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Czytaj książkę: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», strona 35

Czcionka:

XLVI.
Wer Herr Jacques war

Gilbert arbeitete mit Eifer, und sein Papier bedeckte sich mit gewissenhaft studirten Versuchen, als der Greis, nachdem er ihm eine Zeit lang zugeschaut, sich an den andern Tisch setzte und gedruckte Blätter, denen der umhüllten Bohnen auf dem Speicher ähnlich, zu corrigiren anfing.

So verliefen drei Stunden und das Cartel schlug eben neun Uhr, da trat Therese hastig ein.

»Geschwinde, geschwinde,« sagte sie, »gehen Sie in den Saal. Es kommt abermals ein Prinz zu uns. Mein Gott! wann wird diese Prozession von Hoheiten endigen? Wenn es ihm nur nicht einfällt, mit uns frühstücken zu wollen, wie es einst der Herzog von Chartres gethan hat.«

»Und wer ist dieser Prinz?« fragte Jacques mit leiser Stimme.

»Monseigneur der Prinz von Conti.«

Gilbert ließ bei diesem Namen auf seine Linien ein G fallen, das eher jenen Teigklumpen, mit denen man die Gänse stopft, als einer Note glich.

»Ein Prinz! eine Hoheit!« sagte er leise.

Jacques ging lächelnd hinter Therese hinaus, welche die Thüre schloß.

Gilbert schaute umher, hob, als er sich allein sah, ganz verblüfft den Kopf in die Höhe und rief:

»Aber wo bin ich denn? Prinzen, Hoheiten bei Herrn Jacques! Der Herr Herzog von Chartres, Monseigneur der Prinz von Conti bei einem Abschreiber!«

Er näherte sich der Thüre, um zu horchen; das Herz schlug ihm sonderbar.

Bereits waren die ersten Begrüßungen zwischen Herrn Jacques und dem Prinzen ausgetauscht; der Prinz sprach:

»Ich hätte Sie gern mit mir genommen,« sagte er.

»Warum dies, mein Prinz?« fragte Jacques.

»Um Sie der Dauphine vorzustellen. Es ist dies eine neue Aera für die Philosophie, mein theurer Philosoph.«

»Tausend Dank für Ihren guten Willen, Monseigneur; aber ich kann Sie unmöglich begleiten.«

»Vor sechs Jahren haben Sie aber doch Frau von Pompadour nach Fontainebleau begleitet.«

»Ich war damals um sechs Jahre jünger; heute bin ich an meinen Lehnstuhl genagelt durch meine Gebrechen.«

»Und durch Ihre Menschenfeindlichkeit.«

»Und wenn dies der Fall wäre, Monseigneur? Meiner Treue, ist die Welt nicht ein zu seltsames Ding, als daß man sich ihr zu Liebe in Unruhe versetzen sollte?«

»Nun, ich befreie Sie von Saint-Denis und dem großen Ceremoniel, und führe Sie nach der Muette, wo Ihre königliche Hoheit übermorgen schlafen wird.«

»Ihre königliche Hoheit kommt also übermorgen nach Saint-Denis?«

»Mit ihrem ganzen Gefolge. Hören Sie, zwei Lieues sind bald gemacht und veranlassen keine große Störung. Man sagt, die Prinzessin sei eine vortreffliche Tonkünstlerin; sie ist eine Schülerin von Gluck.«

Gilbert hörte nicht mehr. Bei den Worten: »Uebermorgen kommt die Frau Dauphine mit ihrem ganzen Gefolge nach Saint-Denis,« dachte er nur an Eines, daran, daß er in zwei Tagen nur zwei Lieues von Andrée entfernt sein werde.

Dieser Gedanke blendete ihn, als ob seine Augen einen glühenden Spiegel getroffen hätten.

Das stärkere von den zwei Gefühlen erstickte das andere. Die Liebe hob die Neugierde auf; einen Augenblick kam es Gilbert vor, als fände sich nicht genug Luft für seine Brust in diesem kleinen Cabinet: er lief an das Fenster in der Absicht, es zu öffnen, aber das Fenster war von innen mit einem Vorhängeschloß verwahrt, ohne Zweifel, damit man nie aus dem gegenüberliegenden Zimmer sehen konnte, was in dem Cabinet von Herrn Jacques vorging. Er fiel auf seinen Stuhl zurück.

»Oh! ich will nicht mehr horchen,« sagte er; »ich will nicht mehr in die Geheimnisse von diesem kleinen Bürger, meinem Beschützer, von diesem Abschreiber eindringen, den ein Prinz seinen Freund nennt und der zukünftigen Königin von Frankreich, der Tochter der Kaiser, vorstellen will, mit der Fräulein Andrée beinahe auf den Knieen sprach. Aber vielleicht würde ich etwas von Fräulein Andrée hören, wenn ich horchte  . . . nein, nein, ich gliche einem Lackeien. La Brie horchte auch an den Thüren.«

Und er entfernte sich muthig von der Scheidewand, der er sich genähert hatte; seine Hände zitterten, eine Wolke verdunkelte seine Augen.

Er fühlte das Bedürfniß einer mächtigen Zerstreuung, denn das Abschreiben hatte ihn zu wenig beschäftigt, und nahm ein Buch von dem Schreibtische von Herrn Jacques.

»Die Bekenntnisse,« rief er mit freudigem Erstaunen, »die Bekenntnisse, von denen ich mit so viel Interesse ungefähr hundert Seiten gelesen habe. Eine Ausgabe mit dem Portrait des Verfassers geschmückt,« fuhr er fort. »Oh! und ich, der ich nie das Portrait von Herrn Rousseau gesehen  . . . oh! das wollen wir beschauen.«

Und er wandte rasch das Blatt Papier um, das den Kupferstich verbarg, erblickte das Portrait und stieß einen Schrei aus.

In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre und Jacques kam zurück.

Gilbert verglich das Gesicht von Jacques mit dem Portrait, das er in der Hand hielt, streckte, am ganzen Leibe zitternd, die Arme aus, ließ den Band fallen und murmelte:

»Ich bin bei Jean Jacques Rousseau!«

»Wir wollen sehen, wie Sie Ihre Musik copirt haben, mein Kind,« versetzte lächelnd Jean Jacques, den diese unvorhergesehene Huldigung viel glücklicher machte, als tausend Triumphe seines glorreichen Lebens.

Und er ging bebend vor Gilbert vorüber, näherte sich dem Tische und warf seine Augen auf das Papier.

»Die Schrift ist nicht übel,« sagte er; »Sie vernachläßigen die Ränder, sodann verbinden Sie nicht genug mit demselben Zuge die Noten, welche zusammengehören, Warten Sie, bei diesem Takt fehlt Ihnen das Zeichen, welches die Pause andeutet . . dann sind Ihre Taktstriche nicht gerade. Machen Sie auch die weißen Noten von zwei Halbkreisen. Es liegt wenig daran, ob sie genau zusammenlaufen. Die ganz runde Note ist unzierlich und der Schwanz hängt sich schlecht daran an. Ja, in der That, mein Freund, Sie sind bei Jean Jacques Rousseau.«

»Oh! mein Herr, verzeihen Sie alle die Albernheiten, welche ich gesprochen habe,« rief Gilbert die Hände faltend und nahe daran, sich niederzuwerfen.

»Mußte ein Prinz hierher kommen, daß Sie den verfolgten, den unglücklichen Philosophen von Genf erkannten?« sagte Rousseau die Achseln zuckend. »Armes Kind, glückliches Kind, das die Verfolgung nicht kennt!«

»Oh! ja, ich bin glücklich, sehr glücklich, doch daß ich Sie sehe, daß ich Sie kennen lerne, daß ich bei Ihnen bin.«

»Ich danke, mein Kind, ich danke; aber es ist nicht Alles, glücklich zu sein, man muß arbeiten. Nun da Ihre Versuche gemacht sind, nehmen Sie dieses Rondeau und bemühen Sie sich, es auf wirkliches Notenpapier abzuschreiben , es ist kurz und nicht schwierig  . . . vor Allem empfehle ich Ihnen Reinlichkeit. Doch wie haben Sie erkannt  . . .?«

Gilbert hob den Band auf, den er hatte fallen lassen, und zeigte Jean Jacques das Portrait.

»Ah! ja, ich begreife, mein in effigie verbranntes Portrait auf der ersten Seite des Emile; doch was ist daran gelegen? die Flamme erleuchtet, mag sie von der Sonne, oder von einem Auto da Fe kommen.«

»Mein Herr, wissen Sie, daß ich nie einen andern Traum gehabt habe, als den, in Ihrer Nähe zu leben«

Wissen Sie, daß mein Ehrgeiz nicht weiter geht, als dieser Wunsch?«

»Sie werden nicht bei mir leben, mein Freund,« entgegnete Jean Jacques, »denn ich habe keine Zöglinge und was die Gäste betrifft, so konnten Sie sehen, daß ich nicht reich genug bin, um solche zu empfangen, und besonders, um solche, zu behalten.«

»Gilbert schauerte. Jean Jacques nahm ihn bei der Hand und fuhr fort:

»Uebrigens, brauchen Sie nicht zu verzweifeln. Seitdem ich Sie getroffen habe, studire ich Sie, mein Kind; es liegt in Ihnen viel Schlimmes, aber auch viel Gutes; kämpfen Sie mit Ihrem Willen gegen Ihre Instinkte, mißtrauen Sie dem Stolz, diesem nagenden Wurm der Philosophie, und schreiben Sie in Erwartung von Besserem Musik ab.«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief Gilbert, »ich bin ganz betäubt von dem, was mir begegnet.«

»Es begegnet Ihnen indeß nur etwas ganz Einfaches und Natürliches, mein Kind; es ist wahr, die einfachen Dinge bringen die tiefen Herzen und die verständigen Geister am meisten in Aufruhr. Sie fliehen, ich weiß nicht von welchem Orte, ich habe Sie nicht um Ihr Geheimniß gefragt, Sie fliehen durch die Wälder, in diesen Wäldern begegnen Sie einem Manne, der Pflanzen sammelt, dieser Mann hat Brod, Sie haben keines, er theilt mit Ihnen sein Brod; Sie wissen nicht, wohin Sie sich begeben sollen, dieser Mann bietet Ihnen ein Asyl an; dieser Mann muß irgend Jemand sein, irgend einen Namen haben, dieser Mann heißt ganz einfach Rousseau und spricht zu Ihnen: ,Die erste Lehre der Philosophie ist: Mensch genüge dir selbst.’ Mein Freund, wenn Sie nun Ihr Rondeau abgeschrieben haben, so haben Sie Ihre Nahrung von heute gewonnen. Schreiben Sie also Ihr Rondeau ab.«

»Oh! mein Herr, wie gut sind Sie!«

»Was das Lager betrifft, so bekommen Sie dieses in den Kauf; nur lesen Sie nicht bei Nacht, oder wenn Sie Licht verbrauchen wollen, so sei es das Ihrige, sonst wird Therese schmälen. Haben Sie jetzt Hunger?«

»Oh! nein, mein Herr,« erwiedert Gilbert ganz erschüttert.

»Von dem gestrigen Abendbrot, ist noch so viel übrig, daß es zum Frühstück reicht; machen Sie keine Umstände; dieses Mahl ist das letzte, abgesehen von einer Einladung, wenn wir Freunde bleiben, das Sie an meinem Tische einnehmen werden.«

Gilbert machte eine Geberde, welche Rousseau durch ein Zeichen mit dem Kopf unterbrach.

»Es ist der Rue Plastrière,« fuhr er fort,«eine kleine Garküche für die Arbeiter; Sie werden dort wohlfeil essen, denn ich empfehle Sie. Mittlerweile wollen wir frühstücken.«

Gilbert folgte Rousseau ohne zu antworten. Zum ersten Male war er gezähmt, allerdings durch einen Mann, der hoch über andern Männern stand.

Nachdem er ein paar Mund voll gegessen, verließ er den Tisch und kehrte zur Arbeit zurück. Er sprach die Wahrheit: zu sehr von dem Stoße, den er erhalten, zusammengezogen, konnte sein Magen keine Nahrung zu sich nehmen. Den ganzen Tag schlug er die Augen nicht von seiner Arbeit auf und gegen acht Uhr Abends, nachdem er drei Blätter zerrissen, war es ihm gelungen, ein Rondeau von vier Seiten leserlich und reinlich abzuschreiben.

»Ich will Ihnen nicht schmeicheln,« sagte Rousseau, »das ist noch schlecht, aber es ist leserlich; es ist zehn Sous werth, hier sind sie.«

Gilbert nahm sie mit einer Verbeugung.

»Es ist Brod im Schrank, Herr Gilbert,« sagte Therese, auf welche die Bescheidenheit, die Sanftmuth und die Achtsamkeit von Gilbert eine gute Wirkung hervorgebracht hatten.

»Ich danke, Madame,« erwiederte Gilbert; »glauben Sie mir, ich werde Ihre Güte nie vergessen.«

»Nehmen Sie,« sagte Therese, indem sie ihm das Brod reichte.

Gilbert wollte es ausschlagen; aber er schaute Jean Jacques an und erkannte an der Stirne, die sich schon über den scharfen Augen faltete, an dem so feinen Mund, der sich zusammenzuziehen anfing, seine Weigerung könnte seinen Wirth beleidigen, und sprach:

»Ich nehme das Brod an.«

Dann zog er sich in sein kleines Zimmer zurück, in der Hand das silberne Sechs-Sousstück und die vier kupfernen Sous haltend, welche er von Jean Jacques empfangen hatte.

»Endlich,« sagte er, als er in seine Mansarde eintrat, »endlich bin ich doch mein Herr, das heißt nein, noch nicht, da ich hier das Brod der Barmherzigkeit habe.«

Und obgleich er hungrig war, legte er doch auf das Gesimse seiner Dachluke sein Brod, ohne davon zu essen.

Dann dachte er, er würde seinen Hunger im Schlafe vergessen, löschte das Licht und streckte sich auf seinem Strohsacke aus.

Am andern Morgen (Gilbert hatte die ganze Nacht sehr wenig geschlafen), am andern Morgen fand ihn der Tag schon wach. Er erinnerte sich dessen, was ihm Rousseau von den Gärten, auf welche das Fenster ging, gesagt hatte, neigte sich zu seiner Dachluke hinaus und sah in der That die Bäume eines schönen Gartens; jenseits dieser Bäume erhob sich das Hotel, zu welchem dieser Garten gehörte, und dessen Einfahrt nach der Rue de la Jussienne ging.

In einer Ecke des Gartens stand, ganz umgeben von jungen Bäumen und Blumen, ein kleiner Pavillon mit geschlossenen Läden.

Gilbert dachte Anfangs, diese Läden wären wegen der Stunde geschlossen und die Bewohner des Pavillon noch nicht erwacht. Da aber die Bäume ihr Blätterwerk unmittelbar an diese Läden anlehnten, so begriff Gilbert bald, daß dieser Pavillon, wenigstens seit dem Winter, unbewohnt sein mußte.

Er bewunderte sodann die schönen Linden, die ihm das Hauptgebäude verbargen.

Zwei oder dreimal hatte der Hunger Gilbert bewogen, die Augen auf das Stück Brod zu werfen, das ihm Therese am Abend zuvor abgeschnitten, welches er jedoch, beständig seiner Herr und obgleich ihn darnach gelüstete, nicht berührt hatte.

Es schlug fünf Uhr, da dachte er, die Thüre des Ganges müßte geöffnet werden; und gewaschen, gebürstet, gekämmt, (Gilbert hatte durch die Sorge von Jean Jacques, als er wieder in seinen Speicher hinaufstieg, die für seine bescheidene Toilette erforderlichen Gegenstände gefunden), und gewaschen, gebürstet, gekämmt, sagen wir, nahm er sein Stück Brod und ging hinab.

Rousseau, der ihn diesmal nicht geweckt, Rousseau, der, aus einem Uebermaß von Mißtrauen vielleicht, oder um die Gewohnheiten seines Gastes besser zu ergründen, seine Thüre am Tage vorher nicht geschlossen hatte, hörte ihn herabsteigen und belauerte ihn.

Er sah Gilbert mit seinem Brod unter dem Arm hinausgehen.

Ein Armer näherte sich ihm; er bemerkte, wie Gilbert ihm sein Brod gab, bei einem Bäcker eintrat, der so eben seine Bude geöffnet hatte, und ein anderes Stück Brod kaufte.

»Er wird zu dem Traiteur laufen,« dachte Rousseau, »und seine zehn Sous werden draufgehen.«

Rousseau täuschte sich; während Gilbert ging, aß er einen Theil von seinem Brod, dann blieb er an dem Brunnen stehen, welcher an der Ecke der Straße floß, trank, aß den Rest seines Brodes, trank abermals, spühlte sich den Mund aus, wusch sich die Hände und kehrte zurück.

»Meiner Treue,« sagte Rousseau, »ich glaube bin glücklicher als Diogenes, ich habe einen Menschen gefunden.«

Und als er ihn wieder die Treppe hinaufsteigen hörte, öffnete er ihm eiligst die Thüre.

Der ganze Tag verging in einer ununterbrochenen Arbeit. Gilbert verwandte auf dieses eintönige Geschäft seine ganze Thätigkeit, seinen durchdringenden Verstand und seine unermüdliche Ausdauer. Was er nicht begriff, errieth er; und seine Hand, die Sklavin eines eisernen Willens, zeichnete die Charactere ohne Zögern, ohne Irrthum. So hatte er es gegen Abend bis auf sieben Seiten einer, wenn nicht zierlichen, doch wenigstens tadellosen Abschrift gebracht.

Rousseau betrachtete diese Arbeit zugleich als Richter und als Philosoph. Als Richter kritisirte er die Form der Noten, die Feinheit der Federstriche, die Abweichungen der Zeichen und Punkte, aber er gestand zu, daß bereits ein bedeutender Fortschritt gegen die Copie des vorhergehenden Tages bemerkbar war, und gab Gilbert fünfundzwanzig Sous.

Als Philosoph bewunderte er die Kraft des menschlichen Willens, welche zwölf Stunden hinter einander unter die Arbeit einen jungen Menschen von achtzehn Jahren mit geschmeidigem, elastischem Körper und leidenschaftlichem Temperament beugen kann, denn Rousseau hatte nickt die glühende Leidenschaft erkannt, welche das Herz des Jünglings verzehrte.

Gilbert wog in seiner Hand das Geld, das er empfangen hatte: es war ein Vierundzwanzig-Sous-Stück und ein Sou, Er steckte den Sou in eine Tasche seiner Weste, wahrscheinlich zu den anderen Sous, die ihm vom vorhergehenden Tage übrig geblieben, drückte mit inniger Zufriedenheit das Vierundzwanzig-Sous-Stück in seiner rechten Hand und sprach:

»Mein Herr, Sie sind mein Meister, da ich bei Ihnen Arbeit gefunden habe; Sie geben mir sogar die Wohnung umsonst. Ich denke daher, Sie könnten schlecht von mir urtheilen, wenn ich handelte, ohne Ihnen meine Handlungen zu offenbaren.«

Rousseau schaute ihn mit seinem argwöhnischen Auge an. »Wie!« sagte er, »was wollen Sie denn thun? haben Sie für morgen etwas Anderes vor, als zu arbeiten?«

»Ja, mein Herr, für morgen möchte ich gern mit Ihrer Erlaubniß frei sein.«

»Wozu?« versetzte Rousseau; »um zu faullenzen?«

»Mein Herr, ich möchte gern nach Saint-Denis gehen.«

»Nach Samt-Denis?«

»Ja; die Frau Dauphine kommt morgen in Saint-Denis an.«

»Ah! es ist wahr; es finden morgen in Saint-Denis Feste zum Empfang der Frau Dauphine statt.«

»So ist es,« sprach Gilbert.

»Ich hätte Sie für weniger neugierig gehalten, mein junger Freund, und Anfangs kam es mir vor, als verachteten Sie ganz anders das Gepränge der absoluten Gewalt.«

»Mein Herr  . . .«

»Schauen Sie mich an, mich, den Sie zuweilen zum Muster zu nehmen behaupten. Gestern kam ein königlicher Prinz hierher und bat mich, zu Hofe zu gehen, nicht wie Sie gehen werden, armes Kind, indem Sie sich auf den Fußspitzen erheben, um über die Schulter einer französischen Leibwache den Wagen des Königs, vor dem man, wie für das heilige Sacrament, das Gewehr Präsentiren wird, vorüberfahren zu sehen, sondern um vor den Prinzen zu erscheinen, um das Lächeln der Prinzessinnen anzuschauen. Nun wohl! ich, ein dunkler Bürger, habe die Einladungen dieser Großen ausgeschlagen.«

Gilbert billigte mit dem Kopf.

»Und warum habe ich dies ausgeschlagen?« fuhr Rousseau voll Heftigkeit fort, »weil der Mensch nicht doppelt sein kann, weil die Hand, welche geschrieben hat, das Königthum sei ein Mißbrauch, nicht von einem König eine Gunst fordern kann, weil ich, der ich weiß, daß jedes Fest dem Volk ein wenig von dem Wohlstande entzieht, von dem ihm nur genug bleibt, daß es nicht in Empörung ausbricht, durch meine Abwesenheit gegen alle diese Feste protestire.«

»Mein Herr,« sprach Gilbert, »ich bitte Sie, zu glauben, daß ich Alles begriffen habe, was Erhabenes in Ihrer Philosophie liegt.«

»Ohne Zweifel; da Sie dieselbe jedoch nicht ausüben, so erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken  . . .«

»Mein Herr, ich bin kein Philosoph.«

»Sagen Sie mir wenigstens, was Sie in Saint-Denis machen wollen.«

»Mein Herr, ich bin discret.«

Das Wort war schlagend für Rousseau: er begriff, daß irgend ein Geheimniß unter dieser Hartnäckigkeit verborgen sein mußte, und betrachtete den jungen Mann mit einer gewissen Bewunderung, die ihm dieser Character einflößte.

»Gut, gut,« sagte er, »Sie haben einen Grund, das ist mir lieber.«

»Ja, mein Herr, ich habe einen Grund, und zwar einen Grund, der in keiner Beziehung, das schwöre ich Ihnen, der Neugierde für ein Schauspiel gleicht.«

»Desto besser, oder vielleicht desto schlimmer, denn Ihr Blick ist tief, junger Mann, und ich suchte vergebens darin die Reinheit und die Ruhe der Jugend.«

»Ich habe Ihnen gesagt, mein Herr, versetzte Gilbert traurig, »ich habe Ihnen gesagt, daß ich unglücklich gewesen bin, und für die Unglücklichen gibt es keine Jugend. Es ist also abgemacht, Sie schenken mir den morgigen Tag.«

»Ja, mein Freund.«

»Ich danke, mein Herr.«

»Nur werde ich zur Stunde, wo Sie alles Gepränge der Welt vorüberziehen sehen, eines von meinen Kräuterbüchern öffnen und alle Herrlichkeiten der Natur die Revue passiren lassen.«

»Mein Herr,« erwiederte Gilbert, »hätten Sie nicht alle Kräuterbücher der Erde an dem Tage verlassen, wo Sie hingingen, um Fräulein Galley wiederzusehen, nachdem Sie ihr einen Kirschenstrauß in den Schooß geworfen?«

»Gut, gut; es ist wahr, Sie sind jung. Gehen Sie nach Saint-Denis, mein Kind.«

Dann, nachdem Gilbert ganz freudig weggegangen war und die Thüre hinter sich geschlossen hatte, sagte er:

»Das ist nicht Ehrgeiz, das ist Liebe!«

XLVII.
Die Frau des Zauberers

In dem Augenblick, wo Gilbert nach dem so gut verwendeten Tage in seinem Speicher sein mit frischem Wasser benetztes Brod verzehrte und mit allen seinen Lungen die Luft der umliegenden Gärten einathmete, in diesem Augenblick stieg eine mit einer etwas fremdartigen Eleganz gekleidete Frau, verborgen unter einem langen Schleier, nachdem sie im Galopp eines herrlichen arabischen Pferdes die noch verlassene Straße nach Saint-Denis, welche am andern Tag von so vielen Menschen überladen werden sollte, verfolgt hatte, vor dem Kloster der Carmeliterinnen in Saint-Denis ab und klopfte mit ihrem zarten Finger an das Gitter des Thurmes, während ihr Pferd, dessen Zügel sie um den Arm geschlungen hielt, mit den Füßen scharrte und den Sand voll Ungeduld ausgrub.

Einige Bürger der Stadt blieben aus Neugierde um die Unbekannte her stehen. Sie wurden zugleich angezogen durch die erwähnte Fremdartigkeit ihrer Kleidung und durch die Beharrlichkeit ihres Klopfens.

»Was wünschen Sie, Madame?« fragte einer von ihnen.

»Sie sehen es, mein Herr,« antwortete die Fremde mit einem scharf italienischen Accent, »ich wünsche eintreten zu können.«

»Da adressiren Sie sich schlecht. Dieser Thurm öffnet sich nur einmal des Tags für die Armen, und die Stunde, zu der er sich öffnet, ist vorüber.«

»Wie macht man es dann, um mit der Superiorin zu sprechen?« sagte die Fremde.

»Man klopft an die kleine Pforte am Ende der Mauer, oder man läutet an der großen Pforte.«

Ein Anderer näherte sich und sprach:

»Sie wissen wohl, daß jetzt die Superiorin Ihre Königliche Hoheit Madame Louise von Frankreich ist?«

»Ich weiß es und danke Ihnen.«

»Bei Gott! ein schönes Pferd,« rief ein Dragoner der Königin, während er das Roß der Fremden beschaute; »wißt Ihr, daß dieses Pferd, wenn es nicht zu alt ist, einen Werth von fünf hundert Louis d’or hat, so wahr als das meinige nur fünfzig Pistolen werth ist?«

Diese Worte brachten eine große Wirkung auf die Menge hervor.

In demselben Augenblick brach sich ein Stiftsherr, der, ein Gegensatz des Dragoners, die Reiterin anschaute, ohne sich um das Pferd zu bekümmern, Bahn bis zu ihr und öffnete die Pforte des Thurmes mittelst eines ihm bekannten Geheimnisses.

»Treten Sie ein, Madame,« sagte er, »und ziehen Sie Ihr Pferd nach.«

Die Fremde, die es drängte, den gierigen Blicken der Menge zu entgehen, welche furchtbar auf ihr zu lasten schienen, befolgte schleunig den Rath und verschwand hinter der Pforte.

Sobald sie in dem weiten Hofe war, schüttelte die Fremde den Zaum ihres Pferdes, das so ungestüm Sattel und Zeug bewegte und so kräftig das Pflaster mit seinem Hufe schlug, daß die Schwester Pförtnerin, welche auf einen Augenblick ihre kleine, neben der Thüre liegende Wohnung verlassen hatte, aus dem Innern des Klosters herbei eilte.

»Was wollen Sie, Madame,« rief sie, »und wie sind Sie hier hereingekommen?«

»Ein guter Stiftsherr hat mir die Thüre geöffnet,« sagte sie, »und ich will, wenn es möglich ist, die Superiorin sprechen.«

»Madame wird diesen Abend nicht empfangen.«

»Man hat mir jedoch gesagt, es sei die Pflicht der Superiorinnen des Klosters, diejenigen von ihren weltlichen Schwestern, welche Hülfe von ihnen verlangen wollen, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht zu empfangen.«

»Das ist möglich unter gewöhnlichen Umständen; doch Ihre Hoheit ist vorgestern erst hier angekommen, hat sich kaum eingerichtet und hält diesen Abend Kapitel.«

»Madame! Madame!« versetzte die Fremde, »ich komme von sehr fern her, ich komme von Rom. Ich habe sechzig Meilen zu Pferde zurückgelegt, und mein Muth ist zu Ende.«

»Was wollen Sie! Madame hat ausdrücklich Befehl gegeben.«

»Meine Schwester, ich habe Ihrer Aebtissin Dinge von der größten Wichtigkeit mitzutheilen.«

»Kommen Sie morgen wieder.«

»Unmöglich  . . . ich bin einen Tag in Paris geblieben, und schon während dieses Tages  . . . überdies kann ich nicht im Gasthofe schlafen.«

»Warum dies?«

»Weil ich kein Geld habe.«

Die Schwester Pförtnerin betrachtete mit erstauntem Auge diese mit Edelsteinen bedeckte Frau, welche ein so schönes Pferd besaß und behauptete, sie habe kein Geld, um ihr Lager für eine Nacht zu bezahlen.

»Oh! achten Sie nicht auf meine Worte und ebenso wenig auf meine Kleider,« sprach die junge Frau; »nein, ich sagte nicht die strenge Wahrheit, als ich behauptete, ich hätte kein Geld, denn in jedem Gasthofe würde man mir ohne Zweifel Credit geben. Nein! nein! was ich hier suche, ist kein Lager, sondern eine Zufluchtsstätte.«

»Madame, dieses Kloster ist nicht das einzige in Saint-Denis, und jedes von den hiesigen Klöstern hat seine Aebtissin.«

»Ja, ja, ich weiß es wohl, aber ich kann mich nicht an eine gewöhnliche Aebtissin wenden, meine Schwester.«

»Ich glaube, Sie würden sich täuschen, wenn Sie auf Ihrem Verlangen bestünden. Madame Louise von Frankreich beschäftigt sich nicht mehr mit Dingen dieser Welt.«

»Was ist Ihnen daran gelegen? melden Sie ihr immerhin, daß ich sie sprechen will.

»Ich sage Ihnen, es wird ein Kapitel gehalten.«

»Nach dem Kapitel?«

»Das Kapitel fängt eben erst an.«

»Ich werde in die Kirche eintreten und betend warten.«

»Ich bin in Verzweiflung, Madame,«

»Worüber?«

»Sie können nicht warten.«

»Ich kann nicht warten?«

»Nein.«

»Oh! ich täuschte mich also? ich bin also nicht in dem Hause des guten Gottes?« rief die Fremde mit solcher Energie im Blicke und in der Stimme, daß ihr die Schwester, welche einen längeren Widerstand nicht auf sich zu nehmen wagte, antwortete:

»Wenn dem so ist, will ich es versuchen.«

»Oh! sagen Sie Ihrer Hoheit, daß ich von Rom komme, daß ich mir mit Ausnahme von zwei Halten, von denen ich den einen in Mainz, den andern in Straßburg machte, auf dem Wege nicht mehr Zeit genommen, als ich brauchte, um zu schlafen, daß ich seit vier Tagen besonders nur ausgeruht habe, um wieder Kraft zu finden, nicht von meinem Pferde zu fallen, und um meinem Pferde Kraft zu geben, mich zu tragen.«

»Ich werde es sagen, meine Schwester.«

Und die Nonne verschwand.

Einen Augenblick nachher erschien eine Laienschwester.

Die Pförtnerin ging hinter ihr.

»Nun?« fragte die Fremde, die Antwort herausfordernd, so ungeduldig war sie, dieselbe zu hören.

»Madame,« antwortete die Laienschwester, »Ihre Königliche Hoheit sagt, es sei Ihr diesen Abend durchaus unmöglich, Audienz zu geben, es werde Ihnen jedoch nichtsdestoweniger Gastfreundschaft im Kloster angeboten, da Sie ein so dringendes Bedürfniß, eine Zufluchtsstätte zu finden, zu haben glauben. Sie können also eintreten; meine Schwester, und wenn Sie den langen Ritt gemacht haben, wenn Sie so ermüdet sind, als Sie sagen, so brauchen Sie sich nur zu Bette zu legend »Aber mein Pferd?«

»Seien Sie ruhig, man wird dafür sorgen, meine Schwester.«

»Es ist sanft wie ein Lamm, heißt Dscherid und kommt auf diesen Namen, wenn man ihm ruft. Ich empfehle es Ihnen angelegentlich, denn es ist ein wunderbares Thier.«

»Es wird behandelt werden wie die eigenen Pferde des Königs.«

»Ich danke.«

»Nun führen Sie Madame in ihr Zimmer,« sprach die Laienschwester zu der Schwester Pförtnerin.

»Nicht in mein Zimmer, in die Kirche. Ich bedarf nicht des Schlafes, sondern des Gebetes.«

»Die Kapelle ist Ihnen geöffnet, meine Schwester,« sagte die Nonne, mit dem Finger auf eine kleine Seitenthüre deutend, welche in die Kirche ging.

»Und ich werde die Frau Superiorin sehen?« fragte die Fremde.

»Morgen.«

»Morgen früh?«

»Oh! morgen früh, das wird abermals unmöglich sein.«

»Und warum dies?«

»Weil morgen großer Empfang« statthaben wird.«

»Oh! wer kann empfangen werden, der mehr Eile hat oder unglücklicher ist, als ich?«

»Die Frau Dauphine erweist uns die Ehre, morgen bei der Durchfahrt zwei Stunden hier anzuhalten. Das ist eine große Gnade für unser Kloster, eine große Feierlichkeit für unsere armen Schwestern; somit begreifen Sie  . . .«

»Ach!«

»Die Frau Aebtissin wünscht, daß Alles hier der Königlichen Gäste, die wir empfangen, würdig sei.«

»Und mittlerweile,« sprach die Fremde, mit einem sichtbaren Schauder umherschauend, »mittlerweile, bis ich die erhabene Superiorin sehen kann, bin ich hier in Sicherheit?«

»Ja, meine Schwester, ganz gewiß. Unser Haus ist eine Freistätte selbst für die Schuldigen, um so viel mehr für die  . . .«

»Flüchtlinge,« versetzte die Fremde; »gut. Es kommt also Niemand hier herein, nicht wahr?«

»Ohne Befehl, nein, Niemand.«

»Oh! und wenn er diesen Befehl erhielte? Mein Gott! mein Gott!« sagte die Fremde; »er, der so mächtig ist, daß mich seine Macht zuweilen erschreckt.«

»Wer, er?« fragte die Schwester.

»Niemand, Niemand.«

»Das ist eine arme Wahnsinnige,« murmelte die Nonne.

»Die Kirche! die Kirche!« wiederholte die Fremde, als wollte sie die Meinung, die man von ihr zu fassen anfing, rechtfertigen.

»Kommen Sie, meine Schwester, ich will Sie führen.«

»Hören Sie, man verfolgt mich; geschwinde, geschwinde, die Kirche.«

»Oh! die Mauern von Saint-Denis sind gut,« sprach die Lienschwester mit einem mitleidigen Lächeln, »und wenn Sie mir glauben wollten, so würden Sie sich, müde wie Sie sind, an das halten, was ich Ihnen sage, und in einem guten Bette ausruhen, statt Ihre Knie auf den Platten der Kapelle wund zu machen.«

»Nein, nein, ich will beten, damit Gott meine Verfolger fern von mir halte,« rief die junge Frau, verschwand durch die Thüre, welche ihr die Nonne bezeichnet hatte, und schloß diese Thüre hinter sich.

Neugierig wie eine Nonne, machte die Schwester den Weg durch die große Pforte, schritt sachte vor und sah am Fuße des Altars die Unbekannte, das Gesicht gegen die Erde, betend und schluchzend.

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Data wydania na Litres:
06 grudnia 2019
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