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Czytaj książkę: «Tausend und Ein Gespenst», strona 46

Czcionka:

Hoffmann legte die Violine an und begann, nicht ohne gewaltiges Herzklopfen, Variationen über das Thema aus Don Juan:

 
Reich' mir die Hand mein Leben.
 

Meister Gottlieb stand neben Hoffmann, indem er zugleich mit seinem Kopfe und mit dem Fuße seines krummen Reines den Takt angab. In dem Maße, als Hoffmann spielte, belebte sich sein Gesicht, seine Augen funkelten, seine obere Kinnlade biß auf die Unterlippe, und an den beiden niedergedrückten Seiten dieser Lippe zeigten sich zwei Zähne, welche sie in der gewöhnlichen Stellung zu verbergen bestimmt war, die aber in diesem Augenblicke wie zwei Hauer eines Ebers hervortraten. Endlich trug ihm ein Allegro, das Hoffmann ziemlich kräftig durchführte, von Seiten Meister Gottliebs eine Bewegung mit dem Kopfe ein, welche fast einem Zeichen des Beifalles glich.

Hoffmann endigte mit einem Bravourstücke mit Uebergriffen, das er für höchst glänzend hielt, das aber, weit davon,entfernt, den alten Musiker zu befriedigen, ihm ein gräßliches Gesicht schneiden ließ.

Sein Gesicht erheiterte sich indessen allmählig, und indem er den jungen Wann auf die Achsel klopfte, sagte er:

– Nun denn, nun denn, das ist weniger schlecht, als ich glaubte; wenn Du alles Das vergessen haben wirst, was Du gelernt hast, wenn Du nicht mehr diese in der Mode stehenden Sprünge machen wirst, wenn Du diese hüpfenden Züge und dieses schreiende Uebergreifen mäßigen wirst, so wird man Etwas aus Dir machen.

Dieses Lob von Seiten eines so schwierigen Mannes, als es der alte Musiker war, entzückte Hoffmann. Dann vergaß er nicht, so sehr er auch in den musikalischen Ocean vertieft war, daß Meister Gottlieb der Vater der schönen Antonia war.

Indem er daher die Worte auffing, welche aus dem Munde des Greises gefallen waren, fragte er:

– Und wer wird es übernehmen, Etwas aus mir zu machen? Sind Sie es, Meister Gottlieb?

– Warum nicht, junger Mann, warum nicht, wenn Du auf den alten Murr hören willst?

– Ich werde auf Sie hören, Meister, und so lange als Sie wollen.

– O! murmelte der Greis voll Schwermuth, denn sein Blick fiel wieder in die Vergangenheit, denn sein Gedächtniß ging wieder in die verflossenen Jahre zurück, ich habe gar viele Virtuosen gekannt! Ich habe Coralli, freilich nur von Hörensagen, gekannt; er hat dm Weg eröffnet, er hat die Bahn gebrochen; man muß ihn nach der Weise Tartinis spielen, oder darauf verzichten. Er hat als der Erste errathen, daß die Violine wo nicht ein Gott, doch zum Mindesten der Tempel wäre, aus dem ein Gott hervorgehen könnte. Nach ihm kommt Pugnani, eine leidliche verständige Violine, aber kraftlos, zu kraftlos, besonders in gewissen Apoggiamentis, dann Gaminiani; dieser ist kräftig, aber stoßweise und ohne Uebergänze kräftig; ich bin ausdrücklich in Paris gewesen, um ihn zu sehen, wie Du nach Paris gehen willst, um die Oper zu sehen; ein Tollkopf, mein Freund, ein Nachtwandler, mein Sohn, ein Mann, der gestikulirte, indem er träumte, der das Tempo rubato ziemlich gut verstand, verhängnißvolles Tempo rubato, das mehr Instrumentisten tödtet, als die Blattern, als das gelbe Fieber, als die Pest. Nun spielte ich ihm meine Sonaten nach der Weise des unsterblichen Tartini, meines Lehrers, und nun gestand er seinen Irrthum ein. Unglücklicher Weise war der Schüler bis an den Hals in seine Methode versunken. Der arme Junge war 71 Jahre alt! Vierzig Jahre früher hätte ich ihn wie Giardini gerettet; diesen hatte ich zeitig genug übernommen, aber unglücklicher Weise war er unverbesserlich; der Teufel in Person hatte sich seiner linken Hand bemächtigt, und dann spielte er, spielte er, spielte er so, daß seine rechte Hand ihm nicht zu folgen vermochte. Es waren Uebertreibungen, Sprünge, Triller, um einem Holländer den Veitstanz zu verursachen. Eines Tages, als er in Gegenwart Jomellis ein prachtvolles Stück verdarb, versetzte ihm daher auch der gute Jomelli, welcher der wackerste Mann von der Welt war, eine so derbe Ohrfeige, daß Giardinis Backe einen Monat lang davon geschwollen, und Jomellis Hand während 3 Wochen verrenkt war. Er ist wie Lulli, ein Narr, ein wahrer Narr, ein Luftspringer, ein Seiltänzer ohne Balancirstange, dem man eine Balancirstange statt eines Bogens in die Hand geben sollte. Ach! Ach! Ach! rief der Greis schmerzlicher Weise aus, ich sage es mit unendlicher Verzweiflung, aber mit Nardini und mir wird die schöne Kunst, Violine zu spielen, aussterben. Diese Kunst, mit welcher unser aller Meister, Orpheus, die Thiere anlockte, Steine in Bewegung setzte und Städte erbaute. Statt wie die göttliche Violine zu erbauen, zerstören wir wie die verfluchten Posaunen. Wenn die Franzosen jemals nach Deutschland kommen, so werden sie, um die Mauern von Philippsburg einfallen zu lassen, das sie so oft belagert, nur nöthig haben, von vier mir bekannten Violinen ein Concert vor seinen Thoren ausführen zu lassen.

Der Greis schöpfte wieder Athem, und fügte in sanfterem Tone hinzu:

– Ich weiß wohl, daß es Viotti, einen meiner Schüler, gibt, einen Menschen voll guter Anlagen, aber ungeduldig, aber ausschweifend, ohne Ordnung. Was Giarnowicki anbelangt, so ist er ein Geck und ein Dummkopf, und das Erste, was ich meiner alten Liesbeth gesagt habe, war, daß, wenn sie jemals diesen Namen an meiner Thüre aussprechen hörte, sie dieselbe fest verschließen sollte. Nun denn! Liesbeth ist dreißig Jahre bei mir, und ich sage Ihnen, junger Mann, ich jage Liesbeth fort, wenn sie Giarnowicki zu mir eintreten läßt, einen Sarmaten, einen Welschen, der sich erlaubt hat, Böses über den Meister der Meister, den unsterblichen Tartini, zu sagen! O! dem, der mir den Kopf Giarnowickis brächte, verspräche ich Unterricht und Rath, so viel, als er wollte. Was Dich, anbetrifft, mein Sohn, fuhr der Greis fort, indem er wieder auf Hoffmann zurückkam, was Dich anbetrifft so bist Du freilich nicht stark; aber Rode und Kreutzer, meine Schüler, waren nicht stärker, als Du. Was Dich anbetrifft, so sagte ich also, daß Du, indem Du Meister Gottlieb aufsuchtest, indem Du Dich an Meister Göttlich wandtest, indem Du Dich an ihn von einem Mann empfehlen ließest, der ihn kennt und der ihn würdigt, von dem Narren Zacharias Werner, Du beweisest, daß in Deiner Brust ein Künstlerherz schlägt. Es ist daher auch jetzt nicht mehr ein Antonius Stradivarius, die ich Dir in die Hände geben will, nein, auch nicht eine Gramulo, jener alte Meister, den der unsterbliche Tartini so sehr schätzte, daß er niemals auf anderen, als auf Gramulos spielte, nein, ich will Dich auf einer Antonio Amati. auf dem Ahnherrn, auf dem Vorfahren, auf dem ersten Stamme aller Violinen, die gemacht worden sind, auf dem Instrumente, das die Mitgift meiner Tochter Antonia sein wird, hören; es ist der Bogen des Ulysses, siehst Du, und wer den Bogen des Ulysses zu spannen versteht, ist der Penelope würdig.

Und nun öffnete der Greis den ganz mit Gold verzierten Sammetkasten, und nahm aus ihm eine Violine, wie niemals Violinen bestanden zu haben schienen, und wie Hoffmann sich vielleicht allein erinnerte, deren bei den phantastischen Concerten seiner Großonkel und seiner Großtanten gesehen zu haben.

Hierauf verneigte er sich über das ehrwürdige Instrument, und indem er es Hoffmann überreichte, sagte er:

– Nimm, und trachte seiner nicht zu unwürdig zu sein.

Hoffmann verneigte sich, nahm das Instrument voll Ehrerbietung, und begann eine alte Studie von Sebastian Bach.

– Bach, Bach, murmelte Gottlieb, das geht wohl für die Orgel, aber er verstand Nichts von der Violine. Gleichviel.

Bei dem ersten Tone, den Hoffmann dem Instrumente entlockt hatte, war er erbebt, denn er, der ausgezeichnete Musiker, sah ein, welchen Schatz von Harmonie man in seine Hände gelegt hatte.

Der Violinbogen, gleich einem Bogen, so sehr war gekrümmt, erlaubte dem Spieler, die vier Saiten zu gleicher Zeit aufzufassen, und die letzte dieser Saiten erhob sich zu so wundervoll himmlischen Tönen, daß Hoffmann niemals hatte denken können, daß ein so göttlicher Ton unter einer menschlichen Hand erwache.

Während dieser Zeit stand der Greis mit zurückgeworfenem Kopfe und mit blinzelnden Augen neben ihm, indem er als ganze Ermuthigung sagte:

– Nicht übel, nicht übel, junger Mann, die rechte Hand, die rechte Hand; die linke Hand ist nur der Takt, die rechte Hand ist die Seele Nun denn, Seele! Seele!! Seele!!!

Hoffmann fühlte wohl, daß der alte Gottlieb Recht hatte, und er sah ein, daß er, wie er ihm bei der ersten Probe gesagt hatte, Alles das verlernen müsse, was er gelernt hatte, und mit einem unmerklichen, aber andauernden, aber zunehmenden Uebergange ging er von dem Pianissimo zu dem Fortissimo, von der Liebkosung zu der Drohung, von dem Blitze zu dem Donner über, und verlor sich in einem Strome von Harmonie, den er wie eine Wolke erhob, und den er in murmelnden Kaskaden, in flüssigen Perlen, in feuchtem Staube wieder herabfallen ließ, und er befand sich unter dem Einflusse einer neuen Lage, eines an Entzücken gränzenden Zustandes, als plötzlich seine linke Hand sich auf die Saiten senkte, der Bogen in seiner Hand erstarb, die Violine von seiner Brust glitt, seine Augen starr und glühend wurden.

Die Thüre war aufgegangen, und Hoffmann hatte in dem Spiegel, dem gegenüber er spielte, gleich einem von einer himmlischen Harmonie beschworenen Schatten die schöne Antonia mit offenem Munde, beklommener Brust und feuchten Augen erscheinen sehen.

Hoffmann stieß einen Freudenschrei aus, und Meister Gottlieb hatte kaum Zeit, die ehrwürdige Antonia Amati aufzufangen, welche den Händen des jungen Künstlers entfiel.

VIII.
Antonia

Aantonia war Hoffmann, in dem Augenblicke, wo er sie die Thüre hatte aufmachen und die Schwelle überschreiten gesehen, Tausend Male schöner erschienen, als in dem Augenblicke, wo er sie die Stufen der Kirche hatte hinabgehen sehen.

Das kam daher, weil Hoffmann mit einem einzigen Blicke in dem Spiegel, in welchem das Bild des jungen Mädchens sich hatte sehen lassen, und der sich nur zwei Schritte weit von ihm befand, alle die Schönheiten hatte auffassen können, die ihm in der Entfernung entgangen waren.

Antonia war kaum siebenzehn Jahre alt, sie war von mittlerer Größe, eher groß als klein, aber so schlank ohne mager zu sein, so schmiegsam ohne Schwäche, daß alle Vergleiche von sich auf ihrem Stengel schaukelnden Lilien von sich im Winde beugenden Palmen ungenügend gewesen wären, um die italienische Zartheit (Morbidezza) zu schildern, das einzige Wort der Sprache, das ungefähr den Begriff sanften Schmachtens ausdrückt, waches ihr Anblick erweckte. Ihre Mutter war wie Julieilo, eine der schönsten Frühlingsblumen von Verona, und man fand in Antonio die Schönheiten der beiden Geschlechter wieder, welche sich die Palme der Schönheit streitig machen, nicht verschmolzen, sondern eingeprägt, und das war es, was den Zauber dieses jungen Mädchens ausmachte. So hatte sie bei der Feinheit der Haut der Frauen des Nordens die mattgefärbte Haut der Frauen des Südens so beschatteten ihre blonden, zugleich dichten und leichten Haare, indem sie bei dem geringsten Winde gleich einem goldigen Dunste wallten, Augen und Augenbrauen von schwarzem Sammet. Dann, etwas noch bei weitem Sonderbareres, war besonders in ihrer Stimme die harmonische Mischung der beiden Sprachen fühlbar. . Wenn Antonia daher Deutsch sprach, so milderte die Sanftheit der schönen Sprache, in welcher, wie Dante sagt, das H6 ertönt, die Härte der deutschen Aussprache; während dagegen, wenn sie Italienisch sprach, die ein Wenig zu weichliche Sprache Metastasio's und Goldoni's eine Festigkeit annahm, welche ihr die mächtige Betonung der Spracht Schiller's und Göthe's verlieh.

Aber nicht allem im Physischen machte sich diese Verschmelzung, bemerklich; Antonia war im Moralischen ein wundervolles und seltenes Bild dessen, was die entgegengesetzten Poesien der Sonne von Italien und der Nebel von Deutschland vereinigen können. Man hätte sie zu: gleich für eine Muse und für eine Fee, für die Lurlei der Ballade und die Beatrice der göttlichen Comödie halten können.

Das kam daher, weil Antonia eine ausgezeichnete Künstlerin, die Tochter einer großen Künstlerin war. An die italienische Musik gewöhnt, hatte sich ihre Mutter eines Tages mit Leib und Seele der deutschen Musik hingegeben. Die Partitur der Alceste von Gluck war ihr in die Hände gefallen, und sie hatte ihren Gatten, Meister Gottlieb, bewogen, ihr das Gedicht in's Italienische übersetzen zu lassen, und sobald es in's Italienische übersetzt, war sie nach Wien gegangen,, um es zu singen; aber sie hatte zu viel auf ihre Kräfte gerechnet, oder vielmehr kannte die herrliche Sängerin das Maß ihrer Empfindsamkeit nicht; bei der dritten Vorstellung der Oper, welche den größten Erfolg gehabt hatte, bei dem herrlichen Solo der Alceste:

Ihr Gitter ewiger Nacht, die ihr so schrecklich droht,

Ihr hört mich jetzt nicht mehr von euch Erbarmung stehen;

Ich rette den Gemahl von seinem frühen Tod,

Gern will ich seine Qualen überstehen,

Süß ist es, für den Gatten in den Tod hineinzugehen

als sie das D erreichte, das sie mit voller Brust gab, er, bleichte sie, wankte und sank in Ohnmacht; es war ein Gefäß in dieser so kühnen Brust gesprungen; das Opfer für die Götter der Hölle war in der Wirklichkeit vollbracht; Antonia's Mutter war todt.

Der arme Meister Gottlieb dirigirte das Orchester; von seinem Sessel aus sah er die wanken, erbleichen und fallen, welche er über Alles liebte; weit mehr noch, er hörte in ihrer Brust diese Fiber zerreißen, an der ihr Leben hing, und er stieß einen schrecklichen Schrei aus, der sich mit dem letzten Seufzer der Virtuosin vereinigte.

Daher rührte vielleicht jener Haß Meister Gottlieb's für die deutschen Meister; es war der Ritter Gluck, der sehr unschuldiger Weise seine Teresa getödtet hatte, aber er war darum nichts desto weniger gegen den Ritter Gluck auf den Tod wegen dieses tiefen Schmerzes erbittert, den er empfunden hatte, und der sich nur in dem Maße beruhigte, als er auf die heranwachsende Antonio alle die Liebe übertragen hatte, welche er für ihre Mutter hegte.

Jetzt, mit siebenzehn Jahren, war das junge Mädchen Alles für den Greis geworden; er lebte durch Antonia, er athmete durch Antonia. Niemals war der Gedanke an den Tod Antonia's in seinem Geiste aufgestiegen; wenn er aber auch in ihm aufgestiegen wäre, so hätte er sich nicht sehr darum bekümmert, da es ihm nicht einmal eingefallen wäre, daß er Antonia überleben könnte.

Er hatte daher mit einem nicht weniger entzückten Gefühle, als Hoffmann, obgleich dieses Gefühl noch bei Weitem reiner war, Antonia auf der.Schwelle der Thüre seines Arbeitszimmers erscheinen sehen.

Das junge Mädchen schritt langsam heran; zwei Thränen glänzten an ihren Wimpern, und indem sie drei Schritte auf Hoffmann zu that, reichte sie ihm die Hand. Dann sagte sie mit einem Ausdrucke züchtiger Vertraulichkeit, und wie als ob sie den jungen Mann seit zehn Jahren gekannt hätte:

– Guten Tag, Bruder.

Von dem Augenblicke an, wo seine Tochter erschienen, war Meister Gottlieb stumm und regungslos geblieben, wie immer hatte seine Seele seinen Körper verlassen, und sang um sie herumschwebend in die Ohren Antonias alle die Melodien der Liebe und des Glückes, welche die Seele eines Vaters bei dem Anblicke seiner inniggeliebten Tochter singt.

Er hatte also seinen theuern Antonio Amati auf den Tisch gelegt, und indem er beide Hände faltete, wie er es vor der heiligen Jungfrau gethan hätte, sah er sein Kind kommen.

Was Hofmann anbetrifft, so wußte er nicht, ob er wachte oder träumte, ob er auf Erden oder im Himmel wäre, ob es ein Weib wäre, das zu ihm käme, oder ein Engel, der ihm erschienen.

Er trat daher auch fast einen Schritt zurück, als er Antonia auf sich zukommen, und ihm die Hand reichen sah, indem sie ihn ihren Bruder nannte.

– Sie, meine Schwester! sagte er mit beklommener Stimme.

– Ja, sagte Antonia, es ist nicht das Blut, das die Familie ausmacht, es ist die Seele. Alle Blumen sind Schwestern durch den Wohlgeruch, alle Künstler sind Brüder durch die Kunst. Ich habe Sie freilich niemals gesehen, aber ich kannte Sie, Ihr Bogen hat mir Ihr Leben erzählt. Sie sind Dichter, ein wenig überspannt, armer Freund. Ach! dieser glühende Funke ist es, den Gott in unserem Kopfe oder in unserer Brust einschließt, der uns das Gehirn verbrennt, oder uns das Herz verzehrt; indem sie sich hierauf nach Meister Gottlieb umwandte, sagte sie:

– Guten Tag, Vater, warum haben Sie Ihre Antonia noch nicht umarmt? Ah! das ist es, ich begreife. Die Heimliche Ehe, das Stabat mater, Cimarosa, Pergolese, Porpora, was ist Antonia neben diesen großen Genies? ein armes Kind, das Sie liebt, das Sie aber wegen dieser vergessen.

– Ich Dich vergessen! rief Gottlieb aus, der alte Murr Antonia vergessen! Der Vater seine Tochter vergessen! Warum? für einige schlechte Musiknoten, für eine Zusammenstellung von Ganzen und Achtel, von schwarzen und von weißen Noten, von Kreuzen und von B's! Ah ja doch! Sieh, wie ich Dich vergesse.

Und indem er sich auf seinem krummen Beine mit einer erstaunungswürdigen Behendigkeit drehte, ließ der Greis mit seinem vordern Beine und seinen beiden Händen die zur Vertheilung an die Musiker des Orchesters bereitliegenden Stimmen der Heimlichen Ehe davon fliegen.

– Mein Vater! mein Vater! sagte Antonia.

– Feuer, Feuer! rief Meister Gottlieb aus, Feuer, damit ich Alles das verbrenne; Feuer, damit ich Pergolese verbrenne! Feuer, damit ich Cimarosa verbrenne! Feuer, damit ich Paesiello verbrenne! Feuer, damit ich Stradivarius, meine Gramulo's verbrenne! Feuer, damit ich meinen Antonio Amati verbrenne! Hat meine Tochter, meine Antonia nicht gesagt, daß ich Saiten, Holz und Papier meinem Fleische und meinem Blute vorzöge! Feuer! Feuer! Feuer!!!

Und der Greis bewegte sich wie ein Wahnsinniger und sprang auf seinem Beine wie der hinkende Teufel, wobei er feine Arme wie eine Windmühle gehen ließ.

Antonia, betrachtete diese Ausgelassenheit des Greises mit jenem sanften Lächeln befriedigten kindlichen Stolzes. Sie, die niemals Koketterie getrieben als mit ihrem Vater, mußte wohl daß sie allmächtig auf den Greis wirkte, daß sein Herz ihr Reich wäre, in welchem sie als unumschränkte Gebieterin herrschte. Sie hielt daher auch den Greis in seinen Bewegungen zurück, und indem sie ihn an sich zog, drückte sie einen einfachen Kuß auf seine Stirn.

Der Greis stieß einen Freudenschrei aus, schloß seine Tochter in seine Arme, hob sie auf, wie er es mit einem Vogel gethan hätte, und nachdem er sich drei bis vier Mal um sich selbst gedreht, fiel er auf ein großes Kanapee, wo er sie zu wiegen begann, wie eine Mutter es mit ihrem Kinde macht.

Anfangs hatte Hoffmann Meister Gottlieb voll Entsetzen zugesehen; als er ihn die Partituren in die Luft werfen, seine Tochter in seinen Armen aufheben sah, hatte er ihn für einen rasend gewordenen Wahnsinnigen gehalten. Aber bei dem ruhigen Lächeln Antonia's hatte er sich bald wieder beruhigt, und indem er ehrerbietig die zerstreuten Partituren aufraffte, legte er sie wieder auf die Tische und auf die Pulte, wobei er diese seltsame Gruppe von der Seite betrachtete, in welcher selbst der Greis seine Poesie hatte.

Plötzlich zog etwas Sanftes, Liebliches, Luftiges durch die Luft, es war ein Dunst, es war eine Melodie, es war etwas noch weit Göttlicheres, es war die Stimme Antonias, welche mit ihrer Künstlerlaune jene wundervolle Composition Stradella's begann, welche ihrem Verfasser das Leben gerettet hatte: das Pieta Signore.

Bei dem ersten Erbeben dieser Engelsstimme blieb Hoffmann regungslos, während der alte Gottlieb, indem er seine Tochter sanft von seinen Knieen aufhob, sie in der liegenden Stellung, in der sie war, auf das Kanapee legte; hierauf eilte er zu seinem Antonio Amati, und indem er die Begleitung den Worten anpaßte, begann er gleichfalls die Harmonie seines Bogens unter den Gesang Antonia's zu mischen und ihn zu unterstützen, wie ein Engel die Seele unterstützt, die er gen Himmel trägt.

Die Stimme Antonia's war eine Sopranstimme, welche den ganzen Umfang besaß, den die göttliche Freigebigkeit, nicht einer Frauenstimme, sondern einer Engelsstimme zu verleihen vermag. Antonia durchlief fünf und eine halbe Oktave, sie stimmte mit derselben Leichtigkeit das höchste C7 an, diese göttliche Note, welche nur den himmlischen Concerten anzugehören scheint, wie das C der fünften Oktave8 der Baßnoten. Niemals hatte Hoffmann etwas so Liebliches gehört, als diese vier ersten ohne Begleitung gesungenen Takte: Pieta, Signore, di me dolente. Diese Sehnsucht der leidenden Seele nach Gott, dieses inbrünstige Gebet zum Herrn, Erbarmen mit dieses Leiden zu haben, das sich beklagt, nahm in dem Munde Antonias ein Gefühl göttlicher Ehrfurcht an, welches dem Schrecken glich. Die Begleitung ihrerseits, welche die zwischen dem Himmel und der Erde schwebenden Worte aufgenommen, die sie, so zu sagen, nach dem verhauchten A in ihre Arme genommen, und die, piano, piano, wie ein Echo die Klage wiederholte, die Begleitung war in Allem der wie sie klagenden und schmerzlichen Stimme würdig. Sie sprach nicht in italienischer, nicht in deutscher, nicht in französischer, sondern in dieser Weltsprache, welche man Musik nennt:

– Erbarmen, Herr, habe Erbarmen mit mir Unglücklichen; Erbarmen, Herr, und wenn meine Bitte zu Dir gelangt, so möge Deine Strenge sich entwaffnen und Deine Blicke mögen sich wieder weniger streng und gnädiger zu mir wenden.

Und dennoch ließ die Begleitung, obgleich sie ihr folgte, obgleich sie dieselbe umgab, der Stimme alle ihre Freiheit, allen ihren Umfang; sie war eine Liebkosung und keine Umschlingung, eine Unterstützung und kein Zwang, und als bei dem ersten Sforzando, als auf dem D und den beiden F die Stimme sich erhob, wie um zu versiechen, gen Himmel zu steigen, schien die Begleitung zu fürchten, als etwas Irdisches auf ihr zu lasten, und überließ sie fast den Flügeln des Glaubens, um sie erst wieder bei dem aufgelösten E, das heißt bei dem Diminuendo zu unterstützen, das heißt, als der Anstrengung müde, die Stimme wie in sich selbst zusammengesunken, und gleich der Madonna Canovas auf die Kniee zurückfiel, und bei der, auf den Knieen liegend, sich Alles, Seele und Körper, unter dem schrecklichen Zweifel beugt, daß die Barmherzigkeit des Schöpfers groß genug sei, um das Vergehen des Geschöpfes zu vergessen.

Dann, als sie mit bebender Stimme fortfuhr: Möge es mir nie begegnen, verdammt und ins ewige Feuer Deiner Strenge gestürzt zu werden, o großer Gott! wagte die Begleitung, ihre Stimme sich mit der bebenden Stimme zu vereinigen, welche, die ewigen Flammen erblutend, den Herrn bat, sie davon zu entfernen. Nun bat die Begleitung gleichfalls, flehte, stöhnte, stieg mit ihr bis zu dem F hinauf, ging mit ihr bis zu dem C hinab, indem sie sie in ihrer Schwäche begleitete, sie in ihrem Schrecken unterstützte; dann, während athemlos und ohne Kraft die Stimme in der Tiefe von Antonias Brust erstarb, fuhr die Begleitung nach der erloschenen Stimme allein fort, wie nach der entflohenen und bereits auf dem Wege zum Himmel befindlichen Seele murmelnd und klagend die Gebete der Ueberlebenden fortdauern.

Nun begann sich mit dem Flehen der Violine Meister Gottliebs eine unerwartete, sanfte und zugleich mächtige, fast himmlische Harmonie zu vereinigen. Antonia richtete sich auf ihrem Ellnbogen auf, Meister Gottlieb wandte sich halb um und blieb, den Bogen auf die Saiten seiner Violine gelegt, regungslos. Anfangs betäubt, berauscht, entzückt, hatte Hoffmann verstanden, daß das Aufstreben dieser Seele ein wenig Hoffnung bedürfe, und daß sie brechen würde, wenn nicht ein göttlicher Strahl ihr den Himmel zeigte, und er war nach einer Orgel geeilt, und er hatte seine zehn Finger auf die bebenden Tasten ausgestreckt, und indem sie einen tiefen Seufzer ausstieß, vereinigte sich die Orgel mit der Violine Gottliebs und der Stimme Antonias.

Nun war diese Rückkehr zu dem Thema Pieta, Signore, begleitet von dieser Hoffnung, statt wie in dem ersten Theile von dem Schrecken verfolgt zu sein, etwas Wundervolles, und als Antonia voll Vertrauen zu ihrem Genie wie zu ihrem Gebete, mit aller Kraft ihrer Stimme das F anstimmte, fuhr ein Schauder durch die Adern des alten Gottlieb, und ein Schrei entschlüpfte dem Munde Hoffmanns, indem er den Antonio Amati unter den Strömen von Harmonie übertönte, welche aus seiner Orgel erklangen, die Stimme Antonias fortsetzte, nachdem sie erloschen war, und auf den Flügeln, nicht mehr eines Engels, sondern eines Orkanes, den letzten Seufzer dieser Seele zu den Füßen des allmächtigen und allbarmherzigen Herrn zu bringen schien.

Hierauf entstand ein Moment des Schweigens, alle drei blickten einander an, und ihre Hände vereinigten sich zu einer brüderlichen Umschlingung, wie ihre Seelen sich in einer gemeinsamen Harmonie vereinigt hatten.

Und von diesem Augenblicke an war es nicht allein Antonia, welche Hoffmann ihren Bruder nannte, sondern der alte Gottlieb Murr nannte auch Hoffmann seinen Sohn!

6.Si der musikalischen Scala der Franzosen. Der Uebers.
7.Das dreimal gestrichene C.
8.Das große C.