – einem Alter, in dem die meisten Frauen beschlossen haben, die Laufbahn von Prostituierten einzuschlagen, das heißt, später einen Mann für sich arbeiten zu lassen und ihm als Gegenleistung ihre Vagina in bestimmten Intervallen zur Verfügung zu stellen – hört die Frau auf, ihren Geist zu entwickeln. Sie lässt sich zwar weiterhin ausbilden und erwirbt dabei allerlei Diplome – denn der Mann glaubt, dass eine Frau, die etwas auswendig gelernt hat, auch etwas weiß (ein Diplom erhöht also den Marktwert der Frau) –, doch in Wirklichkeit trennen sich hier die Wege der Geschlechter ein für alle mal. Jede Verständigungsmöglichkeit zwischen Mann und Frau wird an diesem Punkt abgeschnitten, und zwar für immer. (…) Grundlage der Ökonomie ist noch immer der Tausch. Wer eine Dienstleistung verlangt, muss etwas entsprechend Wertvolles dagegen bieten. Nun verhält es sich so, dass die Männer die exklusive Nutzung der weiblichen Vagina zu Wahnsinnspreisen hochgesteigert haben (…) Die Frauen können wählen, und das ist es, was sie den Männern so unendlich überlegen macht: Jede von ihnen hat die Wahl zwischen der Lebensform eines Mannes und der eines dummen, parasitären Luxusgeschöpfes – und so gut wie jede wählt für sich die zweite Möglichkeit. Der Mann hat diese Wahl nicht. (…) Außerhalb seiner Funktion als Ernährer misst die Frau dem Mann keinen Wert zu. (…) Die Frau kann ruhig lügen. Da sie nicht in den Arbeitsprozess eingegliedert ist, schadet die Lüge immer nur einem einzelnen Menschen – meist ihrem Mann –, und sie nennt sie, wenn sie zuweilen doch ertappt wird, auch nicht ›Lüge‹ oder ›Betrug‹, sondern ›weibliche List‹. (…) Die Gefühlsarmut der Frau zeigt sich auch darin, dass sie die Emotionen des Mannes unterdrückt, wo sie nur kann, und sich dabei noch in den Ruf bringt, gefühlvoll und sensibel zu sein. Die Tränendrüsen sind winzige Flüssigkeitsbehälter, die, ähnlich wie die Harnblase, durch Training dazu gebracht werden können, dem Willen zu gehorchen. (…) Die einzig wichtige Tat im Leben einer Frau ist die Wahl des richtigen Mannes (sie darf sich sonst überall irren, hier nicht), und deshalb trifft sie diese Wahl meist dort, wo sie die männlichen Qualitäten, auf die es ihr ankommt, am besten beurteilen kann: beim Studium und bei der Arbeit. Büros, Fabriken, Colleges und Universitäten sind für sie nichts weiter als riesige Heiratsmärkte. (…) Welches Milieu sie zum Ködern ihres künftigen Arbeitssklaven tatsächlich wählt, hängt weitgehend vom Einkommen des Mannes ab, der sich vorher für sie versklavt hatte – ihres Vaters. Die Töchter gutverdienender Männer suchen sich den Mann zum Heiraten vorzugsweise auf Hochschulen und Universitäten, denn dort bestehen die größten Chancen, einen mindestens ebensogut verdienenden Mann zu finden (außerdem ist ein Pro-Forma-Studium bequemer als eine – wenn auch vorläufige – Berufstätigkeit.). Mädchen aus weniger gutem Hause müssen sich zum gleichen Zweck vorübergehend in einer Fabrik, einem Laden, Büro oder Krankenhaus verdingen. Beide Formen des Engagements sind provisorisch – sie dauern bis zur Hochzeit, in Härtefällen bis zur Schwangerschaft. (…) Die Frau kennt keinen Kampf. Wenn sie ihr Studium abbricht und einen Universitätsdozenten heiratet, hat sie ohne Anstrengung das gleiche erreicht wie er. Als Ehefrau eines Fabrikanten wird man sie mit noch größerer Ehrerbietung behandeln als diesen. Als Frau hat sie immer den Lebensstandard und das Sozialprestige ihres Mannes und muss nichts tun, um diesen Standard und dieses Prestige zu erhalten – das tut er. Der kürzeste Weg zum Erfolg ist deshalb für sie immer noch die Heirat mit einem erfolgreichen Mann. (…) Die hässliche Frau arbeitet aus dem gleichen Grund wie der Mann: weil es sonst niemand für sie tut. Doch während der Mann mit seinem Gehalt Frau und Kind ernährt, arbeitet sie immer nur für sich selbst und nie, um mit dem verdienten Geld das Leben eines schönen jungen Mannes zu finanzieren. (…) Für die Frau muss Arbeit immer Vergnügen bleiben, und damit es so ist, braucht eine berufstätige Frau einen berufstätigen Mann. Wenn sie schon etwas tut, dann stellt sie auch Bedingungen, und eine davon ist, dass sie sich die Arbeit aussuchen kann und dass sie sie jederzeit wieder aufgeben darf. Deshalb steckt sie lieber ihr Neugeborenes in eine Kinderkrippe, als dass sie auf den berufstätigen Partner verzichtet; deshalb bleibt sie lieber selbst zu Hause, bevor sie ihren Mann zu Hause lässt und ihre Berufstätigkeit zu Zwang und Verantwortung werden könnte. (…) Für die Frau bedeutet Liebe Macht, für den Mann Unterwerfung.«

Vilars Pamphlet fällt just in eine Zeit, in der die feministische Welle, ausgelöst durch das amerikanische Women’s Lib Movement, weltweit einem ersten Höhepunkt zusteuert. Der dressierte Mann kann auch als Kampfansage an die Gender-Aktivistinnen gelesen und verstanden werden. Und auch in diesem Punkt greift Vilar bar jeder Rücksichtnahme die Befindlichkeit des zarten Geschlechts frontal an.

»Women’s Liberation ist gescheitert. Die Geschichte von der unterprivilegierten Frau war eine Fiktion, und mit einer Fiktion lässt sich kein Aufstand inszenieren. Die Leidtragenden sind wieder einmal die Männer. In einem Land, in dem der Mann von der Frau so skrupellos ausgebeutet wird wie in den USA, ist eine Bewegung, die für noch mehr Frauenrechte kämpft, eine reaktionäre Bewegung. Solange das Geschrei nach weiblicher Gleichberechtigung nicht aufhört, kann der Mann niemals auf den Gedanken kommen, dass eigentlich er das Opfer ist. (…) Die Amerikanerin ist die höchstbezahlte Ehefrau der Welt. Von allen Frauen der Welt führt sie das komfortabelste Leben. (…) Die Frau fühlt sich durch den Mann alles andere als bevormundet. (…) Der Mann ist der Frau nicht wichtig genug, dass sie sich gegen ihn auflehnt. (…) In der Welt der Frauen zählen nur die anderen Frauen. (…) Dermaßen von ihrem eigenen Geschlecht im Stich gelassen, begannen die Theoretikerinnen von Women’s Lib sich immer weiter in Details zu verstricken: ob jeder Geschlechtsverkehr mit einem Mann eine Vergewaltigung der Frau sei, ob man den vaginalen Orgasmus überhaupt akzeptieren dürfe, ob nur die Lesbierin wirklich emanzipiert sei, ob die Frauenfrage akuter sei als das Rassenproblem, usw. Angelockt von der großen Publizität, die sie dort erwartet – denn wo fällt eine hübsche Frau mehr auf als unter hässlichen? –, war mittlerweile eine ganze Reihe attraktiver ›emanzipierter‹ Frauen zur Organisation gestoßen. Und obwohl diese Frauen keine Ahnung von den Problemen haben konnten, von denen sie redeten – eine attraktive Frau wird weder im Beruf noch im Privatleben diskriminiert –, übernahmen sie doch bald die Starrollen in der Organisation. (…) Auch die Hässliche verzichtet trotz ihres Erfolges nie auf ihren Sonderstatus und erwartet mit größter Selbstverständlichkeit, dass ihre Umwelt sie – als Frau, die erfolgreich war – wie eine Art Weltwunder betrachtet. Es ist geradezu obszön, wie sehr gerade diese Frau immer ihre Weiblichkeit herausstreicht. Sie produziert sich vor Presse und Fernsehen, wo immer es geht, lässt ihren schwabbeligen Busen über ihre große Schreibtischplatte hängen und klagt, wie schwer gerade sie, als Frau, es in ihrer hohen Position habe. (…) Die emanzipierte Frau ist genauso dumm wie die anderen, aber sie möchte nicht für dumm gehalten werden: Von Hausfrauen spricht sie nur auf die abfälligste Art. Sie glaubt, allein die Tatsache, dass sie eine Arbeit ausführt, die auch eines Mannes nicht unwürdig wäre, mache sie intelligent. Sie verwechselt dabei Ursache mit Wirkung: Die Männer arbeiten ja nicht, weil sie so intelligent sind, sondern weil sie müssen. (…) Simone de Beauvoir, die mit ihrem 1949 erschienenen Werk ›Das andere Geschlecht‹ Gelegenheit hatte, das erste Buch über die Frau überhaupt zu schreiben, ließ diese Gelegenheit vorübergehen und erstellte statt dessen mit viel Fleiß ein Kompendium der Ideen Freuds, Marx’, Kants usw. über die Frau. Anstatt sich die Frauen einmal anzusehen, durchforstete sie die Bücher der Männer und fand natürlich überall Zeichen für weibliche Benachteiligung. Die Neuigkeit ihres Elaborats bestand lediglich darin, dass diesmal die männliche Meinung über die Frau die Unterschrift einer Frau trug. (…) Doch die Weichen für die anderen Schriftstellerinnen waren damit gestellt: Betty Friedan, Kate Millett, Germaine Greer, eine kopierte die andere, sie überschlugen sich in ihrem Eifer, Beweise für männliche Infamie zu erbringen – doch über ihr wirkliches Sujet, die Frau, schrieben sie nichts, was der Rede wert gewesen wäre. (…) Die Mündigkeit der Frau wurde wieder einmal nicht erreicht. Denn die Befreiung der Frau wäre die Befreiung der Frau von ihren Privilegien – doch dafür, dass das nicht passieren konnte, sorgte ausgerechnet Women’s Lib.«

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