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Czytaj książkę: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», strona 31

Czcionka:

XLI.
Der Arzt wider Willen

Gilbert fühlte sich unangenehm dadurch berührt, daß er einem Lackei gehorchen sollte; da es sich jedoch ohne Zweifel um eine Veränderung in seinem Zustand handelte, und es ihm vorkam, als müßte jede Veränderung vortheilhaft für ihn sein, folgte er nichtsdestoweniger schleunigst.

Endlich frei von allen Verhandlungen, nachdem sie ihre Schwägerin von dem Verlaufe ihrer Sendung zu Frau von Béarn in Kenntniß gesetzt hatte, frühstückte Mademoiselle Chon behaglich in einem schönen Morgennegligé an einem Fenster, zu dessen Höhe die Acacien und Kastanienbäume emporragten.

Sie aß mit sehr gutem Appetit und Gilbert bemerkte, daß dieser Appetit durch ein Salmis von Fasanen und eine Galantine mit Trüffeln gerechtfertigt war.

Zu Mademoiselle Chon eingeführt, suchte der Philosoph Gilbert mit den Augen auf dem kleinen Tische den Platz für sein Gedeck, denn er erwartete eine Einladung.

Aber Chon bot ihm nicht einmal einen Stuhl an.

Sie beschränkte sich darauf, einen Blick auf Gilbert zu werfen, und sagte, nachdem sie ein Gläschen topasfarbigen Wein geleert:

»Lassen Sie hören, mein lieber Arzt, wie weit sind Sie mit Zamore?«’

»Wie weit ich mit ihm bin?« fragte Gilbert.

»Allerdings, ich hoffe, Sie haben Bekanntschaft mit ihm gemacht.«

»Wie soll ich Bekanntschaft mit einem Thiere machen, das nichts spricht, und wenn man mit ihm spricht, nur die Augen rollt und die Zähne zeigt?«

»Sie erschrecken mich,« erwiederte Chon, ohne ihr Mahl zu unterbrechen, und ohne daß der Ausdruck ihres Gesichtes mit ihren Worten im Einklang stand; »Sie sind also sehr häkelig in der Freundschaft?«

»Die Freundschaft setzt Gleichheit voraus, Mademoiselle.«

»Ein schöner Grundsatz!« sagte Chon. »Sie haben sich also nicht für Zamores Gleichen gehalten?«

»Das heißt,« versetzte Gilbert, »ich habe nicht geglaubt, er wäre meines Gleichen.«

»In der That,« sagte Chon, als spräche sie mit sich selbst, »in der That, er ist entzückend.«

Dann wandte sie sich gegen Gilbert um, dessen hochmütige Miene sie wahrnahm, und fügte bei:

»Sie sagte also, lieber Doctor, Sie geben Ihr Herz nur schwer?«

»Sehr schwer, Madame?«

»Ich täuschte mich also, wenn ich mir schmeichelte, zu Ihren Freundinnen zu gehören, und zwar zu Ihren guten?«

»Ich habe persönlich viel Neigung für Sie, Madame,« erwiederte Gilbert mit einer gewissen Steifheit. »Aber  . . .«

»Ah! großen Dank für diese Anstrengung; Sie überhäufen mich mit Güte; und wie viel Zeit braucht man denn, mein schöner Stolzer, um Ihre Gunst zu erlangen?«

»Sehr viel Zeit, Madame, und es gibt sogar Leute, welche sie, was sie auch thun mögen, nie erlangen werden.«

»Ah! das erklärt mir, warum Sie, nachdem Sie achtzehn Jahre in dem Hause des Baron von Taverney geblieben sind, dieses plötzlich verlassen haben. Die Taverney hatten keine Hoffnung, sich bei Ihnen in Gunst zu setzen, nicht wahr, so ist es?«

Gilbert erröthete.

»Nun, Sie antworten nicht?« fuhr Chon fort.

»Was soll ich antworten, Madame, wenn nicht, daß jede Freundschaft und jedes Vertrauen verdient werden muß.«

»Teufel! in diesem Falle würde es scheinen, als hätten die Wirthe von Taverney weder diese Freundschaft, noch dieses Vertrauen verdient?«

»Nicht alle, Madame.«

»Und was thaten diejenigen, welche das Unglück hatten, Ihnen zu mißfallen.«

»Ich beklage mich nicht, Madame,« sprach Gilbert stolz.

»Ah! ah!« versetzte Chon, »ich sehe, daß ich mich aus dem Vertrauen von Herrn Gilbert ausgeschlossen habe. Es fehlt mir indessen nicht an der Lust, mir dieses Vertrauen zu erwerben, nur kenne ich die Mittel nicht, die man hiebei anzuwenden hat.«

Gilbert biß sich auf die Lippen.

»Kurz diese Taverney wußten Sie nicht zufrieden zu stellen,« fügte Chon mit einer Neugierde bei, deren Ziel Gilbert nicht entging. »Sagen Sie mir doch ein wenig, was Sie bei ihnen machten?«

Gilbert war ziemlich verlegen, denn er wußte selbst nicht, was er in Taverney gemacht hatte.

»Madame,« antwortete er, »ich war  . . . ich war Vertrauter.«

Bei diesen Worten, welche mit dem Gilbert charakterisirenden, philosophischen Phlegma gesprochen wurden, brach Chon in ein so heftiges Gelächter aus, daß sie auf ihrem Stuhle zurückfiel.

»Sie zweifeln daran?« versetzte Gilbert die Stirne faltend.

»Gott behüte mich! Wissen Sie, mein lieber Freund, daß Sie sehr aufbrausend sind, und daß man Ihnen nichts sagen kann? Ich fragte Sie, was für Leute die Taverney wären, und dies geschah nicht, um Sie zu beleidigen, sondern vielmehr um Ihnen zu dienen, indem ich Sie in Ihrer Rache unterstützen würde.«

»Ich räche mich nicht, oder ich räche mich selbst, Madame.«

»Sehr gut, aber wir hegen auch einen Groll gegen die Taverney, Da dies bei Ihnen ebenfalls so ist, und Sie vielleicht mehr als einen Grund zur Klage haben, so sind wir natürlich Verbündete.«

»Sie täuschen sich, Madame, meine Art, mich zu rächen, kann keine Beziehung zu der Ihrigen haben, denn sie sprechen von den Taverney im Allgemeinen, und ich lasse verschiedene Nuancen in den verschiedenen Gefühlen bei meinem Verhältnisse zu ihnen zu.«

»Und Herr Philipp von Taverney zum Beispiel, ist er in den düsteren Nuancen, oder in den freundlichen?«

»Ich habe nichts gegen Herrn Philipp. Herr Philipp hat mir weder Gutes noch Böses gethan. Ich liebe ihn nicht und hasse ihn nicht; er ist mir völlig gleichgültig.«

»Sie würden also vor dem König oder vor Herrn von Choiseul nicht gegen Herrn Philipp von Taverney zeugen?«

»In welcher Hinsicht?«

»Wegen seines Duells mit meinem Bruder?«

»Ich würde sagen, was ich weiß, Madame, Wenn ich zum Zeugen berufen wäre.«

»Und was wissen Sie?«

»Die Wahrheit.«

»Was nennen Sie die Wahrheit? Das ist ein sehr elastisches Wort.«

»Nie für denjenigen, welcher das Gute vom Bösen, das Gerechte vom Ungerechten zu unterscheiden weiß.«

»Ich begreife: das Gute ist Herr Philipp von Taverney, das Böse der Herr Vicomte Dubarry.«

»Ja, Madame, meiner Ansicht nach und nach meinem Gewissen wenigstens.«

»Das habe ich auf dem Wege aufgelesen!« sagte Chon mit einer gewissen Bitterkeit; »so belohnt mich derjenige, welcher mir das Leben zu verdanken hat!«

»Das heißt, Madame, derjenige, welcher Ihnen nicht den Tod verdankt.«

»Das ist das Gleiche.«

»Nein; es ist im Gegentheil ein großer Unterschied.«

»Wie so?«

»Ich verdanke Ihnen nicht das Leben, Sie haben nur die Pferde verhindert, es mir zu nehmen, und nicht einmal Sie, sondern der Postillon.«

Chon schaute den kleinen Logiker, der so wenig mit den Ausdrücken feilschte, scharf an und erwiederte dann, ihren Blick und ihren Ton mildernd:

»Ich hätte ein wenig mehr Galanterie von Seiten eines Reisegefährten erwartet, der so gut während der Fahrt meinen Arm unter einem Kissen und meinen Fuß unter seinem Knie zu finden wußte.«

Chon war so herausfordernd mit dieser Weichheit, mit dieser Vertraulichkeit, daß Gilbert Zamore, den Schneider und das Frühstück, zu dem man ihn nicht eingeladen, vergaß.

»Nun, nun, wir werden wieder artig,« sagte Chon, indem sie das Kinn von Gilbert in ihre Hand nahm. »Nicht wahr, Sie werden gegen Philipp von Taverney zeugen?«

»Oh! was das betrifft, nein, nie!

»Und warum nicht, Halsstarriger?«

»Weil der Herr Vicomte Jean Unrecht gehabt hat.«

»Und worin hat er Unrecht gehabt?«

»Darin, daß er die Dauphine beleidigte, während im Gegentheil Herr Philipp von Taverney  . . .«

»Nun?«

»Recht hatte, indem er sie vertheidigte.«

»Ah! wir sind auf Seiten der Dauphine, wie es scheint?«

»Nein, auf Seiten der Gerechtigkeit.«

»Sie sind ein Narr, Gilbert, schweigen Sie, damit man Sie nicht so im Schlosse reden hört.

»Dann überheben Sie mich der Antwort, wenn Sie mich fragen.«

»So verändern wir das Gespräch.«

Gilbert verbeugte sich zum Zeichen der Beipflichtung.

»Lassen Sie hören, kleiner Junge,« fragte Chon mit ziemlich hartem Tone, »was gedenken Sie hier zu thun, wenn Sie sich nicht angenehm machen?«

»Muß ich mich durch einen Meineid angenehm machen?«

»Woraus nehmen Sie denn alle diese großen Worte?«

»Aus dem Rechte, das jeder Mensch hat, seinem Gewissen treu zu bleiben.«

»Bah!« versetzte Chon, »wenn man einem Herrn dient, so übernimmt dieser Herr jede Verantwortlichkeit.«

»Ich habe keinen Herrn,« brummte Gilbert.

»Und so, wie Sie sich betragen, kleiner Dummkopf, werden Sie auch nie eine Herrin haben,« versetzte Chon, indem sie wie eine schöne Träge aufstand. »Ich wiederhole meine Frage, antworten Sie kategorisch: was gedenken Sie bei uns zu thun?«

»Ich glaubte, es wäre nicht nöthig sich angenehm zu machen, wenn man sich nützlich machen könnte.«

»Sie täuschen sich: man trifft nur nützliche Leute, und deren sind wir müde.«

»Dann werde ich mich zurückziehen.«

»Sie werden sich zurückziehen?«

»Ja gewiß; ich habe nicht hierher zu kommen verlangt, und bin also frei.«

»Frei!« rief Chon, welche über diesen Widerstand, an den sie nicht gewöhnt war, zornig zu werden anfing. »Oh! nein!«

Das Gesicht von Gilbert zog sich krampfhaft zusammen.

»Ruhig, ruhig,« sagte die junge Frau, als sie an dem Runzeln seiner Stirne wahrnahm, daß er nicht leicht auf seine Freiheit Verzicht leistete, »Ruhe und Friede! Sie sind ein hübscher, sehr tugendhafter Junge und in dieser Hinsicht äußerst belustigend, wäre es auch nur durch. den Contrast, den Sie mit Allem dem, was uns umgibt bilden werden. Bewahren Sie nur Ihre Liebe für die Wahrheit.«

»Sicherlich werde ich sie bewahren.«

»Ja, aber wir verstehen die Sache auf zwei verschiedene Weisen. Ich sage: bewahren Sie dieselbe für sich und feiern Sie Ihren Cultus nicht in den Gängen von Trianon oder in den Vorzimmern von Versailles.«

»Hm!« machte Gilbert.

»Es gibt keine hm! Sie sind nicht so weise, mein kleiner Philosoph, daß Sie nicht viele Dinge von einer Frau lernen könnten  . . . vor Allem das erste Axiom: man lügt nicht, wenn man schweigt; behalten Sie dies wohl.«

»Aber wenn man mich fragt?«

»Wer dies? Sind Sie verrückt, mein Freund? Guter Gott, wer denkt in der Welt an Sie, wenn nicht etwa ich? Sie haben noch keine Schule, wie mir scheint, Herr Philosoph. Die Gattung, zu der Sie gehören, ist noch selten. Man muß auf der Landstraße umherlaufen und die Wälder durchstreifen, um Ihres Gleichen zu finden. Sie werden bei mir bleiben und ich gebe Ihnen nicht viermal vier und Zwanzig Stunden, ohne Sie in einen vollkommenen Höfling verwandelt zu sehen.«

»Ich zweifle daran,« erwiederte Gilbert mit stolzem Tone.

Chon zuckte die Achseln.

Gilbert lächelte.

»Doch genug hievon,« sagte Chon; »übrigens haben Sie nur drei Personen zu gefallen.«

»Und diese drei Personen sind?«

»Der König, meine Schwester und ich.«

»Was muß ich zu diesem Behufe thun?«

»Sie haben Zamore gesehen?« sprach die junge Frau, eine unmittelbare Antwort auf diese Frage vermeidend.

»Den Neger?« versetzte Gilbert mit einer tiefen Verachtung.

»Ja, den Neger.«

»Was kann ich mit ihm gemein haben?«

»Bemühen Sie sich, daß es das Vermögen ist, mein kleiner Freund. Dieser Neger hat bereits zweitausend Livres Rente auf die Kasse des Königs. Er wird zum Gouverneur des Schlosses Luciennes ernannt, und derjenige, welcher über seine dicken Lippen und seine Farbe gelacht hat, wird ihn Monsieur und sogar Monseigneur nennen.«

»Das werde ich nicht sein, Madame entgegnete Gilbert.

»Ah! ich glaubte, es wäre eine der ersten Lehren der Philosophen, alle Menschen seien sich gleich.«

»Gerade deshalb werde ich Zamore nicht Monseigneur nennen.«

Chon war durch ihre eigenen Waffen geschlagen. Sie biß sich ebenfalls auf die Lippen.

»Also sind Sie nicht ehrgeizig?« sagte sie.

»Doch!« antwortete Gilbert« mit funkelnden Augen, »im Gegentheil.«

»Und Ihr Ehrgeiz, wenn ich mich recht erinnere, besteht darin, daß Sie Arzt werden wollen.«

»Ich betrachte die Aufgabe, seinen Nebenmenschen Hülfe zu leisten, als die schönste, die es in der Welt gibt.«

»Nun, Ihr Traum soll verwirklicht werden.«

»Wie so?«

»Sie werden Arzt sein, und zwar Arzt des Königs.«

»Ich!« rief Gilbert, »ich, der ich nicht einmal die ersten Begriffe von der Arzneikunde habe!  . . . Sie spotten, Madame.«

»Ei! weiß Zamore, was ein Fallgatter, eine Coutrescarpe ist? Nein, wahrhaftig, er weiß es nicht, und kümmert sich auch nicht darum. Dessen ungeachtet wird er Gouverneur des Schlosses Luciennes mit allen Privilegien, welche an diesen Titel geknüpft sind.«

»Ah! ja, ja, ich begreife,« sagte Gilbert bitter, »Sie haben nur einen Hofnarren, das ist nicht genug, der König langweilt sich, er braucht zwei.«

»Gut,« rief Chon, er nimmt wieder seine lange Miene an. »In der That, Sie machen sich so häßlich, daß man sein Vergnügen daran hat, mein kleiner Mann. Bewahren Sie alle diese phantastischen Mienen für den Augenblick, wo die Perrücke auf Ihrem Kopf und der spitze Hut auf der Perrücke sein wird; dann wird das, statt häßlich zu sein, komisch werden.«

Gilbert runzelte zum zweiten Male die Stirne.

»Hören Sie,« sprach Chon, »Sie können den Posten eines Arztes des Königs wohl annehmen, wenn der Herr Herzog von Tresmes sich um den Titel eines Affen meiner Schwester bewirbt.«

Gilbert antwortete nichts. Chon wandte auf ihn das Sprüchwort an: »Wer nichts sagt, pflichtet bei.«

»Zum Beweise, daß Sie in Gunst zu sein anfangen,« sprach Chon, »werden Sie nicht mit dem Gesinde essen.«

»Ah! ich danke, Madame,« antwortete Gilbert.

»Nein, ich habe bereits Befehl zu diesem Behufe gegeben.«

»Und wo werde ich essen?«

»Sie werden den Tisch von Zamore theilen.«

»Ich?«

»Allerdings, der Gouverneur und der Arzt des Königs können wohl an einem Tische speisen. Essen Sie also mit ihm zu Mittag, wenn Sie wollen.«

»Ich habe keinen Hunger,« antwortete Gilbert mit rohem Ton.

»Sehr gut,« erwiederte Chon ruhig, »Sie haben jetzt keinen Hunger, aber Sie werden diesen Abend Hunger haben.«

Gilbert schüttelte den Kopf.

»Wenn nicht diesen Abend, doch morgen oder übermorgen. Ah! Sie werden sich besänftigen, Herr Rebell, und wenn Sie sich zu schlimm benehmen, so haben wir den Herrn Corrector der Pagen, der uns ganz und gar ergeben ist.«

Gilbert zitterte und erbleichte.

»Gehen Sie also zu Seigneur Zamore,« sprach Chon mit strenger Miene; »Sie werden sich nicht schlecht dabei befinden; die Küche ist gut, aber hüten Sie sich, undankbar zu sein, denn man wird Sie Dankbarkeit lehren.«

Gilbert neigte das Haupt.

Er machte es immer so, wenn er, statt zu antworten, zu handeln beschloß.

Der Lackei, welcher Gilbert geholt hatte, wartete, als er hinausging. Er führte ihn in einen kleinen Speisesaal, der an das Vorzimmer stieß, in welchem er gewesen war. Zamore saß bei Tische.

Gilbert setzte sich zu ihm, aber man konnte ihn nicht zwingen, zu essen.

Es schlug drei Uhr; Madame Dubarry reiste nach Paris ab. Chon, welche später wieder mit ihr zusammentreffen sollte, gab Befehle, daß man ihren Bären fütterte. Viele gezuckerte Zwischengerichte, wenn er ein gutes Gesicht machte; viele Drohungen, gefolgt von einer Stunde Einsperrung, wenn er zu rebelliren fortfahren würde.

Um vier Uhr brachte man in das Zimmer von Gilbert die vollständige Kleidung des Arztes wider Willen: eine spitzige Mütze, eine Perrücke, einen schwarzen Leibrock, und eine Robe von derselben Farbe. Man hatte den Halskragen, den Stock und das dicke Buch beigefügt.

Der Lackei, der ihm diese ganze Fahrniß überbrachte, zeigte ihm einen nach dem andern alle diese Gegenstände. Gilbert äußerte nicht die Absicht, zu widerstehen.

Herr Grange trat hinter dem Lackei ein und unterrichtete ihn, wie er die verschiedenen Gegenstände des Costume anzuziehen und zu benützen hätte: Gilbert hörte geduldig die ganze Auseinandersetzung von Herrn Grange an und sagte nur:

»Ich glaubte, die Aerzte hätten früher ein Schreibzeug und eine kleine Rolle Papier mit sich getragen.«

»Meiner Treue! er hat Recht,« sagte Herr Grange, »holt ein langes Schreibzeug für ihn, das er sich an den Gürtel hängen wird.«

»Mit Feder und Papier,« rief Gilbert. »Es liegt mir daran, daß das Costume vollständig ist.«

Der Lackei eilte fort, um den Befehl zu vollziehen. Er war zu gleicher Zeit beauftragt, Mademoiselle Chon von dem erstaunlich guten Willen von Gilbert zu unterrichten.

Mademoiselle Chon war so entzückt, daß sie dem Boten eine kleine Börse gab, welche acht Thaler enthielt und mit dem Schreibzeug an den Gürtel des Musterarztes gehängt werden sollte.

»Ich danke,« sprach Gilbert, dem man Alles brachte, »Will man mich nun allein lassen, damit ich mich ankleiden kann?«

»Gut, beeilen Sie sich, damit Sie Mademoiselle sehen kann, ehe sie nach Paris fährt.«

»Eine halbe Stunde, ich verlange mir eine halbe Stunde,« erwiederte Gilbert.

»Drei Viertelstunden, Herr Doctor,« sprach der Intendant, indem er die Thüre von Gilbert so sorgfältig schloß, als wäre es die seiner Kasse gewesen.

Gilbert näherte sich auf der Fußspitze dieser Thüre, um sich zu versichern, daß die Tritte sich entfernten und schlüpfte dann bis zu dem Fenster, welches auf achtzehn Fuß darunter liegende Terrassen ging. Diese mit einem feinen Sande bedeckten Terrassen waren mit großen Bäumen besetzt, welche den Balcons Schatten verliehen.

Gilbert zerriß seine lange Robe in drei Stücke, band diese an einander, legte auf den Tisch den Hut, neben den Hut die Börse und schrieb:

»Madame,

Das erste der Güter ist die Freiheit. Die heiligste der Pflichten des Menschen ist, sie zu erhalten. Sie thun mir Gewalt an, ich mache mich frei.

Gilbert.«

Gilbert faltete den Brief zusammen, setzte die Adresse von Mademoiselle Chon darauf, band seine zwölf Fuß Sarsche an die Stange des Fensters an, durch welche er wie eine Schlange glitt, sprang mit Gefahr seines Lebens auf die Terrasse, als er am Ende seines Seiles war, lief sodann, obgleich ein wenig betäubt durch den Sprung, den er gemacht, nach den Bäumen, klammerte sich an den Zweigen an, schlüpfte unter dem Blätterwerk fort, wie ein Eichhörnchen, erreichte den Boden, und verschwand in größter Eile in der Richtung der Waldungen von Ville-d’Avray.

Als man nach einer Stunde zurückkam, war er bereits so weit entfernt, daß man ihn nicht mehr einholen konnte.

9 bis 13. Bändchen

XLII.
Der Greis

Gilbert hatte nicht die Landstraße gewählt, aus Furcht verfolgt zu werden; er erreichte von Gehölze zu Gehölze einen Wald, in welchem er endlich anhielt.

Er hatte in drei Viertelstunden ungefähr anderthalb Lieues zurückgelegt.

Der Flüchtling schaute umher: er war ganz allein. Diese Einsamkeit beruhigte ihn, er versuchte es, sich der Landstraße zu nähern, welche nach seiner Berechnung nach Paris führen mußte.

Aber Pferde, die er, geleitet von orangefarbigen Livreen aus dem Dorfe Roquencourt kommen sah, erschreckten ihn dergestalt, daß er von der Versuchung, den Landstraßen zu trotzen, geheilt war und sich wieder in das Gehölze zurückwarf.

»Bleiben wir im Schatten dieser Kastanienbäume,« sagte Gilbert zu sich selbst. »Wenn man mich irgendwo sucht, so geschieht es auf der Landstraße. Diesen Abend werde ich mich von Baum zu Baum, von Seitenweg zu Seitenweg nach Paris schleichen. Man sagt, Paris sei groß, ich bin klein, man wird mich dort verlieren.«

Dieser Gedanke kam ihm um so besser vor, als das Wetter schön, das Gehölze schattig, der Boden moosig war. Die Strahlen einer scharfen Sonne, welche hinter den Hügeln von Marly zu verschwinden anfing, hatten die Kräuter getrocknet und aus der Erde jene süßen Frühlingswohlgerüche gezogen, welche theils der Blume, theils der Pflanze angehören.

Man war zu der Stunde des Tages gelangt, wo die Stille sanfter und tiefer von dem Himmel fällt, der sich zu verdüstern anfängt, zu der Stunde, wo die Blumen, indem sie sich schließen, das in ihrem Kelche entschlummerte Insekt verbergen. Die goldenen Fliegen kehren summend in die Höhlung der Eichen zurück, die ihnen als Asyl dienen, die Vögel ziehen stumm in das Blätterwerk, wo man nur noch das rasche Streifen ihrer Flügel hört, und der einzige Gesang, der noch ertönt, ist das scharfe Pfeifen der Amsel und das schüchterne Zwitschern des Rothkehlchens.

Gilbert war mit den Waldungen vertraut, er kannte ihr Geräusch und ihr Stillschweigen. Er warf sich auch, ohne länger nachzudenken, ohne sich knabenhaften Befürchtungen hinzugeben, auf das Heidekraut, das da und dort mit Blättern, die der Winter zernagt, bestreut war.

Mehr noch, statt unruhig zu sein, fühlte Gilbert eine unermeßliche Freude, Er schlürfte in langen Wellen die freie, reine Luft ein; er fühlte, daß er auch diesmal als Stoiker über alle Fallen, die man der menschlichen Schwäche gestellt, triumphirt hatte. Was lag ihm daran, ob er Brod, ob er Geld besaß, ob ihm eine Zufluchtsstätte geöffnet war? Hatte er nicht seine liebe Freiheit? verfügte er nicht im ganzen Umfange über sie?

Er streckte sich also am Fuße eines riesigen Kastanienbaumes aus, der ihm ein weiches Bett zwischen den Armen von zwei dicken, moosbewachsenen Wurzeln bot, und entschlief, während er den Himmel anschaute, der ihm zulächelte.

Der Gesang der Vögel weckte ihn; es war kaum Tag. Als er sich auf seinen durch die Berührung des harten Holzes gelähmten Arm erhob, sah Gilbert die bleiche Dämmerung den dreifachen Ausgang eines Kreuzweges bestreifen, während da und dort aus Fußpfaden, die der Thau befeuchtet, rasche Kaninchen mit gesenktem Ohr sprangen, und der neugierige Hirsch, der ans seinen stählernen Spindeln einherschritt, mitten in einer Allee stehen blieb, um den unbekannten Gegenstand zu beschauen, welcher unter einem Baume lag und ihm so schnell als möglich zu fliehen rieth.

Sobald sich Gilbert erhoben hatte, fühlte er Hunger; er hatte, wie man sich erinnert, nicht mit Zamore speisen wollen, so daß er seit seinem Frühstück in den Mansarden von Versailles nichts zu sich genommen. Als er sich unter den Bögen eines Waldes wiederfand, er, der so unerschrocken die großen Forsten von Lothringen und Champagne durchmessen, glaubte er sich noch unter den Baumgruppen von Taverney, oder in den Schlägen von Pierresitte, erweckt durch die Morgenröthe, nach einem für Andrée unternommenen nächtlichen Anstand.

Aber damals fand er stets in seiner Nähe ein durch den Hühnerruf überraschtes Feldhuhn, einen Fasan, den er auf einem Aste geschossen, während er diesmal in seinem Bereiche nichts sah, als seinen Hut, der, auf dem Wege bereits sehr mißhandelt, durch die Feuchtigkeit des Morgens beinahe ganz zu Grunde gerichtet worden war.

Es war also kein Traum, den er gemacht hatte, wie er Anfangs bei seinem Erwachen glaubte, Versailles und Luciennes waren eine Wirklichkeit, von seinem triumphartigen Einzuge in das eine, bis zu seiner raschen Flucht aus dem andern.

Was ihn mehr noch zu der Wirklichkeit zurückführte, war ein Hunger, der immer mehr zunahm und folglich immer schmerzlicher wurde.

Maschinenmäßig suchte er sodann um sich her die saftigen Maulbeeren, die wilden Pflaumen, die krachenden Wurzeln seiner Wälder, deren Geschmack, wenn auch herber als der der Rübe, darum doch den Holzhauern, welche am Morgen, ihr Werkzeug auf dem Rücken, den Bezirk der Urbarmachung suchen, nicht minder angenehm ist.

Doch abgesehen davon, daß es noch nicht die Jahreszeit war, erblickte Gilbert um sich her nur Eschen, Ulmen, Kastanienbäume und die ewige Eichelmast, welche sich im Sande gefällt.

»Vorwärts, vorwärts,« sprach Gilbert zu sich selbst, »ich werde geraden Wegs nach Paris gehen. Ich kann drei bis vier Lieues, höchstens fünf davon entfernt sein; das ist ein Marsch von zwei Stunden. Was liegt daran, daß man zwei Stunden mehr leidet, wenn man sicher ist, nachher nicht mehr zu leiden? In Paris hat Jedermann Brod, und der erste Handwerksmann, dem ich begegne, wird mir, wenn er einen ehrlichen und arbeitsamen jungen Mann sieht, Brod für Arbeit nicht verweigern. In einem Tag findet man in Paris das Mahl vom kommenden Tag, was brauche ich mehr? Nichts, wenn nur jeder kommende Tag mich größer macht, erhebt und dem Ziele nähert, das ich erreichen will.«

Gilbert verdoppelte seine Schritte: er wollte die Landstraße wieder erreichen, aber er hatte, jedes Mittel verloren, sich zu orientiren. In Tavernen und in allen Waldungen der Umgegend kannte er den Osten und den Westen; jeder Sonnenstrahl war für ihn eine Anzeige des Weges. In der Nacht war jeder Stern, so unbekannt er ihm auch unter seinem Namen Venus, Saturn oder Lucifer sein mochte, ein Führer. Doch in dieser neuen Welt kannte er ebenso wenig die Menschen, als die Dinge, und er mußte mitten unter den einen und den andern seinen Weg auf den Zufall herumtappend finden.

»Zum Glück habe ich Pfähle gesehen, worauf die Straßen angezeigt sind,« sagte Gilbert zu sich selbst.

Und er ging bis zu dem Kreuzwege, wo er diese Pfähle wahrgenommen hatte.

Es fanden sich in der That drei Wege; der eine führte nach dem Marais-Jaune; der andere nach dem Champ-de-l’Alouette; der dritte nach dem Trou-Salé.

Gilbert war etwas weniger vorgerückt als zuvor; er lief drei Stunden ohne aus dem Walde herauskommen zu können.

Der Schweiß rieselte von seiner Stirne; zwanzigmal hatte er seinen Rock und seine Weste abgelegt, um irgend einen riesigen Kastanienbaum zu erklettern; als er aber den Gipfel desselben erreichte, sah er nur Versailles, Versailles bald zu seiner Rechten, bald zu seiner Linken, Versailles, wohin ihn ein Mißgeschick beständig zurückzuführen schien.

Halb verrückt vor Wuth, blieb Gilbert, der sich nicht auf die Landstraße wagte, in der Ueberzeugung, ganz Luciennes laufe ihm nach, immer in der Mitte des Waldes, und kam endlich über Viroflay, Chaville und Sèvres hinaus.

Es schlug halb sechs Uhr in dem Schlosse Meudon, als er das zwischen der Manufactur und Belle-Vue liegende Kapuzinerkloster erreichte: hier stieg er auf ein Kreuz, mit der Gefahr, es zu zerbrechen und sich rädern zu lassen, wie Sirven durch den Spruch des Parlaments, und erblickte die Seine, den Flecken und den Rauch der ersten Häuser.

Aber neben der Seine, mitten im Flecken, vor der Schwelle dieser Häuser, lief die Landstraße von Versailles hin, von der er sich nothwendig fern halten mußte.

Gilbert war einen Augenblick weder mehr müde, noch hungrig. Er sah am Horizont einen großen Haufen von Häusern, welche sich im Morgendunste verloren, dachte, es wäre Paris, nahm seinen Lauf in dieser Richtung und hielt nicht eher an, als bis er fühlte, daß ihm der Athem ausging. Er befand sich mitten in dem Walde von Meudon, zwischen Fleury und Plessis-Piquet.

»Vorwärts, vorwärts,« sagte er umherschauend, »keine falsche Scham. Ich muß nothwendig einem frühzeitigen Arbeiter begegnen, einem von denjenigen, welche ein großes Stück Brod unter dem Arm an ihr Geschäft gehen. Ich sage zu ihm: ‚Alle Menschen sind Brüder und müssen sich folglich gegenseitig unterstützen. Ihr habt da mehr Brod, als Ihr, nicht nur für Euer Frühstück, sondern für den ganzen Tag braucht.’ Und dann wird er mir die Hälfte seines Brodes reichen.«

Der Hunger machte Gilbert noch philosophischer und er setzte seine geistigen Betrachtungen fort.

»In der That,« sagte er, »ist nicht Alles den Menschen auf Erden gemein? Gott, diese ewige Quelle aller Dinge, hat er diesem oder jenem die Luft, welche den Boden befruchtet, oder den Boden, der das Getreide befruchtet, gegeben? Nein, es haben nur Mehrere ursurpirt; doch in den Augen des Herrn, wie in den Augen des Philosophen, besitzt Niemand; derjenige, welcher hat, ist nur der, welchem Gott geliehen hat.«

Gilbert faßte mit einem natürlichen Verstand die schwankenden, in jener Zeit unentschiedenen Ideen zusammen, welche die Menschen in der Luft schweben und über ihren Kopf hinziehen fühlten, wie die Wolken, die nach einem Punkte getrieben werden und sich anhäufend am Ende einen Sturm bilden.

»Einige,« fuhr Gilbert, während er seinen Weg verfolgte, fort, »Einige behaupten mit Gewalt, was Allen gehört; diesen kann man mit Gewalt entreißen, was sie nur zu theilen berechtigt sind.«

»Wenn mein Bruder, der zu viel Brod für sich hat, mir einen Theil von seinem Brod verweigert, nun!  . . . so —nehme ich es ihm mit Gewalt und ahme hierin das animalische Gesetz nach, das die Quelle ist von allem gesunden Menschenverstand und aller Billigkeit, denn es entspringt dem natürlichen Bedürfniß. Wofern jedoch mein Bruder nicht zu mir sagt: » ‚Der Theil, den Du forderst, ist der von meiner Frau und meinen Kindern;« oder auch: »Ich bin stärker als Du, und werde dieses Brod trotz Deiner Einsprache essen.’ «

Gilbert war in dieser Stimmung eines nüchternen Wolfes, als er zu einer Lichtung gelangte, deren Mittelpunkt eine Pfütze mit röthlichem, von Schilfrohr und Nympheen eingefaßten Wasser bildete.

Auf dem grasbewachsenen Abhang, der bis zu dem Wasser lief, welches in allen Richtungen von langfüßigen Insekten bestreift war, glänzten, wie eine Saat von Türkissen, Mausöhrchen in zahlreichen Büscheln.

Den Hintergrund dieses Gemäldes, das heißt den Ring des Umkreises, bildete eine Hecke von großen Zitterespen, während Erlen mit ihren buschigen Zweigen die Zwischenräume ausfüllten, welche die Natur zwischen die silbernen Stämme ihrer Beherrscher gestellt hatte.

Sechs Alleen liefen auf diesen Kreuzweg zu; zwei schienen bis zur Sonne hinaufzusteigen, welche den Gipfel der entfernten Bäume vergoldete, während die vier andern, divergirend wie die Strahlen eines Gestirnes, sich in den bläulichen Tiefen des Waldes verloren.

Dieser grünende Saal schien frischer und blühender, als irgend ein Platz in diesen Gehölzen.

Gilbert war durch eine der dunkeln Alleen dahin gekommen.

Der erste Gegenstand, den er gewahrte, nachdem er zuvor mit einem Blick den von uns beschriebenen entfernten Horizont umfaßt hatte, war der Stamm eines umgeworfenen Baumes, auf welchem ein Mann mit einer grauen Perrücke saß; dieser Mann hatte eine zarte, feine Physiognomie und trug einen Rock von grobem braunem Tuch, Hosen von ähnlicher Farbe und eine Weste von grauem Piqué; seine grauen baumwollenen Strümpfe umschloßen ein ziemlich gut geformtes, nerviges Bein; seine stellenweise noch staubigen Schnallenschuhe waren indessen hinten und an den Spitzen durch den Morgenthau gewaschen worden.

Neben diesem Mann auf dem umgestürzten Baume lag eine grüne angemalte Kapsel, welche weit geöffnet und mit frisch gesammelten Pflanzen vollgestopft war. Er hielt zwischen seinen Beinen einen Stock von Stechpalme, dessen runder Knopf im Schatten glänzte und der sich in einem kleinen, zwei Zoll breiten und drei langen Spaten endigte.

Gilbert umfaßte mit einem Blicke alle die verschiedenen Einzelnheiten, die wir hier auseinandergesetzt haben; aber was er vor Allem erschaute, war ein Stück Brod, von dem der Greis Brocken abbrach, um sie zu verzehren, wobei er brüderlich mit den Rothfinken und Grünlingen theilte, welche aus der Ferne gierig nach der Beute schauten, sich auf dieselbe stürzten, sobald sie ihnen preisgegeben wurde, und sodann eiligst in die Tiefe ihrer Gebüsche unter freudigem Gepiepe entflohen.