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Czytaj książkę: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», strona 43

Czcionka:

Alle Drei sprangen wieder in die Barke. Mary und Michel ergriffen die Ruder, und während Petit-Pierre wieder das Steuer nahm, schoß das kleine Fahrzeug pfeilschnell den Strom hinab. Das Schiff konnte wohl eingeholt werden, wenn’s so fort ging.

Aber plötzlich wurden Mast und Takelwerk von einem dunkeln Viereck bedeckt: das große Segel wurde aufgespannt.

Gleich daraus kam über diesem Segel ein anderes zum Vorschein: es war das Marssegel.

Der »Jeune Charles« spannte alle Segel auf, um den günstigen Wind zu benutzen.

Michel hatte inzwischen das Ruder aus Mary’s zu schwachen Händen genommen und arbeitete wie ein Galeerensträfling. Er war in Verzweiflung, denn in einem Augenblicke hatte er die Folgen berechnet, welche die Abfahrt der Brigantine haben konnte.

Er wollte rufen, schreien; aber Petit-Pierre befahl ihm zu schweigen.

»Bah!« sagte der Flüchtling, dessen Heiterkeit sich selbst in der bedrängtesten Lage nicht verläugnete, »der Himmel will nicht, daß ich den französischen Boden verlasse.«

»Wenn’s wirklich der Himmel so wollte —« seufzte Michel.

»Was meinen Sie?« fragte Petit-Pierre.

»Ich fürchte, daß ein schändlicher Verrath dahinter steckt.«

»Nein, lieber Freund, es ist nur Zufall: man hat sich in der Zeit geirrt. Wer bürgt uns auch dafür, daß wir den an der Mündung der Loire kreuzenden Kriegsschiffen entgangen wären? Es ist so vielleicht besser.«

Aber Michel fand diese Trostgründe keineswegs genügend. Er war entsetzlich aufgeregt; er wollte sich in die Loire stürzen und der in nebelgrauer Ferne sich verlierenden Brigantine nachschwimmen, und erst durch vieles Zureden konnte ihn Petit-Pierre etwas beruhigen. Vielleicht wäre es dem Letztern gar nicht gelungen, wenn Mary nicht geholfen hätte.

Endlich ließ Michel trostlos die Ruder los.

Es schlug drei in Couéron. Es war keine Zeit zu verlieren, denn in einer Stunde brach der Tag an. Michel und Mary griffen wieder zu den Rudern und fuhren ans Ufer.

Die Flüchtlinge mußten sich entschließen nach Nantes zurückzukehren. Sie mußten die Stadt noch vor Tagesanbruch erreichen.

Unterwegs sagte Michel, sich an die Stirn schlagend:

»O! ich habe eine Dummheit begangen!«

»Was meinen Sie?« fragte die Herzogin.

»Wir hätten auf dem andern Ufer nach Nantes zurückgehen sollen.«

»Bah! alle Wege sind gut, wenn man vorsichtig ist. Und was hätten wir mit der Barke machen sollen?«

»Wir hätten sie drüben zurückgelassen.«

»Und die armen Fischer, denen sie gehört, hätten einen Tag mit Suchen verloren. Es ist besser, daß wir etwas mehr Mühe haben, als daß wir den armen Leuten, die vielleicht darben, ein Stück Brot entziehen.«

Die Flüchtlinge kamen an die Rousseaubrücke. Petit-Pierre wollte durchaus nur Mary’s Begleitung annehmen; aber Michel wollte es nicht zugeben; vielleicht war er in Mary’s Gesellschaft zu glücklich, als daß er sich von ihr schon wieder hätte trennen mögen. Er ließ sich indeß bereden, etwas zurückzubleiben, statt wie vorhin voranzugehen.

Als er über den Bouffayplatz ging und in die Rue Saint-Sauveur einlenken wollte, glaubte er Fußtritte hinter sich zu hören. Er sah sich um und bemerkte hundert Schritte hinter sich im erlöschenden Licht einer Laterne einen Mann, der schnell unter ein Hausthor trat, um sich zu verbergen.

Michel war im Begriffe zurückzulaufen und den Mann zu verfolgen; aber er bedachte, Petit-Pierre und Mary würden sich unterdessen entfernen und er würde sie nicht wieder finden.«

Er lief ihnen nach und holte sie ein.

»Man verfolgt uns,« sagte er zu Petit-Pierre.

»Was liegt daran?« erwiderte dieser, »wir können unsern Verfolgern schon entgehen.«

Petit-Pierre ging in eine Seitengasse, und als sie hundert Schritte fortgegangen waren, erkannte Michel die Gartenthür, an welche der Bettler den Stechpalmenzweig gesteckt hatte.«

Petit-Pierre klopfte dreimal in ungleichen Zwischenpausen.

Die Thür that sich sogleich auf. Petit-Pierre schob Mary in den Garten und trat selbst ein.

»Gut,« sagte Michel, »jetzt will ich sehen, ob uns der Mann noch belauscht.«

»Nein, nein! Sie sind zum Tode verurtheilt,« erwiderte Petit-Pierre, »ich vergesse es nicht, wenn Sie es auch vergessen. Wir sind in gleicher Gefahr und müssen auch gleiche Vorsicht brauchen. Kommen Sie geschwind herein.«

Unterdessen erschien derselbe Mann, den Michel Abends vorher bei der Zeitungslectüre gefunden, in der Hausthür. Er war noch im Schlafrock und hob erschrocken die Hände empor, als er Petit-Pierre erkannte.

»Wir haben keine Zeit mit Klagen zu verlieren,« sagte dieser. »Wir können nicht fort, lieber Pascal – wir werden verfolgt.«

Pascal zeigte auf die angelehnte Hausthür.

»Nein, machen Sie die andere Gartenthüre auf,« sagte Petit-Pierre. »Wahrscheinlich wird das Haus in zehn Minuten umzingelt seyn. Wir müssen uns verbergen.«

»Dann folgen Sie mir.«

»Wir folgen Ihnen. Es thut mir unendlich leid, lieber Pascal, daß wir Sie so früh gestört haben – um so mehr, da Sie wahrscheinlich ausziehen müssen, wenn Sie nicht verhaftet werden wollen.«

Die Gartenthür wurde aufgemacht.

Michel wollte Mary’s Hand fassen.

Petit-Pierre, der es sah, schob das Fräulein von Souday in die Arme ihres Begleiters.

»Umarmen Sie ihn,« sagte er zu Mary, »oder erlauben Sie wenigstens, daß er Sie umarme. In meiner Gegenwart ist’s schon erlaubt; Sie haben mich als Ihre Mutter zu betrachten, und ich finde, daß er’s wohl verdient hat. – Jetzt gehen Sie links, wir gehen rechts. Fürchten Sie nichts, die Sorge für meine Angelegenheiten soll mich nicht hindern, an Sie zu denken.«

»Werde ich Sie wiedersehen?« fragte der junge Baron kleinlaut.

»Es ist gefährlich,« erwiderte Petit-Pierre, »doch das Sprichwort sagt ja, daß es einen Gott für die Liebenden und die Betrunkenen gibt. Auf ihn setze ich mein Vertrauen. – Schloßgasse Nr. 3. Ein Besuch ist Ihnen erlaubt – ein Besuch, nicht mehr, denn ich hoffe diesen Besuch bald erwiedern zu können.«

Petit-Pierre reichte dem jungen Baron die Hand, welche dieser ehrerbietig küßte. Dann ging Petit-Pierre mit Mary in die obere Stadt, während Michel sich der Rousseaubrücke zuwandte.

V.
Wo Courtin sein Netz auswirft, aber nur Steine auszieht

Maître Courtin war den ganzen Abend hindurch, den er bei der Baronin La Logerie zubringen mußte, sehr unglücklich gewesen.

Er hatte an der Thür das ganze Gespräch zwischen Mutter und Sohn belauscht. Die plötzliche Abreise des jungen Barons vereitelte alle seine so lange vorbereiteten Pläne. An der Ehre, die ihm die Gutsfrau erwies, lag ihm sehr wenig; er wäre gern schnell wieder nach Hause gegangen, um seinen jungen Herrn an Mary zu erinnern und dessen Flucht wenigstens zu verzögern, wenn nicht zu hintertreiben. Denn sobald sein junger Herr fort war, verlor der arglistige Bauer den Faden, mit dessen Hilfe er in das geheimnißvolle Labyrinth, in welchem Petit-Pierre versteckt war, zu dringen hoffte. Aber die Baronin hatte, als sie wieder in ihrem Schlosse war, ganz andere Gedanken bekommen. Sie nahm Courtin mit, um ihm die Abreise ihres Sohnes zu verbergen und diesen vor seinen zudringlichen Fragen zu schützen. Allein sie fand ihr Haus, in welchem seit einigen Wochen eine halbe Compagnie Soldaten gelegen, in einer so schrecklichen Unordnung, daß sie ihr früheres Mißtrauen gegen den Maire des Dorfes aufgab und sich vornahm, ihn zum Echo ihrer Klagen zu machen.

Diese jämmerlichen Klagen der Baronin hinderten Courtin, sie unter irgend einem Vorwande zu verlassen, um zu sehen was auf dem Meierhofe vorging.

Er hatte übrigens wohl gemerkt, daß ihn die Baronin mitgenommen, um ihn von ihrem Sohne zu entfernen; allein sie schien so untröstlich über ihre zerbrochenen Teller, über ihre geborstenen Spiegel, über ihren mit Oel begossenen Teppich, über ihren in eine Wachtstube verwandelten und mit unzarten Kohlenzeichnungen illustrierten Salon, daß er anfing seinen ersten Eindruck zu bezweifeln und er tröstete sich mit dem Gedanken, daß er ihn leicht einholen werde, ehe er an Bord des Schiffes ginge.

Es war acht Uhr Abends, als die Baronin wieder in den Wagen stieg, nachdem sie über die Greuel der Soldatenwirthschaft in dem Herrenhanse noch eine Thräne vergossen hatte. Kaum hatte Maître Courtin dem Postillon zugerufen: »Nach Paris!« so lief er davon, ohne auf die letzten Weisungen der Gutsfrau zu hören.

Er erfuhr von seiner Hausmagd, daß der junge Baron und Fräulein Bertha vor etwa zwei Stunden den Meierhof verlassen und den Weg nach Nantes genommen hätten.

Er wollte ihnen anfangs nacheilen und lief in den Pferdestall, seinen Klepper zu satteln; aber er fand ihn nicht mehr. Er hatte in seiner Hast nicht gefragt, auf welche Weise der junge Baron die Reise angetreten.

Maître Courtin dachte mit einiger Beruhigung an den schwerfälligen Gang seiner Mähre; allein er hielt sich doch nur einige Minuten in seiner Wohnung auf, um Geld einzustecken. Um auf alle mögliche Fälle vorbereitet zu seyn, nahm er die Insignien seiner Amtswürde mit. Dann eilte er zu Fuß dem Flüchtling nach, den er beinahe als einen Räuber gewisser hunderttausend Franks betrachtete, mit denen sich seine Phantasie so gern beschäftigte.

In St. Philibert erfuhr er, daß man seinen Klepper um halb acht Uhr Abends bemerkt habe. Er fragte, wer ihn geritten, aber er konnte nichts Genaueres darüber erfahren. Der Wirth, der es ihm erzählte, hatte nur bemerkt, daß der Gaul sich hartnäckig geweigert, an dem aufgesteckten »Busch« vorbeizutraben, welchem Courtin auf dem Wege nach Nantes seinen Tribut zu entrichten pflegte.

Etwas weiter hin bekam er genauere Auskunft: man beschrieb ihm den Reiter so genau, daß er den jungen Baron erkannte, obgleich man versicherte, dieser sey allein gewesen.

Der Maire von La Logerie dachte, die beiden jungen Leute hätten sich aus Vorsicht getrennt, um unweit der Stadt zusammenzutreffen. Das Glück schien ihm günstig: wenn er Michel in Nantes auffinden konnte, so hatte er ein gewonnenes Spiel.

Er war so fest überzeugt von der Anwesenheit oder nahe bevorstehenden Ankunft des jungen Barons in Nantes, daß er sich nicht einmal die Mühe nahm im Gasthause »Zum Tagesanbruch« neue Erkundigung einzuziehen. Er nahm schnell einen Imbiß und ging nicht in die Stadt, wo er Michel nicht gefunden haben würde, sondern über die Rousseaubrücke zurück und wandte sich rechts gegen Pelerin.

Maître Courtin hatte seinen Plan. Wir wissen, welche Hoffnungen er auf den jungen Baron setzte: er erwartete, daß ihm Michel den Aufenthalt seiner geliebten Mary entdecken werde, und da Mary bei Petit-Pierre war, so mußte ihm zugleich der Aufenthaltsort des letzteren entdeckt werden. Wenn Michel aber abreiste, so hatte Courtin keine Hoffnung mehr. Michel mußte daher um jeden Preis zurückgehalten werden.

Der junge Mann mußte bleiben, wenn er den »Jeune Charles« nicht auf seinem Posten fand.

Die Baronin La Logerie war auf dem Wege nach Paris; es mußte daher einige Zeit vergehen, ehe sie erfahren konnte, daß die Flucht ihres Sohnes nicht stattgefunden, und ehe sie ein anderes Mittel fand, ihm fortzuhelfen. Dieser Aufschub war aber mehr als genügend, um dem jungen Baron sein Geheimniß zu entlocken.

Maître Courtin wußte indeß noch nicht, wie er zu dem Capitän des »Jeune Charles« gelangen sollte, aber er verließ sich auf sein gutes Glück. Er ahnte nicht, daß er hierin einige Aehnlichkeit mit einem großen Manne des Alterthums hatte.

Das Glück war ihm in der That günstig. Unweit Couéron bemerkte er mitten unter den Pappeln der Insel die Mastbäume der Brigantine. Am Hauptmast flatterte das aufgespannte Bramsegel. – Es war wirklich das Schiff, das er suchte.

In der Abenddämmerung bemerkte Courtin am Ufer eine lange Ruthe, die horizontal über dem Wasser gehalten wurde, und am Ende eine Schnur mit einem schwimmenden Kork hatte. Die Stange schien aus einem kleinen Erdhügel hervorzustehen; aber obgleich nur die Stange sichtbar war, so vermuthete Courtin doch, daß sie von einem Arm gehalten werde und daß dieser Arm einem Fischer gehören müsse.«

Er ging auf den Erdhügel zu und entdeckte einen in einer kleinen Bucht hockenden Mann, der das auf dem Strome tanzende Korkstück sinnend betrachtete.

Der Mann trug Matrosenkleider, nämlich Hosen von getheerter Leinwand, eine rothe Jacke und eine schottische Mütze.

Einige Schritte von ihm war eine Barke festgebunden.

Der Fischer schaute gar nicht auf, als er Courtin kommen hörte, obgleich dieser hustete, um sich anzumelden und ein Gespräch einzuleiten.

»Es ist schon spät zum Fischen,« begann der Maire von La Logerie.«

»Man sieht wohl, daß Ihr nichts davon versteht,« antwortete der Fischer trotzig. »Ich finde, daß es noch zu früh ist; denn nur in der Nacht setzt sich ein großer Fisch in Bewegung. Am Tage fängt man nur Grundlinge.«

»Aber bald wird’s so finster, daß Ihr den Kork nicht mehr sehen könnt.«

»Was liegt daran!« antwortete der Fischer, die Achseln zuckend, »ich habe meine Augen in der Hand.«

»Ich verstehe: Ihr fühlt, wenn der Fisch anbeißt,« sagte Courtin, sich neben den Fischer setzend. »Ich bin auch ein Freund vom Fischfang und glaube auch etwas davon zu verstehen.«

»Ihr wollt vom Angeln was verstehen?« erwiderte der Andere spöttisch.

»Nein, mit Netz und Hamen,« – sagte Courtin, »ich fange viele Fische in den Flüssen bei La Logerie.«

Courtin nannte den Ort in der Erwartung, daß der Angler den er für einen Matrosen des »Jeune Charles« hielt« von diesem Namen Notiz nehmen werde. Aber er irrte sich, der Angler entgegnete:

»Ich glaube nicht, wenn Ihr auch mit eurer Geschicklichkeit im Fischfange prahlet.«

»Warum glaubt Ihr’s nicht? Seyd Ihr etwa der Einzige, der sich darauf versteht?«

»Weil Ihr nicht einmal die Anfangsgründe der Kunst zu kennen scheint.«

»Worin bestehen diese Anfangsgründe?« fragte Courtin.

»Wenn man Fische fangen will, muß man vier Dinge meiden: Wind, Hunde, Weiber und Schwätzer. Man hätte freilich sagen können, daß drei Dinge zu meiden sind,« setzte der Mann mit der Matrosenjacke philosophirend hinzu, »denn Weiber und Schwätzer sind Eins.«

»Ihr werdet finden, daß mein Geschwätz nicht ganz unzeitig ist, wenn ich Euch Gelegenheit gebe, einen kleinen Thaler zu verdienen.«

»Wenn ich ein halbes Dutzend Barsche fange, so verdiene ich mehr als einen kleinen Thaler, und habe obendrein noch mein Vergnügen.«

»Ich will mich auf vier, sogar auf fünf Francs einlassen,« fuhr Courtin fort, »Ihr könnt obendrein eurem Nebenmenschen einen Dienst erweisen.«

»So saget, was wollt Ihr von mir?« erwiderte der Angler.

»Fahret mich in eurem Boot zum »Jeune Charles,« dessen Mastspitze man drüben zwischen den Bäumen sieht.«

»Den »Jeune Charles«?« sagte der Matrose mit der unbefangensten Miene von der Welt. »Wer ist der »Jeune Charles«?«

Courtin zeigte ihm seinen lackierten Hut, den er am Ufer aufgenommen und auf dessen Bande in goldenen Buchstaben der Name »Jeune Charles« stand.

»Ihr müßt wohl ein Fischer seyn,« setzte der Matrose hinzu, »denn um das im Dunkeln zu lesen, müßt Ihr, wie ich, die Augen in den Fingern haben. Laßt hören, was wollt Ihr von dem »Jeune Charles«?«

»Habe ich nicht vorhin einen Ort genannt, der Euch aufgefallen ist?«

»Mein lieber Mann,« antwortete der Angler, »ich mache es wie die Hunde von guter Race: ich kläffe nie, wenn man mich beißt. Wickelt nur eure Lockleine ab und kümmert Euch nicht um das, was an meinem Bord vorgeht.«

»So hört. Ich bin der Pächter der Baronin La Logerie.«

»Und was weiter?«

»Ich komme im Auftrage der Dame,« sagte Courtin, der immer kecker wurde.

»Weiter,« erwiderte der Matrose ungeduldig. »Was hat Euch die Baronin La Logerie aufgetragen?«

»Ich soll Euch sagen, daß Alles vereitelt, entdeckt ist, und daß Ihr Euch so schnell wie möglich entfernen müßt.«

»Sufficit,« antwortete der Angler. »Doch das ist nicht meine Sache. Ich bin nur der Bootsmann auf dem »Jeune Charles.« Wir wollen mit einander hinüberfahren zum Capitän, dem Ihr eure Geschichte erzählen möget.«

Der Bootsmann wickelte ganz gelassen die Schnur um die Angelruthe warf sie in seine Barke und machte diese los.

Dann gab er Courtin einen Wink, in dem kleinen Fahrzeuge Platz zu nehmen, stieß vom Ufer ab und ruderte so kräftig, daß sie in fünf Minuten um das Eiland fuhren und die Brigantine erreichten. Als die Barke nahe kam, ertönte auf dem Schiffe ein eigenthümlich modulierter Pfiff, den der Bootsmann mit einer ähnlichen Melodie beantwortete. Dann zeigte sich am Vordertheile ein Gesicht; die Barke legte am Backbord an, und man warf den Ankommenden ein Tau zu.

Der Bootsmann kletterte mit der Behendigkeit einer Katze hinauf und zog dann den an solche Schiffstreppen minder gewöhnten Courtin nach sich.

Als sich der Maire von La Logerie zu seiner Freude auf dem Verdeck befand, erblickte er vor sich eine menschliche Gestalt, deren Gesichtszüge er nicht erkennen konnte, weil diese den unter einem breiten wollenen Shawl, den er um den Hals gewunden, größtentheils versteckt waren. Die ehrerbietige Haltung des neben ihm stehenden Schiffsjungen, der das Signal gegeben, gab den Mann mit dem breiten Shawl als den Capitän zu erkennen.

»Wer ist das?« fragte der Capitän den Bootsmann, indem er dem Schiffsjungen die Laterne aus der Hand nahm und dem Fremden vors Gesicht hielt.

»Ein Mann, der von der bewußten Person kommt,« antwortete der Bootsmann.

»Wozu hast Du denn deine Gucklöcher im Kopfe?« erwiderte der Capitän, »wie konntest Du glauben, daß ein junger Mann von zwanzig Jahren nach solchem Modell gebaut seyn könne?«

»Ich bin freilich nicht der Baron La Logerie,« sagte Courtin, der den Sinn dieser Seemannssprache verstand, »ich bin nur sein Pächter und Vertrauensmann.«

»Nun, das ist schon etwas, aber nicht Alles —«

»Er hat mich hierher geschickt, um —«

»Das Maul halten, Landratte!« unterbrach der Capitän und spritzte einen langen Strahl schwärzlichen Speichels, der den Ausbruch eines auflodernden Zornes hinderte, auf das Verdeck. »Ich frage Dich ja nicht, warum er Dich hierher geschickt hat; ich sage, es ist schon etwas, aber noch nicht Alles.«

Courtin sah den Capitän erstaunt an.

»Hast Du mich verstanden, oder nicht?« fragte der Seemann. »Wenn nicht, so sag’s geschwind, ich werde Dich mit den gebührenden Ehren, nämlich mit Prügeln auf dein Hintercastell ans Land zurückschicken.«

Courtin vermuthete, daß die Baronin La Logerie mit dem Schiffskapitän ein Erkennungszeichen verabredet, und dieses Zeichen war ihm nicht bekannt. Er hielt sich für verloren. Er sah alle seine Pläne vereitelt, alle seine Hoffnungen vernichtet – und überdies war er wie ein Fuchs in der Falle gefangen. Wie sollte er sein Benehmen gegen den jungen Baron rechtfertigen?

Der Maire von La Logerie machte, um sich aus der Schlinge zu ziehen, ein harmlos dummes, fast blödsinniges Bauerngesicht.

»Ich weiß wahrhaftig nicht mehr zu sagen,« mein lieber Herr,« erwiderte er. »Meine gute gnädige Frau sagte zu mir: »Freund Courtin, Du weißt daß der junge Baron zum Tode verurtheilt ist. Ich habe mich mit einem braven Seemanne verständigt, der ihn auf seinem Schiffe fortbringen will. Aber die Sache scheint verrathen zu seyn, man, hat uns angezeigt. Lauf also und sage es dem Capitän des »Jeune Charles« den Du bei Couéron hinter der Insel finden wirst.« Ich bin hierher gelaufen – mehr weiß ich nicht davon.«

In diesem Augenblicke wurde am Vordertheile des Schiffes laut Ohe! gerufen. Dadurch wurde die Aufmerksamkeit des Capitäns von Courtin abgelenkt. Er wandte sich zu dem Schiffsjungen, der mit der Laterne in der Hand und mit offenem Munde dem Gespräch zuhörte.

»Was machst Du da, Du Schlingel, Du Lotterbube?« schrie ihn der Capitän an und begleitete diese freundlichen Worte mit einem Fußtritt, der den Schiffsjungen zum Glück an einem fleischigen Theile seines Körpers traf, aber doch so stark war, daß der kleine Seemann niederstürzte. »Warum bist Du nicht auf deinem Posten?«

Dann sagte er zu dem Bootsmann:

»Laßt Niemand an Bord, der sich nicht zu erkennen gibt.«

Aber kaum hatte er diesen Befehl gegeben, so stieg der Ankommende, der sich des herabhängenden Seiles bedient hatte, rasch auf das Verdeck.

Der Capitän nahm die Laterne, die dem Schiffsjungen aus der Hand gefallen war und glücklicherweise noch brannte.

»Mit welchem Rechte kommt Ihr an meinen Bord, ohne Euch zu melden?« sagte er zornig, indem er den Unbekannten beim Kragen packte.

»Ich habe hier zu thun,« antwortete der Fremde mit zuversichtlichem Tone.

»Was wollt Ihr denn? Geschwind, heraus mit der Sprache?«

»Zuerst laßt mich los. Ich werde nicht entspringen, denn ich komme aus freien Stücken.«

»Tausend Donnerwetter!« fluchte der Capitän, »Du kannst ja den Mund aufthun, wenn ich Dich auch beim Kragen halte!«

»Ich kann nicht sprechen, wenn ich mich nicht bewegen kann,« erwiderte der Fremde, ohne im mindesten aus der Fassung zu kommen.

»Capitän,« sagte der Bootsmann, »ich finde das nicht billig. Der Mann will laviren und Sie verlangen, daß er die Segel streiche; er ist bereit, seine Flagge zu zeigen, und Sie machen Knoten in seine Hißtaue.«

»Es ist wahr,« antwortete der Capitän, den Unbekannten loslassend.

Den Letzteren werden die Leser bereits als den wirklichen Abgesandten Michel’s, nämlich Joseph Picaut, erkannt haben.

Picaut, griff in die Tasche, zog das von dem jungen Baron erhaltene Schnupftuch hervor und reichte es dem Capitän, der es auseinander schlug und die drei Knoten so »gewissenhaft zählte«, als ob es eine Summe Geldes gewesen wäre.

Courtin, um den man sich nicht mehr kümmerte, beobachtete die Scene.

»Gut,« sagte der Capitän, »es ist Alles in der Ordnung. Aber zuerst muß ich die Landratte dort auf dem Hinterdeck abfertigen. Du, Anton,« befahl er dem Bootsmann, »führe diesen Burschen in die Combüse und schenke ihm ein Glas Branntwein ein.«

Der Capitän ging nun zu Courtin, der sich auf zusammengerolltes Tauwerk gesetzt hatte und den Kopf auf beide Hände stützte, als ob er den Vorfall auf dem Vorderdeck nicht im mindesten beachtet hätte.

»O! Herr Capitän,« sagte er, als dieser herankam, »lassen Sie mich ans Land zurückführen. Ich weiß nicht was mir fehlt – ich fühle mich, seit einigen Minuten so krank, als ob ich verscheiden müßte.«

»Aha! wenn Dies hier schon so geht, wo die Wellen kaum handhoch sind, so wirst Du, ehe wir die Linie passiert haben, curiose Gesichter schneiden.«

»Mein Gott! passieren wir denn die Linie?«

»Ja wohl, Freundchen. Du scheinst recht unterhaltend zu seyn und ich bin entschlossen Dich auf der langen Fahrt die ich antrete, am Bord zu behalten.«

»Ich soll am Bord bleiben!« rief Courtin, der sich erschrockener stellte, als er wirklich war. »Was soll aus meinem Meierhofe werden? Und was wird meine gute gnädige Frau dazu sagen!«

»Du sollst Länder sehen, wo Du Musterwirthschaften studiren kannst, und die Stelle deiner guten gnädigen Frau werde ich vertreten.«

»Aber, mein lieber Herr, was fällt Ihnen denn ein? Bedenken Sie doch, daß mir schon hier der Kopf schwindelt, obschon die Wellen, wie Sie sagen, kaum handhoch sind.«

»Es wird Dich lehren, den Capitän des »Jeune Charles« zu foppen. Jetzt antworte,« sagte der Schiffspatron, der dem Gespräch schnell ein Ende machen wollte, »wenn Du nicht tausend Seemeilen von hier von den Haifischen zum Frühstück verzehrt werden willst, so antworte: wer hat Dich zu mir geschickt?«

»Die Baronin La Logerie,« antwortete Courtin, »ich sage Ihnen ja, daß ich ihr Pächter bin, so wahr ein Gott im Himmel ist.«

»Die Baronin La Logerie,« fuhr der Capitän fort, »muß Dir doch ein Erkennungszeichen gegeben haben: einen Brief, einen Zettel oder sonst etwas dergleichen. Wenn Du nichts aufzuweisen hast, so bist Du ein Spion, und dann nimm Dich in Acht! Sobald, es erwiesen ist, werde ich Dich als Spion behandeln.«

»Ach mein Gott!« jammerte Courtin, der ganz trostlos zu seyn schien. »Ich kann solchen Verdacht nicht auf mir lassen. Ich habe zufällig Briefe bei mir, aus denen Sie ersehen können, daß ich wirklich Courtin bin. Hier ist meine Schärpe, die ich als Maire im Dienst trage. Mein Gott! was habe ich denn noch bei mir —«

»So? Du bist Maire!« unterbrach der Capitän. »Du hast also der Regierung den Eid geleistet. Wie kommt es denn, daß Du im Einverständnisse mit einem Menschen bist, der die Waffen gegen die Regierung ergriffen hat und zum Tode verurtheilt ist?«

»Weil ich meine Herrschaft so lieb habe, daß ich, um den jungen Baron zu retten, ein Auge zudrücke. Ich will Ihnen aufrichtig sagen, mein lieber Herr, daß ich als Maire erfahren habe, Sie würden in dieser Nacht beunruhigt werden. Ich erzählte der Baronin, daß Sie in Gefahr wären, und da sagte sie zu mir: Nimm dieses Schnupftuch und begib Dich zu dem Capitän des »Jeune Charles.«

»Wie, sie hat gesagt: Nimm dieses Schnupftuch?«

»Ja, das hat sie gesagt, so wahr ich Courtin heiße.«

»Aber wo ist denn das Schnupftuch, das Du mir bringen solltest?«

»In meiner Tasche, wo denn sonst?«

»So gib es doch her, Du Einfaltspinsel!«

»Ich soll’s hergeben?«

»Das versieht sich.«

»Da ist es.«

Courtin zog ein Schnupftuch aus der Tasche.

Der Capitän riß es ihm aus der Hand und fand, daß drei Zipfel in Knoten geschürzt waren.

»O Du Esel!« eiferte der Capitän, »hatte Dir denn die Baronin La Logerie nicht befohlen mir das Schnupftuch zu übergeben?«

»Ja wohl,« antwortete Courtin mit einem recht einfältigen Gesicht.

»Warum hast Du mir’s denn nicht gegeben?«

»Weil ich sah, daß Sie sich mit den Fingern schneuzten, und da dachte ich: der Capitän braucht kein Schnupftuch.«

»Du bist entweder ein durchtriebener Schurke oder ein Erztölpel,« sagte der Capitän der sich noch zweifelnd am Ohr kratzte. »Den Tölpel finde ich wahrscheinlicher und will Dich vorläufig dafür halten. Sage mir noch einmal, was Dir die Person, die Dich schickt, aufgetragen hat.«

»Meine gute gnädige Frau sagte zu mir: Courtin, sagte sie, ich kann mich auf Dich verlassen nicht wahr? – O ja, antwortete ich. – So höre. Mein Sohn, den Du mit Gefahr deines Lebens in deinem Hause gepflegt, bewacht, versteckt hast, sollte diese Nacht am Bord des »Jeune Charles« unter Segel gehen; aber wie Du selbst sagst und wie ich auch von anderer Seite erfahre, scheint Alles entdeckt zu seyn; Du hast eben noch Zeit dem braven Capitän zu sagen, er soll meinen Sohn nicht mehr erwarten, sondern so schnell wie möglich absegeln, denn man wird ihn diese Nacht verhaften, weil er einem politisch Verurtheilten zur Flucht behilflich gewesen, und noch wegen vieler anderer Dinge.«

Maître Courtin machte diesen Zusatz zu der bereitgehaltenen Lüge, denn er vermuthete, daß sich der Capitän gewiß noch andere kleine Sünden vorzumerken habe. Vielleicht täuschte ihn sein physiognomischer Scharfblick nicht, denn der brave Seemann wurde nachdenklich.

»Komm, folge mir,« sagte er nach einer kleinen Weile.

Courtin gehorchte. Der Capitän führte ihn in seine Cajüte und schloß die Thür hinter sich ab.

Courtin, der in der dunkeln Cajüte blieb, sah der Wendung, welche die Sache nehmen würde, mit einiger Besorgniß entgegen. Nach einer kleinen Weile hörte er Fußtritte, die auf die Cajüte zu kamen.

Die Thür that sich auf. Der Capitän erschien; ihm folgte Joseph Picaut mit der Laterne.

»Wir müssen uns jetzt verständigen,« sagte der Capitän. »Der Knoten muß gelöst werden, sonst lasse ich Euch mit der Beschlagleine den Rücken walken, daß dem Teufel selbst die Thränen in die Augen kommen sollen.«

»Ich habe Alles gesagt, was ich zu sagen hatte,« versicherte Courtin.

Picaut erschrak, als er diese Stimme hörte. Er hatte den Maire von La Logerie noch nicht gesehen und hatte von dessen Anwesenheit am Bord keine Ahnung.

Er trat vor, um sich zu überzeugen, ob er es wirklich sey.

»Courtin, der Maire von La Logerie!« rief er. »Capitän, wenn dieser Mann um unser Geheimniß weiß, so sind wir verloren!«

»Was ist er denn?« fragte der Capitän.

»Er ist ein, Verräther, ein Spion!«

»Morbleu!« erwiderte der Capitän, »ich glaube es wohl. Der Kerl hat etwas Lauerndes, Heimtückisches in seinem Gesicht, das mir gar nicht gefällt.«

»Ja wohl,« versetzte Joseph Picaut hinzu, »er ist ein Erzpataud, folglich ein Schuft.«

»Was hast Du darauf zu erwiedern?« fragte der Capitän. »Mille carcasses, antworte!«

»Er kann nichts darauf antworten,« versicherte Picaut.

Courtin schwieg.

»Ich sehe wohl,« sagte der Capitän, »daß ich gewaltsame Mittel anwenden muß, Dir die Zunge zu lösen.«

Bei diesen Worten setzte er eine kleine silberne Pfeife, die an einer silbernen Kette an seinem Halse hing, an den Mund und pfiff.

Sogleich erschienen zwei Matrosen.

»Aha!« sagte Courtin grinsend, »das habe ich erwartet, um zu reden.«

Er führte den Capitän in eine Ecke der Cajüte und flüsterte ihm einige Worte in’s Ohr.

»Ist das wirklich wahr!« fragte der Patron.

»Es ist sehr leicht zu ermitteln.«

»Du hast Recht.«

Auf einen Wink des Capitäns ergriffen die beiden Matrosen Joseph Picaut, zogen ihm die Jacke aus und zerrissen ihm das Hemd.

Der Capitän trat auf ihn zu, gab ihm einen tüchtigen Schlag auf die Schultern, und die beiden Buchstaben, mit denen der Chouan bei seinem Eintritt in’s Bagno gebrandmarkt worden war, kamen ganz deutlich zum Vorschein.

Picaut war so rasch und heftig ergriffen worden, daß er sich anfangs nicht vertheidigen konnte; aber sobald er sah, was man von ihm wollte, wehrte er sich wie ein Rasender. Der Bootsmann legte indeß mit Hand an ihn, und er mußte sich brüllend und fluchend ergeben.

»Bindet ihm Hände und Füße!« befahl der Capitän, der den Mann nach dem auf der Schulter stehenden Zeugniß beurtheilte, »und stauet ihn unten im Schiffsraum zwischen zwei Fässer.«

Dann wandte er sich zu Courtin, der tief aufathmete und sagte:

»Verzeihet mir, mein werther Maire, daß ich Euch mit einem solchen Kerl verwechselt. Aber seyd nur ruhig, ich verspreche Euch, daß er in den nächsten drei Jahren eure Scheune nicht in Brand stecken soll.«

Ohne Zeit zu verlieren, ging er aufs Verdeck, und Courtin hörte zu seiner großen Befriedigung, daß er alle seine Leute zusammenberief und den Befehl zur Abfahrt gab.

Der ehrenwerthe Seemann, der sich in großer Gefahr glaubte, hatte es nun sehr eilig, um schnell aus dem Bereich der Justiz zu kommen. Er entschuldigte sich, daß er dem Maire von La Logerie nicht einmal ein Glas Branntwein vorsetzen könne, ließ ihn in das Boot hinuntersteigen und überließ es ihm, zu landen, wo es ihm belieben würde.

Kaum hatte Courtin das Ufer erreicht, so bemerkte er daß sich der »Jeune Charles« langsam in Bewegung setzte und ein Segel nach dem andern aufspannte. Er versteckte sich nun in derselben kleinen Bucht, wo er den Angler gefunden, und wartete.