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Czytaj książkę: «Die Prinzen von Orleans», strona 20

Czcionka:

Je ruhiger man übrigens anfängt, über die Ereignisse nachzudenken, desto mehr muß der geringe Aufwand von Mitteln auffallen, mit welchen sie von Statten gegangen. Es fand im Ganzen eigentlich nur ein Hauptkampf statt, eben der nur erzählte am Palais Royal, und auch dieser dauerte nur 3 Stunden.

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Das Haus Rothschild. – Merkwürdig war bei der gänzlichen Auslöschung aller Ordnung und bei der eingetretenen Herrschaft des Volkes, die Sympathie, welche sowohl die Regierung, wie die Mittelklasse dem Hause Rothschild zu Theil werden ließ. Die 7. Legion der Nationalgarde, die polytechnische Schule und andere Korps, hatten für jeglichen Fall zugesagt, die Aufrechthaltung der Ordnung im Hause des Herrn v. Rothschild aus allen Kräften zu unterstützen. Diese Sympathie war wohl einzig und allein der Ruhe zuzuschreiben, mit welcher der Chef des Hauses die Ereignisse aufgenommen, und theilweise unterstützt hatte, und selbst die am Feindlichsten gesinnten Radikalen begriffen, wie frei ein Mann sich fühlen müsse der den Rath nach England zu fliehen, mit Verachtung zurückgewiesen hatte.

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Festzug der Wohlthätigkeitsanstalten. Eine wohl berechnete feierliche Manifestation von Frauen und [ 167 ] Kindern war der am 27sten veranstaltete Festzug. Die Vorsteherinnen und Gönnerinnen der Kinderbewahrschulen und Asyle waren nämlich, von einer Menge Kinder gefolgt, langsam durch die volkreichsten Theile der Stadt gezogen, um überall die Anstalten zu sichern, wo die Kinder Pflege und Erziehung finden. An der Spitze des Zuges fanden die Prinzessin Beauveau, Frau Herzogin von Marmier und Frau von Lamartine. Der Zug ward von National-Garden und bewaffneten Arbeitern begleitet und überall mit lebhafter Sympathie begrüßt. Ueberall machte das Volk Platz und begrüßte die Fahnen, auf denen die Worte zu lesen waren: »Erziehung für alle Kinder des Volkes! Bewahranstalt-Schulen für die Kinder! Die Familie ist heilig Lasset die Kindlein zu mir kommen! Freiheit der Kulte! Allgemeine Verbrüderung!« Mit dem Zuge gingen Hand in Hand katholische und protestantische Geistliche und der Ober-Rabbiner.

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Arbeiterehrlichkeit. Die in den Tuilerien auf gefundenen Gegenstände und Kostbarkeiten waren in Kisten verpackt und ein Inventar darüber von einem Polytechniker und einem Nationalgardisten aufgenommen worden. Als nach einiger Zeit die Herren Bastide und Bievre im Auftrage der Regierung die Sachen abholten, fanden sie dieselben von mehrern Leuten aus dem Volke bewacht. Einer derselben trat zu Herrn Bastide und fagte: »Mein Herr, wir sind hier ganz vergessen worden; wir haben seit gestern nichts gegessen, können Sie uns etwas Brot anweisen?« Alle Anwesenden rührte diese einfache Treue von Leuten, welche mitten im Tumulte eines Aufruhrs einen für sie unermeßlichen Schatz bewachten und zur Belohnung dafür nichts forderten, als etwas Brot. Hr. Bastide fragte vergebens [ 168 ] den Sprecher um seinen Namen: »Wir brauchen weiter nichts,« antwortete man ihm; »wir können unser Brot durch unsere Arbeit verdienen; nur heute können wir es uns nicht verschaffen.« Und damit verließen die wackern Leute den Palast.

Auch in den Gemächern der Herzogin von Orleans, des Herzogs v. Montpensier und des Prinzen Joinville hatten Arbeiter Juwelen zum Werthe von 300.000 Fr. gefunden, die sofort im Staatsschatze abgeliefert wurden. In den Zimmern des flüchtigen General Jacqueminot steckte ein Mann für 80000 Francs Werthpapiere bei, Arbeiter verhafteten ihn indeß und brachten ihn zur Präfektur, wo sich denn herausstellte, daß er ein entlassener Sträfling sei.

Ueberhaupt war man gegen Diebe unnachsichtig; ein Mensch, der einen silbernen Löffel gestohlen, wurde auf dem Flecke niedergeschossen. Die Zeitungen berichten auch sonst noch viele Züge von dem Edelmuthe und der Uneigennützigkeit des Volks, von armen Leuten, welche Geldgeschenke zurückwiesen, mit Lebensgefahr fremdes Eigenthum beschützten u. dgl. m. An dem verhängnißvollen Donnerstage klebte ein Mann in der Rue Richelieu ein Papier an, auf welchem das Haus bezeichnet war, wo man die Minister Guizot, Duchatel und Hebert versteckt finden werde. Ein Nationalgardist riß aber den Zettel wieder ab und rief dem sich ansammelnden Volke zu: »Wer so feig denunziert, hat nicht in unsern Reihen gefochten.« Diese Rede erntete allgemeinen Beifall.

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Banditen und Plünderungen. Am Abend des 27. wurden mehrere Posten der Nationalgarde auf ein Individuum aufmerksam gemacht, welches gewisse Häuser mit einem Kreuze anstrich und sie so der Plünderung bezeichnete. Man gab das Signalement dieses Mannes, welcher [ 169 ] eine weiße Blouse trug. Alsbald stellten mehre Patrouillen dem Banditen nach, und eine derselben begegnete ihm in der Nähe der Straße Transnomain. Man rief ihm »Wer da!« zu und befahl ihm sich in die Reihen der Patrouillen zu begeben. Dieser Mensch näherte sich dem Offizier, welcher seinen Soldaten voranging und schoß eine Pistole auf ihn ab, welche ihn glücklicherweise nicht traf. Plötzlich erfolgte eine Ladung und der Bandit stürzte todt zu Boden.

Gegen das Dorf Maison-Lafitte war ebenfalls eine Bande Plünderer ausgerückt, unter Kundgebung der Absicht die Brücke zu vernichten. Die Nationalgarde von Maison eilte herbei, und da sie sich nicht stark genug glaubte, so schickte sie um Verstärkung nach Saint-Germain. Eine mäßige Anzahl Nationalgarden, von Dragonern aufs Pferd genommen, langte in kurzer Zeit aus dieser Stadt an. Der Kampf begann, und nach den gesetzlichen Aufforderungen wurde die Zusammenrottung mit Gewalt auseinander getrieben, und das Schloß wurde gerettet.

Bei der Verwüstung und Verbrennung des Schlosses von Neuilly ereignete sich folgende furchtbare Episode. Die Banditen, nachdem sie die Thüren gestürmt, stürzten sich die Einen in die Gemächer, die Anderen in die Keller. Letztere fanden allerlei Weine und ein Faß Rum, welches sie mit einem Beile eröffneten. Einige Augenblicke darauf waren sämmtliche Plünderer betrunken; eine furchtbare Scene entspann sich alsdann unter diesen Elenden und es fand ein grauenvoller Kampf statt; die hundert oder hundertdreißig im Keller Befindlichen schlugen sich mit Flaschen und lagen bald darauf verwundet oder berauscht zu Boden gestreckt. Während dieses Zwischenfalles aber hatten die in den Gemächern Zurückgebliebenen, nachdem sie Alles verwüstet und geplündert, das Schloß in Brand gesteckt und sich [ 170 ] zurückgezogen. Bald wurde das Feuer so heftig, daß man es nicht mehr bewältigen konnte. Die Flammen verheerten bald die Gebäude und die Hundert Unglücklichen, welche in den Kellern schliefen, kamen durch das Feuer um oder wurden durch den Rauch erstickt. Als man später die Keller räumte, fanden sich hundert bis hundertzwanzig Leichen vor, deren mehre noch an dem Gesicht die Spuren des wilden Kampfes trugen.

Nationalgarde und Linie auf der Seite des Volks. Ein Bataillon Nationalgarde hatte die Rue Lepelletier besetzt; ein Peloton schloß die Straße am Boulevard. »Vive la Garde Nationale!« rief ihr das Volk zu. Eine Schwadron Kuirassiere mit einer halben Schwadron berittener Jäger ritt auf sie zu; der Offizier commandierte den Säbel zu ziehen. Da schloffen sich die Reihen der Nationalgarde. Die Schwadron machte eine halbe Bewegung gegen die Rue Lepelletier; da trat der commandierende Offizier der Nationalgarde, den Degen ziehend, auf den Offizier der Kuirassiere zu, salutierte ihn und wechselte einige Worte mit ihm. Gleich darauf trennten sie sich; der Letztere ritt an die Spitze seiner Schwadron und commandirte: »Schwenkt! marsch!« Unter dem Hurrah und Händeklatschen der Menge zog die Kavallerie ab. Der Offizier der Nationalgarde steckte ruhig feinen Degen in die Scheide und kehrte zu einen Leuten zurück.

Zwischen den beiden Offizieren hatte folgendes Gespräch stattgefunden:

»Wer sind diese Leute?«

»Das Volk«

»Und Jene in Uniform?«

»Die zweite Legion der Nationalgarde.« ,"

[ 1'71 ]»Das Volk muß auseinandergehen.«

»Es will nicht.«

»So werd' ich Gewalt brauchen.«

»Mein Herr, die Nationalgarde sympathisiert mit dem Volke, – dem Volke, welches Reform fordert; wir werden das Volk vertheidigen.«

Ohrenzeugen versichern, daß hierauf der Offizier und die Kuirassiere »vive la Réforme!« riefen, was indeß nicht verbürgt werden kann.

Rückblick

Gestatten wir uns hier einen Ruhepunkt, um noch einmal diesen gewaltigen fast zauberhaften, in wenig Tagen vollbrachten Umsturz aller staatlichen Grundlagen eines großen Reiches in seinem Brennpunkte zu erfassen.

Als jener furchtbare Aufstand in Paris ausbrach, besorgte Niemand eine Umwälzung; die republikanische Partei selbst welche jetzt herrscht, wagte nicht eine solche zu hoffen. Der ganze Bürgerstand, das war offenkundig, hatte nur eine constitutionelle Monarchie vor Augen, ja hatte Furcht und zeigte Abneigung vor der Republik. Man sprach das Wort gar nicht aus. Es galt nur, ein Ministerium zu stürzen, welches durch eigensinnige Hartnäckigkeit die öffentliche Meinung auf allen Punkten herausgefordert hatte, welches den Fortschritt auch in unverfänglichen Formen hemmte und versagte, und welches den Grundgedanken Frankreichs, den der Freiheit, im Auslande zu verrathen schien. Letzteres hat Guizot mehr geschadet als alles Uebrige, denn es beleidigte den Nationalcharacter, der seine Eitelkeit und seine Würde damit nährt, daß Europa in allen Formen der Freiheit von Frankreich geleitet und geschützt werde. Unter solchen Umständen [ 172 ] begann die Volksbewegung. Eine solche galt in Paris für ungefährlich, so lange der Bürgerstand, welcher die Nationalgarde bildete, nicht geradezu Partei nahm für den Aufstand, und so lange man auf die Armee sicher zählen zu können glaubte. Das pariser Schlachtfeld, zwischen den Boulevards, Quais und der beide verbindenden St.-Honoré-Straße gelegen, war militairisch genau berechnet und durch einen ausgeführten Plan des Generals Gérard für jede Vorkommenheit sichergestellt. Noch in letzter Zeit hatte man Straßen durchbrochen nach der Seine hinab, um das Terrain für die militairische Bewegung ganz frei zu machen. Man brauchte gar nicht weiter zu denken und sich auf die Forts zu stützen, denn man zweifelte nicht einen Augenblick an der Festigkeit der Truppen, durch welche selbst der grimmigste Aufstand zu ersticken gewesen wäre. Von der Nationalgarde versah man sich allerdings schlechter Dienste, aber doch nur insoweit, daß sie den Aufstand nicht eben bekämpfen werde. Dazu bedurfte man aber ihrer nicht, man hatte Truppen genug, und wenn sie sich selbst mit dem Aufstande vereinigte, so wußte man doch, daß sie es im äußersten Falle nicht weiter treiben würde, als zu einem Sturze des Ministeriums. Das war Alles richtig und erwies sich doch gründlich falsch, als der Drang der Begebenheiten seine eigenen Gesetze entwickelte. Der vertriebene König weiß jetzt, daß ein Aufstand sich nicht berechnen läßt, und wir wissen, daß ein plötzlich entwickeltes Element alle Verhältnisse unabsehbar verändern kann.

Diese plötzliche Entwickelung eines pathetischen Elements trat ein am Mittwoch (23) Abend, vor dem Hotel des auswärtigen Amts auf dem Boulevard der Kapuzinerinnen. Der Aufstand war bereits entkräftet durch Entlassung des Ministeriums Guizot, er fiel zusammen in machtlose Versuche der äußersten Partei, die ohne Schwierigkeit wegzuräumen waren, Paris war bereits illuminiert und der Friede hergestellt [ 173 ] – da commandierte ein Offizier an jenem Hotel ohne dringende Noth Feuer! Die Orleans'schen Jäger schossen unter einen unbewaffneten Menschenhaufen, der nur lärmte und drängte, es fielen an die fünfzig Menschen, der Haufe floh und eine Revolution brach aus. Man fuhr die Leichen der unschuldig Erscossenen durch die Straßen, man hielt sich für betrogen, man schrie nach Rache, und dieses leidenschaftliche Moment riß Alles, Alles mit sich fort, auch Diejenigen, welche nicht im Entferntesten an einen Umsturz der ganzen Regierung gedacht hatten. Jedermann, auch der Ruhigste, erinnerte sich augenblicklich, daß diese Regierung immerdar ohne ein freimüthiges, edles Prinzip und immerdar durch geschickte Ausbeutung augenblicklicher Vortheile geherrscht habe; das zufällige Commando jener Schüsse erschien. Jedermann flugs als eine abscheuliche Consequenz des ganzen Systems. Ein Kampf auf Leben und Tod, zu welchem man sich im Sturm berechtigt und verpflichtet glaubte, entzündete sich, und jede Abstufung der Parteien war mit Einem Male zertrümmert, Alles war. Ein feindlicher Mann gegen die Regierung. So brach der Donnerstagmorgen an. Umsonst ging nun der König weiter und weiter in Bewilligungen und ließ in der Frühe ein Ministerium Thiers-Barrot verkündigen. Niemand hörte mehr darauf. Dieses neu ernannte Ministerium hatte wahrscheinlich nur die einzige Folge, daß der Rest von Schutzwehr, welcher vom Linienmilitair gehofft werden konnte, auch noch verloren ging. Thiers drang nämlich darauf, dem Volke friedliche Absichten zu zeigen und die Truppen zurückzuziehen. Befehle und Gegenbefehle haben also offenbar in den letzten wichtigsten Stunden die Kraft der Truppen geschwächt. Großer Nachdruck ist freilich auf diese Bemerkung nicht zu legen, es ist deutlich genug, daß die Truppen überhaupt so vorsichtig und prüfend, als die Disciplin es irgend gestattete, auftraten, daß sie sich fortwährend [ 174 ] und über die soldatische Verpflichtung hinaus als Franzosen zeigen wollten, und daß sie am entscheidenden Vormittage das anfluthende Volk nicht bekämpften, sondern begünstigten. Die Frage liegt nahe, ob dies ein national-französisches Symptom oder ob es ein allgemeines ist, das heißt, ob in einer demokratischen Zeit das speziell soldatische Element mit Sicherheit angewandt werden könne im Kampfe mit Landsleuten. Es ist nicht zu verkennen, daß in Frankreich die Ueberschreitung soldatischer Disciplin im Vergleich zur Julirevolution, seitdem viel auffallender und ärger geworden ist. Die 30.000 Mann, welche Marmont damals befehligte, hatten bei weitem nachdrücklicher gefochten, als die 60.000 Mann welche jetzt vorhanden waren. Die Fluth des Aufruhrs konnte sich in den letzten zwei Stunden fast unaufgehalten bis dicht an die Tuilerien wälzen, und wozu sonst ein mörderischer Sturm nöthig gewesen wäre, zur Erstürmung des Schlosses, war diesmal nur ein Scharmützel erforderlich. Denn nur die Munizipalgarde, eine Elitentruppe, that ohne Rückhalt ihre militairische Schuldigkeit. So kam die Revolution an ein Ziel, welches weit über die Wünsche und Erwartungen Derer hinauslag, welche zu vier Fünftheilen mitgeholfen hatten. Auf den Schultern einer Nationalgarde, welche einen Aufstand für die Republik auf Leben und Tod bekämpft hätte, kamen die Republikaner ans Ruder, und diese erklärten zum Schrecken jener vier Fünftheile, in aller Hast die Republik. Dies war eine so überraschende Wendung, daß sie auf ein Haar einem Theatercoup ähnlich sah. Und doch gewann sie Bestand und verändert nun das Ansehen und Wesen ganz Europa’s. Innerhalb der ersten 24 Stunden, ehe die neue Idee Form gefunden hatte in den gährenden Gemüthern, war es vielleicht möglich, eine monarchische Form zu retten. Aber wer war im Stande, die conservativen Elemente aus dem Tumulte zu ziehen und um sich zu vereinigen? Ein in Kämpfen erfehrener [ 175 ] und allgemein geachteter Mann wie Lafayette war nicht vorhanden. Der Einzige, welchem man auch im Aufruhr den Titel eines »homme intègre«, eines reinen Characters nicht verfagte: Lamartine, stand schon bei der provisorischen Regierung, und der Kundige mußte sich erinnern, daß er in seinem letzten Buche gesagt: »Es gibt Zeiten, für welche die republikanische Regierungsform die beste ist.« Die Kammer war gerichtet und genoß nicht das geringste Ansehen. Nicht einmal Muth hatte sie gezeigt, als die Blousenmänner in ihren Saal eingedrungen waren. Die Führer des Heeres, alle mehr oder minder, waren kompromittiert für die gestürzte Herrschaft und ohne durchgreifende Popularität bei den Truppen, das Heer überhaupt ohne sichtliche Haltpunkte. Die Nationalgarde schien zwar nicht geneigt, die Republik aufkommen zulassen, aber schwerlich geneigt, Alles daran zu setzen gegen eine zum Aeußersten entschlossene, furchtbar zahlreiche und jetzt in der Schlacht siegreiche, sich von Stunde zu Stunde fester organisierende Handwerkerbevölkerung. Endlich zu alle Dem eine in allen Ständen tief eingewurzelte Gleichgültigkeit gegen den Werth von Dynastien, und diese nur nach dem Grade der Nützlichkeit abschätzend. In der sogenannten »nützlichsten« so eben wieder getäuscht, wofür sollte man sein Leben in die Schanze schlagen? Denn eine Gegenrevolution, das wußte man, forderte nun einen Kampf Mann an Mann, nicht blos massenhafte Demonstrationen, wo unter Tausenden Einer getroffen wird. In diesem Betrachten und Abwägen, verstrichen die kostbaren Stunden, und Das, was in dem Grunde der Seelen Frankreichs lange lag, das that seine Wirkung. Was ist das? »Jede Form ist gut, wir müssen sie nur geschickt anfassen, und dafür sind wir Franzosen!« Dies ist ihr Credo. Die Ueberzeugungen sind erschöpft, Spekulationen gewinnen die Oberhand. Und so ist denn das Wunderbare wirklich geworden: man hat die plötzlich entstandene Republik nicht anzugreifen gewagt, man hat sich erst unwillig, dann bereitwillig in sie hineingedacht, sie hat sich befestigt. Ihre Führer ferner haben den Augenblick zu nützen gewußt und haben für ihre Freunde und ihre Feinde zwei Gedanken als Gesetzesvorschläge ausgesprochen, welche die Freunde fefsseln und die Feinde gewinnen. Für die Freunde die Verheißung: »Wir werden die Arbeit regeln und Jedermann soll Arbeit, jede Arbeit ihren entsprechenden Lohn haben.« Eine Fanfaronnade, für deren Verwirklichung ganz Europa die provisorische Regierung segnen würde, wenn sie sich realisieren ließe. Aber an der Fanfaronnade ist das wichtig und bedeutungsvoll, daß diese Lebensfrage unserer Zeit nun endlich einmal in ihrer ganzen Confequenz angegriffen, daß deren Lösung radical versucht werden soll. Sieht man auch voraus, daß dies nicht ohne Weiteres gelingen kann, so ist das vollständig in's Leben getretene Experiment doch allein schon im Stande, Aufmerksamkeit und Theilnahme zu erzwingen. Die Enttäuschungen und die Kämpfe der neuesten Doctrinen stehen drohend im Hintergrunde, aber die so naiv geöffnete Arena wird geschützt durch die unmittelbar Betheiligten und wird interessant für die zusehenden Franzosen, welche in der Stille flüstern: »Voyons, wir werden doch wieder Europa zeigen, daß wir an der Spitze gehen.« Dies für die Freunde und die Zuschauer; für die Feinde aber die Verkündigung: Kein Todesurteil mehr für politische Verbrechen. Damit ist der Gedanke an den blutigen Terrorismus der neunziger Jahre ausgestrichen, und alle Parteien athmen auf, und alle Führer beeilen sich der neuen Regierung ihre Dienste anzubieten, Leute wie Bugeaud und Thiers an der Spitze. Rechnet man schließlich noch hinzu, daß das Wort Restauration dem Franzosen ohnehin so viel bedeutet als das Wort Unglück, so liegt die Summe unserer Darstellung vor Augen. Sie heißt: [ 177 ] die französische Republik hat unzweifelhafte Dauer gewonnen. —

» Wir wiederholen es: die Republik hat Bestand gewonnen in Frankreich, um nicht zu sagen, es ist gar nicht abzusehen, wo eine Aenderung zu monarchischer Form herkommen solle. Aenderungen genug, Aenderungen in Schaaren werden kommen, aber nicht eine Aenderung der Grundform. Es gibt keinen Prätendenten mehr! Augenblicklich gewiß nicht, und gerade derjenige, welcher geschichtliche Ansprüche hat, der hat auch nach dem jetzt vollendeten Umschwunge die allermindeste Aussicht. Man ist in die Bahn der Selbstbestimmung eingetreten und vermeidet nun absichtlich jeden Schimmer einer dynastischen Berechtigung. Der letzte Rest von geschichtlichem Anspruch ist in der jüngern Bourbonenlinie, in den Orleans soeben zu Grunde gegangen. Die Herzogin von Orleans war im höchsten Grade, geachtet, sie hat sich unter den stotternden Männern betragen wie eine Heldin, und deutsche Herzen mit Stolz und Bewunderung erfüllt über solche herzhafte Haltung einer deutschen Landsmännin, aber sie blieb allein, sie ist im Sturme weggeweht worden, und man kommt in einem schaffenden Staatsleben, wie Frankreich dies hat, nicht zurück auf »Ausbesserungen,« wenigstens gewiß nicht ohne Zwang. Und wer zwingt eine solche Nation, und wer hat die verunglückte Restauration vergessen! Den Prinzen von Joinville hätte man beachtet, wenn ein Uebergang und nicht ein Sprung eingetreten wäre. Jetzt ist nicht mehr daran zu denken, daß man auf einen Uebergang zurückschritte, und der populaire Prinz ist gegenwärtig in ähnlicher Lage wie Thiers, der ebenfalls übersprungen worden ist, und der sich nun trotz seiner Vergangenheit durch ganz neue Anstrengungen geltend machen müßte. Ein orleanscher Prinz kann aber selbst dies nicht: nach eingesetzter Republik verschließt ihm das Voturtheil gegen [ 178 ] sein Herkommen jede unbefangene Würdigung von Seiten der Nation. Mit Einem Worte, es gibt gar keinen Prätendenten aus dem Hause Orleans mehr! Haben wir nicht gesehen, wie wurzellos diese Dynastie geblieben? Fast 18 Jahre hatte alle Welt gedacht, geglaubt und gesagt, diese Familie habe sich durch ihre Vorzüge tief eingebürgert. Und wie seltene Vorzüge hatte sie wirklich! Zahlreich in Söhnen, klug, schön, tapfer, musterhaft im Familienleben, und da sie in ihrem Haupte gestürzt wird, sehen wir, daß sich nicht ein Arm für sie erhebt, daß nicht einmal der Anstand auch nur scheinbarer Treue für sie beobachtet wird, daß nicht ein Städtchen, nicht ein Flecken Miene macht, an ihr zu hangen oder gar zu halten. Und gibt es sonst einen Prätendenten? Ein Ruf für Heinrich V. ist nicht bekämpft, nein, ausgelacht ist er worden, und die Legitimisten von Einsicht gehen bereits mit entfalteter Fahne zur Nation über. Sie ergreifen die Gelegenheit, ihre Logik zu retten, welche bisher immer auf die gründliche Entscheidung der Nation sich berufen hatte. Kein Zweifel, daß Manche der Meinung sind, auf diesem Wege zuletzt wieder beiden ältern Bourbons anzulangen, aber wer Frankreich kennt, der hat der jetzigen Zeichen nicht bedurft, um zu wissen: es ist kein Bourbon möglich als Prätendent. Ob eine Napoleonide möglich ist, bedarf keiner Antwort. Der abenteuerliche Ludwig Napoleon hat sich angekündigt, hat sich aufgemacht, ist in Paris angekommen und hat die Erfahrung machen müssen, daß man ihn gar nicht bemerkt hat. Kein einziger geschichtlicher Name hat jetzt in Frankreich einen Schimmer monarchischer Zukunft. Schritte man wieder zur Monarchie, so würde man eher noch einen Mann ohne Ahnen wählen, und seine Wahl wie seine Bestallung würde in allem Wesen, der Wahl und Bestallung eines Präsidenten gleichen. Zunächst ist nur Eins übrig, ein Dictator. An Sturm und Krieg wird es nicht fehlen, sentimentale Politiker [ 179 ] allein können sich darüber Täuschungen hingeben; Sturm und Krieg bringt aber in allen Zeitaltern und allen Verhältnissen Dictatoren zuwege. Zu welcher Macht, zu welcher Dauer ein solcher gelangen kann, ist von keinem Menschenkinde vorauszusagen. Eben so wenig, ob dadurch das monarchische Princip eine Hilfe erhält. Wir wissen nur aus geschichtlichen Studien, daß die Napoleons nicht auf den Bäumen wachsen, und daß man nicht im voraus auf eine so überwältigende Persönlichkeit rechnen kann. Rechnen können wir im Augenblicke nur darauf, daß zunächst in Frankreich keine Rückkehr zur Monarchie eintreten wird, und daß die französische Republik nicht die Form der nächsten Tage, sondern der nächsten Zeit sein wird, einer Zeit, deren Verlauf wir durchaus nicht absehen können.

Welche ernste Bedeutung liegt darin: Eine Republik von Franzosen! Trotz aller Gegensätze, die zwischen uns und Franzosen tiefbegründet herrschen, übt Frankreich doch eine stärkere Anregung auf uns aus als irgend ein Nachbar, ja die stärkste. Wir sind auf gleicher Bildungshöhe, und wenn wir an Tiefe und Nachhaltigkeit uns über ihn setzen, so räumen wir ihm doch ein, daß er uns an Behendigkeit der Form übertreffe. Unser Instinkt leitet uns, daß wir in diesem Punkte Anregung und Ergänzung von ihm annehmen. Wenn er also eine neue Form probiert, so findet er bei uns gespannte Aufmerksamkeit. Sehen wir nur auf die letzten Wochen zurück. Sobald der Franzose begann, begann auch bei uns die Spannung, die Unruhe, der Drang, die Bewegung. Wie viel wir auch an den Franzosen nicht mögen, weil sie eben ein ganz anderes Volk sind, wie lebhaft wir uns gegen sie ereifern, wenn es sich um Mein und Dein handelt zwischen ihnen und uns, es besteht doch eine unmittelbare Verbindung zwischen ihnen und uns, gleichsam eine elektrische Kette oder galvanische Batterie. Ein Schlag bei ihnen ist auch ein Schlag [ 180 ] bei uns, und wenn wir auch vielleicht oft der entgegengesetzte Pol sind von Dem, was sie anfangen, ein ergänzender Lebensaustausch besteht fortwährend zwischen ihnen und uns Dies vorausgeschickt, denke man sich den Gedanken aus, und spreche man sich aus, was es heißt: Unsere Nachbarn im Westen experimentieren mit der Republik! Wir sprechen nicht von Adel und Titeln, welche drüben bereits in die Luft flogen. Dies ist das Geringste. Aber der Begriff der Erblichkeit hat hundert Folgerungen, und dieser Begriff wird drüben, so weit es nur irgend mit den gebieterischen Anforderungen natürlicher Gefühle vereinbar ist, beseitigt werden, und bei uns, einer viel mehr familienhaften Nation, wird doch dieser Begriff geltend bleiben wollen und geltend bleiben, auch wenn alle jetzt gründlich geforderten Reformen durchgesetzt und eingeführt sind. Welche Wallungen, welche Strudel! Unvermeidlich stehen sie uns bevor. Ist es nicht selbstmörderische Vermessenheit, nur einen Augenblick daran zu zweifeln, daß wir uns jetzt nach all jenen Grundsätzen neu zu constituieren haben, welche im allgemeinen Bewußtsein deutscher Nation Berechtigung und Geltung erlangt haben? Selbstmörderische Vermeffenheit wäre es, nur einen Augenblick zu zögern, Gesund müssen wir sein, um in der neuen vom Westen herüberdrängenden Atmosphäre dauern zu können, und gesund ist eine Nation nur, wenn ihr inneres Leben entsprechenden Ausdruck findet in der Gestaltung ihres Staats, Wie kurzsichtig also, jetzt auf Forderungen zu schelten, welche sich in allen Staaten Deutschlands erheben. Was da auch von unlautern Beweggründen, von übertreibenden, weil unreifen Ansprüchen mit unterlaufen mag, im Kerne der Forderung spricht der Lebensinstinct der deutschen Nation. Je bereitwilliger und entschlossener man den berechtigten Forderungen entgegenkommt, desto sicherer ist man im Stande, den unreifen [ 181 ] Anspruch zurückzuweisen. Die Nation fühlt, was ihr bevorsteht, und jeder Patriot ist jetzt verpflichtet, jeglichen Parteistandpunkt aufzugeben und sich der neuen Constituierung des Vaterlandes auf den Grundlagen des allgemeinen Bedürfniffes anzuschließen.

Und wäre. Dies nur erst Alles, was uns bevorsteht von Frankreich! Dann hätten wir doch Zeit und Muße zu unsern neuen Einrichtungen, und – kämen vor gründlicher Ueberlegung vielleicht wieder nicht zu etwas Ganzem. Nein, die Geschichte drängt diesmal, glücklicherweise für unsere Bedenklichkeit, in furchtbar eilendem Schritte. Nicht nur die innere Welt Frankreichs, auch die Kriegswelt Frankreichs steht uns bevor, angreifend, unmittelbar. Kein Kundiger macht sich darüber eine Täuschung. Wie friedlich die Worte auch klingen vom Pariser Stadthause, wie ehrlich sie auch gemeint sein mögen von Manchem: die Verhältnisse sind stärker als die Absichten, und die Personen werden wechseln wie die Wolken am Himmel. Zwei Punkte stehen schon unverrückbar fest, und sie sind kriegesschwanger. Die neue Regierung ist gemacht und wird getragen von den Besitzlosen, und will und soll diesen helfen! Wie kann sie das! Wie kann sie die neue Aufgabe eines neuen Jahrhunderts in einem Monate lösen. Sie wird riesenhafte Anstalten machen, wird dadurch in manches andere Recht eingreifen, wird Geniales erfinden, ohne ein Ganzes aus dem Stegreife fassen zu können, wird den Widerstand vor sich, das Geschrei nach vorwärts hinter sich haben, wird fallen und stürzen, oder in Verzweiflung. Das thun, was ihre Nachfolger doch thun würden: die Dämme öffnen nach den Grenzen hinaus. Dies ist der eine Punkt. Der zweite Punkt liegt im Nationalcharakter der Franzosen. Es ist der Drang nach glorreicher Unternehmung. Dieser ist am Leichtesten befriedigt in stürmischer Waffenthat, und zur Waffenthat [ 182 ] sind sie Alle geschult und bereit. Die Lösung des socialistischen Problems wird. Wenigen überlassen bleiben, das geht so langsam, das geht so unscheinbar! Man will Thaten sehen, man will Erfolge haben. »Da sind die Lombarden – die unter fremdem Drucke seufzen! Leiden wir das, wir Franzosen, die eben die Orleans gestürzt, weil sie die Freiheit in Europa verrathen, weil sie sich mit der heiligen Allianz verbündet hatten? – Nein! Also Tambour voraus nach jenen Ortschaften und Flüssen, die wir Alle kennen, die uns kennen, nach Lodi, nach Arcole, nach Rivoli, an die Adda, an die Bormida, an den Mincio!« Ist dies wahrscheinlich? Ich fürchte, es ist unvermeidlich. So gegen Süden. Und was harrt im Norden? Das offene Belgien. Es harrt jetzt nicht allem Anscheine nach, es schließt sich eng zusammen um eine mühsam errungene, um seine freisinnige Regierung, um einen braven König, der sich als musterhaft bewährt hat, es möchte gern unabhängig und selbstständig bleiben. Aber die Verhältnisse sind, wie gesagt, stärker als die Absichten. Ein belgischer Kohlenfuhrmann wird vielleicht fluchen, daß der große französische Markt für Kohlen thörigt geschlossen sei durch eine Douane; eine Stadt wird finden, daß ihr Fabrikat sich doch viel besser verwerthen lasse nach Süden als nach Norden; ein Thor wird sich öffnen, was weiß ich welches! und der Strom wird einbrechen. Wozu die weitere Ausführung! Meines Erachtens wäre es ein Wunder, wenn kein Krieg losbräche. »Und wenn er losbricht, so reißt er auch uns in seine furchtbaren Kreise. Darum verhehlen wir es uns nicht wie der Vogel Strauß, der nicht gesehen zu werden hofft, wenn er selbst nicht sieht; verhehlen wir es uns keinen Augenblick: das deutsche Vaterland ist in Gefahr! Was ist zu thun? [ 183 ]