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Czytaj książkę: «Tausend und Ein Gespenst», strona 34

Czcionka:

II.
Ein Pastellbild von Latour

Das Haus hatte seinen eigenen, dem Charakter dessen, der es bewohnte, entliehenen Charakter.

Wir haben gesagt, daß die Mauern des selben grau waren, wir hätten sagen können, daß sie schwarz waren.

Man trat durch eine große, neben dem Hause des Pförtners in die Mauer gebrochene Thür ein; dann befand man sich in einem Garten ohne Rabatten, überall festgetreten, mit Geländern ohne Reben, Lauben ohne Schatten, Bäumen fast ohne Laub. Wenn zufällig eine Blume in einer Ecke wuchs, so war es eine jener wilden Blumen, die sich fast schämen, sich in der Stadt zu zeigen, welche, da sie diesen dunkeln und feuchten Raum für eine kleine Einöde gehalten hatte, aus Irrthum darin gewachsen war, indem sie sich weit ferner von der Wohnung der Menschen glaubte, als sie es in der Wirklichkeit war, und die fast sogleich von einem liebenswürdigen rosigen Kinde mit blonden und gelockten Haaren gepflückt wurde, welches einem vom Himmel gefallenen und in diesem Winkel der Erde verlorenen Cherubim glich.

Von diesem Garten, der vierzig bis fünfzig Quadratfuß groß sein konnte, und der an dem Hause in einen breiten gepflasterten Streif endigte, trat man in eine mit Steinplatten belegte Hausflur.

Auf diese Hausflur, in deren Hintergrunde sich eine Treppe befand, öffneten sich vier Thüren; zuvörderst zur Linken, die des Speisesaales, – dann zur Rechten, die eines kleinen Zimmers.

Dann nochmals zur Linken, die der Küche, – und zur Rechten, die der Speisekammer.

Dieses dunkle und feuchte Erdgeschoß war eben nur zur Stunde der Mahlzeiten bewohnt.

Die wahre Wohnung, die, in welche wir eingeführt wurden, befand sich im ersten Stockwerke.

Dieser erste Stock bestand aus dem Vorplatze, einem kleinen Salon, einem großen Salon, dem Schlafzimmer der Madame Waldor und dem Schlafzimmer der Frau von Villenave.

Der Salon war merkwürdig durch seine Form und sein Amöblement.

Es war ein längliches Viereck, das in jeder seiner Ecken einen Pfeilerschrank und eine Büste hatte.

Eine dieser Büsten war die des Herrn von Villenave.

Zwischen den beiden Büsten stand in dem Hintergrunde auf einem Pfeilertische, welcher sich dem Kamine gegenüber befand, das wichtigste Stück der Kunst und der Archäologie des Salons.

Es war die Urne von Erz, in welcher sich das Herz Bayards befunden hatte; ein kleines Basrelief, das sich um seinen Umfang herum wand, zeigte den Ritter sonder Furcht und Tadel, wie er das Kreuz seines Schwertes küsste.

Dann kamen zwei große Gemälde, wovon das eine Anna Boleyn vorstellte, das andere eine italienische Landschaft von Claude Lorrain.

Ich glaube, daß die beiden Rahmen, welche sich diesen Gemälden gegenüber befanden, der eine ein Porträt der Frau von Montespan, und der andere ein Porträt der Frau von Sevigné oder der Frau von Grignan einfaßten.

Ein Amöblement von Utrechter Sammet bot den Freunden des Hauses seine großen Kanapees mit weißen und dünnen Lehnen, und den Fremden seine Sessel und seine Stühle.

Dieses Stockwerk war ganz besonders das Gebiet der Madame Waldor, welche dort ihr Vicekönigthum ausübte.

Wir sagen, ihr Vicekönigthum, weil, trotz dem, daß ihr Vater ihr diesen Salon überlassen hatte, sie in der Wirklichkeit nur die Vicekönigin desselben war; so bald Herr von Villenave in denselben eintrat, so nahm er das Königthum wieder an, und von nun an gehörten die Zügel der Unterhaltung ihm.

Herr von Villenave hatte etwas Despotisches in seinem Charakter, das sich von der Familie auf die Fremden erstreckte. Wenn man zu Herrn von Villenaue eintrat, so fühlte man, daß man ein Theil von dem Eigenthume dieses Mannes wurde, der so viel gesehen, so viel studirt hatte, kurz, der so viel wußte. Dieser Despotismus, obgleich er durch die Artigkeit des Herrn vom Hause gemäßigt ward, lastete gleichwohl auf eine unangenehme Weise auf dem Ganzen der Gesellschaft. Vielleicht war in Anwesenheit des Herrn von Villenave die Unterhaltung besser geleitet, wie man ehedem sagte, aber zuverlässig war sie weniger frei, weniger belustigend, weniger geistreich, als wenn er nicht anwesend war.

Es war ganz der Gegensatz von dem Salon Nodiers. Je mehr Nodier zu Haus war, desto mehr war Jedermann zu Haus.

Glücklicher Weise kam Herr von Villenave selten in den Salon herab. Herr von Villenave hielt sich gewöhnlich in seiner Wohnung auf, das heißt auf dem zweiten Stockwerke, und an den gewöhnlichen Tagen erschien er nur zum Mittagessen; dann, wenn er nach dem Mittagessen einen Augenblick lang geplaudert hatte, wenn er Mit seinem Sohne ein wenig moralisirt, mit seiner Gattin ein wenig gebrummt hatte, streckte er sich in seinem Sessel aus, schloß die Augen, ließ sich von seiner Tochter seine Haare aufwickeln, und ging wieder in seine Wohnung hinauf.

Diese Viertelstunde, während welcher ihn der Zähne des Kammes sanft den Kopf kratzte, war die Viertelstunde täglicher Glückseligkeit, welche sich Herr von Villenave erlaubte.

Aber wozu diese Haarwickeln? wird der Leser fragen.

Zuvörderst war es vielleicht nur ein Vorwand, um sich den Kopf kratzen zu lassen.

Dann war Herr von Villenave, wie wir gesagt haben, ein stattlicher Greis, der ehedem ein liebenswürdiger junger Mann gewesen sein mußte, und sein Gesicht mit stark hervortretenden Zügen fand in diesen Wellen weißer Haare eine wundervolle Einfassung, welche den mächtigen Blitz seiner großen schwarzen Augen hervorhoben.

Endlich müssen wir gestehen, daß Herr von Villenave, obgleich gelehrt, kokett war, aber nur kokett hinsichtlich seines Kopfs.

Das Uebrige kümmerte ihn wenig; ob sein Rock blau oder schwarz, ob sein Beinkleid weit oder eng, ob die Spitze seines Stiefels rund oder eckig war, das war die Sache seines Schneiders, seines Schuhmachers, oder vielmehr seiner Tochter, welche alle diese Sachen leitete.

Wenn er nur gut frisirt war, das genügte ihm.

Wenn seine Tochter ihm die Haare aufgewickelt hatte, eine Verrichtung, die unveränderlicher Weise zwischen acht und neun Uhr Abends vorgenommen wurde, nahm Herr von Villenave seinen Leuchter, und ging wieder in seine Wohnung hinauf.

Diese Wohnung des Herrn von Villenave, dieses at home der Engländer, wollen wir zu schildern versuchen, aber ohne Hoffnung, daß es uns gelingt.

Dieser zweite, in unendlich mehr Zimmer als der erste abgetheilte Stock, bestand zuvörderst ans einem mit Gipsbüsten geschmückten Vorplatze, einem Vorzimmer und vier Zimmern. .

Wir werden diese vier Zimmer nicht in Salon, Schlafzimmer, Arbeitszimmer, Toilettenkabinet, u. s. w., u.s.w., u. s. w. einteilen.

Es handelte sich wohl um alle diese Ueberflüssigkeiten bei Herrn von Villenave; nein: es befanden sich dort fünf Zimmer für Bücher und Mappen, sonst Nichts.

Diese fünf Zimmer konnten vierzig Tausend Bände und vier Tausend Mappen enthalten.

Das Vorzimmer bildete schon für sich allein eine ungeheure Bibliothek, es hatte zwei Oeffnungen; von diesen beiden Oeffnungen führte die zur Rechten in das Schlafzimmer des Herrn von Villenave, aus welchem man durch einen Gang längs des Alkovens in ein großes Kabinet gelangte, das durch, von dem Nachbar geduldete Fenster erleuchtet war.

Die zur Linken führte in ein großes Zimmer, von wo man in ein kleineres Zimmer kam.

Dieses große in ein kleineres führende Zimmer hatte nicht allein, wie sein Nachbar, seine vier Wände mit Bücherbretern voll von Büchern, die auf Gestellen für Mappen ruhten, sondern es war auch noch eine sehr sinnreiche Einrichtung in Mitte dieser beiden Zimmer angebracht, eine Einrichtung gleich den Säulen, welche man in der Mitte der Salons anbringt, damit man sich rund herum setzen kann. Durch diese Einrichtung ließ die Mitte des Zimmers, welche eine zweite Bibliothek in einer ersten bot, nur einen ringsum laufenden Zwischenraum, in welcher sich eine einzige Person frei bewegen konnte. Eine zweite Person hätte den Weg versperrt, es war daher auch sehr selten, daß Herr von Villenaue Jemand, wäre es auch ein vertrauter Freund, in dieses sanctum sanctoram einführte.

Einige Bevorrechtigte hatten ihren Kopf durch die Thür gestreckt, und durch den gelehrten Staub, der sich beständig m lichtvollen Atomen in den seltenen Sonnenstrahlen bewegte, welche in dieses Tabernakel drangen, hatten sie die bibliographischen Geheimnisse des Herrn von Villenave erblicken können, wie Claudius vermittelst seiner weiblichen Verkleidung von dem Atrium des Tempels der Isis aus einige Geheimnisse der guten Göttin hatte überraschen können.

Dort befanden sich die Autographen, das Jahrhundert Ludwigs XIV. nahm allein fünf Hundert Mappen ein.

Dort befanden sich die Papiere Ludwigs XVI., der Briefwechsel von Malesherbes, vier Hundert Autographen von Voltaire, zwei Hundert von Rousseau. Dort befanden sich die Genealogien aller adeligen Familien von Frankreich mit ihren Verschwägerungen und ihren Ahnenproben. Dort befanden sich die Zeichnungen Raphaëls, Julio Romanos, Leonardo da Vincis, Andrea del Sartos, Lesuenrs, Davids, Thiers; die Mineralsammlungen, die seltenen Herbarien, die einzigen Manuscripte.

Kurz, dort befand sich die mühselige Arbeit von fünfzig Jahren, Tag vor Tag mit einem einzigen Gedanken, Stunde vor Stunde mit einer einzigen Leidenschaft beschäftigt, dieser zugleich so süßen und so glühenden Leidenschaft des Sammlers, bei welcher der Sammler seinen Verstand, seine Freude, sein Glück, sein Leben verwendet.

Diese beiden Zimmer waren die wertvollen Zimmer. Zuverlässig hätte Herr von Villenave, der mehr als ein Mal beinahe sein Leben umsonst hingegeben hätte, diese beiden Zimmer nicht für Hundert Tausend Thaler hingegeben.

Es blieben noch das Schlafzimmer und das dunkle, zur Rechten des Vorzimmers gelegene Kabinet, welche den beiden Zimmern, die wir so eben beschrieben haben, gegenüber gelegen waren.

Das erste der beiden Zimmer war das Schlafzimmer des Herrn von Villenave, ein Schlafzimmer, in welchem zuverlässig das Bell der am wenigsten ins Auge fallende Gegenstand war, da es in einem Alkoven stand, der durch zwei hölzerne Thüren verschlossen wurde.

In diesem Zimmer empfing Herr von Villenave.

Man konnte daher auch für den Nothfall darin gehen, man konnte für den Nothfall daher auch sich in ihm sitzen.

Sehen wir, wie man sich in ihm setzen konnte, sehen wir. wie man in ihm gehen konnte.

Die alte Magd, ich erinnere mich ihres Namens nicht mehr, meldete Herrn von Villenave einen Besuch, indem sie die Thür seines Zimmers halb aufmachte.

Dieses Oeffnen der Thür überraschte Herrn von Villenave immer mitten in einem Ordnen, einer Träumerei oder eines Schlummers.

– He! was gibt es, Franziska? (nehmen wir an, daß sie Franziska hieß). Mein Gott! kann man denn keinen Augenblick ungestört sein?

– Dam! mein Herr, antwortete Franziska, ich muß indessen kommen . . .

– Nun denn, sagen Sie geschwind, was wollen Sie von mir? Wie kömmt es, daß es immer in den Augenblicken sein muß, wo ich am meisten beschäftigt bin?. . . Kurz!

Und Herr von Villenave erhob seine großen Augen mit einem verzweifelten Ausdrucke gen Himmel, schlug seine Arme übereinander und stieß einen Seufzer der Ergebung aus.

Franziska war an diese Auftritte gewöhnt, sie ließ Herrn von Villenave seine Pantomime und seine Aeußerungen für sich machen, und wenn er geendigt hatte, sagte sie:

– Mein Herr, es ist der Herr so und so, der Ihnen einen kleinen Besuch abstatten will.

– Ich bin nicht zu Haus, gehen Sie.

Franziska zog langsam die Thür zu, sie kannte ihre Sache.

– Warten Sie, Franziska, begann Herr von Villenave wieder.

– Mein Herr?

Franziska machte die Thür wieder auf.

– Sie sagen, daß es der Herr so und so ist, Franziska?

– Ja, mein Herr.

– Wohlan! lassen Sie ihn eintreten, aber wenn er zu lange bleibt, werden Sie kommen mir zu sagen, daß man mich zu sprechen verlangt. Gehen Sie, Franziska.

Franziska verschloß die Thür wieder.

– Ach! mein Gott, mein Gott, ist es glaublich? murmelte Herr von Villenave, ich störe doch niemals Jemand, und man muß mich immer stören.

Franziska machte die Thür wieder auf und führte den Besucher ein.

– Ah! guten Tag, mein Freund, sagte Herr von Villenave, sein Sie willkommen, treten Sie ein, treten Sie ein. Wie lange es her ist, daß man Sie nicht gesehen hat! Setzen Sie Sich doch.

– Auf was? fragte der Besuch.

– Ei, auf was Sie wollen, bei Gott!. . . auf das Kanapee.

– Mit Vergnügen, aber. . .

Herr von Villenave, warf die Augen auf das Knapee.

– Ah! ja, es ist Wahr! es ist voll Bücher, sagte er. Nun denn! schieben Sie einen Sessel her.

– Das geschähe mit Vergnügen, aber. . .

Herr von Villenave ließ seine Sessel die Musterung Passiren.

– Es ist wahr, sagte er, aber das ist nun einmal nicht zu ändern, mein Lieber, ich weiß nicht, wo ich meine Bücher hinlegen soll. Nehmen Sie einen Stuhl.

– Es wäre mir ganz recht, aber. . .

– Aber was, haben Sie Eile?

– Nein, aber ich sehe eben so wenig einen leeren Stuhl, als einen freien Sessel.

– Das ist unglaublich, sagte Herr von Villenave, indem er seine beiden Arme gen Himmel erhob, das ist unglaublich. . . warten Sie.

Und er verließ stöhnend seinen Platz, nahm vorsichtig von einem Stuhle die Bücher, die ihn außer Dienst setzten, legte diese Bücher auf den Fußboden, wo sie zu den zwanzig bis dreißig ähnlichen Maulwurfshaufen, welche den Boten des Zimmers bedeckten, einen neuen hinzufügten, dann trug er diesen Stuhl neben seinen Sessel, das heißt, cm die Ecke des Kamines.

Ich habe so eben gesagt, in welchem Falle man sich in diesem Zimmer sehen konnte, ich will jetzt sagen, in welchem Falle man darin gehen konnte.

Es ereignete sich zuweilen, daß in dem Augenblicke, wo der Besucher eintrat, und nach der unerläßlichen Einleitung, die wir erzählt haben, sich gesetzt hatte, es ereignete sich zuweilen, sage ich, daß durch ein doppeltes Zusammentreffen des Zufalles die Thür des Alkovens und die Thür des Ganges, der nach dem hinter dem Alkoven gelegenen Kabinette führte, offen standen, dann konnte man durch dieses doppelte Zusammentreffen der beiden zu gleicher Zeit offen stehenden Thüren in dem Alkoven ein Pastellbild sehen, das eine junge und hübsche Frau mit einem Briefe in der Hand vorstellte, ein Pastellbild, das sich durch einen Lichtstrahl erleuchtet fand, der durch das Fenster des Ganges fiel,

Dann hatte entweder der Besucher keinen Begriff von Kunst, und es war selten, daß die, welche zu Herrn von Villenave kamen, nicht in irgend einer Beziehung Künstler waren, oder er stand auf, indem er ausrief:

– Ah! mein Herr! welches herrliche Pastellbild!

Und der Besucher machte eine Bewegung, um von dem Kamine nach dem Alkoven zu gehen.

– Warten Sie! rief Herr von Villenave aus, warten Sie.

In der Thal, man bemerkte, daß zwei bis drei über einander gefallene Maulwurfshaufen von Büchern eine Art von Gegenwall von wunderlicher Gestalt bildeten, den man überschreiten mußte, um nach dem Alkoven zu gelangen.

Dann stand Herr von Villenave auf, ging voraus, und öffnete, wie es ein geschickter Minirer in einem Lauft graben macht, durch die typographische Linie einen Gang, der erlaubte, vor dem Pastellbilde anzukommen, das sich selbst seinem Bette gegenüber befand.

Dort angelangt, wiederholte der Besucher:

– O! welches herrliche Pastellbild!

– Ja, antwortete Herr von Villenave mit jener Miene des alten Hofes, die ich nur an ihm und zwei oder drei, wie er, eleganten Greisen gekannt habe, ja, es ist ein Pastellbild von Latour; es stellt eine alte Freundin von mir vor, die nicht mehr jung ist, denn so viel ich mich erinnern kann, war sie im Jahre 1784, der Zeit, in welcher ich sie kannte, fünf bis sechs Jahre älter als ich. Seit 1802 haben wir uns nicht mehr gesehen, was uns nicht abhält, uns alle acht Tage zu schreiben, und unsere wöchentlichen Briefe mit einem gleichen Vergnügen zu empfangen; ja, Sie haben Recht, das Pastellbild ist schön, aber das Orginal war noch weit schöner. Ah!. . .

Und ein Strahl von Jugend, lieblich wie ein Sonnenschein, zog über das erheiterte Gesicht des schönen, um vierzig Jahre verjüngten Greises.

Und sehr oft hatte Franziska in diesem zweiten Falle nicht nöthig, ihre falsche Meldung zu machen, denn, wenn der Besucher ein Mann von Bildung war, so überließ er nach Verlauf von einigen Augenblicken Herrn von Villenave ganz den Träumen, welche der Anblick dieses schönen Pastellbildes von Latour in ihm hatte entstehen lassen.

III.
Der Brief

Wie hatte nun Herr von Villenave diese schöne Bibliothek gesammelt?

Wie hatte er diese m der Welt der Sammler einzige Sammlung von Autographen zusammengetragen?

Mit der Arbeit seines ganzen Lebens.

Zuvörderst hatte Herr von Villenaue niemals ein Papier verbrannt, niemals einen Brief zerrissen.

Zusammenberufungen zu gelehrten Gesellschaften, Einladungen zu Hochzeiten und zu Begräbnissen, er hatte Alles aufbewahrt, Alles geordnet, Alles an seinen Platz gelegt. Er besaß eine Sammlung von jeder Sache, und selbst Bände, die am 14. Juli halbverbrannt aus dem Feuer gerissen worden waren, welches sie in dem Hofe der Bastille verzehrte.

Zwei Aussuchte von Autographen warm beständig für Herrn von Villenave beschäftigt; der eine war ein gewisser Fontaine, den ich gekannt habe, und der selbst Verfasser eines Buches unter dem Titel: Handbuch der Autographen war; der andere war ein Angestellter im Kriegsministerium, alle Gewürzkrämer von Paris kannten diese beiden unermüdlichen Besucher, und legten ihnen alle Papiere bei Seite, welche sie kauften. Unter diesen Papieren trafen sie eine Auswahl, welche sie fünfzehn Sous das Pfund bezahlten, und die ihnen Herr von Villenave mit dreißig Sous bezahlte.

Zuweilen stellte Herr von Villenave seine Aufsuchung auch selbst an. Es gab keinen Gewürzkrämer von Paris, der ihn nicht kannte, und der, wenn er ihn sah, nicht alle zukünftigen Düften versammelte, um sie seiner gelehrten Nachforschung zu unterwerfen.

Es versteht sich von selbst, daß Herr von Villenave an den Tagen, wo er wegen der Autographen ausging, auch nach Büchern forschte; dann schlug der unermüdliche Bibliophile die Linie der Kais ein, und dort, seine beiden Hände in den Taschen seines Beinkleides, seinen hohen Körper gebückt, seinen schönen verständigen Kopf durch das Verlangen erleuchtet, senkte er seinen glühenden Blick in die ausgestellten Bücher, unter denen er den unbekannten Schah suchte, den er einen Augenblick lang durchblätterte, und wenn das Buch das war, nach dem er gestrebt hatte, wenn die Ausgabe die war, welche er suchte, so verließ das Buch den Laden des Antiquars, nicht um Platz in der Bibliothek des Herrn von Villenave zu nehmen, in der Bibliothek des Herrn von Villenave gab es keinen Platz mehr, und das seit langer Zeit, und Tausche gegen Zeichnungen oder Autographen mußten diesen für den Augenblick fehlenden Platz schaffen, nein, das Buch nahm Platz auf den in drei Abtheilungen getrennten Speicher, die Abtheilung der Oktavbände zur Linken, die Abtheilung der Quartanten zur Rechten, die Abtheilung der Folianten in der Mitte.

Dort herrschte das Chaos, aus dem Herr von Villenave eine neue Welt bilden sollte, – etwas wie ein Australien oder ein Neuseeland.

Einstweilen lagen sie übereinander geworfen auf dem Boden in einem Halbdunkel.

Dieser Speicher war der Vorhimmel, in welchem die Seelen eingesperrt waren, welche Gott weder in das Paradies, noch in die Hölle sendet, weil er Absichten auf sie hat.

Eines Tages erbebte das arme Haus ohne scheinbare Ursache bis in seinen Fundamenten, stieß einen Schrei aus und spaltete sich; die erschreckten Bewohner glaubten an ein Erdbeben, und stürzten in den Garten.

Alles war ruhig, sowohl in der Luft, als auf der Erde, der Brunnen an der Ecke der Straße fuhr fort zu stießen, ein Vogel sang in den höchsten Zweigen des höchsten Baumes.

Der Unfall war abgesondert, er rührte von einer geheimen und unbekannten Ursache her.

Man ließ den Baumeister holen.

Der Baumeister untersuchte das Haus, sondirte und erforschte es, und erklärte am Ende, daß der Vorfall nur von einer Ueberladung herrühren könnte.

Dem zu Folge verlangte er die Dachböden zu besuchen.

Aber bei diesem Verlangen empfand er einen heftigen Widerstand von Gelten des Herrn von Villenave.

Woher rührte dieser Widerstand, der indessen der Festigkeit des Baumeisters nachgeben mußte?

Das kam daher, weil Herr von Villenave fühlte, daß sein vergrabener Schatz, der um so kostbarer war, als er ihm selbst fast unbekannt war, bei diesem Besuche eine große Gefahr liefe.

In der Thai, allein in dem mittleren Zimmer fand man zwölf Hundert Folianten, die nahe an acht Tausend Pfund wogen.

Ach! diese zwölf Hundert Folianten, welche das Haus sich hatten neigen lassen, und welche drohten, es einstürzen zu lassen, mußte man verkaufen.

Dieses schmerzliche Werk fand im Fahre 1822 statt, und im Jahre 1826, als ich Herrn von Villenave kennen lernte, war er noch nicht ganz von diesem Schmerze wiederhergestellt, und mehr als ein Seufzer, von dem seine Familie weder die Ursache noch den Zweck kannte, ging zu diesen theuren, von ihm mit so großer Mühe gesammelten Folianten, welche jetzt gleich, aus dem väterlichen Hause verjagten Kindern, als Waisen und zerstreut auf der Erde herumirrten.

Ich habe gesagt, wie sehr das Haus der Straße Vaugirard mir angenehm, gütig und gefällig von Seiten der Frau von Villenave gewesen wäre, weil sie von Natur aus liebevoll war, von Seiten der Frau von Waldor, weil sie, selbst Dichterin, die Dichter liebte; von Seiten Theodors von Villenave, weil wir von demselben Alter waren, und man in diesem Alter das Bedürfnis hat, einen Theil seines Herzens zu neben, und einen Theil von dem Herzen der Andern zu empfangen.

Endlich von Seiten des Herrn von Villenave, weil ich, ohne ein Liebhaber von Autographen zu sein, dennoch vermöge des militärischen Portefeuille meines Vaters eine Sammlung ziemlich merkwürdiger Autographen besaß.

In der Thal, da mein Vater vom Jahre 1791 bis 1800 hohe Grade in der Armee eingenommen hatte, da er drei Male kommandirender General gewesen war, so hatte mein Vater mit allen denen im Briefwechsel gestanden, welche vom Jahre 1791 bis 1800 eine Rolle gespielt hatten.

Die merkwürdigsten Autographen dieses Briefwechsels waren die des Generals Buonaparte. Napoleon hat diesen italienisirten Beinamen nicht lange behalten. Drei Monate nach dem 13. Vendémiaire französisirte er seinen Namen, und unterzeichnete Bonaparte. Nun aber hatte mein Vater in diesem kurzen Zeitraume fünf bis sechs Briefe von dem jungen General des Innern erhalten. Das war der Titel, den er nach dem 13. Vendémiaire annahm.

Ich schenkte Herrn von Villenave eines dieser Autographen, mit einem Autograph von Saint Georges und einem Autograph vom Marschall von Richelieu, und durch diese Opfer, die ein Vergnügen für mich waren, hatte ich meinen Zutritt auf dem zweiten Stockwerk.

Allmählig wurde ich vertraut genug in dem Hause, daß Franziska mich Herrn von Villenave nicht mehr meldete. Ich ging allein zum zweiten Stock hinauf, klopfte an das Zimmer, machte auf das Wort: Herein! die Thür auf, und ward fast immer gut empfangen.

Ich sage, fast immer, weil die großen Leidenschaften ihre stürmischen Stunden haben. Nehmen wir an, daß ein Liebhaber von Autographen, der eine kostbare Unterschrift gehegt hat, eine Unterschrift in der Art der von Robespierre, welcher nur drei oder vier hinterlassen hat, von Molare, der nur eine oder zwei hinterlassen hat; von Shakespeare, der, wie ich glaube, gar keine hinterlassen hat, nun denn! in dem Augenblicke, wo er sich dieser einzigen oder fast einzigen Unterschrift zu bemächtigen im Begriffe steht, entgeht diese Unterschrift unserem Sammler durch irgend einen Zufall, und er ist ganz natürlicher Weise in Verzweiflung.

Man trete in einem solchen Augenblicke zu ihm ein, und, wäre man sein Vater, wäre man sein Bruder, wäre man ein Engel, man wird sehen, wie man empfangen werden wird, es sei denn, daß dieser Engel durch seine göttliche Gewalt diese Unterschrift, welche nicht bestand, nicht leben ließe, oder diese einzige Unterschrift nicht verdoppelte.

Das sind die Ausnahmsfälle, in denen ich von Herrn von Villenave schlecht empfangen worden wäre. Unter allen andern Umständen war ich sicher, ein freundliches Gesicht, ein nachgebendes Gemüth und ein gefälliges Gedächtniß, selbst im Laufe der Woche zu finden.

Ich sage im Laufe der Woche, weil der Sonntag bei Herrn von Villenave den wissenschaftlichen Besuchen vorbehalten war.

Alles, was es an ausländischen Bibliophilen, Liebhabern von Autographen, Kosmopoliten gab, die nach Paris kamen, kamen nicht dorthin, ohne Herrn von Villenave ihren Besuch abzustatten, wie Vasallen ihrem Lehensherrn huldigen.

Der Sonntag war daher der Tag der Austausche. Durch diese Austausche vervollständigte Herr von Villenave seine ausländischen Sammlungen, für welche die Gewürzkrämer nicht ausreichten, indem er den deutschen, englischen oder amerikanischen Sammlern einige Abfälle seiner nationalen Reichthümer überließ.

Ich hatte also das Haus betreten; ich war also im ersten Stockwerke, nachher auf dem zweiten empfangen worden; ich hatte dort meinen Eintritt für jeden Sonntag erlangt, dann endlich war ich dort nach meinem Willen zugelassen worden, ein Vorrecht, das ich mit höchstens zwei bis drei Personen theilte.

Nun aber kam ich einst an einem Wochentage, ich glaube es war ein Dienstag, um Herrn von Villenave zu bitten, mich einen Autograph Christinens studiren zu lassen (man weiß, daß ich mir gern Rechenschaft über den Charakter von Personen durch ihre Handschrift ablege); es war gegen fünf Uhr Nachmittags im Monat März, ich schellte an der Thür, frug nach Herrn von Villenave und ging vorüber.

Als ich in das Haus treten wollte, rief mich Franziska zurück.

– Was gibt es, Franziska? fragte ich.

– Geht der Herr zu den Damen oder zu dem Herrn?

– Ich gehe zu dem Herrn, Franziska.

– Nun denn! wenn der Herr gütig sein wollte, so könnte er meinen armen Beinen zwei Stockwerke ersparen, und Herrn von Villenave diesen Brief geben, den man so eben für ihn gebracht hat.

– Mit Vergnügen, Franziska.

Franziska gab mir den Brief, ich nahm ihn und ging hinauf.

An der Thür angelangt, klopfte ich wie gewöhnlich an, aber man antwortete mir nicht.

Ich klopfte ein wenig stärker an.

Dasselbe Schweigen.

Endlich klopfte ich ein drittes Mal an, und dieses Mal mit einer Art von Besorgnis, denn der Schlüssel befand sich in der Thür, und die Anwesenheit des Schlüssels in der Thür deutete unveränderlicher Weise die Anwesenheit des Herrn von Villenave in seinem Zimmer an.

Ich nahm es daher auf mich, die Thür zu öffnen, und ich sah Herrn von Villenave auf seinem Sessel eingeschlafen.

Bei dem Geräusche, das ich machte, vielleicht auch bei dem Luftzuge, welcher eindrang, und der gewisse magnetische Einflüsse brach, stieß Herr von Villenave eine Art von Schrei aus.

– Ah! Verzeihung, sagte ich zu ihm, Hundert Mal Verzeihung, ich bin unbescheiden gewesen, ich habe Sie gestört.

– Wer sind Sie? was wollen Sie von mir?

– Ich bin Alexander Dumas.

– Ah!

Und Herr von Villenave athmete wieder auf.

– In Wahrheit, ich bin untröstlich, fügte ich hinzu, und ich gehe wieder.

– Nein, äußerte Herr von Villenave, indem er einen Seufzer ausstieß und mit seiner Hand über seine Stirn fuhr, nein, treten Sie ein.

Ich trat ein.

– Setzen Sie Sich!

Zufälliger Weise war ein Stuhl frei, ich nahm ihn.

– Sie sehen, sagte er. – O! was das sonderbar ist. – Ich war eingeschlafen. Die Dämmerung ist während dieser Zeit gekommen, mein Feuer ist erloschen, Sie haben mich geweckt, ich habe Mich ohne Licht befunden, indem ich mir keine Rechenschaft von dem Geräusche ablegte, das meinen Schlummer störte; es ist ohne Zweifel die Luft der Thür, welche auf mein Gesicht gezogen ist; aber es hat mir geschienen, ein großes weißes Tuch, irgend etwas wie ein Grabtuch flattern zu sehen. Was das sonderbar ist, nicht wahr? fuhr Herr von Villenave mit jener Bewegung des ganzen Körpers fort, welche andeutet, daß ein Mensch sich erkältet hat. Sie sind da, um so besser!

– Sie sagen mir das, um mich über meine Unbesonnenheit zu trösten.

– Nein, in Wahrheit. Ich freue mich sehr, Sie zu sehen. Was haben Sie da?

– Ah! Verzeihung, ich vergaß; einen Brief für Sie.

– Ah! ein Autograph, von wem?

– Nein, es ist kein Autograph, es ist ein einfacher Brief, wie ich zum Mindesten vermuthe.

– Ah! ja, ein Brief!

– Ein mit der Post gekommener Brief, den Franziska mich beauftragt hat, Ihnen zu bringen; hier ist er.

– Ich danke. Da, wenn Sie so gefällig sein wollen, so strecken Sie die Hand aus und geben Sie mir. . .

– Was?

– Ein Zündhölzchen. Wahrlich, ich bin noch ganz erstarrt. Wenn ich abergläubig wäre, so würde ich an Ahnungen glauben.

Er nahm das Zündhölzchen, welches ich ihm reichte, und zündete es an der glühenden Asche des Kamines an.

In dem Maße, als er es anzündete, verbreitete sich ein zunehmendes Licht in dem Zimmer, und erlaubte die Gegenstände zu erkennen.

– O! mein Gott! rief ich plötzlich aus.

– Was haben Sie denn? fragte mich Herr von Villenave, indem er seine Kerze anzündete.

– Ach! mein Gott! Ihr schönes Pastellbild, was ist ihm denn zugestoßen?

– Ja, Sie sehen, antwortete Herr von Villenave trauriger Weise, ich habe es dort neben das Kamin gestellt; ich erwarte den Glaser, den Einrahmer.

– In der That, der Rahmen ist zerbrochen, und das Glas in Tausend Stücken.

– Ja, sagte Herr von Villenave, indem er mit schwermüthiger Miene das Porträt anblickte und seinen Brief vergaß; ja, es ist etwas Unbegreifliches.

– Es ist ihm also ein Unfall zugestoßen?

– Denken Sie Sich, daß ich vorgestern den ganzen Abend gearbeitet hatte; es war drei Viertel auf zwölf Uhr, ich legte mich zu Bett, stellte meine Kerze auf meinen Nachttisch und schickte mich an die Correcturbogen einer kleinen wohlfeilen Ausgabe meines Ovids durchzusehen, als meine Augen sich zufällig auf das Porträt meiner armen Freundin richteten. Ich sagte ihr wie gewöhnlich mit dem Kopfe gute Nacht, es ging ein wenig Wind durch ein ohne Zweifel offen gebliebenes Fenster, der Wind ließ die Flammen meiner Kerze schwanken, so daß es mir schien, als ob das Porträt mir durch eine Bewegung des Kopfes gleich der meinigen antwortete: – Gute Nacht. – Sie werden begreifen, daß ich diese Erscheinung für eine Thorheit hielt, aber ich weiß nicht, wie das kam, ich wurde tiefsinnig, und meine Augen vermogten sich nicht mehr von dem Bilde abzuwenden. Bei Gott! wie Sie wissen, mein Freund, rührt dieses Bild aus den ersten Tagen meiner Jugend her, es ruft mir alle Arten von Erinnerungen zurück. So schwamm ich denn gänzlich in den Erinnerungen meines fünfundzwanzigsten Lebensjahres. Ich redete mein Porträt an. Mein Gedächtniß antwortete für dasselbe, und obgleich es mein Gedächtniß war, welches antwortete, so schien es mir doch, daß das Pastellbild die Lippen bewegte, es schien mir, daß seine Farben erbleichten, es schien mir, daß seine Züge einen traurigen Ausdruck an, nahmen. In diesem Augenblicks begann es auf der Karmeliterkirche Mitternacht zu schlagen, bei diesem schaurigen Klange nahm das Gesicht meiner armen Freundin einen immer schmerzlicheren Ausdruck an. Der Wind wehte. Bei dem letzten Schlage der Mitternachtsstunde öffnete sich das Fenster des Kabinettes gewaltsam. Ich hörte Etwas wie eine Klage vorüberziehen. Es schien mir, als ab die Augen des Porträts sich schlössen. Der Nagel, welcher es trug, gab nach, und das Porträt fiel und meine Kerze erlosch.