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Czytaj książkę: «Tausend und Ein Gespenst», strona 47

Czcionka:

IX.
Der Schwur

Vielleicht wird der Leser sich oder vielmehr uns fragen, wie Meister Gottlieb Murr, da Antonios Mutter singend gestorben war, seiner Tochter, das heißt dieser Seele seiner Seele, erlaubte, eine Gefahr gleich der zu laufen, welcher die Mutter unterlegen war.

Und Anfangs, als er Antonia ihren ersten Gesang versuchen gehört, hatte der arme Vater wie das Laub gezittert, neben dem ein Vogel singt. Aber Antonia war ein wahrer Vogel, und der alte Musiker bewirkte bald, daß der Gesang ihre natürliche Sprache sei. Indem Gott ihr eine so umfangreiche Stimme gab, daß sie vielleicht nicht ihres Gleichen in der Welt hatte, hatte er daher auch angedeutet, daß Meister Gottlieb zum Mindesten in dieser Beziehung Nichts zu fürchten hätte; in der Thal, als sich mit dieser natürlichen Gabe des Gesanges das Studium der Musik vereinig hatte, als die übertriebensten Schwierigkeiten der Tonleiter dem jungen Mädchen vorgelegt und sogleich mir einer wunderbaren Leichtigkeit überwunden worden waren, ohne Gesichtsverzerrung, ohne Anstrengung, ohne eine einzige Sehne am Halse, ohne ein einziges Blinzeln der Augen, hatte er die Vollkommenheit des Instrumentes eingesehen, und da Antonia, indem sie für die höchsten Stimmen geschriebene Stücke sang, immer hinter dem zurückblieb, was sie leisten konnte, so hatte er sich überzeugt, daß keine Gefahr vorhanden wäre, die liebliche Nachtigall sich der Neigung ihres melodischen Berufes hingeben zu lassen.

Nur hatte Meister Gottlieb vergessen, daß die musikalische Saite nicht die einzige ist, welche in dem Herzen der jungen Mädchen ertönt, und daß es eine eben so zerreißbare, bei Weitem bebendere, und bei Weitem tödtlichere in ihm gibt; nämlich die der Liebe!

Diese war bei dem armen Kinde, bei dem Klange von Hoffmanns Bogen erwacht; über ihre Stickerei in dem Zimmer zur Seite dessen gebückt, in welchem sich der junge Mann und der Greis aufhielten, hatte sie bei dem ersten Erbeben, das in der Luft erschallte, den Kopf erhoben. Sie hatte gehorcht; dann hatte allmählig eine seltsame Empfindung ihre Seele erfüllt, und war in unbekannten Schaudern durch ihre Adern gerollt. Sie hatte sich nun langsam erhoben, indem sie eine Hand auf ihren Stuhl stützte, während die andere die Stickerei aus ihren geöffneten Fingern fallen ließ. Einen Augenblick lang war sie regungslos geblieben; hierauf war sie langsam auf die Thüre zugeschritten, und, wie wir gesagt haben, wie der von dem materiellen Leben beschworene Schatten als poetische Erscheinung unter der Thür des Arbeitszimmers Meister Gottlieb Murrs erschienen.

Wir haben gesehen, wie die Musik in ihrem glühenden Tiegel diese drei Seelen in eine einzige verschmolzen hatte, wie an dem Ende des Concertes Hoffmann der Tischgenosse des Hauses geworden war.

Es war die Stunde, zu welcher der alte Gottlieb sich gewöhnlich zu Tisch setzte. Er lud Hoffmann ein, mit ihm zu Mittag zu essen, eine Einladung, welche Hoffmann mit derselben Herzlichkeit annahm, als sie gemacht war.

Nun verwandelte sich die schöne und poetische Jungfrau der göttlichen Hymnen für einige Augenblicke in eine gute Hausfrau. Antonia schenkte den Thee wie Clarisse Harlowe ein, machte Butterbrode wie Charlotte und setzte sich am Ende selbst an den Tisch, um wie eine gewöhnliche Sterbliche zu essen.

Die Deutschen verstehen die Poesie nicht wie wir. Nach unsern Ansichten der gekünstelten Welt verliert die Frau, welche ißt und welche trinkt, ihren poetischen Glanz. Wenn eine junge und hübsche Frau sich an den Tisch setzt, so geschieht es, um bei dem Mahle den Vorsitz zu führen; wenn sie ein Glas vor sich stehen hat, so ist es, um ihre Handschuhe hineinzulegen, wenn sie ihre Handschuh nicht etwa anbehält; wenn sie einen Teller bat, so ist es, um an dem Ende des Mahles eine Traube auf ihm auszupflücken, von der das unmaterielle Geschöpf zuweilen einwilligt, die goldigsten Beeren auszusaugen, wie es eine Biene mit dem Honig einer Blume macht.

Man wird begreifen, daß nach der Art und Weise, wie Hoffmann bei Meister Gottlieb aufgenommen worden war, er am Tage nachher, am zweiten und an den folgenden Tagen dahin zurückkehrte. Was Meister Gotllieb anbelangt, so schienen ihn diese häufigen Besuche Hoffmanns durchaus nicht zu beunruhigen; Antonia war zu rein, zu züchtig, zu vertrauungsvoll gegen ihren Vater, als daß dem Greise der Argwohn aufstieg, daß seine Tochter einen Fehltritt begehen könnte. Seine Tochter war die heilige Cäcilie, war die Jungfrau Maria, war ein Engel des Himmels, das göttliche Wesen trug dermaßen in ihr den Sieg über den irdischen Stoff davon, daß der Greis es niemals für angemessen gehalten hatte ihr zu sagen, daß mehr Gefahr in der Berührung zweier Körper, als in der Vereinigung zweier Seelen läge.

Hoffmann war daher glücklich, das heißt so glücklich, als es einem sterblichen Wesen verliehen ist zu sein. Die Sonne der Freude erleuchtet niemals gänzlich das Herz des Menschen; es gibt immer auf gewissen Punkten dieses Herzens einen dunklen Flecken, der den Menschen daran erinnert, daß das vollständige Glück nicht auf dieser Welt, sondern nur in dem Himmel besteht.

Aber Hoffmann hatte einen Vorzug vor den gewöhnlichen Menschen. Oft vermag, der Mensch sich die Ursache jenes Schmerzes nicht zu erklären der sich in Mitte seines Wohlseins zeigt, jenes Schattens, der dunkel und schwarz auf seine strahlende Glückseligkeit fällt.

Hoffmann wußte, was ihn unglücklich machte. Es war das an Zacharias Werner gegebene Versprechen, zu ihm nach Paris zu kommen; es war das außerordentliche Verlangen Frankreich zu besuchen, das verschwand, sobald sich Hoffmann bei Antonia befand, das aber seine ganze Gewalt wieder annahm, sobald sich Hoffmann wider allein befand; noch mehr in dem Maße, als die Zeit verfloß und Zacbarias Briefe das von seinem Freunde gegebene Wort dringender in Anspruch nahmen, wurde Hoffmann noch betrübter.

In der That, die Anwesenheit des jungen Mädchens genügte nicht mehr, das Gespenst zu verscheuchen, das Hoffmann jetzt selbst an Antonias Seite verfolgte. Oft versank Hoffmann an der Seite Antonias in eine tiefe Träumerei. Woran dachte er? an Zacharias Werner, dessen Stimme er zu hören meinte; oft heftete sich sein anfangs zerstreutes Auge am Ende auf einen Punkt des Horizontes. Was sah dieses Auge, oder vielmehr, was glaubte es zu sehen? Die Straße nach Paris, dann, an einer der Krümmungen dieser Straße Zacharias, der ihm vorausging und ihm winkte zu folgen.

Allmählig kehrte das Gespenst, das in seltenen und ungleichen Zwischenräumen Hoffmann erschienen war, mit mehr Regelmäßigkeit zurück, und verfolgte ihn am Ende mit einer beständigen Zudringlichkeit.

Hoffmann liebte Antonia immer mehr und mehr. Hoffmann fühlte, daß Antonia seinem Leben ein Bedürfniß, daß sie das Glück seiner Zukunft wäre; aber Hoffmann fühlte auch, daß er, bevor er in dieses Glück einginge, und damit dieses Glück dauerhaft wäre, er die vorgehabte Pilgerfahrt ausführen müßte, oder daß sonst das in seinem Herzen verschlossene Verlangen, so sonderbar es auch sein möchte, es verzehren würde.

Eines Tages, als er neben Antonia saß, während Meister Gottlieb in seinem Arbeitszimmer das Stabat Mater von Pergolese abschrieb, das er in der philharmonischen Gesellschaft in Frankfurt aufführen wollte, war Hoffmann in eine seiner gewöhnlichen Träumereien versunken, als Antonia, nachdem sie ihn lange angeblickt, ihn bei beiden Händen ergriff, und sagte:

– Sie müssen hingehen, mein Freund.

Hoffmann blickte sie voll Erstaunen an.

– Hingehen? wiederholte er, und wohin das?

– Nach Frankreich, nach Paris.

– Und wer hat Ihnen diesen geheimen Gedanken meines Herzens gesagt, Antonia, den ich mir selbst nicht zu gestehen wage?

– Ich konnte mir bei Ihnen die Gewalt einer Fee zuschreiben, Theodor – und Ihnen sagen: – Ich habe in ihren Gedanken, ich habe in ihren Augen, ich habe in ihrem Herzen gelesen, aber ich würde lügen. Nein, ich habe mich erinnert, das ist Alles.

– Und an was haben Sie Sich erinnert, meine innig geliebte Antonia?

– Ich habe mich erinnert, daß am Vorabende des Tages, an welchem Sie zu meinem Vater gekommen sind, Zacharias Werner gekommen war, und uns Ihren Reiseplan, Ihr glühendes Verlangen, Paris zu sehen, erzählt hatte, ein seit ungefähr einem Jahre genährtes und auf dem Punkte seiner Ausführung stehendes Verlangen. Seite dem haben Sie mir gesagt, was Sie abgehalten hätte abzureisen. Sie,haben mir gesagt, wie Sie, als Sie mich zum ersten Male sahen, von jenem unwiderstehlichen Gefühle ergriffen worden waren, von dem ich selbst ergriffen worden bin, als ich Sie hörte, und jetzt bleibt Ihnen übrig mir Folgendes zu sagen: daß Sie mich immer lieben. Hoffmann machte eine Bewegung. – Geben Sie Sich nicht die Mühe, es mir zusagen, ich weiß es, fuhr Antonia fort, aber daß es etwas weit Mächtigeres als diese Liebe gibt, nämlich das Verlangen nach Frankreich zu Zacharias zu gehen, kurz Paris zu sehen.

– Antonia! rief Hoffmann aus, Alles, was Sie da so eben gesagt haben, ist wahr, mit Ausnahme eines Punktes; nämlich, daß es etwas Stärkeres auf der Welt giebt, als meine Liebe! Nein, ich schwöre es Ihnen, Antonia, ich hätte dieses Verlangen, ein seltsames Verlangen, von dem ich nichts begreife, in meinem Herzen begraben, wenn Sie es nicht selbst aus ihm hervorgelockt hätten. Sie irren sich also nicht. Antonia. Ja, es gibt eine Stimme, die mich nach Paris ruft, eine Stimme, die starker als mein Wille ist, und der ich indessen, ich wiederhole es Ihnen, nicht gehorcht hätte; diese Stimme ist die des Verhängnisses!

– Es sei; lassen wir unser Verhängnis! in Erfüllung geben, mein Freund. Sie werden morgen abreisen. Wie viel Zeit wollen Sie?

– Einen Monat, Antonia, in einem Monate werde ich zurück sein.

– Ein Monat wird Ihnen nicht genügen, Theodor; in einem Monate werden Sie Nichts gesehen haben; ich gebe Ihnen zwei, ich gebe Ihnen drei, kurz, ich gebe Ihnen die Zeit, welche Sie wollen, aber ich verlange eines, oder vielmehr zwei Dinge von Ihnen.

– Welche, theure Antonia, welche? sagen Sie geschwind.

– Es ist morgen Sonntag: es ist morgen der Tag der Messe; sehen Sie aus Ihrem Fenster, wie Sie am Tage der Abreise Zacharias Werners aus ihm gesehen haben, und, wie an diesem Tage, mein Freund, werden Sie mich, nur weit trauriger, die Stufen der Kirche hinaufgehen sehen; dann kommen Sie zu mir an meinen gewöhnlichen Platz, dann setzen Sie Sich neben mich, und, in dem Augenblicke, wo der Priester die Wandlung des Blutes unseres Herrn aussprechen wird, werden Sie mir zwei Schwüre leisten – den, mir treu zu bleiben, den, nicht mehr zu spielen.

– O! Alles, was Sie wollen, auf der Stelle, theure Antonia, schwöre ich Ihnen. . .

– Still, Theodor, Sie werden morgen schwören.

– Antonia, Antonia, Sie sind ein Engel. —

– Haben Sie in dem Augenblick unserer Trennung nicht meinem Vater etwas zu sagen, Theodor?

– Ja, Sie haben Recht. Aber, in Wahrheit, ich gestehe es Ihnen, Antonia, daß ich zögere, daß ich zittere. Mein Gott! Wer bin ich denn, um die Hoffnung zu wagen?. . .

– Sie sind der Mann, den ich liebe, Theodor. Gehen Sie zu meinem Vater, gehen Sie.

Und indem sie Hoffmann einen Wink mit der Hand gab, machte sie die Thür eines kleinen, von ihr in ein Betzimmer verwandelten Gemaches auf.

Hoffmann folgte ihr mit den Augen, bis die Thür verschlossen war, und sandte ihr mit allen Küssen seines Mundes alle Regungen seines Herzens durch die Thür zu.

Hierauf trat er in das Arbeitszimmer Meister Gottliebs.

Meister Gottlieb war so sehr an den Gang Hoffmanns gewöhnt, daß er nicht einmal die Augen über das Pult erhob, auf welchem er das Stabat Mater abschrieb. Der junge Mann trat ein, und stellte sich hinter ihn.

Als Meister Gottlieb nach Verlauf eines Augenblickes Nichts mehr hörte, nicht einmal den Athem des jungen Mannes, so wandte er sich um.

– Ah! Du bist es, mein Lieber, sagte er, indem er seinen Kopf zurückwarf, um ihn durch seine Brille anzublicken. Was kömmst Du, mir zu sagen?

Hoffmann that den Mund auf, aber schloß ihn wieder, ohne einen Ton hervorgebracht zu haben.

– Bist Du stumm geworden? fragte der Greis; den Henker! das wäre ein Unglück, ein Schelm, der, wie Du spricht, wenn Du willst, kann die Sprache nicht so verlieren, – es sei denn aus Strafe, sie gemißbraucht zu haben!

– Nein, Meister Gottlieb, nein, ich habe, Gott sei' Dank, die Sprache nicht verloren. Nur scheint mir das, was ich Ihnen zu sagen habe. . .

– Nun denn?

– Nun denn!. . . es scheint mir sehr schwierig.

– Bah! Ist es denn so schwer zu sagen: Meister Gottlieb, ich liebe Eure Tochter?

– Sie wissen Das, Meister Gottlieb?

– Ja nun! ich müßte sehr närrisch, oder vielmehr sehr dumm sein, wenn ich Deine Liebe nicht bemerkt hätte.

– Und dennoch haben Sie erlaubt, daß ich fortfuhr, sie zu lieben?

Warum nicht? Da sie Dich liebt.

– Aber, Meister Gottlieb, Sie wissen, daß ich kein Vermögen habe.

– Bah! Haben die Vögel des Himmels Vermögen? Sie singen, sie paaren sich, sie bauen sich ein Nest, und Gott ernährt sie. Wir Künstler gleichen sehr den Vögeln; wir singen, und Gott kömmt uns zu Hilfe. Wenn der Gesang nicht genügen wird, so wirst Du Maler werden, wenn die Malerei nicht ausreichen sollte, so wirst Du Musiker werden. Ich war nicht reicher, als Du, als ich meine arme Theresa geheiratet habe; nun denn! weder Brod, noch Obdach hat uns jemals gefehlt. Ich habe immer Geld nöthig gehabt, und es hat mir niemals gemangelt. Bist Du reich an Liebe? Das ist Alles, was ich von Dir verlange; verdienst Du den Schatz, nach dem Du lüstern bist? Das ist Alles, was ich von Dir zu wissen wünsche. Liebst Du Antonia mehr als Dein Leben, mehr als Deine Seele? dann bin ich ruhig, es wird Antonia niemals an Etwas fehlen. Liebst Du sie nicht? dann ist's etwas Anderes; hattest Du auch Hundert Tausend Thaler Einkünfte, so würde ihr doch immer Alles fehlen.

Hoffmann stand im Begriffe, vor dieser liebenswürdigen Philosophie des Künstlers niederzuknieen. Er neigte sich auf die Hand des Greises, der ihn an sich zog und ihn an sein Herz drückte.

– Nun denn, nun denn, sagte er zu ihm, das ist abgemacht; mache Deine Reise, da die Wuth Dich quält, die abscheuliche Musik des Herrn Mehul und des Herrn Dolayrac zu hören; das ist eine Jugendkrankheit, von der Du bald geheilt sein wirst. Ich bin unbesorgt; mache diese Reise, mein Freund, und kehre hierher zurück, Du wirst hier Mozart, Beethoven, Cimarosa, Pergolese, Paesiello, le Porpora, und außerdem Meister Gottlieb und seine Tochter wiederfinden, das heißt einen Vater und eine Gattin. Geh, mein Sohn, geh.

Und Meister Gottlieb umarmte Hoffmann von Neuem, der, da er die Nacht anbrechen sah, glaubte, daß er keine Zeit zu verlieren hätte, und sich nach Haus zurückzog, um seine Vorbereitungen zur Abreise zu treffen.

Am folgenden Tage befand sich Hoffmann von dem Morgen an an seinem Fenster. In dem Maße, als der Augenblick, Antonia zu verlassen, herannahte, schien ihm diese Trennung immer unmöglicher. Diese ganze, entzückende Periode seines Lebens, welche verflossen war, diese sieben Monate, welche wie ein Tag vergangen waren, und die sich seinem Gedächtnisse bald wie ein unermeßlicher Horizont vorstellten, den er mit einem Blicke übersah, bald wie eine Reihe fröhlicher Tage, die lächelnd, mit Blumen bekränzt, einer nach dem andern kamen; diese lieblichen Gesänge Antonias, die ihm eine ganz mit süßen Melodien erfüllte Luft geschaffen hatten; alles das hatte so eine mächtige Anziehungskraft, daß es fast mit dem Unbekannten, diesen wunderbaren Zauberer kämpfte, der die stärksten Herzen, die kältesten Seelen an sich zieht.

Um zehn Uhr erschien Antonia an der Ecke der Straße, an welcher sie Hoffmann sieben Monate zuvor, zu gleicher Stunde zum ersten Male gesehen. Die gute Lisbeth folgte ihr wie gewöhnlich, und beide gingen die Stufen der Kirche hinauf. Auf der letzten Stufe angelangt, wandte sich Antonia um, erblickte Hoffmann, winkte ihm mit der Hand und trat in die Kirche.

Hoffmann stürzte aus dem Hause und trat nach ihr in die Kirche.

Antonia kniete bereits und betete.

Hoffmann war Protestant, und diese Gesänge in einer fremden Sprache hatten ihm immer ziemlich lächerlich geschienen; als er aber Antonia diese zugleich so sanften und so mächtigen Kirchengesange singen hörte, bedauerte er, die Worte davon nicht zu kennen, um seine Stimme mit der Stimme Antonias zu vereinigen, welche durch die unendliche Schwermuth, von der das junge Mädchen befallen, noch lieblicher geworden war.

Während der ganzen Zeit, daß der Gottesdienst dauerte, sang sie mit derselben Stimme, mit welcher im Himmel die Engel singen müssen; dann endlich, als das Glöcklein des Chorknaben die Weihe der Hostie meldete, in dem Augenblicke, wo sich die Gläubigen vor dem Gotte beugten, der sich in den Händen des Priesters über ihre Häupter erhob, richtete Antonia ihre Stirn auf.

– Schwören Sie, sagte sie.

– Ich schwöre, sagte Hoffmann mit bebender Stimme, ich schwöre, auf das Spiel zu verzichten.

– Ist das der einzige Schwur, den Sie mir leisten wollen, mein Freund?

– O! nein, warten Sie. Ich schwöre Ihnen, mit dem Herzen und dem Geiste, mit dem Körper und mit der Seele treu zu bleiben.

– Und auf was schwören Sie das?

– O! rief Hoffmann auf dem Gipfel der Begeisterung aus, bei dem, was ich Theuerstes, was ich Heiligstes habe, bei Ihrem Leben!

– Ich danke, rief nun Antonia aus, denn wenn Sie Ihren Schwur nicht halten, so werde ich sterben.

Hoffmann erbebte, ein Schauder überlief seinen ganzen Körper; er bereute nicht allein, er hatte Furcht.

Der Priester schritt die Stufen des Altares hinab, indem er das heilige Sakrament in die Sakristei trug.

In dem Augenblicke, wo der göttliche Leib unseres Herrn vorüber kam, ergriff sie die Hand Hoffmanns.

– Tu hast seinen Schwur gehört, nicht wahr, mein Gott? sagte Antonia.

Hoffmann wollte sprechen.

– Kein Wort mehr, nicht ein einziges mehr; ich will, daß die, aus denen Ihr Schwur bestand, als die letzten, welche ich von Ihnen gehört, ewig in meinem Ohre erklingen. Auf Wiedersehen, mein Freund, auf Wiedersehen.

Und indem sie leicht, wie ein Schatten entschlüpfte, ließ das junge Mädchen ein Medaillon in der Hand ihres Geliebten.

Hoffmann sah sie sich entfernen, wie Orpheus der flüchtigen Eurydice wird nachgesehen haben; hieraus, als Antonia verschwunden war, machte er das Medaillon auf.

Das Medaillon enthielt das ganz von Jugend und Schönheit strahlende Portrait Antonias.

Zwei Stunden nachher nahm Hoffmann seinen Platz in derselben Diligence als Zacharias Werner, indem er wiederholte:

– Sei unbesorgt, Antonia, o! nein, ich werde nicht spielen, o! ja, ich werde Dir treu sein.

X.
Eine Barrière in Paris im Jahre 1793

Die Reise des jungen Mannes war ziemlich traurig in diesem Frankreich, nach dem er sich so sehr gesehnt hatte. – Indem er sich dem Mittelpunkte näherte, fand er eben nicht so viele Schwierigkeiten, als er gefunden hatte, um sich an die Gränze zu begeben, – nein, die Französische Republik empfing die Ankommenden besser, als die Abreisenden.

Jedenfalles ward man zu dem Glücke, diese kostbare Regierungsform zu genießen, erst zugelassen, nachdem man eine gewisse Anzahl ziemlich strenger Förmlichkeiten erfüllt hatte.

Es war die Zeit, in welcher die Franzosen am wenigsten zu schreiben verstanden, – aber es war die Zeit, in welcher sie am meisten schrieben. – Es schien daher allen neu angestellten Beamten angemessen, ihre häuslichen oder plastischen Geschäfte zu verlassen, um Pässe zu unterzeichnen, Signalements anzufertigen, Visa's zu geben, Empfehlungen zu bewilligen und zu machen, mit einem Worte, Alles das, was den Stand als Patriot anbetrifft.

Niemals hatte das Aufhäufen von Acten eine so große Entwickelung gehabt, als zu jener Zeit. Diese der französischen Verwaltung eigenthümliche Krankheit, welche sich auf die Schreckenszeit impfte, brachte die schönsten Proben der Calligraphie hervor, von denen man bis auf diesen Tag hatte sprechen hören.

Hoffmann's Reiseroute hatte ein außerordentlich kleines Format. Es war die Zeit der kleinen Formate; Zeitungen, Bücher, Flugschriften, Alles beschränkte sich auf das einfache Octav als das größte Maß. Der Paß des Reisenden wurde von dem Elsaß an mit Unterschriften von Beamten gefüllt, die nicht übel den Zickzacks Betrunkener glichen, welche die Straßen quer übermessen, indem sie an die eine und an die andere Mauer anstoßen.

Hoffmann war daher gezwungen, seinem Passe ein Blatt hinzuzufügen, dann ein anderes; besonders in Lothringen nahmen die Handschriften colossale Verhältnisse an. Dort, wo der Patriotismus am glühendsten war, waren die Schreiber am ungekünstelten. Es gab einen Maire, der zwei Blätter, Vor- und Rückseite dazu verwandte, um Hoffmann ein folgender Maßen abgefaßtes Autograph zu geben:

Auphemanne chune Allemans, bami de la liberté, se randan à Pari ha pié. 9

(»Hoffmann, junger Deutscher, Freund der Freiheit, der sich zu Fuß nach Paris begibt.«)

»Unterzeichnet Golier.«

Mit diesem vollkommenen Documente über sein Vaterland, sein Alter, seine Grundsätze, seine Bestimmung und über die Art und Weise seiner Ortsveränderung versehen, beschäftigte sich Hoffmann nur noch mit der Sorge alle diese bürgerlichen Fetzen zusammenzunähen, und wir müssen sagen, daß er bei seiner Ankunft in Paris einen ziemlich hübschen Band besaß, den er, wie er sagte, in Blech binden lassen würde, wenn er jemals eine neue Reise versuchen würde, weil er genöthigt, diese Blätter immer bei der Hand zu haben, zu viele Gefahr in einem einfachen Pappbande liefe.

Ueberall wiederholte man ihm:

– Mein lieber Reisender, die Provinz ist noch bewohnbar, aber Paris ist sehr aufgeregt. Nehmen Sie Sich in Acht, Bürger, es gibt in Paris eine sehr empfindliche Polizei, und in Ihrer Eigenschaft als Deutscher mögte man Sie vielleicht nicht als guter Franzose behandeln.

– Worauf Hoffmann durch ein stolzes Lächeln antwortete, eine Rückerinnerung des Spartanischen Stolzes,als die Thessalischen Spione die Streitkräfte Xerres, des Königs der Perser, zu vergrößern suchten,

Er langte vor Paris an; es war am Abend, die Barrièren waren geschlossen.

Hoffmann sprach die Französische Sprache ziemlich, aber man ist Deutscher, oder man ist es nicht; wenn man es nicht ist, so hat man eine Aussprache, der es mit der Zeit gelingt, für die Aussprache einer unserer Provinzen zu gelten; wenn man es ist, so gilt man immer für einen Deutschen.

Wir müssen erklären, wie die Polizei an den Barrièren gehandhabt wurde.

Zuvörderst waren sie verschlossen; dann streiften sieben bis acht Sectionnaire, müßige Leute voll Scharfblick, Lavaters aus Liebhaberei, rotienweise und ihre Pfeifen rauchend, um zwei oder drei Agenten der Munizipalpolizei herum.

Diese wackeren Leute, welche von Deputationen zu Deputationen am Ende alle Clubbs, alle Districtsbureaus, alle die Orte besucht hatten, in welche sich die Politik activ oder passiv eingeschlichen hatte; diese Leute, welche in der Nationalversammlung oder in dem Convent jeden Deputirten, auf den Tribunen alle männlichen und weiblichen Aristokraten, auf den Promenaden alle ausgezeichneten Stutzer, in den Theatern alle verdächtigen Berühmtheiten, bei den Revuen alle Offiziere, in den Gerichtshöfen alle mehr oder minder von der Anklage frei gesprochenen Angeklagten, in den Gefängnissen alle verschonten Priester gesehen hatten, diese würdigen Patrioten kannten ihr Paris so genau, daß jedes bekannte Gesicht ihnen beim Vorüberkommen in die Augen fallen mußte, und, wir müssen es sagen, ihnen fast immer in die Augen fiel.

Es war damals nicht leicht sich zu verkleiden; zu viel Reichthum in dem Kostume zog das Auge an, zuviel Einsamkeit erregte Verdacht. Da die Unsauberkeit zu den am meisten verbreiteten Aushängeschildern des Bürgerthumes gehörte, so konnte jeder Kohlenhändler, jeder Wasserträger, jeder Küchenjunge einen Aristokraten verbergen, und dann, wie konnte man die weiße Hand mit schönen Nägeln gänzlich entstellen? Wie konnte man diesen aristokratischen Gang, der in unseren Tagen, wo die Geringsten die höchsten Absätze tragen, nicht mehr merklich ist, zwanzig Paar Augen verbergen, die weit schärfer waren, als die eines suchenden Spürhundes?

Ein Reisender wurde daher bei seiner Ankunft durchsucht, befragt, moralischer Weise mit einer Leichtigkeit entkleidet, welche der Gebrauch verlieh, und einer Freiheit, welche. . . die Freiheit verlieh.

Hoffmann erschien vor diesem Tribunal am siebenten December gegen sechs Uhr Abends. Das Wetter war trübe, rauh, mit Nebel und Glatteis gemischt. Aber die Bären- und Fischottermützen, welche die Köpfe der Patrioten bedeckten, ließen ihnen genug warmes Blut in dem Gehirne und in den Ohren, daß sie alle ihre Geistesgegenwart und ihr kostbares Nachforschungsvermögen besaßen.

Hoffmann wurde durch eine Hand zurückgehalten, die sich sanft auf seine Brust legte.

Der junge Reisende war mit einem dunkelgrauen Fracke, einem groben Ueberrocke bekleidet, und seine deutschen Stiefel machten ihm ein ziemlich hübsches Bein. denn er hatte seit der letzten Station keinen Koth mehr angetroffen, und da die Kutsche wegen des Glatteises nicht mehr fahren konnte, so hatte Hoffmann zu Fuß sechs Stunden auf einer leicht mit hartgewordenem Schnee bedeckten Straße zurückgelegt.

– Wo gehst Du so mit Deinen schönen Stiefeln hin, Bürger? sagte ein Agent zu dem jungen Manne.

– Ich gehe nach Paris, Bürger.

– Du bist kein Kostverächter, junger Preuße, erwiderte der Sectionnair, indem er den Beinamen Preuße mit einer Verschwendung von ß aussprach, die zehn Neugierige um den Reisenden herum herbeieilen ließ.

Die Preußen waren in jenem Augenblicke nicht minder große Feinde für Frankreich, als die Philister für die Landsleute Simsons, die Israeliten.

– Nun denn! ja, ich bin Preuße, antwortete Hoffmann, indem er die fünf ß des Sectionnairs in ein weiches s verwandelte, weiter?

– Dann, wenn Du Preuße bist, so bist Du auch wohl zugleich ein kleiner Spion Pitt's und Coburg's. He?

– Lesen Sie meinen Paß, antwortete Hoffmann, indem er seinen Band einem der wissenschaftlich Gebildeten der Barriere vorlegte.

– Komm, erwiderte dieser, wobei er sich umwandte, um den Fremden auf die Wache zu führen.

Hoffmann folgte diesem Führer mit vollkommener Ruhe.

Ms die Patrioten bei dem Scheine räucheriger Talglichter diesen kleinen kräftigen jungen Mann mit festem Auge, schlecht geordneten Haaren sahen, der sein Französisch so gewissenhaft als möglich aussprach, rief der Eine von ihnen aus:

– Dieser da wird nicht leugnen, daß er Aristokrat ist, was er für Hände und Füße hat!

– Sie sind ein Dummkopf, Bürger, antwortete Hoffmann; ich bin eben so sehr Patriot als Sie, und außerdem bin ich ein Künstler.

Indem er diese Worte sagte, zog er eine jener entsetzlichen Pfeifen aus seiner Tasche, deren Boden nur allein ein Raucher aus Deutschland zu finden vermag.

Diese Pfeife machte einen wunderbaren Eindruck auf die Sectionnairs, welche ihren Tabak aus ihren kleinen Fingerhüten rauchten.

Alle begannen den kleinen jungen Mann zu betrachten, der mit großer Gewandtheit, die Folge einer langen Uebung, den Vorrath von einer Woche in diese Pfeife stopfte.

Hierauf setzte er sich, zündete den Tabak methodischer Weise an, bis daß der Ofen eine breite Feuerkruste auf seiner Oberfläche bot, dann sog er in gleichen Tempi's Rauchwolken ein, die anmuthiger Weise in bläulichen Säulen aus seiner Nase und aus seinen Lippen hervorkamen.

– Er raucht gut, sagte einer der Sectionnaire.

– Und es scheint, daß er ein Gewaltiger ist, sagte ein Anderer; sieh doch seine Zeugnisse an.

– Was willst Du in Paris machen? fragte ein Dritter.

– Die Wissenschaft der Freiheit studieren, erwiderte Hoffmann.

– Und was noch? fügte der Franzose hinzu, indem er wahrscheinlich wegen seiner großen Gewohnheit wenig, gerührt über den Heldenmuth einer solchen Antwort war.

– Und die Malerei, fügte Hoffmann hinzu.

– Ah – Du bist Maler, wie der Bürger David?

– Ganz so.

– Du verstehst römische Patrioten ganz nackend zu malen, wie er?

– Ich male sie ganz angekleidet, sagte Hoffmann.

– Das ist weniger schön.

– Das kömmt darauf an, erwiderte 'Hoffmann mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit.

– Mache mir doch mein Portrait, sagte der Sectionnair voll Bewunderung.

– Mit Vergnügen.

Hoffmann nahm einen Feuerbrand aus dem Ofen, löschte davon kaum das röthliche Ende desselben aus, und zeichnete an die mit Kalk geweißte Wand eines der häßlichsten Gesichter, die jemals die Hauptstadt der civilisirten Welt entehrt hatten.

Die Bärenmütze und der Fuchsschwanz, der geiferige Mund, der dicke Backenbart, die kurze Pfeife, das zurückweichende Kinn, wurden mit einem so seltenen Glücke Von Wahrheit in seiner Caricatur nachgeahmt, daß die ganze Wache von dem jungen Manne die Gunst verlangte, von ihm portraitirt zu werden.

Hoffmann willigte mit Vergnügen ein, und zeichnete eine Reibe eben so gut gelungener, aber zuverlässig weniger edlen Patrioten an die Wand, als die Bürger der nächtlichen Runde Rembrands.

So bald die Patrioten einmal in guter Laune waren, war keine Rede mehr von Argwohn, der Deutsche wurde zum Pariser naturalisirt; man bot ihm das Ehrenbier an, und er bot seinen Wirthen als wohldenkender Mensch Burgunder an, den diese Herren mit Vergnügen annahmen.

Nun legte einer von ihnen, der weit listiger als die anderen war, seinen Zeigefinger auf seine dicke Nase, und sagte zu Hoffmann, indem er mit dem linken Auge blinzelte:

– Gesteh uns Eines, Bürger Deutscher.

– Was? mein Freund.

– Gesteh' uns den Zweck Deiner Sendung.

– Ich habe Dir ihn gesagt: Die Politik und die Malerei.

– Nein, nein, etwas Anderes.

– Ich versichere Dich, Bürger.

– Du wirst wohl begreifen, daß wir Dich nicht anklagen; Du gefällst uns, und wir werden Dich beschützen, aber hier sind zwei Abgeordnete des Clubs der Cordeliers, zwei der Jacobiner, ich gehöre zu dem der Brüder und Freunde, wähle unter uns den, dem Du huldigen willst.

– Welche Huldigung? sagte Hoffmann überrascht.

– O! verhehle es nicht, es ist so schön, daß Du Dich überall damit brüsten solltest.

– Wahrhaftig, Bürger, Du läßt mich erröthen, erkläre Dich.

– Sieh und urtheile, ob ich zu rathen verstehe, sagte der Patriot.

Und indem er das Buch der Pässe aufschlug, zeigte er mit seinem fettigen Finger auf einer Seite unter der Ueberschrift Straßburg, folgende Zeilen:

9.Der Curiosität wegen lasse ich die fehlerhafte Orthographie des Orginals mit abdrucken. d. Uebers.