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Czytaj książkę: «Die Mohicaner von Paris», strona 59

Czcionka:

Während der Prinz so in tiefe Betrachtungen versunken war, erschien in der That die männliche Seite seiner Schönheit dem Verschwörer in ihrem ganzen Glanze. Das Gesicht des jungen Mannes drückte in diesem Momente alle Gefühle aus, die in seinem Herzen die Erzählung des treuen Gefährten seines Vaters erweckt hatte, das heißt, den Zorn und den Stolz, die Zärtlichkeit und die Kraft. Diese ausdrucksvolle Physiognomie, dieser Mund voll Verachtung, diese Augen voller Blitze, das war wohl die ideale Schönheit, die er für den Sohn seines Herrn geträumt hatte, und er beklagte es bitter, daß der General Lebastard de Prémont nicht da war, um ihn zu betrachten,

»Ich danke Ihnen noch einmal, mein Herr,« sagte der Prinz zu Sarranti, indem er seine großen, noch von Thränen feuchten Augen von der Erde aufschlug und ihm die Hand reichte; »ich danke Ihnen für die Freude und die Betrübniß, die Sie mir seit einer Stunde verursacht haben! . . . Es bleibt Ihnen nur noch mir zu sagen, was Ihnen begegnet ist, und was Sie seit dem Tage, wo Sie meinen Vater verließen, bis heute gethan haben.«

»Hoheit,« antwortete Sarranti, »es handelt sich nicht um mich, und ich würde mich als strafbar betrachten, wenn ich Sie kostbare Augenblicke verlieren ließe.«

»Herr Sarranti,« sprach der Prinz mit einer zugleich festen und sanften Stimme, die den alten Soldaten beben machte, – denn im Tone dieser Stimme hatte er gewisse Anklänge der Stimme seines ehemaligen Herrn erkannt; »Herr Sarranti, da diese Augenblicke, welche Sie mich verlieren zu lassen befürchten, die glücklichsten sind, die ich erlebt habe, so erlauben Sie mir Dieselben so sehr, als es mir möglich sein wird, zu verlängern. Ich bitte, antworten Sie mir aus alle meine Fragen.«

Sarranti verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams, und der junge Mann fuhr fort:

»Ich habe in den Zeitungen gesehen, daß Sie bei einem Complotte compromittirt waren, das meine Rückkehr nach Frankreich zu bewerkstelligen bezweckte; das ist schon sieben Jahre her. In einem schlechten Geiste geschriebene Brochuren haben mir den Namen von einigen Märtyrern geoffenbart; erzählen Sie mir ihr Leben, ihren Kampf, ihren Tod; verbergen Sie mir nichts! Ich habe, wie ich hoffe, einen Geist, der gemacht ist, um Alles zu begreifen, ein Herz, das gemacht ist, um Alles zu fühlen; entkräften Sie die Wahrheit nicht; seit langer Zeit träume ich die Stunde, die nun geschlagen hat, und ich bist aus Alles vorbereitet,«

Da erzählte der unermüdliche Verschwörer alle Einzelheiten des Complottes, welches ihn Frankreich 1820 zu verlassen bestimmt hatte, ein Complott, über das wir selbst ein paar Worte in einem der früheren Kapitel gesagt haben; alsdann führte er den jungen Prinzen mit sich nach dem Pendschab und zeigte ihm den Hof des Mannes von Genie, den man Rundschit Sing nannte; er sagte ihm, wie er hier den General Lebastard de Piemont gefunden, wie er, Sarranti, den durch den Tod des Vaters verursachten Schmerz dadurch gemildert habe, daß er dieses in der Tiefe Indiens verlorene Leben der Ergebenheit an den Sohn angeknüpft, und wie von diesem Augenblicke an der General und er nur noch eine Idee, einen Plan, ein Ziel gehabt haben: das große Unternehmen, zu dessen Vollbringung sie nach Wien gekommen – die Entführung von Napoleon II.

Der Prinz hörte mit besorgter Theilnahme und mit Bewunderung.

»Nun stehen wir einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber,« sagte er. »Ich kenne Ihren Zweck. Was sind Ihre Ausführungsmittel?«

»Sire, unsere Ausführungsmittel sind von zweierlei Art: die materiellen Mittel, die politischen Mittel. – Die materiellen Mittel sind Creditbriefe auf das Haus Arnstein und Eskeles in Wien, Grotius in Amsterdam, Baring in London. Rothschild in Paris; alle diese Credite vereinigend können wir aus mehr als vierzig Millionen rechnen . . . . Wir haben sechs Oberste, die für ihre Regimenter stehen; zwei von diesen Obersten werden vom 15. Februar an in Paris selbst in Garnison sein. Wir haben alle Generale des Kaiserreiches, welche dem Kaiserreiche treu geblieben sind. Was die politischen Mittel betrifft, so ist eine furchtbare Revolution im Begriffe, in Polen, in Deutschland, in Italien auszubrechen. Es bewerkstellige sich eine liberale Bewegung in Frankreich, und diese Bewegung wird, wie die von Enkelados, die Welt umwälzen.«

»Aber Frankreich . . . Frankreich?« fragte der junge Mann, der Sarranti nicht erlaubte, sich von dem Punkte zu entfernen, aus den seine Augen geheftet waren.

»Ist Eure Hoheit der Bewegung der Geister gefolgt?«

»Wie soll ich der Bewegung der Geister folgen? Man zieht beständig einen Schleier zwischen die Wahrheit und mich! Es kommen mir Gerüchte zu, und nicht mehr; Scheine blenden mich, und nichts Anderes.«

»Ah! Hoheit, dann wissen Sie nicht, wie günstig die Stunde ist, so günstig, daß die Revolution, findet sie nicht zu Gunsten Ihres Namens statt, zu Gunsten eines Mannes oder einer Idee stattfinden wird: dieser Mann ist der Herzog von Orleans, diese Idee ist die Republik.«

»Frankreich ist also unzufrieden, mein Herr?« »Es ist mehr als unzufrieden, Hoheit, es ist gedemüthigt.«

»Es schweigt indessen!«

»Wie das Echo. Hoheit.«

»Es biegt sich!«

»Wie der Stahl! . . . Frankreich wird den Bourbonen die Invasion von 1814, die Occupation von 1815 nicht vergessen; die letzte Lunte von Waterloo ist noch nicht verbrannt, und die Franzosen brauchen nur einen Vorwand, eine Gelegenheit, ein Signal, um die Waffen zu ergreifen; dieser Vorwand, die Regierung bietet ihnen denselben mit ihren Gesetzen über das Erstgeburtsrecht, mit ihren Gesetzen gegen die Preßfreiheit, mit ihren Gesetzen gegen die Jury; diese Gelegenheit, sie wird sich bieten, aus welchem Anlasse? ich weiß es nicht: aus Anlaß der ersten, der besten Sache; dieses Signal, wir werden es geben, Hoheit, sobald wir hier, unter der Hand, um unsere Bewegung zu unterstützen, das Ansehen Ihres Namens haben.«

»Aber.« fragte der Prinz, »welche Beweise können Sie mir hinsichtlich der Stimmung Frankreichs für mich geben?«

»Welche Beweise? Ah! nehmen Sie sich in Acht, daß Sie nicht undankbar gegen diese Mutter werden, welche Sie anbetet! Welche Beweise! Eine permanente Verschwörung seit 1815: der Kopf von Didier in Grenoble gefallen; die Köpfe von Tolleron, Pleignies und Carbonneau in Paris gefallen; die Köpfe der vier Serganten von la Rochelle aus den Grève rollend; Verton in Saumur erschossen; Caron in Strasburg erschossen; Tane sich die Adern im Gefängnisse öffnend; Dermoncourt nach den Ufern des Rheins fliehend; Carrel über die Bidassoa entweichend; Manouryl, der eine Zuflucht in der Schweiz findet; Petit-Jean und Beaume, die sich nach America begeben . . . Wissen Sie nichts von der Existenz des in Deutschland unter dem Namen Illuminismus geborenen, nach Italien unter dem Namen Carbonarismus verpflanzten und zu dieser Stunde, in der Dunkelheit der Katakomben unter dem Namen Charbonnerie in Paris wachsenden furchtbaren Bundes?«

»Mein Herr,« sprach der Prinz, während er aufstand, »ich will Ihnen einen Beweis geben, daß ich Alles dies weiß, – schlecht vielleicht, aber doch so gut. als ich es wissen kann. Ja, ich kenne die Namen von allen diesen Märtyrern; sind sie aber wirklich für mich gestorben, mein Herr? Conspirirten nicht Einige für den Herzog von Orleans? Didier, zum Beispiel! – Andere für die Republik: wie Dermoncourt und Carrel?«

Sarranti machte eine Bewegung.

Der Prinz ging an seine Bibliothek; er nahm von einem hinter den andern verborgenen geheimen Brette, auf welchem ein paar Bücher und einige Brochuren standen, einen Octavband und öffnete ihn bei der ersten Seite.

Er reichte sodann den Band offen Herrn Sarranti und sagte:

»Sehen Sie!«

Herr Sarranti las laut:

»Plaidoyer von Herrn von Marchangy, Generalprocurator, gesprochen am 29. August 1822 vor dem Assisenhofe der Seine, in der Sache der Verschwörung von la Rochelle.«

»Nun wohl,« sagte der Prinz, »acht Tage nach der Veröffentlichung dieses Requisitoriums ließ man es mir hier zukommen. Wer? ich weiß es nicht. Wie dem sein mag, unter dem Schwalle der Form habe ich den Grund errathen; wissen Sie nun, was für mich aus dieser Lecture hervorgegangen ist, mein Herr?«

»Nein, Hoheit.«

»Daß keines von diesen Complotten einen bestimmten, sicheren, unerschütterlichen Endzweck hatte. Ich bin ein positiver Geist, Herr Sarranti, und ich habe weder die glühenden Enthusiasmen der Corsen, noch die der Franzosen; ohne einen sehr entschiedenen Geschmack für die abstracten Wissenschaften zu besitzen, denke und handle ich doch mathematisch. Beklagen Sie mich, daß ich eher einem Menschen des Norden, als einem Menschen des Süden gleiche: das Wachs ist französisch, das Gepräge teutonisch . . . Nun wohl, ich sage Ihnen und ich wiederhole Ihnen, keine von diesen Verschwörungen hat mir ernst geschienen. Ich sehe wohl, daß die Revolution in allen Köpfen, daß die Freiheit in allen Herzen ist; ich sehe wohl, daß man die Regierung der Bourbonen umstürzen will, doch um ihr was zu substituieren? um welche Ordnung der Dinge an ihre Stelle zu setzen? Das suche ich vergebens, das sehe ich nicht.«

»Hoheit, es ist unbestreitbar das Kaiserreich, was man an die Stelle der bestehenden Regierung setzen wird.«

»Herr Sarranti!« sagte der junge Prinz den Kopf schüttelnd.

»Oh! was das betrifft, Niemand zweifelt daran, Hoheit!« erwiderte Sarranti mit Ueberzeugung.

»Außer mir. mein Herr,« entgegnete der Herzog von Reichstadt; »und das ist wohl Etwas bei den Umständen, in denen wir uns befinden!«

»Ei! Hoheit. Ihr Großvater Franz II. und Herr von Metternich sagen Ihnen das.«

»Nein, Herr von Marchangy.«

»Oeffnen Sie dieses Buch aufs Gerathewohl, Hoheit, und Sie werden auf der ersten, der besten Seite sehen, mit welcher wüthenden Begeisterung die Einwohnerschaften von Mennes, von Nantes, von Saumur, von Thouars, von Verneuil und von Straßburg dem Namen Napoleons II. zugejauchzt haben,«

»Gut, mein Herr,« sprach der junge Prinz, »wir wollen öffnen und sehen.«

Und den Band aufs Gerathewohl öffnend:

»Nehmen wir, wie Sie sagen, die erste, die beste Seite . . . Ah! das Buch ist offen; ich bin aus die Seite 212 gerathen. Lesen wir.«

›Es gab keinen fest verabredeten, bestimmten Entschluß, weil man über die Wahl der Regierung uneinig war . . . ‹

»Ich habe eine unglückliche Hand gehabt, wie Sie sehen, Herr Sarranti!« sagte der junge Prinz. »Wenden wir das Blatt um.«

Und er las:

›Die Einen wollten die Republik. die Andern das Kaiserreich . . . ‹

»Ah! Sie sehen Hoheit,« bemerkte eiligst Sarranti: »die Anderen das Kaiserreich

»Ei! wer sagt die Anderen, sagt nicht die Einen.

Die Anderen, das ist nicht ganz Frankreich! – Doch fahren wir fort.«

›Diese wollten einen fremden Prinzen . . . ‹

»Das waren schlechte Bürger!«

›Jene einen in der Volksversammlung gewählten Monarchen . . . ‹

»Bei dieser Rechnung, Herr Sarranti, bilden wir nur ein Viertel beim einstimmigen Wunsche der französischen Bevölkerung . . . Folgen wir dem Geschichtschreiber.«

›Man hatte also kein festes, entschiedenes Ziel, denn um etwas umzustürzen, muß man wissen, was man an seine Stelle setzen soll . . . ‹

»Das sagte ich Ihnen so eben, mein Herr, und zwar fast in denselben Ausdrücken. Es thut mir leid, daß ich mit diesem General-Procurator zusammentreffe; doch was wollen Sie! seine Meinung verstärkt die meinige.«

›Um zu rufen: Nieder mit dieser oder jener Ordnung der Dinge! muß man zugleich eine andere Regierungsform proclamiren können . . . ‹

»Das ist nur eine Wiederholung; doch um so mehr, mein Herr, dient diese Wiederholung zum Beweise, daß das Kaiserreich nicht der einstimmige Wunsch der französischen Nation ist.«

»Hoheit,« erwiderte voll Wärme Sarranti, »ich gestehe, daß das Princip, welches vor Allem den Geist Frankreichs bearbeitet, die Revolution und besonders der Haß gegen die Dynastie der Bourbonen ist. Man sucht freilich zuerst niederzureißen, wie der Mensch, der einen bösen Traum hat, vor Allem aufzuwachen sucht. Doch es zeige sich ein Führer, und Jeder wird zum Werke des Wiederausbaus schreiten. Was ist ein in der Versammlung des Volks gewählter Monarch, wenn nicht das Kaiserreich? was ist die Republik, wenn nicht das verkleidete Kaiserreich, mit einem Wahlkaiser zum Oberhaupte, unter dem Titel Consul oder Präsident? Was einen fremden Prinzen betrifft, wenn will man hiermit bezeichnen, wenn nicht Sie, Hoheit, einen im Auslande erzogenen französischen Prinzen, der Sie aber leicht beweisen werden, daß Sie nie aufgehört haben, Franzose zu sein? Sie sehen logisch und mathematisch? Desto besser, Hoheit. Sie sagen, die Revolution habe kein Ziel? Ich sage Ihnen, daß sie kein Haupt hat. Am Vorabend des 18. Brumaire hatte sie auch kein Ziel: am andern Tage war sie in Ihrem Vater verkörpert. Ich wiederhole Ihnen, Hoheit, es wird genügen, Sie zu nennen, daß alle wahre Patrioten sich erheben; es wird für Sie genügen, zu erscheinen, daß alle Meinungen sich vermengen, daß alle Parteien sich vereinigen: nennen Sie sich also, Hoheit, und erscheinen Sie.«

»Sarranti! Sarranti!’’ rief der Prinz, »geben Sie wohl Acht, welche Verantwortlichkeit Sie der Zukunft gegenüber auf sich nehmen, sollte ich scheitern, sollte ich die Rolle von Karl Eduard spielen, sollte ich das Andenken meines Vaters trüben, sollte ich den großen Namen Napoleon erniedrigen! Manchmal bin ich fast glücklich, daß man mir diesen Namen nicht gelassen hat; durch den Diebstahl, den man an mir begangen, ist er nicht Schimmer um Schimmer gestorben: das Schicksal hat daraus geblasen und ihn unter einem Sturme ausgelöscht! . . . Sarranti! Sarranti! gäbe mir ein Anderer als Sie einen solchen Rath, ich würde ihn nicht eine Secunde länger anhören!«

»Hoheit!« rief Sarranti, »ich bin nur das Echo der Stimme Ihres Vaters. Der Kaiser hat mir gesagt: ›Entreiße meinen Sohn den Händen des Mannes, der mich verrathen hat,‹ und ich komme, um Sie denselben zu entreißen. Der Kaiser hat mir gesagt: ›Setze auf die Stirne meines Sohnes die Krone von Frankreich!‹ und ich komme, um Ihnen zu sagen: ›Sire, kehren wir in die vielgeliebte Stadt Paris zurück, die Sie nicht verlassen wollten!‹

»Stille! Stille!« flüsterte der junge Mann wie wie doppelt erschrocken, – sowohl über den Rath, als über den Titel, den man ihm gab.

»Ja, Sire,« wiederholte Sarranti, »Stille. Stille in diesem Gefängnisse, wo Eure Majestät ein so schmerzliches Märtyrthum vollbringt! Doch die Zeiten sind nahe, wo wir Ihren großen Namen in der Sonne ausrufen können, mit solchen Stimmen, daß der Orkan ihn von Welle zu Welle bis an das Grab Ihres Vaters tragen wird! Brechen Sie also Ihre Ketten, brechen Sie Ihre Gitter, und lassen Sie uns gehen!«

»Sarranti,« sprach der Prinz mit einer festen Stimme, welche bezeichnete, wenn sein Entschluß einmal gefaßt sei, so werde er nie mehr davon abgehen, »hören Sie mich an. Vorausgesetzt, ich willige ein, Ihnen zu folgen, so muß ich, ehe ich diesen großen Entschluß fasse, mich noch lange mit Ihnen besprechen. Ich habe Ihnen tausend Einwendungen zu machen, die Sie besiegen werden, ich bezweifle es nicht: doch Sie begreifen, mein Freund, ich will nicht fortgerissen werden, ich will überzeugt sein. Mein Ehrgeiz war bis jetzt, bei der Armee eine einfache militärische Auszeichnung zu erlangen . . . Nun träume ich einen Thron, und welchen Thron? den von Frankreich! Sehen Sie, welchen Weg Sie mich in ein paar Stunden haben machen lassen; sehen Sie, mit welchen Riesenschritten wir, seit dem Sie hier, marschiert sind! Gönnen Sie meiner Seele den morgigen Tag, um sich zu erholen, Sarranti; bis dahin werde ich mich in der Einsamkeit und in der Stille im Tragen der großen Rüstung meines Vaters versucht haben; und Sie werden hoffentlich einen Mann an dem Platze finden, wo Sie ein Kind gelassen haben. Aber heute, mein Freund, ist mein Herz voll von so verschiedenartigen Gefühlen, daß ich unfähig wäre, mit Ihnen mit der für die Ueberlegung eines so weit umfassenden Planes nothwendigen Kaltblütigkeit zu sprechen. Geben Sie mir vierundzwanzig Stunden, Sarranti: im Namen meines Vaters, mit dessen Schatten ich mich zu berathen habe, verlange ich sie von Ihnen.«

»Sie haben Recht, Hoheit,« erwiderte Sarranti mit einer Stimme, welche eben so zitternd, als die des jungen Prinzen feierlich war. »Ich bin selbst weiter gegangen, als ich gehen wollte: hier eintretend, wollte ich mit Ihnen nur von Ihrem Vater reden, und unwillkürlich bin ich dazu hingerissen worden, daß ich von Ihnen sprach.«

»Uebermorgen also, wenn Sie wollen, mein Freund.«

»Uebermorgen, Sire, zur selben Stunde.«

»Zur selben Stunde . . . Sie werden die Liste der Generale, der Obersten und der Regimenter bringen, über die Sie verfügen zu können glauben; sodann eine Postkarte von Europa. Ich will mir Rechenschaft von der Entfernung geben, die wir zu durchlaufen haben. Kommen Sie mit einem Worte hierher mit einem wohlentworfenen Fluchtplane, und mit Ihren in ein paar Zeilen entwickelten Projekten.«

»Hoheit,« sagte Sarranti, »es ist eine Person, der ich nicht zu danken wage.’aus Furcht, Verdacht zu erregen; diese Person werden Sie vor mir sehen; ich bitte Sie inständig, danken Sie ihr in meinem Namen! Nach Ihnen, Hoheit, hat sie das Recht, über mein Leben zu verfügen.«

»Seien Sie unbesorgt,« erwiderte der Prinz erröthend.

Und er reichte seine Hand Sarranti, der sie. statt sie zu drücken, ehrfurchtsvoll küßte, wie er St. Helena verlassend dem Kaiser die Hand geküßt hatte.

CV
Montrouge und Saint – Acheul

Ueberlassen wir Rosenha ihrer Liebe, den Herzog von Reichstadt seinem Traume, Sarranti und den General Lebastard de Premont ihrer Hoffnung, und kehren wir nach Paris, das heißt zu dem wahren Mittelpunkte der Ereignisse, welche unsere Erzählung bilden, zurück. Eine große Arbeit erwartet uns dort, und wir rechnen aus die geduldige Neugierde unserer Leser, daß sie uns dieselbe vollbringen helfen.

Es handelt sich darum, einen Moment Halt zu machen und während dieses Moments einen forschenden Blick aus das Jahr 1827 zu werfen, dessen Thore wir öffnen, und das eines der merkwürdigsten des Jahrhunderts ist.

Im ersten Kapitel dieses Buches, – und bemerken Sie wohl, liebe Leser, daß wir schon davon durch Bände getrennt sind, welche dem Umfange eines gewöhnlichen Romans gleich kommen, – im ersten Kapitel dieses Buches, wo der Verfasser den Vorhang von der Scene seines Dramas ausgehen läßt, hat er es versucht, seinen Lesern einen Begriff von dem zu geben, was das physische und moralische Paris jener Epoche war.

Es ist nun Zeit, zu sagen, zu dieser Stunde, wo der Kampf von vier großen Parteien: der royalistischen, der republikanischen, der bonarpartistischen und der orleanistischen, beginnt, was das politische, philosophische und artistische Frankreich derselben Epoche war.

Wir werden dies so rasch als möglich thun, und dennoch dränge man uns nicht zu sehr in unserem Gange: wir sind auf dem geraden Wege angelangt, der zu 1830 führt. Wie aus der Straße von Daulis nach Theben, werden wir nun den Sphinx treffen und ihn, ein moderner Oedipus, zwingen, uns das Räthsel der Revolutionen zu sagen.

Leser, oder vielmehr Freunde, vollbringen Sie also geduldig mit uns die fromme Pilgerfahrt, die wir nach der Vergangenheit machen; in der Vergangenheit muß man das Geheimnis der Zukunft suchen. Die Gegenwart hat fast immer eine Maske, und die Vergangenheit, heraufbeschworen durch die Stimme der Geschichte, aus ihrem Grabe hervorgehend wie Lazarus, die Vergangenheit antwortet allein aufrichtig. Kehren wir also einen Augenblick zur Vergangenheit zurück, die unser Vater ist. die der Großvater unserer Kinder und der Urgroßvater unserer Enkel sein wird.

Ueberdies vergessen wir zu sehr, wie mir scheint, diese Genesis unseres Jahrhunderts. Eine der großen Krankheiten unserer Zeit, wo man so rasch unter den Unruhen lebt, wo man so schnell von den Ereignissen zu den Katastrophen fortgerissen wird, ist das Vergessen. Das Vergessen ist aber beinahe immer der Undank.

Dieses Axiom, das wir hier aussprechen, wäre besonders aus uns anwendbar, würden wir das große Jahr 1827 vergessen. In der That, das Jahr 1827 ist der Monat April des neunzehnten Jahrhunderts: wie im Monat April der Frühling erwacht und zuckt, der im Monat Mai mit seinem Blüthenhaupte die Eislage brechen wird, mit welcher die Erde noch bedeckt ist, so erwacht und zuckt vom Jahre 1827 an die Freiheit, welche ganz gerüstet und glänzend aus dem vulkanischen Boden von 1830 hervorspringen soll.

Was ist hinter den fernen Dünsten verborgen, die sie die Augen öffnend erschaut? Sie weiß es nicht; doch die große Beschäftigung dieses Traumes, der ihrem Leben vorherging, ist der Kampf gegen Alles, was sie am Blühen und Früchtetragen verhindern kann.

In einem Buche, welches wir geschrieben haben, das aber noch nicht erschienen ist55, haben wir eine andere, ebenfalls gigantische, ebenfalls für Frankreich herrliche Epoche die Revue passieren lassen! Diese Revue war die der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, wo Alles sich bewegt, wo Alles sich verwandelt, wo Alles sich erneuert.

Nun wohl, im Jahre 1827 ist es auch die Wiedergeburt, die politische, philosophische und artistische Wiedergeburt; es ist der Kampf aus Leben und Tod des Lichtes gegen die Finsternis. der Freiheit gegen die Unterdrückung, der Zukunft gegen die Vergangenheit.

Die Gegenwart ist oft nur das Schlachtfeld.

Die Arena ist Paris.

Von Paris, dem lichtvollen Herde, gehen alle Strahlen aus, welche die Welten erleuchten sollen, die einen aufhellend, die andern in Brand steckend!

Warum dies?

Weil das ein Volk von Gläubigen ist, das sich rührt; alle diese Menschen werden gewiß siegen, denn sie kämpfen voll Aufrichtigkeit und glauben das, was sie wünschen.

Wir sind ein wenig heute in Betreff der Revolution von 1830, was das Directorium in Betreff der von 1789 war: wir verspotten sie, und wir leben davon. Doch die zukünftigen Generationen, – das ist wenigstens unsere Hoffnung, – werden, immer unparteiischer als die Zeitgenossen, den großen Männern jeder Art, welche der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts einen so blendenden Glanz verleihen, Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Ich weiß, – und Madame Roland, welche sich, ihre eigene Größe nicht kennend, in ihren Denkwürdigkeiten beklagt, daß es nicht einen einzigen großen Mann in dem großen Jahre 92, einem Jahre der Riesen, gebe! Madame Roland ist da, um mir als Beispiel zu dienen, – ich weiß, sage ich, daß sich die Schatten der großen Männer der Vergangenheit immer zwischen uns und die großen Männer der Gegenwart stellen und uns verhindern, unsere Zeitgenossen in ihrem wahren Lichte zu sehen; doch es trennt uns schon ein Vierteljahrhundert von 1827: wir können also rückwärts schauen, und deutlich, wie vom Gipfel eines Berges herab, diejenigen sehen, die wir nur unbestimmt unten erschaut haben, während wir mit ihnen im Thale oder im Walde reisten.

Der Keim der Revolution von 1830 ist im Schooße Frankreichs schon seit den ersten Monaten des Jahres 1827 niedergelegt. Diese Schauer, welche die große Nation empfindet, und die sie zugleich vor Schrecken und vor Hoffnung beben machen, das ist das Leben, das in der Frucht seiner Eingeweide zu schlagen anfängt.

Die Geburt wird langsam, mühsam, peinlich sein; die Schmerzen werden drei Jahre dauern, doch die Entbindung wird schön sein unter der Julisonne.

Das Jahr 1827 ist fruchtbar an Ungerechtigkeiten, ich weiß es wohl: die Nationen brauchen ungeschlachte Geburtshelfer, damit die Ideen Ereignisse werden.

Nehmen wir also offen diese Reihe von Knechtungen und von Corruptionen, von Lügen und Gewaltthaten, von Verfolgungen und von Betrügereien, welche das Jahr der Incarnation verherrlichen, in Angriff.

Unter dem Drucke der Jesuiten von Montrouge und Saint-Acheul versinkt die Regierung von Karl X. auf dem gekrümmten Wege, aus dem sie nicht mehr herauskommen kann; denn sie ist stumm bei den Klagen, taub für die Warnungen. An einem Tage brandmarkt sie die heiligsten Unabhängigkeiten, an einem andern Tage verbannt sie die öffentlichen Tugenden, mißkennt sie die geleisteten Dienste, befleckt sie die Illustrationen, entfernt sie das Gute, winkt sie dem Bösen herbeizukommen.

Ein ängstlicher und grämlicher, räuberischer und eifersüchtiger, despotischer und aufhetzender Geist, hält sich der Jesuitismus wie ein finsteres Gespenst unter dem Thronhimmel, hinter dem königlichen Stuhle aus. Niemand sieht ihn: Jedermann erräth ihn! Von hier bläst er dem König seine Anatheme gegen jeden Ruhm, seine Eifersucht gegen jedes Glück, seinen Haß gegen jede Intelligenz, seinen Widerstand gegen alle edle Gedanken ins Ohr. Er fürchtet jede freie Seele, jeden erhabenen Geist, jede unabhängige Existenz, er hat Recht: Alles, was nicht sein Diener oder sein Sklave ist, ist sein Feind!

Die Umstände waren aber ernst, und der Kampf versprach heftig zu werden.

Die öffentliche Meinung und die unabsetzbaren Behörden widersetzten sich kräftig dem Umsichgreifen dieser Theokratie; doch der König, doch das Ministerium, doch alle Functionäre der Regierung erhielten das Losungswort von Montrouge und Saint-Acheul und befolgten es blindlings.

Man witterte unbestimmt, in einer Zeit, wo man dies für unmöglich gehalten hätte, etwas wie einen Religionskrieg. Wo sollte dieser Krieg ausbrechen? Man wußte es nicht; doch aller Wahrscheinlichkeit nach würde das Schlachtfeld in Portugal sein, und um diesen Krieg zu unterstützen, floß das Geld von allen Klöstern, von allen Conventen, von allen jesuitischen Associationen Italiens, Frankreichs und Spaniens nach der Halbinsel.

Das Jubiläum von 1826 war in Valencia mit einem Auto da Fe geschlossen worden: der Ketzer Ripoli war verbrannt worden, als befände man sich noch im vierzehnten Jahrhundert. Das war der den liberalen Ideen hingeworfene Handschuh; das war die Trompete der Herausforderung vor dem Schlosse Windsor ertönend. Was wagte Spanien? Hatte es nicht Frankreich, Italien und Oesterreich zu Verbündeten? Hießen die Häupter der heiligen Ligne nicht Ferdinand VII., Karl X., Gregor XVI. und Franz II.

Wir haben diese Epoche aus dem Blicke verloren, und wir sind erstaunt, wenn Einer von uns, die todten Felder der Vergangenheit durchschreitend, hier einen Lebensschein erweckt, die Erinnerungen heraufbeschwört und die Ereignisse zwingt, vor unseren Augen wiederzuerscheinen.

Es war wohl eine neue Ligne, wie wir gesagt haben.

Man machte, von Galicien nach Catalonien, die Zählung der Ehelosen, der verheiratheten Männer, der Witwer, Alles dessen, was, mit einem Worte, die Muskete zu tragen im Stande war; man reihte Mönchs von allen Orden ein, die man das Exerciren, das Marschiren im militärischen Schritte, das Auferwecken der Processionen von 1580 lehrte; man brachte die Schwerter, die Lanzen, die Feuergewehre, die Kriegsmunition, die Mundmunition zusammen; man sammelte Beiträge in den Klöstern.

Es war in Montrouge eine Druckerei, welche allen Klöstern, allen Congregationen allen Seminarien, den großen wie den kleinen. Pamphlete lieferte, und was vor Allem in diesen Pamphleten vorherrschte, war der Gedanke von Rom gegen England: es wäre keine Religion möglich, als wenn man England vernichtet hätte! – Seltsam! Napoleon hatte einen Gedanken mit dem Zwecke der Emancipation gehabt; die Bourbonen hatten ihn mit dem Zwecke der Knechtung der Welt. – Man wollte die britische Macht in Indien durch Rußland schlagen; in Hannover durch Preußen; in den Niederlanden und im deutschen Bunde durch Frankreich; in Irland durch die katholische Bevölkerung; in Schottland durch die Nationalität, und in England selbst durch die Anarchie und den Verrath.

Der Krieg gegen Großbritannien war also das Feldgeschrei dieser Verschwörung. welche seit zehn Jahren in der Dunkelheit fortschritt, welche die Schwäche der Minister, die sich gefolgt waren, nicht niederzuschlagen gewagt hatte, und die die Mitschuld des bestehenden Ministeriums mit aller Macht der Organisation bekleidete. Dieser Krieg sollte aus Anlaß des linken Rheinufers, das man Frankreich zurückgeben wollte, ausbrechen; was aus einem im Grunde religiösen Kriege einen an der Oberfläche politischen Krieg machen würde.

Diese verborgene, finstere, mysteriöse Gewalt hatte sich außer der Charte gebildet und fing an sich in ihrer ganzen Macht hervorzustellen; sicher des Geistes des Königs, trotzte sie der Meinung des Landes: die Jesuiten haben kein Vaterland! sie verachtete die Gesetze: die Jesuiten haben keine andere Gesetze, als die Statuten ihres Ordens; und von Rechtswegen und dem Anscheine nach geächtet, waren sie durch das Factum und in Wirklichkeit die unumschränkten Gebieter von ganz Frankreich. Man hatte ihnen den Vorschlag gemacht, sie mögen das Edict, das sie verbannte, widerrufen: sie hatten sich geweigert und gesagt, annehmen heiße sich der Charte und folglich Institutionen unterwerfen, die sie als gottlos, revolutionär, und besonders als nichtig proclamiren.

Freunde des Königs, Orakel der Minister, Lehrer der Kinder, Beichtväter der Frauen, verfügten sie nach ihrem Belieben über das allgemeine Glück und über den Privatruf; sich als die einzigen Pairs und die einzigen Magistrate des Königreichs betrachtend, verachteten sie die Magistratur und die Pairie, und strengten sich an, sie verächtlich zu machen. Sie fühlten, daß der Widerstand hier war: die Magistratur war unabsetzbar, die Pairie glaubte es zu sein. Die Deputirten-Kammer schien ihnen eine eingedrungene Gewalt, eine Art von schismatischem Concil zu sein; sie betrachteten sich als die legitimen Vertreter des Landes; sie hatten zu Herrn von Villèle gesagt: »Unterstützen Sie uns, und wir werden Sie unterstützen.« Herr von Villèle unterstützte sie, und die Jesuiten hielten treu ihr Versprechen.

Das Ministerium war für die Congregration nur ein Werkzeug bestimmt, Alles das zu zerstören, was ihr Schatten machte, eine Art von botmäßigem Scharfrichter zu Vollstreckung aller ihrer Urtheile; ein Delegat, den sie momentan mit ihren Gewalten betraute, ein Bevollmächtigter beauftragt, den Geist der Nation zu biegen, zu beugen und im Nothfalle zu brechen; ein verantwortlicher Herausgeber bereit, alle Strengen zu üben, die sie befahl; ein Sündenbock bestimmt, von ihr in einem gegebenen Augenblicke allen Haß zu entfernen, den sie erregt hatte.

55.Das Horoscop.