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Czytaj książkę: «Salvator», strona 9

Czcionka:

XV
Vorstellungen

In dem Augenblicke, wo Frau von Marande dies Worte: »Wann Du willst, Carmelite . . . »aussprach, während sie zugleich ins Schlafzimmer eintrat und die Thürvorhänge wieder hinter sich fallen ließ, meldete man an der Thüre des Solon:

»Monseigneur Coletti.«

Benützen wir die paar Secunden die Carmelite brauchen wird, um der Einladung ihrer Freundin Folge zu leisten, und werfen wir einen raschen Blick auf Monseigneur Coletti. den man meldet.

Unsere Leser erinnern sich vielleicht, daß sie den Namen dieses frommen Mannes von der Marquise de la Tournelle haben nennen hören.

Monseigneur Coletti war im Jahre 1827 nicht nur ein Mann in der Gunst, sondern auch ein Mann von Ruf; nicht nur ein Mann von Ruf, sondern auch ein Mann in der Mode. Die Conferenzen, die er während der Fastenzeit gehalten, hatten ihm den Ruf eines großen Predigers eingetragen, welchen ihm Niemand, so wenig devot er auch sein mochte, streitig zu machen nur die Idee hatte ; Jean Robert vielleicht ausgenommen, welcher, vor Allem Dichter und Alles als Dichter sehend, sich immer wunderte, daß die Priester, die einen herrlichen Text wie das Evangelium hatten, gewöhnlich so schlecht inspiriert, so wenig beredt waren. Es schien ihm, der kämpfte und zwar siegreich gegen ein Auditorium kämpfte, das hundertmal widerspenstiger als das, welches sich in den frommen Conferenzen zu erbauen pflegt, es schien ihm, sagen wir, er hätte, würde er die Kanzel bestiegen haben, ein Wort ganz anders überredend oder ganz anders donnernd gehabt, als alle die geschraubten Worte dieser weltlichen Prälaten, deren Homelien er einmal zufällig hörte. Da bedauerte er, daß er nicht Priester war, daß er nicht eine Kanzel statt eines Theaters und christliche Zuhörer statt profaner Zuschauer hatte.

Obschon seine feinen seidenen Strümpfe und sein ganzes veilchenblaues Costume einen der Würdenträger der Kirche offenbarten, konnte man doch Monseigneur Coletti für einen einfachen Abbé aus der Zeit von Ludwig IV. Halten, so sehr verriethen sein Gesicht, seine Tournure, sein Gang und sein Schaukeln eher einen galanten Herumstreicher, als einen in der Fastenzeit Enthaltsamkeit predigenden strengen Prälaten; man hätte glauben sollen, nachdem er, wie Epimenides, ein halbes Jahrhundert im Boudoir von Frau von Pompadour oder Madame Dubarry geschlafen, sei Monseigneur Coletti plötzlich aufgewacht und habe angefangen in der Welt herumzulaufen, ohne sich nach den in den Sitten oder in den Gebräuchen vorgegangenen Veränderungen zu erkundigen, oder auch ganz frisch vom päpstlichen Hofe angekommen, habe er sich mitten unter eine französische Reunion mit seinem Costume eines ultramontanen Abbé verirrt.

Es war beim ersten Anblicke ein hübscher Prälat in der vollen Bedeutung des Wortes, rosenfarbig, frisch, dem Anscheine nach kaum sechsunddreißig Jahre alt; bei näherer Anschauung bemerkte man aber bald, daß Monseigneur Coletti für sein Gesicht die Schwäche hatte, die für das ihrige die Frauen von fünfundvierzig haben, welchen daran liegt, nur dreißig zu scheinen: Monseigneur legte Weiß auf, Monseigneur legte Roth auf.

Glückte es einem, diese Farblinge zu durchdringen und bis zur Haut zu gelangen, so war man erschrocken« unter diesem belebten Anscheine etwas Abgestorbenes, Erloschenes, das kalt machte, zu treffen.

Zwei Dinge lebten indessen in diesem wie eine Wachsmaske unbeweglichen Gesichte : die Augen und der Mund; – die Augen klein, schwarz und tief, rasche, sogar drohende Blitze schleudernd, alsdann sich sogleich unter einem süßlichen, gottseligen Augenlide verhüllend; der Mund klein, sein, mit der spöttischen geistreichen, in Momenten bis zum Gifte boshaften Unterlippe.

Das Ganze dieser Physiognomie konnte zuweilen den Geist, den Ehrgeiz, die Sinnlichkeit offenbaren, doch nie die Seelengüte. Man fühlte vom Anfang an, man habe jedes Interesse, diesen Mann sich nicht zum Feinde zu machen; Niemand aber hätte uns dem Gesichtspunkte der Sympathie den Wunsch gefühlt, sich einen Freund aus ihm zu machen.

Ohne groß zu sein, war er, wie die Bürger sagen, wenn sie von einem Geistlichen sprechen, ein stattlicher Mann. Man füge diesem etwas ausnehmend Hoffärtiges, Verächtliches, Impertinentes in seiner Art, den Kopf zu tragen, die Leute zu grüßen, in einen Salon einzutreten, daraus wegzugehen, sich zu setzen und aufzustehen, bei . . . Dagegen schien er für die Frauen die feinsten Blüthen seiner Höflichkeit aufbehalten zu haben; er blinzelte, wenn er sie anschaute, auf eine so bezeichnende Art mit der Augen, und gefiel ihm die Frau, die er anredete, so nahm sein Gesicht einen unbeschreiblichen Ausdruck von unzüchtiger Süßigkeit an.

Mit diesen halbgeschlossenen, blinzelnden Augen trat er in diesen Solon ein, den man den Frauensalon nennen konnte, während der General, der Monseigneur Coletti seit langer Zeit kannte, als er ihn melden hörte, zwischen den Zähnen murmelte:

»Treten Sie ein, Monseigneur Tartusse!«

Diese Meldung, dieser Eintritt, dieser Gruß, das Zögern von Monseigneur Coletti, sich zu setzen, die Wichtigkeit, die den berufenen Prediger der letzten Fastenzeit umgab, hatten einen Augenblick die Aufmerksamkeit von Carmelite abgewandt, wir sagen einen Augenblick, denn es war nur ein Augenblick, zwischen dem Momente, wo Frau Marande den Thürvorhang fallen ließ, und dem verlaufen, wo sich der Vorhang wieder aufhob, um den zwei Freundinnen Durchgang zu gewähren.

Es war nicht möglich, einen ergreifenderen Contrast zu sehen, als den, welcher zwischen Frau von Marande und Carmelite bestand.

War es aber auch wirklich Carmelite?

Ja, sie war es . . . doch nicht Carmelite, deren Portrait wir aus der Monographie der Rose copirt haben; nicht mehr die Carmelite mit den purpurnen Wangen, mit dem glänzenden Teint, mit der von Reinheit und Unschuld strahlenden Miene; nicht mehr die Carmelite mit der lächelnden Lippe, mit der um den Wohlgeruch jenes Blumenfeldes, das sich unter ihrem Fenster ausbreitete und das Grab der la Vallière balsamisch umduftete, einzuathmen weit geöffneter Nase . . . Nein, die neue Carmelite war eine große junge Frau, deren Haare immer noch mit derselben Ueppigkeit aus ihre Schultern fielen; doch die Schultern waren von Marmor! Es war dieselbe Stirne, hoch, entblößt, verständig; doch die Stirne war von Elfenbein! es waren dieselben einst von den rosigen Nuancen der Jugend und der Gesundheit gefärbten Wangen, heute aber entfärbt, verbleicht und seltsam matt geworden!

Die Augen besonders, schon so schön und so groß, schienen um die Hälfte größer geworden zu sein: sie schleuderten immer noch Flammen, doch die Funken waren Blitze geworden, und, bei dem dunkelfarbigen Kreise, der sie umgab, hätte man geglaubt, diese Blitze kommen aus einer Gewitterwolke hervor.

Sodann ihre Lippen, einst von Purpur; ihre Lippen, welche nach ihrer Ohnmacht so viel Mühe gehabt hatten, um wieder zum Leben zurückzukehren, ihre Lippen hatten ihre ursprüngliche Farbe nicht wieder annehmen können; sie hatten nur, und zwar mit großer Mühe, die bleiche Nuance der rosenfarbenen Koralle erlangt, doch, man muß sagen, gerade hierdurch vervollständigten sie trefflich das seltsame Ganze, das immer aus Carmelite eine Schönheit ersten Rangs machte, aber dieser Schönheit eine fantastische Tinte gab.

Sie war einfach, indessen anbetungswürdig gekleidet.

Durch ihre drei Freundinnen angetrieben, in die Soirée von Lydie zu kommen, und mehr noch unterstützt durch ihren Entschluß, sich schnell unabhängig zu machen, war die Frage der Toilette, in der sie erscheinen wurde, lange erörtert worden. Es versteht sich von selbst, daß Carmelite an der Debatte keinen Antheil genommen hatte; sie hatte von Anfang erklärt, sie sei die Witwe von Colombau, um den sie ihr Leben lang trauern werde, und sie werde nur in schwarzem Kleide kommen: Fragola, Lydie und Regina konnten nun dieses Kleid schneiden und ordnen, wie es ihnen beliebte.

Regina beschloß, das Kleid sollte von schwarzen Spitzen auf Leib und Rock von schwarzem Atlaß sein, und sie sollte, statt jeder Verzierung, eine Guirlande von jenen düsteren, veilchenblauen Blumen, dem Embleme der Traurigkeit haben, die man Alzei nennt; mit den Blumen sollten Cypressenzweige vermengt sein.

Der von Fragola, der Gelehrtesten von den Dreien bei dieser geschickten Blumenvermählung, bei dieser verständigen Verschmelzung von Nuancen, geflochtene Kranz bestand wie die Guirlande des Kleides, wie der Strauß des Leibes, aus Cypressenzweigen und Alzeibläthen.

Ein Collier von schwarzen Perlen, ein kostbares Geschenk von Regina, umschloß den Hals.

Als Carmelite, bleich und dennoch geschmückt, aus dem Schlafzimmer von Frau von Marande heraustrat, gaben diejenigen, welche sie erwarteten, aber nicht so zu sehen erwarteten, einen Ausruf von sich, in welchem sich die Bewunderung und der Schrecken vermengten. Man hätte denken sollen, es sei eine antike Erscheinung, die Norma oder die Medea. Ein Schauer durchlief alle Adern.

Der alte General, so sehr er Skeptiker war, begriff, es sei hier etwas Heiliges wie die Ergebenheit, etwas Großes wie das Märtyrerthum. Er stand auf und wartete.

Regina ihrerseits lief auf Carmelite zu, sobald sie erschien.

Das glänzende Gespenst trat zwischen die von Leben und Glück strahlenden zwei Frauen.

Jedermann folgte mit dem Blicke dieser stillen Gruppe mit einer gewissen Neugierde, welche an die Gemüthserregung grenzte.

»Ah! wie bleich bist Du, meine arme Schwester!« sagte Regina.

»Wie schön bist Du, o Carmelite!« sagte Frau von Marande.«

»Ich habe Euren dringenden Bitten nachgegeben, meine Vielgeliebten,« sprach die junge Frau; »doch wahrhaftig, Ihr müßtet vielleicht, während es noch Zeit ist, mich zurücktreten heißen.«

»Warum dies?«

»Wißt Ihr, daß ich kein Klavier geöffnet habe, seitdem wir, er und ich, mit einander unsern Abschied vom Leben gesungen? Wenn mich die Stimme verließet wenn ich Alles vergessen hätte!«

»Man vergißt nicht, was man nicht gelernt hat, Carmelite,« sagte Regina. »Du sangst wie die Vögel: verlernen die Vögel zu singen?«

»Regina hat Recht,« sprach Frau von Marande; »und ich bin Deiner sicher, wie Du selbst Deiner sicher bist. Singe also ohne Befangenheit, meine gute Geliebte! Nie, dafür stehe ich Dir, wird ein Künstler, um gehört zu werden, ein mehr sympathetisches Auditorium gehabt haben!

»Ah! singen Sie, singen Sie, Madame!« sagten alle Stimmen, – außer den Stimmen von Susanne und Lorédan, denen des Bruders und der Schwester, welche, der Bruder mit Erstaunen, die Schwester mit Neid, diese düstere, aber glänzende Schönheit anschauten.

Carmelite dankte den Kopf neigend und ging weiter auf das Klavier und zugleich auf den Grafen Herbel zu.

Dieser machte zwei Schritte ihr entgegen und verbeugte sich.

»Herr Graf,« sagte Frau von Marande, »ich habe die Ehre, Ihnen meine theuerste Freundin vorzustellen; denn von meinen drei Freundinnen ist diese die unglücklichste.«

Der General verbeugte sich zum zweiten Male und sprach mit einer der ritterlichen Zeiten würdigen Höflichkeit:

»Mein Fräulein, ich bedaure, daß mir Frau von Marande nicht eine schwierigere Aufgabe beschieden hat, als die, Ihr Lob zu verkündigen. Glauben Sie mir, daß ich mit ganzer Seele hierfür besorgt sein, und dennoch mich als Ihren Schuldner betrachten werde.«

»Oh! singen Sie, singen Sie, Madame!« riefen einige Stimmen mit dem Ausdrucke der Bitte.

»Du siehst, liebe Schwester,« sagte Frau von Marande, »Jedermann wartet mit Ungeduld . . . Willst Du anfangen?«

»Auf der Stelle, wenn man es wünscht,« antwortete einfach Carmelite.

»Was willst Du singen?« fragte Regina.

»Wählet selbst.«

»Du gibst keinen Vorzugs«

»Keinen.«

»Ich habe den ganzen Othello hier.«

»Also Othello.«

»Begleitest Du Dich selbst?« fragte Lydie.

»Wenn ich es nicht anders machen kann,« antwortete Carmelite.

»Ich werde Dich begleiten,« sagte rasch Regina.

»Und ich, ich werde die Blätter umwenden,« fügte Frau von Marande bei,« Zwischen uns Beiden wirst Du keine Angst haben?«

»Ich werde keine Angst haben . . . « erwiderte Carmelite schwermüthig den Kopf schüttelnd.

Carmelite war in der That vollkommen ruhig.

Sie legte ihre kalte Hand auf die Hand von Frau von Marande; ihre Stirne drückte eine unaussprechliche Seelenheiterkeit aus.

Frau von Marande wandte sich nach dem Klavier und nahm aus den aufgehäuften Partituren die von Othello.

Carmelite blieb auf Regina gestützt ungefähr bei zwei Dritteln des Boudoir stehen.

Jedermann hatte sich gesetzt; man hörte aus Aller Brust keinen Hauch mehr hervorkommen.

Frau von Marande legte die Partitur auf das Klavier, während Regina, ebenfalls hinzutretend, sich setzte und rasch das Klavier in einem glänzenden Vorspiele durchlief.

»Willst Du die Romanze von der Weide singen ?«

»Gern,« erwiderte Carmelite.

Frau von Marande öffnete die Partitur bei der vorletzten Scene des letzten Actes.

Regina wandte sich, die Hände ausgestreckt und ganz bereit, zu beginnen, gegen Carmelite um.

In diesem Augenblicke meldete der Diener:

»Herr und Frau Camille von Rozan.«

XVI
Die Romance von der Weide

Ein langer, dumpfer, peinlicher Seufzer, von drei oder vier Punkten des Salon ausgehend, folgte auf diese Meldung; ein tiefes Stillschweigen herrschte nach diesem Ausrufe des Schmerzes. Man hätte glauben sollen, alle hier gegenwärtige Personen kennen die Geschichte von Carmelite, und der Schrecken habe ihrer Brust diesen schmerzlichen Seufzer entrissen, den sie nicht zurückzuhalten vermocht, als sie diese Meldung gehört, und plötzlich, das Feuer in den Augen, die Freude auf den Lippen, die Sorglosigkeit auf der Stirne, diesen jungen Mann haben erscheinen sehen, den man gewisser Maßen als den Mörder von Colombau betrachten konnte.

Dieser Seufzer war zugleich von Jean Robert, von Petrus, von Regina und von Frau von Marande ausgestoßen worden.

Was Carmelite betrifft, sie hatte nicht nur weder geschrien, noch geseufzt, sondern sie war sogar athemlos, unbeweglich wie eine Bildsäule geblieben.

Herr von Marande allein, der den von ihm vergessenen Namen gehört und wieder erkannt hatte, ging dem ihm von seinem americanischen Correspondenten empfohlenen Paare entgegen und sagte:

»Sie kommen vortrefflich, Herr von Rozan! Wollen Sie sich setzen und lauschen, so werden Sie, wie Frau von Marande versichert, die schönste Stimme hören, die Sie je gehört haben.«

Und Frau von Rozan den Arm bietend, führte er sie zu einem Fauteuil, während Camille in dem Gespenste, das er vor Augen hatte, Carmelite zu erkennen suchte und, sie erkennend, einen schwachen Schrei des Erstaunens von sich gab.

Lydie und Regina waren auf ihre Freundin zugestürzt, denn sie glaubten, sie bedürfe ihrer Hilfe, und erwarteten, sie werde in ihren Armen in Ohnmacht fallen; doch zu ihrer großen Verwunderung war Carmelite, wie gesagt, mit starrem Auge stehen geblieben; nur war ihr Teint von der Blässe zur Leichenfarbe übergegangen.

Dieses starre, unbewegliche Auge, ohne Ausdruck, ohne scheinbares Leben, schien nichts mehr anzublicken; es war, als schlüge das Herz nicht mehr, so schien der Körper plötzlich versteinert zu sein. Die junge Frau war so erschrecklich anzuschauen, – um so erschrecklicher, als, abgesehen von dieser Leichenfarbe, ihr Marmorgesicht keine Spur von Erregung an sich trug.

»Madame,« sagte Herr von Marande, indem er sich seiner Frau näherte, »das sind die zwei Personen, von denen ich mit Ihnen zu sprechen die Ehre gehabt habe.«

»Ich bitte Sie inständig, mein Herr, beschäftigen Sie sich mit ihnen,« erwiderte Frau von Marande; »ich, ich gehöre ganz Carmelite . . . Sehen Sie, in welchem Zustande sie ist.«

Diese Leichenblässe, dieser ausdruckslose Blick, diese bildsäulenartige Unbeweglichkeit fielen Herrn von Marande wirklich auf.

»Oh! mein Gott! mein Fräulein,« fragte er mit dem Tone der lebhaftesten Theilnahme, »was ist Ihnen denn begegnet?«

»Nichts, mein Herr,« erwiderte Carmelite, den Kopf mit jener Bewegung erhebend, welche ein mächtiges Herz macht, um dem Unglück ins Gesicht zu schauen; – »nichts!«

»Singe nicht . . . singe heute Abend nicht!« flüsterte Regina Carmelite zu.

»Und warum sollte ich nicht singen?«

»Der Kampf übersteigt Deine Kräfte,« sagte Lydia.

»Du wirst es sehen!« erwiderte Carmelite.

Und etwas wie der blasse Reflex des Lächelns einer Todten zeichnete sich auf ihren Lippen.

»Du willst es?« fragte Regina« indem sie sich wieder ans Klavier setzte.

»Nicht die Frau wird singen, Regina: die Künstlerin,« antwortete Carmelite.

Und sie machte die drei Schritte, die sie noch vom Klavier trennten.

»Mit Gottes Gnade!« sagte Frau von Marande.

Regina präludirte zum zweiten Male.

Carmelite begann:

Assisa al pié d’un-n salica . . . 6

Die Stimme war fest, sicher geblieben, und ergriff eine tiefe Gemüthsbewegung vom zweiten Verse an die Zuhörer, so rührte diese Gemüthsbewegung viel mehr vom Schmerze von Desdemona, als vom Leiden von Carmelite her.

Es wäre in der That schwer gewesen, einen Gesang zu wählen, der sich mehr für die Lage von Carmelite geeignet hätte; die Todesangst, von der das Herz von Desdemona ergriffen ist, da sie die erste Strophe der africanischen Sclavin, ihrer Amme, singt, war gewisser Maßen die Formel der Bangigkeiten, die ihr eigenes Herz zusammenschnürten; der Sturm, der über dem Palaste der schönen Venezianerin schwebt, der Wind, der eine Füllung vom gothischen Fenster ihres Gemaches zerbrochen hat, der Donner, der geräuschvoll in der Ferne rollt, die finstere Nacht, die traurig flackernde Lampe, Alles bis auf die melancholischen Verse von Dante, welche auf seiner Barke vorüberfahrend ein Gondelier singt:

Nessum maggiore doloro Che rieordarsi del tempo felice,Nella misera . . . 7

Alles bringt an diesem unseligen Abend die arme Desdemona in Verzweiflung, Alles ist schlimmes Vorzeichen, Alles ist unheilvolle Vorbedeutung!

Der Sang der Statue in Don Juan von Mozart und die Verzweiflung der armen Donna Anna, da sie an den Leichnam ihres Vaters stößt, sind vielleicht die einzigen zwei Situationen« die sich mit dieser schmerzlichen Scene der Ahnungen vergleichen lassen.

Keine Musik, wir wiederholen es, war also mehr geeignet, als die des großen italienischen Meister, um die Schmerzen von Carmelite auszudrücken.

Dieser Colombau, brav, redlich und stark, um den sie die Trauer im Herzen trug, war er nicht gewisser Maßen der finstere, redliche, in Desdemona verliebte Africaner? Dieser unselige Jago, dieser falsche Freund, der in das Herz von Othello das Gift der Eifersucht streut, war er nicht, – die Verhältnisse wohl beachtet, – der frivole Americaner, der eben so viel Böses mit seinem Leichtsinne gethan hatte, als Jago mit seinem Hasse hatte thun können?

Nun wohl, diese Lage war die, in welcher sich Carmelite befand, als sie Camille wiedersah, und diese Romanze, die sie mit so viel Festigkeit und zugleich mit so viel Ausdruck sang, diese Romanze war ein beständiges Märtyrerthum, und jede Note drang kalt und schmerzlich wie die Klinge eines Dolches in ihr Herz ein.

Nach der ersten Strophe klatschte alle Welt Beifall mit dem aufrichtigen Enthusiasmus, welchen jedes neue Talent bei dem Publikum erregt, das nicht interessiert ist, ein falsches Urtheil zu fällen.

Die zweite Strophe:

I ruocelletti limpidia caldi suoi sospiri . . .

erfüllte die Zuhörer mit Erstaunen; es war nicht mehr eine Frau, es war nicht mehr eine Sängerin, die aus ihrem Munde diese Cascade von Wehklagen regnen ließ: es war der Schmerz, der sich selbst besang.

Der Refrain besonders:

Laura fra. i rami flebile Ripetiva il suon . . .

wurde mit einer so rührenden Melancholie gesungen, daß das ganze verzweifelte Gedicht von Carmelite in diesem Momente an den Augen von denjenigen, welche sie kannten, vorübergehen mußte, wie es sicherlich vor den ihrigen vorüberzog.

Regina war beinahe so bleich geworden als Carmelite. Lydie weinte.

In der That, nie hatte eine so sympathetische Stimme, – zu jener Zeit, wo so viele große Sängerinnen: die Pasta, die Pizzaroni, die Mainvielle, die Sontag, die Catalani, die Malibran, ihr Auditorium entzückten, – nie hatte ein solcher lebender Timbre das Herz der Dilettanti in dieser schönen italienischen Sprache bewegt, welche selbst eine Musik ist. Doch man erlaube uns, mit ein paar Zeilen für diejenigen, welche die so eben von uns genannten großen Künstlerinnen gekannt haben, zu sagen, worin sich die Stimme unserer Heldin von denen dieser berühmten Sängerinnen unterschied.

Die Stimme von Carmelite hatte von Natur einen außerordentlichen Umfang; sie gab das tiefe G mit derselben Leichtigkeit und mit demselben Wohlklange, mit dem Madame Pasta das A gab, und sie ging bis zum hohen D hinauf. Das Mädchen konnte also, – und das war das Wunder ihrer Stimme, – ebenso gut Altpartien, als Sopranrollen singen.

Es war wirklich keine Sopranstimme reiner, reicher, glänzender, mehr für den Fiorituri, für die Gorgheggi geeignet, wenn es uns erlaubt ist, uns dieses Wortes zu bedienen, das speciell in Neapel angewandt wird, um das Gezwitscher der Kehle zu bezeichnen, von dem jeder Sopran, der debutirt, unserer Ansicht nach übermäßig Mißbrauch macht.

Was die Altstimme betrifft, – sie war einzig.

Jedermann kennt die wunderbaren, so zu sagen magnetischen Wirkungen der Altstimme; sie malt die Liebe mit mehr Kraft, die Traurigkeit mit mehr Ausdruck, den Schmerz mit mehr Energie als die Sopranstimme. Die Soprane singen wie die Vogel: sie gefallen, entzücken, bezaubern; die Altstimmen bewegen, beunruhigen, setzen in Leidenschaft. Die Sopranstimme ist eine reine Frauenstimme: sie hat die Zartheiten und die Süßigkeiten davon; die Altstimme ist eine wahre Männerstimme; sie hat ihren Ernst, ihre Härte, ihre Herbheit, und dennoch ist es eine ganz besondere Stimme, die an dem Einen und dem Andern Theil hat; eine hermaphrodite Stimme. Diese Stimmen bemächtigen sich auch der Seele der Zuschauer mit der Schnelligkeit und der Kraft der Elektricität und des Magnetismus. Die Altstimme ist gewisser Maßen das Echo der Gefühle des Zuhörers: sänge derjenige, welcher zuhört, so möchte er sicherlich gern so singen.

Das war also die auf das Auditorium durch die Stimme von Carmelite hervorgebrachte Wirkung Begabt mit einem ungewöhnlichen, obgleich rein instinktartigen Geschicklichkeit, denn sie kannte nur wenig das Verfahren der großen Sänger in der Mode, vereinigte Carmelite, mit einem erstaunlichen Glücke, die Kopfstimme mit der Bruststimme; die Verbindung dieser zwei Stimmen war augenscheinlich, und ein alter Meister wäre sehr in Verlegenheit gekommen, hätte er sagen sollen, wie viel Studien nothwendig gewesen seien, um die wunderbaren Effecte zweier so entgegengesetzten Stimmen zu kombinieren.

Carmelite, als große Tonkünstlerin, was sie war, hatte unter dem Auge von Colombau so emsig und so fest die Grundprincipien der Musik studiert, daß sie fortan nichts nöthig hatte, als sich gehen zulassen, um zu verführen und zu elektrisieren; und war ihre Stimme schön, so war ihr Geschmack vollkommen. Von den ersten Lectionen an an die Maßhaltung der deutschen Musik gewöhnt, machte sie einen sehr mäßigen Gebrauch von den italienischen Fiorituri und bediente sich derselben nur, um den Ausdruck eines Stückes zu vermehren, oder um einen Satz mit einem andern zu verbinden, nie aber als Annehmlichkeit, nie als Kunststück.

Wir endigen die Analyse des Talentes von Carmelite damit, daß wir sagen, im Gegensatze zu den grüßten Sängerinnen der Zeit und sogar aller Zeiten habe dieselbe Note bei zwei verschiedenen Situationen der Seele bei ihr gleichsam nie denselben Ton gehabt.

Wundert sich nun Einer und beschuldigt uns der Uebertreibung, behauptend, keine Sängerin, und wenn sie zu Meistern Porpora, Mozart, Pergolese oder selbst Rossini gehabt, habe die Vollkommenheiten dieser doppelten Stimme erreicht, so antworten wir, Carmelite habe einen Meister gehabt, der viel ernster gewesen, als die so eben von uns genannten, einen Meister, den man das Unglück nenne!

Am Ende der dritten Strophe war es auch ein einstimmiges Hurrah, eine unaussprechliche Raserei.

Die letzten Noten waren noch nicht erloschen, klagend und seufzend wie der Schrei der Schmerzen selbst, als ein Beifallsdonner, die vergoldete Kuppel dieses weltlichen Salons erschütterte. Jeder stand auf, als wollte er der Erste sein, um der Künstlerin Glück zu wünschen, ihr sein Compliment zu machen; es war ein wahres Fest, eine allgemeine Hinreißung, Alles, was die Furia francese, das Decorum vergessend, gestatten kann. Man stürzte nach dem Klavier, um dieses Mädchen anzuschauen, das schön wie die Schönheit, mächtig wie die Stärke, finster wie die Verzweiflung. Die alten Frauen, die sie um ihre Jugend beneideten, die jungen Frauen, die sie um ihre Schönheit beneideten, alle diejenigen, welche sie um ihr unvergleichliches Talent beneideten, alle diejenigen, welche sich sagten, es wäre beinahe ein Ruhm, von einer solchen Frau geliebt zu sein, näherten sich ihr, nahmen ihre Hand und drückten sie mit Liebe.

Und darum ist die Kunst wahrhaft schön, wahrhaft groß: in einem Augenblicke macht sie einen alten Freund aus einem Bekannten.

Tausend Einladungen fielen, wie die zukünftigen Blumen ihres Rufes, und streuten sich in einem Augenblicke um Carmelite her.

Der alte General, der sich, wie gesagt, darauf verstand, der alte General, der nicht leicht zu bewegen war, fühlte seine Thränen fließen; das war der Sturmregen, der sein Herz, während er das Mädchen singen hörte, angeschwellt hatte.

Jean Robert und Petrus näherten sich einander instinetartig, und in ihrem stummen Händedruck erzählten sie sich stillschweigend ihre schmerzliche Gemüthsbewegung, ihr melancholisches Entzücken; hätte ihnen Carmelite ein Rachezeichen gemacht, sie wären auf diesen sorglosen Camille losgestürzt, der, nicht wissend, was vorgefallen, Alles dies, ein Lächeln auf den Lippen, das Lorgnon im Auge und von seinem Platze aus: Bravo! Bravo! Bravo! Rufend, wie er es auf einem Sperrsitze der italienischen Oper würde gethan haben, angehört hatte.

Regina und Lydie, welche begriffen hatten, was Alles an Schmerz und Ausdruck die Gegenwart des Creolen der Stimme von Carmelite beifügte, – Regina und Lydie, welche während der ganzen Zeit, die der Gesang gedauert, bei jeder Note gezittert hatten, das Herz der Sängerin werde brechen, waren Beide wie niedergeschmettert. Regina wagte es nicht, sich umzudrehen, Lydie wagte es nicht, den Kopf zu erheben.

Plötzlich, auf einen von denjenigen, welche Carmelite umgaben, ausgestoßenen Schreckenschrei, traten die zwei jungen Frauen aus ihrer Erstarrung hervor und wandten sich gleichzeitig gegen ihre Freundin um.

Carmelite hatte nach ihrer letzten geweinten Note den Kopf zurückgeworfen, und, bleich, steif, unbeweglich, wäre sie unfehlbar auf den Boden gefallen, hätten sie nicht zwei Arme unterstützt, und hätte nicht eine befreundete Stimme zu ihr gesagt.

»Muth, Carmelite! und seien Sie stolz: von diesem Abend an haben Sie Niemand mehr nöthigt.«

Ehe sie die Augen schloß, hatte Carmelite Zeit, Ludovic diesen grausamen Freund, der sie ins Leben zurückgerufen zu erkennen.

Sie stieß einen letzten Seufzer aus, schüttelte traurig den Kopf und fiel in Ohnmacht.

Nun erst sah man aus ihren geschlossenen Augen zwei Thränen hervorquellen, welche über ihre eiskalten Wangen rollten.

Die zwei Frauen nahmen sie aus den Händen von Ludovic; dieser war herbeigekommen, während Carmelite sang, und geräuschlos, ohne gemeldet zu werden, eintretend, war er in der Nähe gewesen, um sie in seinen Armen zu empfangen.

»Es ist nichts,« sagte er zu den zwei Freundinnen; »solche Krisen sind mehr wohlthätig als nachtheilig. . . . Sie athme von diesem Flacon ein, und in fünf Minuten wird sie wieder zu sich gekommen sein.«

Vom General unterstützt, trugen Regina und Lydie Carmelite ins Schlafzimmer: nur blieb der General bei der Thüre zurück.

Sobald Carmelite verschwunden und das Auditorinm durch ein paar Worte von Ludovic beruhigt war, brach der, in seinem Laufe gehemmte, Enthusiasmus aufs Neue aus.

Es war nur ein einstimmiger Schrei der Bewunderung.

6.Am Fuße einer Weide sitzend.
7.Es gibt keinen größeren Schmerz, als sich im Elende der glücklichen Zeit zu erinnern.