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Ado Graessmann

Trojanische Hühner

Genozid

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

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Ado Graessmann

Trojanische

Hühner

Ein Genozid

© 2020 Ado Greassmann

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

978-3-7497-9799-8 (Paperback)

978-3-7497-9800-1 (Hardcover)

978-3-7497-9801-8 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Im Haus des Polemarchos

Glaukon: Gesetze werden zum Wohl der Allgemeinheit erlassen

Thrasymachos: Du Narr, Gesetze werden zur Machterhaltung der Herrschenden gemacht


Zeus wollte sich rächen, die Menschen hatten Prometheus das Feuer gestohlen. Zur Hochzeit der Pandora mit Epimetheus, dem Bruder des Prometheus, schenkte er ihr eine Büchse mit der Auflage, die Büchse unter keinen Umständen zu öffnen, doch sie tat es.

Aus der Büchse entwichen alle Laster und Untugenden und so kam das Schlechte in die Welt und sie wurde zu einem trostlosen Ort.

Wieder wurde die Büchse geöffnet, es begann mit der Botschaftsbesetzung und das Unheil setzte sich fort.


In diesem Jahr kam der Herbst früher als sonst, obwohl es erst Anfang Oktober war, lag schon früh am Morgen ein weißer Schleier auf den Wiesen, in der Nacht hatte es den ersten Frost gegeben. Man konnte förmlich sehen, wie sich die Kälte von den Bergen herunter wälzte, die Berge, sie bilden die Grenze zum Nachbarland, einige sind fast zweitausend Meter hoch. Keiner von uns war je bis zu den Bergspitzen hinauf gestiegen, was sollten wir auch dort oben, Fremde wurden dort schon seit Jahren nicht mehr gesehen, die kamen auch nicht mehr. Die Bergspitzen waren schon seit einigen Wochen mit Schnee bedeckt, bei Sonnenuntergang verfärbt sich der Horizont immer leicht rötlich und der Schnee glitzert weithin sichtbar, auch in der späten Dämmerung besteht noch ein leichtes Leuchten, ganz oben, wo fast keine Bäume mehr wachsen, an den Bergspitzen. Bis zur nächsten Stadt sind es etwas mehr als fünfzig Kilometer. Zuerst bilden sich dunkle Wolken die zunächst oben hängen bleiben, sie verhüllen die Gipfel, dann gleiten sie langsam an den Hängen herab, wie Lawinen die sich um die eigene Achse drehen, um dann nach und nach langsam nach unten hinab zu sinken, sie ziehen bis in das Tal hinein und mit ihnen kommt auch immer die Kälte. Am späten Nachmittag erreichen sie die Höfe die weiter unten am Ende des Tales liegen, dann sind die Berggipfel wieder frei und Nebel liegt dicht über der Erde, nicht höher als einen halben Meter, die eigenen Füße sind kaum noch zu sehen, es fühlt sich an, als würde man durch einen kalten Bach waten.

Was hinter den Bergen liegt und wie es dort aussieht, weiß keiner von uns so genau, nie hatte einer vom Dorf hinüber geblickt, über die Gipfel, in das andere Tal, keiner hatte jemals einen der Bewohner von dort gesehen, die sprechen angeblich anders als wir, die Leute im Nachbartal, im anderen Land, sie sollen aber auch den Koran in den Händen halten, so wird es wenigstens erzählt, zumindest dies haben wir gemeinsam mit den anderen.

Die Menschen hier in der Gegend sind alle Bauern und Farmer, von Reichtum keine Spur, die meisten von ihnen züchten Hühner, die tagsüber frei auf den Wiesen und Feldern herum laufen und dort nach Futter suchen, Zäune gibt es keine, Wölfe die früher manchmal in der Gegend auftauchten, wurden alle schon vor einigen Jahren erschossen, auch die Füchse lassen sich nicht mehr sehen.

Erst kurz vor der Dämmerung kommen die Hühner zurück in ihre Ställe, sie werden nicht gerufen, sie kommen von selbst, sie kennen den Weg und sie wissen, wann dort in ihren Trögen Futter für sie zu finden ist. In den Ställen ist es auch wärmer als auf den Wiesen, sie hocken auf ihren Stangen und rücken enger zusammen, so wird es noch molliger für sie. Nach Sonnenuntergang wird ihr Gegacker immer leiser, bis daraus so eine Art von Sing-Sang wird, und später, ja, dann sind sie alle stumm, bis zum nächsten Morgen. Schon bevor die Sonne aufgeht, sind sie wieder zu hören, zuerst das Krähen der Hähne, wie zur Bestätigung dass sie noch da sind, und ihr Gegacker ist nicht mehr so zart wie am späten Abend zuvor, es klingt etwas herausfordernd und selbstsicher, auf den Höfen braucht keiner einen Wecker, sie stehen mit den Hühnern auf.

Cave ist einer der Farmer, das Wichtigste was er besitzt, sind seine Hühner, auch einige Ziegen und eine alte Kuh gehörten ihm, die Milch die sie geben reichte gerade mal so für den eigenen Bedarf. Sein Hof liegt am weitesten von der Stadt entfernt und ist den Bergen am nächsten, er ist der Jüngste, er hat noch drei Brüder und eine Schwester.

Alle Farmer des Tales gehören zu einer Sippe, den Hamudas. Seine Schwester hatte vor einigen Jahren einen Neffen geheiratet, die züchteten auch Hühner, wie alle Familienmitglieder, ihre Farm ist die nächstgelegene, etwas südlich von Cave, nur einige Kilometer entfernt, von seinem Grundstück aus kann er die Gehöfte der anderen nicht sehen, das Tal macht unterhalb seiner Farm eine Biegung nach Westen und Berge versperren den Blick in das weitere Tal. Sein ältester Bruder hatte als erster eine Farm gegründet, nahe an der Stadt, er ist zehn Jahre älter als Cave.

Die wesentlichen Einnahmen der gesamten Sippe sind die Hühnereier, die Hamudas verkauften täglich mehr als zwanzigtausend Eier und versorgten damit die Stadt und den ganzen Bezirk. Kurz vor Sonnenaufgang kommt immer ein Lastwagen aus der Stadt, alle kennen den Fahrer, es ist immer der Gleiche, schon seit Jahren, ein älterer Mann, er sammelt die Eier ein, in Kisten verpackt, je hundert Stück. Zuerst die von Cave, meistens sind es fünfzig Kisten, seine Farm ist die kleinste, sein ältester Bruder liefert den größten Anteil ab. Geld bekommen sie zunächst nicht, der Fahrer übergibt ihnen nur eine Quittung, erst Ende des Monats erfolgt die Zahlung.

Einmal im Monat wählt Cave etwa hundert Hühner zum Schlachten aus, so bleibt sein Bestand konstant, meist sind es die älteren Tiere, solche, die nicht mehr so richtig legen wollten, trotzdem ist ihr Fleisch noch zart und bekömmlich. Die Hühner bringt er selbst in die Stadt, zum Markt, mit seinem alten Lastwagen, lebend in kleinen Holzkisten. Dort kennt er seit Jahren einen Händler, der alle seine Hühner auf einmal abnimmt und Cave dafür direkt bezahlt, nach dem Tagespreis, verhandelt wurde bisher nie, mit dem Geld kauft Cave meist Sachen, die seine Familie dringend benötigt, die er nicht selbst herstellen kann.

Heute, an seinem dreißigsten Geburtstag war Cave wie immer weit vor Sonnenaufgang aufgestanden, noch bevor die Hühner sich rührten, er hatte sich einen Eimer mit kaltem Wasser über den Kopf geschüttet, Wasser gibt es hier im Überfluss, am Fuß des Berges hat sich ein kleiner See gebildet, der durch das Schmelzwasser gespeist wird, das Wasser ist auch im Sommer noch immer eiskalt aber klar wie Kristall, am südlichen Ende des Sees befindet sich ein Ablauf, dort bildet sich ein Bach, der sich langsam am Hang entlang schlängelt und hinter dem Haus verläuft. Etwas Wasser leitet Cave davon über einen schmalen Kanal in einen Brunnenschacht hinein, so hat er immer genügend davon, auch im Sommer, wenn für einige Wochen kein Regen fällt.

Während der Schneeschmelze wird der Bach immer etwas breiter, das klare Wasser tritt über die Ufer, nimmt die Farbe der Erde an, füllt er seine Hände damit und hält sie gegen die Sonne, dann sieht es so aus, als würden tausend Diamanten darin tanzen. Doch zu einer richtigen Überschwemmung kam es bisher nie, das Wasser staut sich nicht weiter auf, es fließt immer durch das Gefälle rasch weiter ins Tal hinab, wird dort zu einem breiten Fluss, der auch die Stadt mit Wasser versorgt.

Nachdem er den Kopf mit einem Handtuch abgetrocknet hatte, sammelte Cave die noch warmen, frisch gelegten Eier ein, verpackte sie sorgfältig in die leeren Kisten, die der Fahrer am Vortag abgeladen hatte.

Ein kleiner heller Streifen am Horizont verdrängte die Finsternis, wurde langsam breiter und ließ die Berggipfel erscheinen. Vor Caves Augen herrschte noch Dunkelheit, aber das Licht wird schon bald mit aller Macht die Dunkelheit durchbrechen. Er trug nur ein Hemd, hatte eine alte ausgeblichene Jeans an, Jeans die waren eigentlich verboten, aber wer sollte dies hier oben schon kontrollieren, dafür war er auch zu unbedeutend, als dass sich jemand darum gekümmert hätte. Er hatte weder Socken noch Schuhe an, er liebte den direkten Kontakt mit der Erde, auch wenn er sich manchmal dadurch kleine Verletzungen zuzog, an spitzen Steinen oder an abgeschnitten Grashalmen. Im Herbst mähte er und seine Frau immer das Gras, als Futter für seine Tiere im Winter.

Seine Füße konnte er noch nicht sehen, aber jede ihrer Bewegungen hören, wie ein zartes Rascheln, das die Stille der Morgendämmerung durchbricht.

Der Hof lag geräuschlos im Schatten unter ihm, selbst seine Hühner schliefen noch, alle waren lautlos. Da es noch sehr früh war, und er nichts weiter zu tun hatte, setzte er seinen Spaziergang in Richtung Berge langsam fort.

Eine Eidechse saß regungslos vor ihm auf einem Stein, Kopf und Schwanz nach oben gestreckt, sie wartete wohl auf die aufgehende Sonne um sich aufzuwärmen, als er leicht mit dem Fuß gegen den Stein stieß, war sie plötzlich verschwunden, sein Blick verlor sich in der Dunkelheit des beginnenden Tages.

Er hatte für seine Verhältnisse viel erreicht, seitdem er als sechzehnjähriger mit Nasrim, der gleichaltrigen Tochter seines Onkels, verheiratet wurde.

Sein Vater hatte sechs Brüder und drei Schwestern, alle waren verheiratet und jede Familie hatte wenigstens fünf Kinder. Seine Vermählung wurde vom Familienrat beschlossen, sie beide waren damals erst zehn Jahre alt gewesen. Gegen diese Entscheidung konnte kein Einspruch erhoben werden, die Familie war sehr gläubig, wie alle Bewohner der Stadt und die Gesetzte wurden sehr streng eingehalten, besonders seit die Mullas das Sagen hatten. Keine Frau ging mehr unverschleiert auf die Straße, Kosmetikartikel waren aus den Regalen verschwunden, auch in der Wohnung trugen die Frauen immer ein Kopftuch, die Haare seiner Mutter hatte er nie gesehen.

Bis zur Hochzeit traf er Nasrim nur selten und hatte so gut wie nie allein mit ihr gesprochen, es waren fast immer nur wenige Höflichkeitsfloskeln, immer war eine weitere Person im Zimmer die aufpasste, dass nichts Unrechtes geschehen konnte, schon ein längerer Händedruck wäre zu viel gewesen.

Wann immer er zu Besuch kam, war auch Nasrims Haar mit einem Kopftuch bedeckt, es schien schwarz zu sein, einmal bei einem Besuch bei ihrer Familie ragte eine kleine Strähne unter dem Kopftuch hervor, sie bemerkte es sofort und schob sie wieder zurück, auch ihre Beine und Füße hatte er nie gesehen, sie waren immer bedeckt.

Beide hatten niemals zuvor einen engeren Kontakt mit dem anderen Geschlecht, nur seine Mutter hatte ihn manchmal umarmt und auf die Stirn geküsst, das war auch schon alles.

Keiner in der Familie hatte jemals mit Cave über Sex gesprochen, er hatte zwar oft davon geträumt, aber alles erschien ihm nur verworren, so unwirklich, eben nur ein Traum, das Wort Verhütung hatte er nie in seiner Familie gehört.

Auch Nasrim war unwissend, zwar hatte sie öfters beobachtet, wenn ihre Brüder morgens kurz zur Toilette gingen, dann ragten ihre Schlafanzughosen vorne weit nach oben und wenn sie zurück kamen, waren die Erhebungen wieder verschwunden. Sie hatte sich immer schlafend gestellt, auf dem Bauch liegend, mit einem geschlossen und einem offenen Auge und so ihre Brüder beobachtet, doch was sie da sah, konnte sie nicht so richtig einordnen. In der Schule wurde viel gemunkelt, aber keiner wusste so wirklich richtig bescheid.

Dies änderte sich in ihrer Hochzeitsnacht. Cave sah zum ersten Mal in seinem Leben eine nackte Frau, sehen war vielleicht zu viel gesagt, es war stockdunkel, sie befanden sich im Schlafzimmer seiner Tante, sie hatte ihnen das Zimmer für die eine Nacht zur Verfügung gestellt und dafür bei ihrer Schwägerin geschlafen, beide waren schon seit Jahren verwitwet, ihre Männer waren mit dem, was die Mullas behaupteten, nicht immer ganz einverstanden und hatten sich hierzu auch in der Öffentlichkeit geäußert. Vor einigen Jahren wurden sie am frühen Morgen von den Sittenwächtern abgeholt und verschwanden auf nie mehr Wiedersehen. Alle Nachforschungen verliefen im Sand, keiner wollte etwas wissen, gehört oder gesehen haben und nach Jahren wurden sie zu Witwen erklärt.

Die Weisheit alter Zeiten war längst vorüber, einst lebte hier ein Mann, sein Name war Zarathustra, er war weder Prophet noch war er Gott. Propheten, die verkünden Gottes Wort und lassen keine Fragen und keinen Zweifel zu, er tat dies nicht, er war auch nicht Vermittler zwischen Gott und den Menschen, wie dies die Geistlichen für sich in Anspruch nehmen. Sie versprechen nach Belieben das Paradies, oder drohen mit der Hölle, so machen sie sich selbst unentbehrlich für das jenseitige Wohlergehen des Einzelnen.

Die Zarathustrier, die müssen Gott auch nicht dreimal täglich anbeten, auch Bestechungen führen nicht ins Paradies. Jeder trägt selbst die Verantwortung für sich, nur durch gutes Denken, durch gutes Reden und durch gutes Handeln kommt man dort hin. Nur wer Gutes tut, kann Gutes erwarten, wer Böses tut, dem kann auch nur zwangsläufig Böses widerfahren. Wenn das Heil nur durch das eigene Handeln bestimmt wird, wofür braucht man dann noch Priester?

Dies ist anders bei den heutigen geistlichen Herren, sie erheben den Anspruch auf alleiniges Wissen, versprechen nach Belieben das Paradies, oder drohen mit der ewigen Verdammung, so machen sie sich unentbehrlich, Zweifel werden nicht geduldet. Ungläubige zu töten sichert das Paradies.

Auch Persepolis wurde nicht von Sklaven gebaut, alle Menschen waren gleich, auch Frauen, wenn aber alle gleich sind, warum sollten dann Kriege geführt werden?

Aber wo sind nur die alten Weisheiten geblieben?

Sie konnten ihre Umrisse nur vage erkennen, aber betasten konnten sie sich, und da erkannte Nasrim, was die Veränderung in den Hosen ihrer Brüder bewirkt hatte, sie konnte es anfassen und war überrascht von der Größe und der Härte des pulsierten Etwas, es erweckte ihre Neugier und ein plötzliches, unbekanntes Verlangen danach.

Sie hatten sich langsam gegenseitig im Stehen die Kleider ausgezogen. Cave löste als erstes ihr Kopftuch, dann den Knoten von Nasrims Haar, es fiel über ihre Schultern den Rücken hinab, er konnte es hören, wie ein sanftes Rauschen, ein feiner Duft von Jasmin stieg in seine Nase und er fühlte den seidenen Glanz ihrer Haare. Nasrim hatte die Knöpfe seines Hemdes geöffnet und es langsam über seinen Kopf gezogen. Ihr schwarzer Umhang war leicht zu lösen gewesen, er fiel herunter und bedeckte den kalten Boden des Schlafzimmers, beide stellten sich darauf und plötzlich hatten sie nichts mehr an. Zum ersten Mal in seinem Leben berührten seine Hände ihre Brüste, er empfand es fast wie einen elektrischen Schock, der sich vom Kopf über seinen ganzen Körper ausbreitete, es war sonderbar schön und zugleich noch fremd, sie waren hart und trotzdem wieder weich. Seine Hände glitten ihren glatten Bauch hinab, auch Nasrim ging auf Erkundungstour, es war wie eine Reise in eine unbekannte Welt, keiner von beiden wehrte sich dagegen.

Als sie unter der Bettdecke lagen, hatten sie schnell die wesentlichen Unterschiede und deren Bedeutung erkannt, ihnen erschien alles anders als sie es aus den heimlichen Erzählungen von den Freunden aus der Schule kannten.

Ihre Berührung steigerte Caves Erregung, die er nicht mehr verbergen konnte, ihre Hand berührte ihn und noch bevor er in sie eindringen konnte, kam es bei ihm zur Explosion. Er war bestürzt und zugleich beschämt, darüber, dass seine Männlichkeit ihn so schnell verlassen hatte, auch Nasrim schien davon überrascht zu sein und begann ihn zu trösten.

Erst einige Stunden später fanden sie doch zusammen und Cave fühlte wie an Nasrims Beinen etwas herab lief, sie hatte sich weder beklagt noch Bedauern ausgesprochen. Am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster traten, sah er die roten Flecken auf dem Bettlagen.

Zwei Wochen nach der Hochzeit zogen sie nach oben, zum Ende des Tals. Es war noch Niemandsland und für einen geringen Betrag wurde es auf Caves Namen überschrieben. Zum Start hatte er von seinen drei Brüdern jeweils hundert braune Hühner geschenkt bekommen und von seinem Onkel zwei Ziegen.

Einen alten Lastwagen hatte er auch seit einer Woche, als er die Straße zu seinem Bruder hinunter lief, sah er in einem schmalen Feldweg am Rande des Waldes den Laster stehen, ohne aber weiter darauf zu achten. Er setzte seinen Weg fort, die Straße war eigentlich keine richtige Straße, es war nur ein Schotterweg, ohne Asphaltierung. Als er am späten Nachmittag zurück kam, stand der Laster immer noch an der gleichen Stelle, da er sich auf seinem Grundstück befand, ging er hin um das Objekt näher zu betrachten. Es war ein Pritschenwagen mit einer offenen Ladefläche, beladen mit verschiedenen leeren Kisten, die mit Seilen befestigt waren, und der Schlüssel steckte noch im Zündschloss. Er ging um das Auto herum und sah, dass es keine Nummernschilder hatte, wo kam es nur her, wer hatte es hier abgestellt, sicherlich sollte es ein nachträgliches Hochzeitgeschenk für ihn sein. Der Tank war noch zu einem Drittel gefüllt und als Cave den Zündschlüssel leicht nach rechts drehte, sprang der Motor sofort an.

Beim Rückwärtsfahren hatte er zunächst etwas Schwierigkeiten, obwohl er selbst vorher noch nie gefahren war, wusste er genau, was er zu tun hatte, es zahlte sich eben aus, dass er immer aufmerksam das Geschehen beobachtet hatte, wenn er auf dem Nebensitz saß, beim Eier Transport in die Stadt.

Die Hütte in die sie eingezogen waren, stand seit Jahren leer, irgend jemand hatte sie vor längerer Zeit illegal gebaut und wieder verlassen, sie war im Kaufpreis eingeschlossen. Elektrizität gab es nicht, dafür war das Grundstück zu weit von der Ortschaft entfernt, aber hinter dem Haus, in einem kleinen Holzschuppen, stand ein alter Generator der für Licht sorgte. Treibstoff hierfür war genügend vorhanden, zwei große Fässer, die ebenfalls hinter der Hütte standen, waren fast noch randvoll gefüllt.

Das Haus hatte drei Zimmer und eine Küche, der Boden bestand aus gestampften Lehm, den sie zunächst mit einigen Kuhfellen bedeckten, die Wände aus dicken Holzstämmen, zwischen den einzelnen Holzbalken befand sich Moos, das hielt im Winter etwas die Kälte und im Sommer die Wärme ab. Feuer konnte nur in der Küche und im Wohnzimmer gemacht werden. Einen Monat nach der Hochzeit war Nasrims Mutter mit nach oben zu ihnen gezogen, seitdem bewohnt sie das kleinste Zimmer im Haus. Sie war immer schwarz bekleidet, wodurch ihr blasses Gesicht noch mehr zum Vorschein kam. Sie kränkelte oft, beklagte sich über dieses und jenes, hatte immer Schmerzen, mal hier mal dort, schon seit vielen Jahren. Einmal war sie beim Doktor in der Stadt, Nasrim hatte sie dorthin gebracht, auf dem Hühnerlaster, der Fahrer hatte sie ohne Bezahlung mitgenommen, in den meisten Dörfern gab es keinen Arzt und wenn einer gerufen wurde, dann dauerte es fast immer einige Tage bis er kam, wenn überhaupt, meist erübrigte sich sein Besuch, die Patienten waren meist wieder gesund oder waren oft schon verstorben, bevor der Arzt eintraf. Die Verwandten nehmen es gelassen hin, es war eben ihr Schicksal, man wird geboren um wieder zu sterben, so will es eben Allah.

Der Doktor in der Stadt konnte ihr auch nicht richtig helfen, sie bekam von ihm einige Medikamente verschrieben, eingenommen hatte sie nie etwas davon. Mit der Zeit hörte kein Mensch mehr auf ihr Gejammer. Ihr Mann war schon vor vielen Jahren verstorben, woran weiß keiner mehr so genau, wahrscheinlich war sie die Gesündeste von allen und hatte das ewige Leben, sie mochte es eben wenn sie jammern konnte, so wusste jeder, dass sie noch am Leben war und verhinderte damit, dass die anderen sich krank fühlten und ebenfalls jammerten, ein Kranker in der Familie war schon mehr als genug, das war wahrscheinlich ihre Strategie. Sie kümmerte sich um das Essen und darüber konnte man sich nicht beklagen. Sie war aber eine Frau die Konflikte suchte und die Harmonie scheute, das Essen am Abend war ihr oft zu salzig und das gleiche am nächsten Abend wieder zu süß, obwohl sie es selbst gekocht hatte, für logische Argumente bestand bei ihr kein Zugang, alle Bemühungen um Harmonie und um Verständnis waren meist umsonst, sie konnte mit wenigen Worten alles zerstören, so war sie nun mal, wir mussten mit ihr leben, waren dazu verdammt.

Schon neun Monate nach der Hochzeit wurde sein erster Sohn geboren und noch weitere folgten in regelmäßigen Abständen, von Verhütung hatten beide ja noch immer nichts gehört und wenn Cave kam, verblieb er immer in ihr, so wurde sie immer wieder schwanger, sobald sie dafür empfänglich war. Alle Kinder wurden im Haus geboren, ohne ärztliche Unterstützung, Nasrims Mutter war durch die große Anzahl ihrer eigenen Geburten zur erfahrenen Hebamme geworden und nichts konnte sie erschrecken. In der Sippe war es so üblich, dass sich die Frauen gegenseitig Beistand bei der Geburt leisteten. Bei einigen von Caves Tanten verlief die Geburt komplizierter und einige der Kinder waren während oder kurz nach der Geburt verstorben. Daraus wurde wenig Aufstand gemacht und auch nicht weiter viel darüber geredet. Die Frauen wurden rasch wieder schwanger, dies verhalf das Geschehene schnell zu vergessen. Die Männer nahmen sowieso diese Ereignisse nicht so ernst, tranken ihren Tee und fühlten sich mehr als Unbeteiligte, nicht als Betroffene.

Nasrims Geburten hatten immer lange gedauert, die Wehen setzten schon frühzeitig ein und dauerten über Stunden, bei der ersten Geburt einen ganzen Tag. Cave war immer bis kurz vor der Geburt bei Nasrim geblieben, hatte ihre Stirn gekühlt und ihr gut zugesprochen, als die Geburt nahte wurde er von seiner Schwiegermutter aus dem Zimmer geworfen, er blieb vor der verschlossenen Tür stehen und bat Allah um seine Hilfe.

Im Haus schliefen seine Kinder gemeinsam in einem Raum, neben dem Zimmer von Nasrims Mutter, er und Nasrim hatten ihre Liegen im Wohnraum aufgestellt, die tagsüber als Sitzplätze Verwendung fanden, es war auch der einzige Raum im Haus der eine Feuerstelle hatte, mit Kamin und Abzug, nach oben, in der hinteren Ecke des Zimmers. Während des Sommers fällte Cave einige Bäume und bereitete daraus mit seinen Söhnen Brennholz für den Winter vor, die Holzscheite stapelten sie hinter dem Haus an der Wand in zwei Reihen auf, so kamen sie immer sicher über den Winter hinweg. Wenn die Nächte kälter wurden und der Frost durch das Haus zog, wurden alle Liegen in das Wohnzimmer geschoben, neben einander aufgestellt, um sich vor der Kälte zu schützen. Gegen Morgen, wenn das Feuer niedergebrannt war, zog die Kälte ein, oft war das Wasser in den Schüsseln zu Eis gefroren. Die Toilette war eine Grube, umgeben von drei Wänden mit einer Tür, ohne Verriegelung, darüber ein breiter Holzbalken, gleich hinter dem Haus, keiner hielt sich dort unnötig lange auf. Zweimal im Jahr wurde sie ausgepumpt, einmal im Frühjahr und noch einmal im Herbst, der Inhalt wurde als Dünger auf die Felder gekippt. Dann stank es für einige Tage, schon aus der Ferne war es zu riechen, aber niemand störte sich daran, so ist es eben mal auf dem Lande.

Wird man von der Notdurft auf dem Felde überfallen, dann geht man einfach in die Hocke, zieht die Unterhose herunter, bis zu den Knien und reinigt sich danach mit Gras.

An all dies erinnerte er sich im Morgennebel, etwa tausend Meter vom Haus entfernt, barfuß im feuchten Grase stehend, es war sein dreißigster Geburtstag und im Haus herrschte immer noch Totenstille als er oben an seinem Stammplatz ankam.

Als es heller wurde, hörte er ein leises Gackern, erst nur leise Töne, dann konnte er es genau hören, es kam wirklich von Hühnern, doch die Geräusche kamen nicht von unten, vom Hühnerstall, wie er es erwarten konnte, sondern von oben, aus dem Nebel, vom Berg herunter. Sie kamen immer näher, eines löste sich aus dem Nebel bis er die Umrisse von mehreren Tieren schattenhaft erkennen konnte, es waren tatsächlich Hühner, sie waren anders, seine Hühner waren alle braun, aber die, die vom Berg herunter kamen waren alle weiß, soweit er zählen konnte waren es etwa zwanzig Tiere. Doch wo kamen sie her, auch seine Brüder hatten nur braune Tiere, aus dem Tal konnten sie also nicht stammen, aber wie sind sie hierhergekommen?

Hühner fliegen nicht gerne, nur kleine Strecken, auch Laufen ist nicht ihre große Leidenschaft, sie gehen nur kurze Strecken, so lange bis sie Futter finden, deswegen hatte er auch nie einen Zaun gezogen.

Kein Mensch setzt freiwillig Tiere aus und alle erschienen groß und gut genährt zu sein. Cave hatte auch niemand gesehen, auch keine Stimmen gehört. Fremde Geräusche hätte er sofort wahrgenommen, durch die Anordnung der Berge entsteht eine Art von Schalltrichter, der Geräusche verstärkt und widerhallen lässt, selbst leises Flüstern, auch wenn es von ganz weit entfernt käme, hätte er gehört.

Sie konnten auch keine trojanische Pferde sein, wer könnte sich schon im Bauch eines Huhnes verstecken, da war kein Platz, trotzdem befiel Cave ein gewisses Unwohlsein.

Sein Vater hatte immer zu ihm besagt, höre nur auf deinen Verstand und nicht auf deinen Bauch, von dem kannst du sowieso nichts Gutes erwarten, höchstens Blähungen, und was Vater sagte, war fast immer richtig. Leider war er zu früh verstorben, trotzdem fragte Cave ihn noch immer, wenn er allein war, Vater was würdest du mir raten, was würdest du machen, eine direkte Antwort bekam er nie, zumindest bisher noch nicht, trotzdem empfand er es tröstlich wenn er so mit ihm reden konnte. Leider hatte er nicht mehr miterlebt, wie seine Kinder sich aus dem Nichts eine Existenz aufgebaut hatten, sein Stolz wäre grenzenlos gewesen, war er doch für all seine Tage nicht mehr als ein armer Handlanger gewesen, der seine Familie nur mühselig über die Runden brachte. Oft gingen sie abends hungrig zu Bett und wurden oft auf den nächsten Tag vertröstet, doch der begann meistens so, wie der Tag zuvor geendet hatte.

Trotzdem, Cave hatte ihn niemals klagen gehört, er war ein gottesfürchtiger Mensch und alles was die Mullas sagten, war für ihn unantastbar. Hätten sie behauptet die Erde sei eine Scheibe, so wäre die Erde eben auch für ihn wieder eine Scheibe gewesen. Er konnte es sich sowieso nicht vorstellen, dass die Erde sich um die eigene Achse dreht, einmal am Tag, mit großer Geschwindigkeit schneller als der Schall. Er meinte nur, wenn die Erde sich so schnell dreht, warum spüre ich dann nichts davon. Wenn ich hinten auf einem Lastwagen sitze, dann fliegt mir ja schon bei langsamer Fahrt der Hut vom Kopf. Und noch eines, wenn dies alles stimmt, warum kann ich dann nicht mit einem Heißluftballon nach oben steigen, einige Stunden dort oben verbleiben, die Erde müsste sich dann unter mir weiter gedreht haben, ja und dann, nach der Landung müsste ich mich doch weit ab vom Ausgangsort befinden. Also mein Sohn hier stimmt irgend etwas nicht und keiner von uns hat je gesehen, dass die Erde sich dreht.

Cave meinte nur, Vater wenn du in den Himmel schaust dann siehst die den Mond, wenn du auf dem Mond stehst und von dort in den Himmel schaust, dann siehst du die blau leuchtende Erde. Menschen waren schon auf dem Mond und haben gesehen wie die Erde sich dreht.

Zu Hause hatte eigentlich seine Mutter das Sagen, sein Vater mischte sich so gut wie nie in die Erziehung ein. Da der Vater aber nie eine Schule besucht hatte, war Cave so etwas wie ein junger Lehrer für ihn, er war sehr wissbegierig und er fragte ihn fast täglich, was er Neues in der Schule gelernt hatte. Cave dachte bei sich, da wäre ja noch etwas, in Physik hatte er gelernt, dass die Erde sich einmal im Jahr mit extrem hoher Geschwindigkeit um die Sonne dreht, der Lehrer meinte, dies hätte ein Mann vor vielen Jahren herausgefunden, nur dies hatte er nicht weiter erwähnt, er wollte seinen Vater nicht zusätzlich verwirren.

Als er so allein in der Kälte stand wurde er schwermütig und musste die Trauer um seinen Vater mit Macht verdrängen. Nun sei es drum, schließlich war dies schon sein dreißigster Geburtstag, vielleicht waren sie ja doch ein Geschenk von Allah, zum Geburtstag, so wie damals mit dem Auto, eine Art von Gottesbeweis, an den er nicht so richtig glauben konnte, da waren so viele Ungereimtheiten, vor allem warum sollte man Ungläubige töten und dafür einen Platz im Paradies erhalten, Ungläubige glauben ja auch an etwas, meistens ist es auch nicht viel anderes, ich glaube, wahrscheinlich gibt es weder ein Paradies noch eine Hölle, nach dem Ende gibt es auch keinen Neuanfang, und all die vielen Jungfrauen die angeblich im Paradies nur so auf die Märtyrer warten sollen, na ja, dies darf man aber nicht laut sagen, das Nachdenken können sie aber nicht verbieten oder kontrollieren, zumindest bis jetzt nicht.

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