Czytaj książkę: «Ingénue», strona 11
»Cäcilie zuckte die Achseln und setzte sich wieder in Marsch.
»»Cave,«« sagte sie, »»te occidet!««
»Und in der That, das tolle Roß hätte mich sicherlich getödtet.
»Fräulein Obinska sprach nicht mehr mit mir während des übrigen Spazierritts; doch ich war in eine Wuth gerathen, welche mit jeder Minute zunahm und einen solchen Grad von Erbitterung in dem Augenblicke erreicht hatte, wo mein Pferd die Laune erfaßte, sich zum dritten Male meiner zu entledigen, daß ich beim ersten Zeichen, welches dasselbe von diesem Entschlusse gab, den Zügel losließ, mit einer Hand die Mähne packte und, mit meinen beiden Fersen eine doppelte Schwingung vollbringend, das Thier grimmig spornte. Ganz erstaunt über diesen fast angreifenden Widerstand, ging mein Pferd mit mir durch; ich ließ es machen; es wollte anhalten, doch nun wollte ich meinerseits nicht, daß es anhielt, und ich spornte es rasend. An das Thier angeklammert durch Bande fast so eng, als die, welche Mazeppa auf seinem Renner der Ukraine festhielten, ermüdete ich das meine dergestalt, daß es sich für besiegt erklärte.
»Dreimal wiederholte sich derselbe Scherz von seiner Seite, und dreimal schloß ich mich wieder, vermittelst der neuen Stabilitätsweise, die ich mir geschaffen hatte, mit einer stolzen Bescheidenheit dem Gefolge der Prinzessin an, welche eben so wenig das Thier beklagte, als sie den Menschen beklagt hatte.
»Von diesem Augenblicke an glaubte ich, ich werde einen Haß gegen Cäcilie fassen, und ich bemühte mich absichtlich, sie nicht anzuschauen; doch sie, sie genoß ruhig ihre Promenade, röthete ihre schönen Wangen in der frischen Morgenluft, ließ ihr Pferd alle Uebungen der Reitschule hinter einander durchmachen , und kam in das väterliche Palais mit einem Männerappetit zurück.
»Ich hatte mir unter Weges die Achtung und die Freundschaft des Piqueur erworben; dieser Mensch bezeugte mir seine ganze Sympathie und gab mir in seinem schlechten Latein sehr vernünftige Rathschläge über die Reitkunst.«
»Teufel!« sagte Danton, »mir scheint, die erste Lection von Saint-Preux bei Julie war weniger hart, als Ihre erste bei der schönen Cäcilie.«
»Es ist wahr; doch sehen Sie, Danton, das rührt von Einem her: Saint-Preux debutirte bei Julie damit, daß er ihr Dinge zeigte, die sie nicht wußte; so daß er von Anfang an sich von ihr bewundern machte, während ich mich im Gegentheile dieser jungen Wilden unter einem ungünstigen Anblicke präsentierte. Ich fühlte wohl das Lächerliche und das Untergeordnete meiner Stellung; indeß sie unstörbar frühstückte, ohne mich anzuschauen oder mir etwas anzubieten, überlegte ich auch in meinem Innern, die Lectionen werden mir eine Genugthuung geben, und Fräulein Obinska, dieses ausgezeichnete, von ihrem Vater so sehr gerühmte Genie, werde bald wahrnehmen, welchen Unterschied der Urheber der Natur zwischen den Geist und die Materie gelegt hat.
»Da sie indessen zu essen aufgehört hatte, und, trotz dieser Unthätigkeit ihres Kinnbackens, sie denselben durchaus nicht damit beschäftigte, daß sie mit mir sprach, so erfaßte mich wieder der Aerger, und ich sagte lateinisch zu ihr, indem ich sie mit einer fast angreifenden Dreistigkeit anschaute:
»»Mein Fräulein, bitten Sie Ihren Herrn Vater, mir mein Wort zurückzugeben.««
»Sie schaute mich ihrerseits starr an und fragte:
»»Cur?««
»»Weil ich Ihnen zwölf Stunden Lectionen und Unterredungen täglich zu geben habe, und weil schon vier vergangen sind, ohne daß Sie sich herabgelassen, ein einziges Wort an mich zu richten. Wäre ich ein Leibeigener, ein Lastthier oder ein Jagdhund, so würde ich mich mit der Kost begnügen, die man mir gibt, und für das Uebrige nach Ihrer Laune thun; doch ich bin ein Mensch, ich verdiene meinen Lebensunterhalt, und bettle nicht darum. Arbeiten wir, mein Fräulein, oder trennen wir uns.««
»Sie löschte meinen Blick unter der Flamme und der Starrheit des ihrigen aus.
»Dann fragte sie:
»»Quid vocatur, gallice, equus?««
»»Cheval,«« antwortete ich.
»»Anglice?««
»»Horse.««
»Und so fuhr sie zehn Minuten fort, mich im Französischen und Englischen nach den Namen von Allem dem zu fragen, was dazu dient, das Pferd auszurüsten und zu schmücken.
»Dann hielt sie inne; nachdem sie aber einen Augenblick überlegt hatte, fragte sie weiter:
»»Quid vocatur, gallice, sanguis?««
»»Sang.««
»Anglice?««
»»Blood.««
»»Quid. Gallice. Capilli?««
»»Cheveux..««
»»Anglice?««
»»Hair.««
»Wonach sie anfing, französisch und englisch, die ganze menschliche Anatomie aufzuzählen.
»Nachdem sie wieder wie das erste Mal überlegt hatte, befragte sie mich über die Bewegung, über die ich ihr eine ziemlich klare Theorie entwickelte; über die Bildung und Circulation des Blutes, was ich ihr sehr ausführlich und umständlich erklärte; endlich forderte sie mich, immer in demselben Tone, auf, ihr ins Französische und ins Englische ungefähr dreißig Verba, fünfzig Substantiva und nur zwölf Adjectiva, ausgewählt unter den ausdrucksvollsten, zu übersetzen.
»Sie hörte aufmerksam zu, ließ sich zwei- und sogar dreimal die Wörter wiederholen, die sie schlecht verstanden hatte, und fragte nach der Orthographie von einigen, die sie in Verlegenheit brachten; als sodann dieses Gespräch, das zwei Stunden dauerte, beendigt war, zog sie sich in ihr Zimmer zurück und ließ mir die Freiheit, mich in das meinige zurückzuziehen; – was ich that.«
»Seltsamer Charakter!« sagte Danton.
XIV
Der Roman schürzt sich
»Ich blieb zwei bis drei Stunden allein in meinem Zimmer, und während dieser paar Stunden hatte ich alle Zeit, zu überlegen; nur um mit Erfolg nachzudenken, hätte ich nöthig gehabt, mehr Selbstbeherrschung zu besitzen: die seltsame Gestalt von Fräulein Obinska, mit ihrer gerade durch ihre unstörbare Ruhe erschrecklichen Stirne, mit ihren großen klaren Augen, mit ihrer Geberde einer Königin, störte mich aber unglücklicher Weise unabläßig in meinen Betrachtungen: seit dem vorhergehenden Tage, das heißt seit achtzehn bis zwanzig Stunden, hatte sie Mittel gefunden, mich mehr Demüthigungen erdulden zu lassen, als ich in meinem ganzen Leben erduldet. Ich haßte diese Frau, denn es war unmöglich, ihre Ueberlegenheit nicht zuzugestehen: es gibt Leute, welche für das Befehlen geboren werden, und diese befehlen mit dem Blicke, mit der Geberde, mit den Händen; das Wort ist bei ihnen nur ein Zugehör des Befehls: die junge Prinzessin war eine von diesen Personen.
»Es kam die Stunde des Mittagmahls, ohne daß ich das Fauteuil verlassen hatte, auf welches ich ganz nachdenkend bei der Rückkehr in mein Zimmer gefallen war.
»Man meldete mir, es sei bei der Prinzessin servirt; ich hatte mich von meinen Unfällen am Morgen ein wenig erholt, und ging besonders ruhiger und mehr in der Stimmung, Alles zu beobachten, hinab.
»Cäcilie hatte bei sich bei Tische zwei weibliche Verwandte, um die sie sich fast nichts bekümmerte, so daß ich sah, es sei die Gewohnheit der Prinzessin, sich um ihrer Gäste willen keinen Zwang anzuthun; gegen das Drittel des Mahles jedoch begann, ohne sich mit den Anwesenden zu beschäftigen, Cäcilie wieder ihre Fragen, und ich begann wieder meine Antworten. Ich bemerkte indessen so viel Unbestimmtes, so viel Unbändigkeit in ihrer Neugierde; es war unter dieser Anhäufung von heterogenen Studien eine so lächerliche Prätension auf Universalität des Wissens, daß ich mir vornahm, die Arbeit zu regeln, wenn ich freier mit ihr wäre, und sie zu zwingen, auf dem Papiere wenigstens den Hauptinhalt aller Wissenschaften festzustellen, die wir plaudernd berühren würden; ich beschloß gleichfalls, Lexica und Grammatiken kaufen zu lassen; doch ehe dieses Project zum Vorschlage kam, war es unnütz geworden.«
»Wie so?« fragte Danton.
»Ja, Sie können sich nicht denken, was geschah.«
»Was geschah?«
»Es geschah, daß nach Verlauf eines Monats von Spazierritten, von Mittagsmahlen, von Conversationen, von academischen Sitzungen, – nach Verlauf eines Monats, hören Sie wohl? – Fräulein Obinska an einem schönen Morgen, während wir frühstückten, im reisten Französisch zu mir sagte:
»»Herr Paul,«« – ich heiße Paul wie der Held von Bernardin de Saint-Pierre, – »»Herr Paul, nun, da ich das Französische und das Englische kann, gehen wir zu einer andern Sprache über.««
»Wie?« rief Danton.
»Ich war ganz verblüfft.«
»Beim Teufel! ich glaube es wohl! sie wagte es, Ihnen das zu sagen, und sie konnte es sagen?«
»Sie konnte es, und sie hatte Recht, es zu wagen; denn, in der That, nach einem Monat war sie des Englischen und des Französischen fast so mächtig als ich; sie behielt alle Wörter im Fluge, sprach sie mit jener Leichtigkeit aus, welche die Gewohnheit der flavischen Sprache gewissen Völkern des Nordens gibt; waren sie dann einmal ausgesprochen, so schien sie dieselben in einem Behälter ihres Gehirnes einzuschließen, von wo sie nur bei Gelegenheit herauskamen. Das Lateinische hatte ihr dazu gedient, mich französisch oder englisch jeden Satz, den sie lernen sollte, aussprechen zu lassen, und ich wiederhole, was man einmal vor ihr gesagt hatte, blieb eben so tief in ihren Geist eingegraben, als sich die Musiknote in das Blei eingräbt. Dieses ganze Gemeng von scheinbar unzusammenhängenden Fragen war das Resultat ihrer geheimen Studien, ihrer inneren Berechnungen. Die Antwort, die ich ihr gab, war ein Schimmer, der für sie einen Horizont von zwanzig Meilen erleuchtete; sie glich jenen Bergleuten, welche ein kleines Loch in einen riesigen Stein graben, ein paar schwarze Körner darein legen und gehen: Plötzlich glänzt eine Flamme, man hört eine Explosion, und es löst sich und rollten fürchterlicher Block, den zwanzig Männer in zwanzig Tagen nicht abgebrochen hätten!
»Diese Masse von Arbeiten hatte Cäcilie in einem Monat aus tausend Millionen von Einzelheiten componirt, welche ich, das Thier der Routine, ich, die organisierte Materie, ich, die plumpe Natur, Stückchen um Stückchen anzuhäufen zwanzig Jahre gebraucht hatte; und ich rühme mich doch, verständig zu sein.
»Von dem, was man dieser Frau einmal gesagt, vergaß sie nichts, war es eine Periode, war es eine Seite, war es ein Kapitel, war es ein Band! Dies, mein Lieber, war der Zögling, mit dem ich es zu thun hatte! Was halten Sie davon?«
»Bei meiner Treue! ich weiß nicht recht, was ich davon halte,« antwortete Danton; »doch ich weiß wohl, was ich fühle, und das gleicht sehr der Bewunderung.«
»Es versteht sich von selbst,« fuhr Marat fort, »Fräulein Obinska, so stolz sie war, wußte mir Dank, daß ich ihr einen solchen Triumph der Eitelkeit verschafft hatte; nur offenbarte sich ihre Freude nicht, wie dies bei einer Andern geschehen wäre, bei einer gewöhnlichen Frau, zum Beispiel, durch eine Verdoppelung von Zärtlichkeit, oder durch die Entwaffnung dieser Festigkeit, die sie mir furchtbar gemacht hatte; nein, Fräulein Obinska war weder mehr, noch minder unangenehm, als sie es von Anfang an gewesen.«
»Ei!« fragte Danton, »dann möchte ich gern wissen, was Sie von ihrer Veränderung wahrnahmen, wenn sie sich nicht geändert hatte?«
»Mein lieber Satyriker, erinnern Sie sich wohl: die Frauen sind extrem in Allem. Cäcilie war, wie die Anderen, das heißt sogar mehr als die Anderen, mit dem gräßlichen Stolze der polnischen Aristokraten begabt. Sie hatte bemerkt, welchen Eindruck sie auf mich gemacht, und das genügte ihr.«
»Ah! sie hatte Eindruck auf Sie gemacht?« sagte Danton.
»Ich leugne es nicht.«
»Nun, nun, der Roman schürzt sich!«
»Vielleicht . . . Doch ich bitte, lassen Sie ihn fortsetzen; er währt schon lange, und die Stunde rückt vor.
»Ich habe Ihnen mit großen Zügen den Vater gemalt; Sie müssen die Tochter kennen, denn ich habe ihr die Vollendung einer Miniature gegeben; Sie sind nicht zu wenig Landschaftsmaler, um sich nicht die Gegend, das Schloß, die Stadt vorzustellen. Bedenken Sie also, was für mich, einen sechsundzwanzigjährigen jungen Mann, – bedenken Sie, was der Frühling war, was der Sommer war, mitten unter dieser Gesellschaft, unter allen diesen Berauschungen des Reichthums, der Schönheit, des Geistes zugebracht.
»Ich war leicht zu bezaubern, ich wurde wahnsinnig, – wahnsinnig vor Liebe! Ja, vor Liebe . . . So wie der Geist von Cäcilie sich des meinigen bemächtigte, so wie diese Frau mich fesselte, mich blendete durch ihre Ueberlegenheit, ward mein Herz, das die einzige Fähigkeit meines Wesens geblieben, deren Macht sie nicht übertraf, ward mein Herz überschwemmt von Liebe, und ich brachte meiner Schülerin mein Wissen, meine Philosophie, meinen Stolz dar, unter der Bedingung, daß sie mir eines Tags ein wenig von ihrem Herzen würde überlassen wollen; und das, Sie begreifen es wohl, war keine gemachte Bedingung: es war eine gefaßte Hoffnung!«
»Sie machten ihr also ein Geständniß, wie die neue Heloise?« fragte Danton.
Marat lächelte stolz und erwiederte:
»Nein, ich wußte zu gut, an welche Frau ich mich wandte; ich hatte zu wohl die Kälte bemerkt, mit der sie meine Bestrebungen aufnahm. Wie hätte ich, demüthig und verliebt, dem unabläßig tyrannischen Befehle widerstanden, der den Augen der adeligen Frau, die man liebt, entschlüpft? . . . Nach einem Studium von drei Monaten wußte Cäcilie all mein Wissen; nach vier Monaten hatte sie meinen Geist entziffert; ich hatte also nur noch Eines zu befürchten: ihr Scharfsinn werde mein Herz entziffern; von dem Tage an, wo sie mich von dieser Seite völlig errathen, war ich, wie ich fühlte, verloren.«
»Das war also ein Wesen von Marmor?« fragte Danton.
»Hören Sie, soll ich Ihnen ein Bekenntnis; machen?«
»Thun Sie es.«
»Ich habe mir immer eingebildet, wenn diese Frau je hätte lieben sollen, so wären ihre Augen auf mich gefallen.«
»Was hinderte sie dann, die Augen zu senken?«
»Es gibt in den menschlichen Gefühlen, in der Art, wie sie geboren werden, sich erzeugen oder sich ersticken, Geheimnisse, die sich nicht erklären lassen. Cäcilie verachtete mich; sie richtete nur bei der äußersten Nothwendigkeit ein Wort an mich; nicht ein einziges Mal hatte sie meinen Arm auf dem Spaziergange oder bei den Uebungen angenommen, und dennoch trieb mich etwas an, sie zu lieben, obschon etwas noch Mächtigeres mich abhielt, es ihr zu sagen.«
»Das ist, bei Gott! der Roman.«
»Ja, der Roman, das heißt der Teufel! Sie werden sehen, ob der Teufel bei mir Unrecht hatte, und ob er durch das Warten verlor.«
»Lassen Sie hören!«
»Ich habe Ihnen gesagt, daß das Frühjahr verging, daß der Sommer verging . . . Nun wohl, es war immer dieselbe Kälte bei diesem Mädchen, und ich fing an der Unglücklichste der Menschen zu werden! Alle meine Ideen hatten sich verwandelt; ich liebte nicht mehr, ich begehrte . . . ich träumte nicht mehr, ich delirirte. Eines Tags, – ah! mein lieber Zuhörer, was wollen Sie? Sie müssen sich wohl mit dieser Formel begnügen, bis Sie eine bessere gefunden haben; – eines Tags, da ich sie so schön und so ungerecht sah, hatte ich einen Augenblick der Schwäche; wir waren auf der Promenade in ihrer Caleche, die sie selbst mitten in den Wäldern führte, – und ich sagte mit einem Gesichte, in welchem sich die Frauen, auch die grausamsten, nie täuschen:
»»Mein Fräulein, wäre es Ihnen gefällig, den Wagen anhalten zu lassen? Ich leide sehr!««
»Sie blies in ein goldenes Pfeifchen, und ihre halbwilden Pferde blieben, gewöhnt, ihr aus dieses Zeichen zu gehorchen, sogleich stehen.
»»Was haben Sie?«« fragte sie mit ihrem kurzen Tone und ihrem durchdringenden Blicke. ,
»»Ich getraue mir nicht, es Ihnen zu sagen; es wäre Ihrer würdig, es zu errathen.««
»»Ich lerne Alles, außer Räthsel zu errathen,«« versetzte sie trocken.
»»Ach!«« erwiederte ich, »»der Ton, den Sie annehmen, um mir zu antworten, beweist mir, daß Sie mich begriffen; ich glaube indessen nicht, Sie schon beleidigt zu haben, nicht wahr? Nun wohl . . .««
»»Nun wohl, was?«« fragte sie.
»»Erlauben Sie mir, mich zu entfernen, ehe mir der Gedanke kommt, die Achtung gegen Sie zu verletzen.««
»»Es steht Ihnen vollkommen frei, sich zu entfernen oder zu bleiben: gehen Sie, wenn Ihnen das zusagt; bleiben Sie, wenn es Ihnen beliebt.««
»Ich erbleichte und sank auf dem Sitze des Wagens zusammen; die Prinzessin schien es nicht zu bemerken; nur entschlüpfte die Peitsche ihren Händen und fiel auf die Erde in dem Augenblicke, wo sie die Pferde angetrieben hatte. Ich sprang aus dem Wagen, nicht um die Peitsche aufzuheben, sondern um mich von den Rädern zermalmen zu lassen. Immer kalt und unempfindlich, errieth der Dämon mein Vorhaben, ehe es gefaßt war, und lenkte mit einem Zuge der Hand die Pferde ab; das Rad, das mich entzwei schneiden sollte, ergriff nur den Flügel meines Rockes.
»Ausgestreckt auf dem Sande, wie ich da lag, schaute ich sie sodann an; sie schleuderte mir einen Blick so leuchtend, so voller Drohungen zu; sie war so bleich, so zornig ohne Zweifel, daß ich es beklagte, daß ich für eine solche Frau hatte sterben wollen.
»Ich stand auf.
»»Quid ergo?«« sagte sie mit einem ungeheuren Uebermuthe.
»»Ecce flagellum; recipe!«« antwortete ich ironisch, während ich wieder meinen Platz bei ihm nahm.
»Und ich hatte im Herzen eine solche Verachtung, im Gehirne eine solche Exaltation, als ich diese Worte sprach, daß ich nicht die Macht besaß, meine Geberde zu messen, und daß ich, indem ich Cäcilie ihre Peitsche zurückgab, mit meiner Hand ihre Hand streifte, die sich ausstreckte, um sie von mir zu nehmen.
»Die Berührung brannte mich, wie es ein glühendes Eisen gethan hätte; sie, indem sie sich gegen mich neigte, um sie mir zu entreißen, stieß mit der Wange an meine Stirne.
»Ich gab einen Seufzer von mir und hätte beinahe das Bewußtsein verloren.
»Cäcilie peitschte ungestüm, wüthend, zwanzigmal hinter einander, ihre gereizten Pferde, welche in einem entsetzlichen Galopp davon jagten und ein wildes Gewieher vernehmen ließen.
»Der Lauf dauerte über eine Stunde.
»Während dieser Stunde machten wir vielleicht zehn Meilen, ich ohne eine Bewegung zu versuchen, sie ohne ein Wort zu sprechen.
»Und das war Alles. Wir kehrten ins Schloß zurück, ich halb todt, sie nervös, schauernd und ergrimmt, die Pferde in Schweiß und Schaum gebadet.«
»Und Sie reisten nach diesem schönen Streiche ab?« fragte Danton.
»Nein, das Fleisch dieser Frau hatte mein Fleisch verzehrt; ich gehörte ihr: sie mußte mir gehören.«
»Ho! ho! das ist nicht mehr Saint-Preux; das ist ganz reiner Valmont.«
»Die Geschichte ist noch nicht zu Ende,« erwiederte Marat lächelnd, »und wir werden vielleicht einen Typus finden, der weniger schaal als Valmont. Warten Sie!«
XV
Der Roman entwickelt sich
Es trat ein Augenblick der Stille ein. Für Marat war es Bedürfniß, Athem zu holen, Danton war es nicht unangenehm, nachzudenken.
»Ich sagte Ihnen,« fuhr Marat fort, »es sei durch meine Adern Feuer geströmt, nicht Blut, warten Sie, warten Sie, mein Roman ist nicht Laclos unterzeichnet, und ich bin kein Romanendichter mit Manchetten; warten Sie, warten Sie!«
Doch abermals die vielfache Ueberlegenheit, die er über Marat hatte, mißbrauchend, sprach Danton:
»Es ist gewiß, daß Sie jung waren; es ist sogar möglich, daß Sie schön waren, – Sie sagen es, und ich glaube es; doch ich muß Ihnen gestehen, ich kann mir nicht erklären, wie Sie sich von einer solchen Frau lieben gemacht hätten.«
»Und wer spricht von sich lieben machen?« entgegnete Marat bitter. »Mich lieben gemacht haben! ich? Die von der Liebe mit ihrer Ungunst verfolgten Leute, welche weder eine Frau, noch eine Geliebte finden konnten, haben zuweilen wenigstens das Glück gehabt, von ihrem Hunde geliebt zu werden. Ich, ich suchte einen zu bekommen: es war eine herrliche schottische Dogge; sie erwürgte mich zu drei Vierteln, als ich ihr eines Tags aus ihrer Suppe einen Knochen nahm, der sie selbst hätte erwürgen können. Mich lieben machen . . . bah! ich habe nur bei meiner ersten Zusammenkunft mit Cäcilie hieran gedacht; seitdem nie mehr!«
»Dann.wird der Roman ganz kurz hier in Ihre Tasse Milch fallen, wie Sie selbst in den Schnee fielen?«
»Oh! nein! Sie kennen mich nicht, lieber Freund: ich habe Beharrlichkeit, sehen Sie, und was ich will, das will ich recht. Sie sind groß, Sie sind stark, Sie sind mir überlegen; – Sie glauben es wenigstens, und ich gebe es zu. – Nun wohl, wenn es mir einfiele, Sie im Einzelkampfe schlagen oder in der Beredtsamkeit besiegen zu wollen, so wären Sie geschlagen oder besiegt, mein Lieber! Nöthigen Sie mich nie, Ihnen einen Beweis hiervon zu geben. . . Ich wollte mich nun an Cäcilie rächen, ich wollte sie unterwerfen, ich wollte sie besiegen, und hierbei benahm ich mich also . . .«
»Mit Gewalt? Ei! mein Lieber, bei der ersten Geberde, die Sie wagen, wird Sie diese Frau krumm und lahm schlagen.«
»Ich machte mir dieselbe Reflexion wie Sie,« erwiederte Marat, »und ich griff zu minder gefährlichen Mitteln.«
»Teufel! Teufel!« rief Danton, »gab es dort einen Codex der Erfindungen des berufenen Marquis de Sade19?«
»Warum Jemand copiren?« erwiederte Marat verächtlich. »Ist man nicht selbst? Warum im Arsenale Anderer Werkzeuge der Ueppigkeit suchen? War ich nicht Mediciner-Botaniker und sehr speciell bewandert im Studium der Schlafmittel?«
»Ah! ja! ein kleines Narcoticum! ich begreife,« rief Danton.
»Nehmen Sie das an, wenn Sie wollen; gewiß ist, daß bei einem unserer Spazierritte, in der Tiefe einer mit Wald bedeckten Schlucht, die junge Prinzessin von einem unüberwindlichen Schlafe befallen wurde. Sie begriff vielleicht, von wo dieser Schlaf ihr zukam, und was das Resultat davon sein sollte. Denn sie schrie: »»Zu Hilfe!«« Da nahm ich sie in meine Arme, um sie vom Pferde steigen zu machen, und da sie das Bewußtsein völlig verloren hatte, so sandte ich den Piqueur weg, um einen Wagen im Schlosse zu holen; so befand ich mich allein mit der Prinzessin.«
»Sehr gut,« sagte Danton, starr und mit einem gewissen Ekel Marat anschauend; »doch wenn man geschlafen hat, besonders einen bewegten Schlaf, so erwacht man wieder.«
»Cäcilie erwachte in der That in dem Augenblicke, wo der Wagen mit ihren Frauen ankam,« antwortete Marat. »Es war nicht nöthig, den Arzt zu holen; der Arzt, das war ich; ich erklärte, Fräulein Obinska laufe keine Gefahr, und Jedermann war zufrieden.«
»Und Sie auch?«
»Oh! ja . . . Ich erinnere mich, daß sie, als sie erwachte, zuerst suchte; da sie mich aber nicht fand, verfolgte sie mich mit den Augen, bis sie mich gefunden hatte. Dann schien ihr Blick zugleich bis in den tiefsten Falten meines Herzens und meines Geistes zu forschen.«
»Das war ein Verbrechen, wissen Sie das?« sagte Danton, »und Sie haben vollkommen Recht, Atheist zu sein; denn wenn es einen Gott gab, mein Lieber, und dieser Gott hätte in diesem Augenblicke auf Ihre Seite geschaut, so würden Sie die Strafe für Ihr Verbrechen erlitten haben, und zwar eine fürchterliche Strafe!«
»Sie werden sehen, ob ich bezahlt bin, an einen Gott zu glauben,« sagte Marat mit einem grimmigen Zähneknirschen. »Ich hatte berechnet, ohne Zeugen, ohne Genossen, ohne Feinde, sei ich nichts ausgesetzt in Folge dieser Handlung, die ich eine Rache nenne, und die Sie ein Verbrechen nennen; in der That, wer konnte mich bei Cäcilie in Verdacht bringen, und hatte sie mich im Verdachte, wie sollte sie es wagen, mich anzugeben?
»Alles ging Anfangs, wie ich es vorhergesehen. Cäcilie behandelte mich fortwährend ohne Bevorzugung, aber auch ohne Haß, sie suchte weder, noch floh sie eine Gelegenheit, mit mir beisammen zu sein; und selbst wenn eine Veränderung bei ihr vorgegangen, so war dies vom Strengen zum Sanften.«
»Oh! der Unglückliche, der nicht entfloh!« rief Danton; »warum flohen Sie denn nicht. Wahnsinniger? . . . Ah! ich errathe es aus ihren Augen!«
»Warum ich nicht floh? Sagen Sie es, scharfsinniger Mann, und wir werden sehen, ob Sie richtig errathen.«
»Sie flohen nicht, weil der Dieb, der nicht entdeckt worden ist, auf Straflosigkeit für einen zweiten Diebstahl hofft.«
»Ah! Sie sind scharfsinniger, als ich glaubte,« antwortete Marat mit einem häßlichen Lächeln. »Ja, ich erwartete die Straflosigkeit, ich erwartete die Gelegenheit bis zum Monat September, das heißt zwei Monate lang.
»Doch, zwei Monate bewältigt, brach der über meinem Haupte angehäufte Sturm endlich los.
»Eines Morgens trat der Fürst Obinsky in mein Zimmer ein; ich kleidete mich an, da ich wie gewöhnlich mit Cäcilie auszureiten gedachte. Ich wandte mich um bei dem Geräusche, das er die Thüre zuschlagend machte, und nahm, um ihn zu empfangen, meine freundlichste Miene an; der würdige Herr hatte gegen mich immer nur Wohlwollen und Aufmerksamkeiten gehabt. Doch die Thüre schließend mit einem Zittern, das ich noch nicht bemerkt, und das mich sogleich sehr beunruhigte, sprach er lateinisch:
»»Galle! Galle, proditor infamis! flecte geuua et ora!««
»Zu gleicher Zeit zog er seinen Säbel aus der Scheide und ließ die Klinge über meinem Kopfe glänzen.
»Ich folgte mit den Augen, vom Schrecken erfaßt, der Schwingung dieser zischenden Klinge.
»Ich stieß einen so entsetzlichen Schrei aus, daß mein Henker zögerte; überdies dünkte ihm der Tod durch den Säbel vielleicht noch zu edel für einen Verbrecher meiner Art.
»Es erschollen mehrere Tritte im Flurgange; der Fürst steckte seinen Säbel wieder in die Scheide und öffnete die Thüre denjenigen, welche sich näherten:
»»Kommt, kommt,«« sagte er zu den erschrockenen Dienern, »»kommt! hier ist ein Schurke, der ein großes Verbrechen begangen hat.««
»Und er deutete mit dem Finger auf mich.
»Ich schauerte, denn erklärte der Starost laut die Schande seiner Tochter, so geschah es, weil er sie zu rächen beschlossen hatte, und diese Rache war mein Tod! ich war verloren!
»Ich glaube, es ist erlaubt, in einem solchen Momente Angst zu haben; überdies bin ich kein Prahler, und ich gestehe, daß es mir manchmal, wenn ich unversehens überfallen werde, an Muth fehlt, wie es gewissen Leuten an Geistesgegenwart gebricht.
»Ich warf mich auf die Kniee, die Hände gefaltet, die entflammten Augen des Fürsten befragend, und meinen Blick nur von ihm abwendend, um ihn auf diese seinen geringsten Willensäußerungen unterworfenen Menschen zu richten, die nur auf eine Geberde warteten, um ihm zu gehorchen.
»»Aber was habe ich denn gethan?«« rief ich ganz zitternd und zugleich hoffend, denn mir schien, wenn mich der Fürst nicht geschlagen, so habe ihn irgend eine Furcht zurückgehalten.
»Doch er antwortete mir nicht einmal und rief seinen Dienern zu:
»»Dieser Franzose, den ich bei mir aufgenommen, den ich bei mir genährt habe, ist ein Verräther, ein Spion der Katholiken, ein Verschwörer abgesandt von den Feinden unseres guten Königs Stanislaus Poniatowski!««
»Da er Lateinisch sprach, so verstand ich ihn. »»Ich!«« rief ich erschrocken, »»ich, ein Spion?«« »»Und,«« fuhr Obinsky fort, »»statt ihn auf eine ehrenvolle Art zu tödten, wie ich es so eben mit meinem Säbel thun wollte, habe ich beschlossen, daß er sterben soll wie die Sklaven und die Verbrecher, das heißt, unter der Knute! Holla! holla! die Knute dem Elenden! die Knute!««
»Ich hatte nicht Zeit, etwas zu erwiedern: zwei Männer bemächtigten sich meiner, und auf ein Zeichen des Starosten schleppte man mich in den Hof, wo der Profoß des Schlosses, – jeder von diesen kleinen Herren, denen das Recht über Leben und Tod bei ihren Leuten zusteht, hat einen Profoß, – wo der Profoß des Schlosses Befehl hatte, mich knuten zu lassen, bis der Tod erfolge.
»Beim zehnten Streiche ward ich, in meinen: Blute gebadet, ohnmächtig!«
Hier machte Marat eine Pause; er hatte Danton durch seine Blässe und den grimmigen Ausdruck seiner Physiognomie erschreckt.
»Ho! ho!« murmelte der Riese, »Fräulein Obinsky hatte nicht Unrecht gehabt, ihre Geheimnisse ihrem Herrn Vater anzuvertrauen: das war ein verschwiegener Beichtiger!«
»So verschwiegen,« antwortete Marat, »daß er mich hätte tödten lassen, damit ich nicht spreche; ich sage tödten, denn der Fürst hatte, ich wiederhole es, befohlen, zu schlagen, bis ich dm letzten Athem ausgehaucht.«
»Mir scheint aber, Sie sind nicht todt,« entgegnete Danton.
»Dank sei es dem Freunde, den ich mir, ich weiß nicht wie, gemacht hatte.«
»Welcher Freund?«
»Der Piqueur, der uns auf unsern Ausflügen folgte, und der, da er die Grausamkeit von Cäcilie sah, Mitleid mit mir bekommen hatte: das war der vertrauteste Freund meines Henkers; er bat für mich bei ihm; der Henker ließ mich ohnmächtig liegen und meldete dem Fürsten, ich sei todt. Glücklicher Weise hatte der Fürst nicht den Gedanken, sich der Thatsache durch sich selbst zu versichern! Man trug mich ohnmächtig in das Zimmer des Piqueur, von wo ich auf einen von den kleinen Friedhöfen geworfen werden sollte, in denen die polnischen Herren einfach die unter der Knute gestorbenen Leibeigenen beerdigen lassen, und hier verband mich mein Piqueur aus seine Weise, das heißt, er legte mir Umschläge mit Wasser und Salz auf meine Wunde.«
»Sie sagen meine Wunde,« bemerkte Danton, der vom Leiden seines Wirthes nicht sehr bewegt schien; »ich glaube, ich hörte Sie erzählen, Sie haben eine zahllose Menge von Peitschenhieben bekommen?«
»Ja,« antwortete Marat; »doch ein geschickter Henker schlägt immer aus dieselbe Stelle, und die zehn Hiebe machen nur einen einzigen Einschnitt, einen gräßlichen Einschnitt, durch den gewöhnlich die Seele mit dem Blute entströmt.«
»Nun, das Salz that Ihnen gute Dienste, nicht wahr?« fragte Danton.
»Gegen Abend, es war ein Sonntag; – ich erinnere mich dessen, weil an diesem Tage Fräulein Obinska beim Fürsten Czartoryski speisen sollte, wo der König Stanislaus speiste; – gegen Abend besuchte mich mein Retter; ich war erschöpft, ich hatte kaum die Kraft, die Augen zu öffnen, der Schmerz entriß mir unaufhörlich Schreie.
»»Jedermann hält Sie hier für todt!«« sagte er lateinisch zu mir, »»und Sie wagen es, zu schreien?««
»Ich antwortete ihm, es geschehe unwillkürlich.
»»Wenn der Herr oder das Fräulein Sie hörten,«« sprach er, »»so würde man Ihnen den Garaus machen, und ich würde dieselbe Strafe erleiden, wie Sie.««
»Ich suchte sodann meine Schreie zu ersticken; hierzu mußte ich aber meine Hand auf den Mund drücken.«
»»Hier ist Ihr Geld,«« fügte er bei, indem er mir meine Börse bot, welche vierhundert Gulden von meinen Ersparnissen enthielt; »»der Herr hatte es mir mit Ihrer übrigen Verlassenschaft geschenkt; doch ohne Geld könnten Sie nicht fliehen, und Sie müssen fliehen.««