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Czytaj książkę: «Tausend und Ein Gespenst», strona 50

Czcionka:

Der Doctor streckte die Hand nach Hoffmann aus, ohne die geringste Bewegung des Kopfes zu machen, so daß die Hände der beiden Zuschauer sich einige Augenblicke lang in der Luft suchten, bevor sie sich begegneten.

Endlich ergriff Hoffmann die Lorgnette und drückte sie an seine Augen.

– Das ist sonderbar, murmelte er.

– Was denn? fragte der Doctor.

– Nichts, nichts, antwortete Hoffmann, der seine ganze Aufmerksamkeit dem widmen wollte, was er sah, und in Wahrheit, das, was er sah, war sonderbar.

Die Lorgnette näherte die Gegenstände seinen Augen dermaßen, daß Hoffmann zwei bis drei Male die Hand ausstreckte, indem er Arséne zu ergreifen glaubte, die nicht mehr an dem Ende des Glases, das sie zurückwarf, sondern vielmehr zwischen den beiden Gläsern zu sein schien. Unserm Deutschen entging daher nicht der geringste Zug von der Schönheit der Tänzerin, und diese bereits aus der Ferne so glühenden Blicke umgaben seine Stirne mit einem Feuerkreise, und ließen das Blut in den Adern seiner Schläfe sieden.

Die Seele des jungen Mannes machte ein entsetzliches Geräusch in seinem Körper.

– Wer ist diese Frau? sagte er mit schwacher Stimme, ohne die Lorgnette zu verlassen und ohne sich zu regen.

– Es ist Arséne, ich habe es Ihnen bereits gesagt, erwiderte der Doctor, dessen Lippen allein lebendig schienen, und dessen regungsloser Blick an die Tänzerin gefesselt war.

– Diese Frau hat ohne Zweifel einen Geliebten?

– Ja.

– Den sie liebt?

– Man sagt es.

– Und ist er reich?

– Sehr reich.

– Wer ist es?

– Blicken Sie zur Linien auf die Vorbühne des Parterres.

– Ich kann den Kopf nicht abwenden.

– Zwingen Sie Sich.

– Hoffmann machte eine so schmerzliche Anstrengung, daß er einen Schrei ausstieß, wie als ob die Sehnen seines Halses Marmor geworden und in diesem Augenblicke gebrochen wären.

Er blickte auf die angedeutete Vorbühne.

Auf dieser Vorbühne befand sich nur ein Mann, aber dieser Mann, wie ein Löwe aus das Sammetgeländer gekauert, schien für sich allein diese Vorbühne auszufüllen.

Es war ein Mann von zwei bis drei und dreißig Jahren, mit durch die Leidenschaften durchfurchtem Gesicht; man hätte sagen können, daß, nicht die Blattern, sondern der Ausbruch eines Vulkanes die Thäler ausgehöhlt hätte, deren Tiefe sich auf diesem ganz durchwühlten Fleische kreuzten; seine Augen mußten eigentlich klein sein, aber sie hatten sich durch eine Art von Zerreißen der Seele geöffnet; bald waren sie matt und leer, wie ein erloschener Krater, bald sprühten sie Flammen, wie ein strahlender Krater. Er klatschte nicht durch ein Aneinanderschlagen der Hände, er klatschte, indem er auf das Geländer schlug, und bei jedem Klatschen schien er den Saal zu erschüttern.

– O! äußerte Hoffmann, ist das ein Mann, den ich da sehe?

– Ja, ja, es ist ein Mann, antwortete der kleine schwarze Mann, ja, es ist ein Mann, und sogar ein gewaltiger Mann.

– Wie heißt er?

– Sie kennen ihn nicht?

– Nein doch, ich bin erst seit gestern angekommen.

– Nun denn! es ist Danton.

– Danton! äußerte Hoffmann erbebend. O! o! Und er ist der Geliebte Arsénes?

– Er ist ihr Geliebter.

– Und ohne Zweifel liebt er sie?

– Zum Rasend werden. Er ist grimmig eifersüchtig.

Aber so interessant Dantons Geliebte auch war, Hoffmann hatte die Augen bereits wieder auf Arséne gerichtet, deren schweigender Tanz ein phantastisches Ansehen hatte.

– Noch eine Auskunft, mein Herr!

– Sprechen Sie.

– Welche Gestalt hat die Spange, die ihr Halsband schließt?

– Es ist eine Guillotine.

– Eine Guillotine!

– Ja. Man macht deren allerliebste, und alle unsere Stutzer tragen deren zum Mindesten eine. Die, welche Arséne trägt, hat Danton ihr geschenkt.

– Eine Guillotine, eine Guillotine an dem Halse einer Tänzerin, wiederholte Hoffmann, der seinen Kopf sich schwellen fühlte, eine Guillotine, warum?. . .

Und unser Deutscher, den man für einen Wahnsinnigen hätte halten können, streckte die Arme vor sich aus, wie um einen Körper zu ergreifen, denn durch eine seltsame optische Täuschung verschwand für Augenblicke der Raum, der ihn von Arséne trennte, und es schien ihm, als ob er den Athem der Tänzerin auf seiner Stirn fühlte und das geräuschvolle Athemholen dieser Brust hörte, deren halbnackter Busen sich wie unter einer Umarmung der Wonne erhob. Hoffmann befand sich in jenem Zustande der Ueberspannung, in welchem man Feuer einzuathmen glaubt, und in welchem man fürchtet, daß die Sinne den Körper sprengen mögten.

– Genug! genug! sagte er. Aber der Tanz dauerte fort und die Verblendung war so groß, daß Hoffmann, indem er seine beiden stärksten Eindrücke des Tages verschmolz, mit diesem Auftritte die Erinnerung des Revolutionsplatzes vereinigte, und daß er bald Madame Du Barry bleich und mit abgeschlagenem Kopfe an der Stelle Arséne tanzen, und bald Arséne tanzend bis an den Fuß der Guillotine und bis in die Hände des Scharfrichters kommen zu sehen glaubte.

Es entstand in der überspannten Einbildungskraft des jungen Mannes eine Mischung von Blumen und von Blut, von Tanz und von Todeskampf, von Leben und von Tod.

Aber was alles das überragte, war die electrische Anziehungskraft, welche ihn zu dieser Frau hinzog. Jedes Mal, wo diese feinen Beine vor seinen Augen vorüberkamen, so oft dieses durchsichtige Röckchen sich ein wenig mehr erhob, überlief ein Schauder sein ganzes Wesen, seine Lippen wurden trocken, sein Athem glühend, und das Verlangen bemächtigte sich seiner, wie es sich eines Mannes von zwanzig Jahren bemächtigt.

In diesem Zustande hatte Hoffmann nur noch eine Zuflucht, nämlich das Portrait Antonia's, nämlich das Medaillon, das er in seinem Busen trug, nämlich die reine, der sinnlichen Liebe entgegenzusetzende Liebe, nämlich die der fordernden Wirklichkeit gegenüberzustellende Gewalt der keuschen Erinnerung.

Er ergriff dieses Portrait und drückte es an seine Lippen, aber kaum hatte er diese Bewegung gemacht, als er das schneidende Hohngelächter seines Nachbars hörte, der ihn mit spöttischer Miene anblickte.

Nun steckte Hoffmann erröthend das Medaillon wieder dahin, von wo er es genommen hatte, und indem er, wie von einer Feder aufgeschnellt, aufstand, rief er aus:

– Laßt mich hinaus, laßt mich hinaus, ich vermögte nicht länger hier zu bleiben!

Und gleich einem Wahnsinnigen verließ er das Orchester, indem er den ruhigen Zuschauern, welche gegen dieses Orginal fluchten, das so die Laune ergriff, mitten in einem Ballet hinauszugehen, auf die Füße trat, und an die Beine stieß.

XIV.
Die zweite Vorstellung vom »Urtheile des Paris.«

Aber Hoffmann ging nicht sehr weit. An der Ecke der Straße Saint-Martin blieb er stehen.

Seine Brust war athemlos, seine Stirn rieselte der Schweiß.

Er legte die linke Hand auf seine Stirn, stützte seine rechte Hand auf seine Brust und schöpfte Athen,.

In diesem Augenblicke klopfte man ihm auf die Achsel.

Er erbebte.

– Ah! bei Gott, er ist es! sagte eine Stimme.

Er wandte sich um und ließ einen Ausruf entschlüpfen.

Es war sein Freund Zacharias Werner.

Die beiden jungen Leute warfen sich einander in die Arme.

Dann kreuzten sich folgende beiden Fragen.

– Was machst Du da?

– Wo gehst Du hin?

– Ich bin gestern angekommen, sagte Hoffmann, ich habe Madame Du Barry guillotiniren sehen, und um mich zu zerstreuen, bin ich in die Oper gekommen.

– Ich bin seit sechs Monaten angekommen; seit fünf Monaten sehe ich täglich zwanzig bis fünf und zwanzig Personen guillotiniren, und um mich zu zerstreuen, gehe ich zum Spiele.

– Ah!

– Gehst Du mit mir?

– Nein, ich danke.

– Du hast Unrecht, ich bin im Glücke; mit Deinem gewöhnlichen Glücke würdest Du Summen gewinnen. Du, der Du an die wahre Musik gewöhnt bist, mußt Dich in der Oper gräßlich langweilen; komm mit mir, Du wirst eine andere hören.

– Musik?

– Ja, die des Goldes, ohne zu rechnen, daß dort, wohin ich gehe, alle Vergnügungen vereinigt sind, reizende Frauen, köstliche Nachtessen, ein rasendes Spiel!

– Ich danke, mein Freund, unmöglich, ich habe versprochen, mehr als das, ich habe geschworen.

– Wem?

– Antonia.

– Du hast sie also gesehen?

– Ich liebe sie, mein Freund, ich bete sie an.

– Ah! Ich begreife, das ist es, was Dich verzögert hat, und Du hast ihr geschworen. . .?

– Ich habe ihr geschworen nicht zu spielen, und. . . Hoffmann zögerte.

– Und dann, was noch?

– Und ihr treu zu bleiben, stammelte er.

– Dann darfst Du nicht nach No. 113 kommen.

– Was ist das: 113?

– Es ist das Haus, von dem ich so eben sprach; – da ich nicht geschworen habe, so gehe ich hin. – Adieu, Theodor.

– Adieu, Zacharias.

– Und Werner entfernte sich, während Hoffmann auf seinem Platze gefesselt blieb.

Als Werner Hundert Schritte weit war, erinnerte sich Hoffmann, daß er vergessen hätte, Zacharias um seine Adresse zu fragen, und daß die einzige Adresse, welche Zacharias ihm gegeben hatte, die des Spielhauses war.

Aber diese Adresse stand in dem Geiste Hoffmanns, wie über der Thür des unglückseligen Hauses, – in Flammenschrift geschrieben.

Indessen hatte das, was sich zugetragen, die Gewissensbisse Hoffmanns ein wenig beruhigt. Die menschliche Natur ist einmal so, sie ist immer nachsichtig für sich selbst, weil diese Nachsicht die Selbstsucht ist. Er hatte Antonia das Spiel geopfert, und er glaubte sich seines Schwures entbunden, indem er vergaß, daß er sich deshalb, hier an der Ecke des Boulevards und der Straße Saint-Martin wie gefesselt befand, weil er im Begriffe stand, die wichtigste Hälfte dieses Schwures zu brechen.

Aber, wie ich gesagt, sein Widerstand in Bezug auf Werner hatte ihm Nachsicht in Bezug auf Arséne verliehen. Er beschloß daher, einen Mittelweg einzuschlagen, und statt in den Opernsaal zurückzukehren, wozu ihn sein versuchender Dämon aus allen Kräften antrieb, an der Thür der Schauspieler zu warten, um sie herauskommen zu sehen.

Hoffmann kannte die Topographie der Theater zu gut, um diese Thüre der Schauspieler nicht bald zu finden. Er sah in der Straße Bondy einen langen, kaum erleuchteten, schmutzigen und feuchten Gang, in welchen Männer mit schmutzigen Kleidern wie Schatten eintraten, und er sah ein, daß durch diese Thür die armen Sterblichen ein und ausgingen, welche das Roth, das Weiß, das Blau, die Gaze, die Seide und die Flittern in Götter und in Göttinnen umgestalteten.

Die Zeit verfloß, der Schnee fiel, aber Hoffmann war durch diese seltsame Erscheinung, welche etwas Uebernatürliches hatte, so aufgeregt, daß er Nichts von diesem Eindrucke des Frostes empfand, der die Vorüberkommen: den zu verfolgen schien. Vergebens verdickte sich in fast fühlbarem Dunst der Hauch, der aus seinem Munde kam, seine Hände blieben darum nichts desto weniger glühend und seine Stirn feucht. Noch mehr, an die Mauer gelehnt, war er daselbst regungslos, die Augen auf den Gang geheftet, geblieben, so daß der Schnee, der in immer dichteren Flocken fiel, den jungen Mann, langsam wie mit einem Grabtuche bedeckte, und aus dem jungen Studenten mit seiner Kappe und seinem deutschen Ueberrocke allmählich eine Marmorstatue machte. Endlich begannen aus diesem Ausgange die ersten, durch die Schauspiele Freigewordenen herauszukommen, das heißt die Wache des Abends, dann die Maschinisten, dann diese ganze Welt ohne Namen, welche von dem Theater lebt, dann die männlichen Künstler, die weniger lange Zeit nöthig haben, um sich anzukleiden, als die Frauen, dann endlich die Frauen, dann endlich die schöne Tänzerin, welche Hoffmann nicht allein an ihrem liebenswürdigen Gesichte erkannte, sondern auch an jener geschmeidigen Bewegung der Hüften, welche nur ihr angehörte, so wie an dem kleinen Halsbande von Sammet, das ihren Hals umgab, und auf welchem das sonderbare Kleinod funkelte, das die Schreckenszeit in die Mode gebracht halte.

Kaum erschien Arséne auf der Schwelle der Thür, als, bevor Hoffmann nur noch Zeit gehabt hatte eine Bewegung zu machen, ein Wagen rasch vorfuhr, der Schlag sich öffnete, und das junge Mädchen eben so leicht hineinsprang, als ob sie noch auf der Bühne hüpfte. Ein Schatten erschien durch die Scheiben, den Hoffmann für den des Mannes der Vorbühne zu erkennen glaubte, welcher Schatten die schöne Nymphe in seinen Armen empfing; dann, ohne daß irgend eine Stimme nöthig gehabt hätte dem Kutscher ein Ziel anzudeuten, entfernte sich der Wagen im Galopp.

Alles, was wir hier in fünfzehn bis zwanzig Zeilen erzählt haben, hatte sich eben so rasch als der Blitz zugetragen.

Hoffmann stieß eine Art von Schrei aus, als er den Wagen fliehen sah, entfernte sich gleich einer Statue, die aus ihrer Nische stürzt, von der Mauer, und indem er durch die Bewegung den Schnee abschüttelte, mit dem er bedeckt war, machte er sich auf die Verfolgung des Wagens.

Aber dieser ward von zwei zu kräftigen Pferden fortgezogen, als daß der junge Mann, so rasch sein unbesonnener Lauf auch sein mochte, ihn einholen konnte.

So lange, als er den Boulevard entlang fuhr, ging Alles gut, so lange als er selbst durch die Straße Bourbon-Villeneuve fuhr, welche umgetauft worden war, um den Namen Neuve-Egalité anzunehmen, ging Alles noch gut; aber auf dem Platze des Victoires angelangt, welcher der Platz de la Victoire Nationale geworden war, wandte er sich zur Rechten, und verschwand Hoffmann aus den Augen.

Da er weder mehr durch das Geräusch noch durch den Anblick unterstützt war, so ließ der Lauf des jungen Mannes nach, einen Augenblick lang verweilte er an der Ecke der Straße Neuve-Saint-Eustachi, lehnte sich an die Mauer, um wieder Athem zu schöpfen, dann, da er Nichts mehr sah, Nichts mehr hörte, orientirte er sich, indem er meinte, daß es Zeit wäre nach Haus zurückzukehren.

Es war für Hoffmann nichts Leichtes, sich aus diesem Labyrinth von Straßen herauszufinden, welche von der Pointe-Saint-Eustache bis nach dem Kai de la Ferraille ein fast unentwirrbares Netz bilden. Endlich, mittelst den zahlreichen Runden, welche durch die Straßen kreiseten, durch seinen Paß, der in gehöriger Ordnung war, und vermöge des Beweises, daß er erst am Tage zuvor angekommen war, – einem Beweise, den das Visa der Barrière zu liefern ihm die Leichtigkeit gewährte, – erlangte er von der Bürgermiliz so genaue Nachweisungen, daß es ihm gelang, sein Hotel wieder zu erreichen und sein kleines Zimmer wieder zu finden, in welches er sich dem Anscheine nach allein, aber der Wirklichkeit nach mit der glühenden Erinnerung dessen einschloß, was sich zugetragen hatte.

Von diesem Augenblicke an war Hoffmann beständig von zwei Erscheinungen geplagt, von denen die eine allmählig verschwand, die andere aber allmählig mehr Bestand annahm.

Die Erscheinung, welche verschwand, war das bleiche Gesicht der Du Barry mit fliegenden Haaren, welche von der Conciergerie nach dem Karren, und von dem Karren nach dem Schaffotte geschleppt wurde.

Die Erscheinung, welche Wirklichkeit annahm, war das belebte und lächelnde Gesicht der schönen Tänzerin, welche von dem Hintergrunde der Bühne nach dem Geländer hüpfte, und von dem Geländer nach der einen und nach der andern Vorbühne wirbelte.

Hoffmann gab sich alle Mühe, um sich von dieser Erscheinung loszumachen. Er nahm seine Pinsel aus seinem Koffer und malte; er nahm seine Violine aus ihrem Kasten und spielte Violine; er verlangte Feder und Tinte und machte Verse. Aber diese Verse, welche er dichtete, waren Verse zum Lobe Arsénes; die Melodie, welche er spielte, war die Melodie, bei welcher sie ihm erschienen war, und deren hüpfende Noten sie erhoben, wie als ob sie Flügel gehabt hätten; endlich waren die Skizzen, welche er entwarf, ihr Porträt mit diesem seltsamen Halsbande von Sammet, ein sonderbarer, an dem Halse Arsénes durch eine so sonderbare Spange befestigter Schmuck. Während der ganzen Nacht, während des ganzen folgenden Tages, während der Nacht und des darauf folgenden zweiten Tages sah Hoffmann nur eine oder vielmehr zwei Sachen; das war auf der einen Seite die phantastische Tänzerin, und auf der anderen der nicht minder phantastische Doctor. Es fand zwischen diesen beiden Wesen eine solche Wechselbeziehung statt, daß Hoffmann das eine nicht ohne das andere begriff. Während dieses Blendwerkes, welches ihm die immer auf der Bühne hüpfende Arséne bot, war es daher auch nicht das Orchester, das in seinen Ohren rauschte; nein, es war das leise Summen des Doctors, es war das leise Trommeln seiner Finger auf der Tabaksdose von Ebenholz; dann zog von Zeit zu Zeit ein Blitz vor seinen Augen vorüber, der ihn mit sprühenden Funken verblendete. Das war der doppelte Strahl, der von der Tabaksdose des Doctors und von dem Halsbande der Tänzerin ausströmte; es war die sympathische Anziehungskraft zwischen dieser Guillotine von Diamanten und diesem Todtenkopfe von Diamanten; es war endlich die Starrheit der Augen des Arztes, welche nach ihrem Willen die reizende Tänzerin anzuziehen und zurückzustoßen schienen, wie das Auge der Schlange den Vogel anzieht und zurückstößt, den es bezaubert.

Zwanzig Male, Hundert Male, Tausend Male hatte Hoffmann daran gedacht nach der Oper zurückzukehren; aber so lange als die Stunde nicht gekommen war, hatte Hoffmann sich fest vorgenommen der Versuchung nicht nachzugeben; außerdem hatte er diese Versuchung auf alle Art und Weise bekämpft, indem er zuvörderst seine Zuflucht zu seinem Medaillon nahm, und dann nachher versuchte an Antonia zu schreiben; aber das Porträt Antonias schien ein so trauriges Gesicht angenommen zu haben, daß Hoffmann das Medaillon fast eben so schnell wieder zumachte, als er es geöffnet hatte, aber die ersten Zeilen jedes Briefes, den er anfing, waren so verlegen, daß er zehn Briefe zerrissen hatte, bevor er auf dem dritten Theile der ersten Seite war.

Endlich verfloß dieser merkwürdige zweite Tag; endlich nahte die Stunde der Oeffnung des Schauspielhauses heran, endlich schlug es sieben Uhr, und bei diesem letzten Ruft eilte Hoffmann, wie wider seinen Willen fortgerissen, im Laufe seine Treppe hinab, und stürzte in der Richtung der Straße Saint-Martin davon.

Dieses Mal, in weniger als einer Viertelstunde, dieses Mal, ohne daß er nöthig hatte sich bei Jemand nach seinem Wege zu erkundigen, dieses Mal, wie als ob ein unsichtbarer Führer ihm seinen Weg gezeigt hätte, gelangte er in weniger als zehn Minuten an die Thür des Opern-Hauses.

Aber, wie sonderbar, diese Thüre war nicht wie zwei Tage zuvor von Zuschauern überfüllt, sei es nun, daß ein Hoffmann unbekannter Zufall das Schauspiel minder anziehend gemacht hatte, oder sei es, daß die Zuschauer bereits in dem Inneren des Theaters waren.

Hoffmann warf der Einnehmerin seinen sechs Livresthaler zu, erhielt seine Karte und eilte in den Saal.

Aber der Anblick des Saales war sehr verändert. Zuvörderst war er nur halb voll; dann sah er statt dieser reizenden Frauen, dieser eleganten Männer, die er wiederzusehen geglaubt hatte, nur Frauen in groben Röcken und Männer in Carmagnolen; keine Kleinodien, keine Blumen, keine entblößten Busen, welche unter dieser üppigen Atmosphäre der aristokratischen Theater wogten; runde Hauben und rothe Mützen, alle mit ungeheuren Nationalkokarden verziert, dunkle Farben an den Kleidern, eine traurige Wolke auf den Gesichtern, dann auf beiden Seiten des Saales zwei abscheuliche Büsten, zwei Köpfe, von denen der eine das Gelächter, der andere den Schmerz grimassirte, – kurz die Büsten Voltaires und Marats.

Endlich, auf der Vorbühne, ein kaum erleuchtetes Loch, eine dunkle und leere Oeffnung. – Immer noch die Höhle, aber kein Löwe mehr darin.

Es befanden sich in dem Orchester zwei leere Plätze neben einander, Hoffmann erreichte den einen dieser beiden Plätze, es war der, den er eingenommen hatte.

Der andere war der, den der Doctor eingenommen hatte, aber, wie wir gesagt, war dieser Platz unbesetzt.

Der erste Act wurde gespielt, ohne daß Hoffmann auf das Orchester achtete, oder sich mit den Schauspielern beschäftigte.

Er kannte dieses Orchester, und hatte es bei dem ersten Anhören gewürdigt.

Die Schauspieler kümmerten ihn wenig, er war nicht gekommen, um sie zu sehen, er war gekommen, um Arséne zu sehen.

Der Vorhang des zweiten Actes erhob sich und das Ballet begann.

Die ganze Denkkraft, die ganze Seele, das ganze Herz des jungen Mannes waren gespannt.

Er erwartete das Auftreten Arsénes.

Plötzlich stieß Hoffmann einen Schrei aus.

Es war nicht mehr Arséne, welche die Rolle der Flora spielte.

Die Frau, welche auftrat, war eine fremde Frau, eine Frau wie alle Frauen.

Alle Fibern dieses Körpers spannten sich ab; Hoffmann sank in sich selbst zusammen, indem er einen langen Seufzer ausstieß und um sich blickte.

Der kleine schwarze Mann befand sich auf seinem Platze, nur hatte er seine Schnallen von Diamanten, seine Ringe von Diamanten, seine Tabaksdose mit dem Todtenkopfe von Diamanten nicht mehr.

Seine Schnallen waren von Kupfer, seine Ringe von vergoldetem Silber, seine Tabaksdose von mattem Silber. Er sang nicht mehr, er schlug nicht mehr den Tact.

Wie war er hergekommen? Hoffmann wußte es nicht; er hatte ihn weder kommen sehen, noch vorübergekommen gefühlt.

– O! mein Herr, rief Hoffmann aus.

– Sagt Bürger, mein junger Freund, und dutzt mich sogar, wenn das möglich ist, antwortete der kleine schwarze Mann, oder Sie werden mir und sich auch den Kopf abschlagen lassen.

– Aber wo ist sie denn? sagte Hoffmann.

– Ah! das ist es. . . wo ist sie? Es scheint, daß ihr Tiger, der sie nicht aus den Augen läßt, bemerkt hat, daß sie vorgestern durch Zeichen mit einem jungen Manne des Orchesters correspondirt hat. Es scheint, daß dieser junge Mann dem Wagen nachgelaufen ist; so daß er seit gestern den Contract Arsénes gebrochen hat, und Arséne nicht mehr auf dem Theater ist.

– Und wie hat der Director geduldet?. . .

– Mein junger Freund, der Director hält darauf, seinen Kopf auf seinen Schultern zu erhalten, obgleich es ein ziemlich garstiger Kopf ist; aber er behauptet, daß er an diesen gewöhnt sei, und daß ein anderer, weit schönerer, Vielleicht keine Wurzeln wieder schlagen würde.

– Ach! mein Gott! deshalb ist dieser Saal also so traurig! rief Hoffmann aus. Deshalb gibt es hier keine Blumen, keine Diamanten, keinen Schmuck mehr! Deshalb haben Sie Ihre Schnallen von Diamanten, Ihre Ringe mit Diamanten, Ihre Tabaksdose mit Diamanten nicht mehr! Deshalb befinden sich endlich auf den beiden Seiten der Bühne, statt der Büsten des Apollo und der Terpsichore diese bei den abscheulichen Büsten! Puh!

– Ah! aber was sagen Sie mir denn da? und wo baten Sie einen Saal, wie Sie ihn schildern, gesehen? Wo haben Sie an mir Ringe mit Diamanten, Schnallen von Diamanten, Tabaksdosen mit Diamanten gesehen? wo haben Sie endlich die Büsten Apollos und der Terpsichore gesehen? Ei es ist zwei Jahre her, daß die Blumen nicht mehr blühen, daß die Diamanten in Assignaten verwandelt, und daß der Schmuck auf dem Altare des Vaterlandes geschmolzen ist. Was mich anbetrifft, so habe ich, Gott sei Dank, niemals andere Schnallen, als diese Kupferschnallen, andere Ringe als diese schlechten Ringe von vergoldetem Silber, und eine andere Tabaksdose als diese armselige silberne Dose gehabt; was die Büsten des Apollo und der Terpsichore anbelangt, so sind sie ehedem dort gewesen, aber die Freunde der Menschheit sind gekommen, um die Büste Apollos zu zerschmettern, und haben sie durch die des Apostels Voltaire ersetzt; aber die Freunde des Volkes sind gekommen, um die Büste der Terpsichore zu zerschmettern, und haben sie durch die des Gottes Marat ersetzt.

– O! rief Hoffmann aus, das ist unmöglich. Ich sage Ihnen, daß ich vorgestern einen von Blumen duftenden, von reichen Kostümen glänzenden, von Diamanten rieselnden Saal, und elegante Männer an der Stelle dieser Häringsweiber in groben Röcken und dieser Troßbuben in Jacken gesehen habe. Ich sage Ihnen, daß Sie Schnallen mit Diamanten an Ihren Schuhen, Ringe mit Diamanten an Ihren Fingern, einen Todtenkopf von Diamanten auf Ihrer Tabaksdose hatten; ich sage Ihnen. . .

– Und ich, junger Mann, ich sage Ihnen meiner Seits, erwiderte der kleine schwarze Mann, ich sage Ihnen, daß sie vorgestern hier war; ich sage Ihnen, daß ihre Anwesenheit Alles erleuchtete, ich sage Ihnen, daß ihr Hauch die Rosen entstehen, die Kleinodien leuchten, die Diamanten Ihrer Einbildung funkeln ließ; ich sage Ihnen, junger Mann, daß Sie dieselbe lieben, und daß Sie den Saal durch das Prisma Ihrer Liebe gesehen haben. Arséne ist nicht mehr da, und Ihr Herz ist todt, Ihre Augen sind entzaubert, und Sie sehen Wolle und Baumwolle, grobes Tuch, rothe Mützen, schmutzige Hände und fettige Haare. Kurz, Sie sehen die Welt so wie sie ist, die Dinge so wie sie sind.

– O! mein Gott! rief Hoffmann aus, indem er seinen Kopf in seine Hände sinken ließ, ist alles das wahr, und bin ich denn so nahe daran den Verstand zu verlieren?