Tabu Wenn Liebe nicht sein darf

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Z serii: Tabu #1
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Tabu Wenn Liebe nicht sein darf
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Ute Dombrowski

Tabu Wenn Liebe nicht sein darf

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

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Tabu

Wenn Liebe nicht sein darf

Ute Dombrowski

1. Auflage 2017

Copyright © 2017 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski

Titelfoto: Lisa Kabel

Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Hier ist Katja Sommerschein.“

„Hallo, hier ist Nick. Was machst du gerade?“

Katja schaute erschrocken auf das Handy. Warum, zum Teufel, rief Nick sie an? Das hatte er noch nie getan und heute war Sonntag, also ging es nicht um die Schule.

Katja Sommerschein war Lehrerin an einer Privatschule. Sie unterrichtete Deutsch, Musik und Kunst. Nick Bernsing war ihr Schüler und gleichzeitig der Sohn ihrer besten Freundin Bea.

„Warum rufst du mich denn an?“, wollte sie wissen.

„Ich dachte … ich … Ich habe das Gefühl, dass du mich anders behandelst.“

Katja war das Herz in die Hosen gerutscht und sie war im Moment dankbar, dass Nick nicht vor ihr stand. Es hatte seinen Grund, dass sie ihm aus dem Weg ging, aber den wollte sie seit Monaten nicht wahrhaben.

„Du irrst dich“, hörte sie sich sagen, „ich bin wie immer, nett und freundlich. Warum sollte ich dich anders behandeln als jeden anderen Schüler? Weil deine Mutter und ich befreundet sind? Weil wir uns schon ewig kennen? Du irrst dich ganz sicher.“

„Katja, bitte … ich irre mich ganz sicher nicht. Immer, wenn ich mit dir reden will, rennst du weg oder tust beschäftigt. Zu uns nach Hause kommst du auch nicht mehr. Was ist denn los? Habe ich etwas falsch gemacht? Dabei … ich …“

Er war ins Stottern geraten, denn es hatte auch einen Grund, dass ihn das Thema so sehr beschäftigte. Nick hatte eines Tages auf seinem Platz am Fenster gesessen und seiner Deutschlehrerin zugehört, wie sie über die Liebe sprach, wie sie versuchte, die Gefühle, die die großen Dichter in ihren Werken verpackt hatten, den gelangweilten Mitschülern nahezubringen.

Er hatte ihre braunen Augen gesehen, die strahlten, ihre schönen Lippen betrachtet, wenn sie das Wort „Gefühl“, sagte und eine Gänsehaut war über seinen Rücken gelaufen, als er sah, wie sie sich eine Strähne ihrer langen braunen Haare hinter das Ohr strich. Erschrocken hatte er aus dem Fenster gesehen, als sie ihn anschaute. Sie schien seine Gedanken zu ahnen und ging schnell in die Reihe hinter ihm.

Katja wollte dieses Gespräch nicht führen, denn was sie dachte und fühlte, durfte nicht sein. Niemals. Sie wurde rot.

„Nick, es ist besser, wenn wir jetzt auflegen. Wir sehen uns morgen in der Schule, okay?“

„Aber …“

„Bis morgen.“

Sie warf das Handy auf die Couch. Oh Mann, dachte sie, jetzt mache ich mich hier schon verrückt wegen eines kleinen Jungen.

„Er ist erst siebzehn!“, rief sie sich zu, aber es brachte ihr die innere Ruhe nicht zurück. „Katja, du bist doch bekloppt. Du kannst und darfst nicht in einen Jungen verliebt sein, der dein Schüler ist und noch dazu Beas Sohn! Jetzt komm mal wieder auf den Boden!“

Selbstgespräche waren nur dann nicht peinlich, wenn es niemand hörte, und im Augenblick war sie sehr froh, dass sie hier ganz alleine in ihrem Haus saß und sich verkriechen konnte, wenn sie wollte. Das war nicht immer so gewesen.

Als sie noch klein war, starben ihre Eltern bei einem Autounfall und Katja wurde in das kleine Haus zu ihrer Oma gebracht. Die Oma kümmerte sich rührend um das kleine Mädchen, aber sie konnte ihr die Eltern nicht ersetzen. Mit den großen Ereignissen in ihrem Leben musste sie alleine fertig werden, so wie mit der Schule, dem Studium und auch mit der Liebe. Sie erinnerte sich nicht gerne an ihre ersten Erfahrungen mit den Jungs, oft war sie an die Falschen geraten und hatte viele unbedachte Entscheidungen getroffen.

Aber trotz aller Schwierigkeiten machte sie ihr Abitur und studierte, um dann als Lehrerin in der kleinen Privatschule zu arbeiten. Schon ihre Ausbildung hatte sie dort gemacht und dabei auch die Familie Bernsing kennengelernt. Bernd Bernsing war seit langer Zeit einer der Förderer und so war es kein Wunder, dass auch Nick dort zur Schule ging. Eines Tages war sie mit Bea ins Gespräch gekommen und sie fanden sich sofort sympathisch. Mittlerweile verband sie eine lange Freundschaft. Manchmal hatte sie auf den kleinen Nick aufgepasst, wenn die Eltern aus waren, aber jetzt hatte sich alles verändert.

Katja erkannte sich nicht wieder. Sie sah Nick an und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Es war ihr unangenehm, wenn sie aus ihren Fantasien hochschreckte, in denen sie und Nick sich umarmten und küssten. Sie war dreiunddreißig, Nick siebzehn. Das alles schien so unwirklich, aber Katja konnte das Gefühl, sich in ihn verliebt zu haben, nicht abschütteln.

Und nun rief dieser Kerl hier einfach an.

Hatte er etwas bemerkt? Das konnte nicht sein, denn sie hatte sich doch immer von ihm ferngehalten. Sie hatte sich auch nur noch selten mit Bea getroffen, wobei sie die viele Arbeit als Grund vorschob. Nun saß Katja hier mit dem Handy neben sich und spürte ein unendliches Verlangen nach Nick.

Der saß zuhause genauso verwirrt und konnte es nicht fassen, dass er es gewagt hatte sie anzurufen.

„Was hat mich da nur geritten? Bin ich bescheuert? Katja ist eine tolle Frau und sie ist erwachsen. Sie kann sich nicht in einen wie mich verlieben. Was habe ich mir nur dabei gedacht?“

Nick Bernsing war eine Mischung aus Bernd und Bea. Die leuchtenden, blauen Augen hatte er von Bea, die munter und quirlig war wie er. Er hatte blonde, kurze Haare wie sein ruhiger, etwas wortkarger Vater, war groß und schlank. Der viele Sport ließ seine Muskeln wachsen und mit seinen siebzehn Jahren war er sehr abgeklärt und wirkte älter, als er war. Mädchen interessierten ihn nicht so sehr, obwohl sich viele seiner Mitschülerinnen um ihn bemühten. Nick war das, was die Teenager als „Mädchenschwarm“ bezeichneten.

Seit dieser besonderen Deutschstunde war es um ihn geschehen: Er hatte sich Hals über Kopf in Katja verliebt. In die Katja, die mit ihm gespielt und ihm vorgelesen hatte, in die Katja, die die Freundin seiner Mutter war und bei ihnen aus und ein ging, in die Katja, die seine Lehrerin war. Seufzend wollte er aus dem Zimmer gehen und seinen Vater fragen, ob er ihm etwas helfen könne, da läutete das Handy. Auf dem Display las er Katjas Namen und sofort hoffte er wieder, sie würde ebenso fühlen wie er.

 

*

„Hallo, Katja. Hast du etwas vergessen?“

„Nein, Nick, es tut mir leid, dass ich eben so zickig war. Mir war ganz schlecht vor Schreck, als du mich angerufen hast.“

„Was ist denn los?“

„Das kann ich dir nicht sagen, es ist … es ist … ach, Mann, es ist einfach blöd. Vergiss es. Geht es dir gut?“

Nick musste unwillkürlich grinsen, fühlte er doch, dass das, was Katja ihm weißmachen wollte, nicht die Wahrheit war. In seinem jugendlichen Leichtsinn kam ihm eine absurde Idee über die Lippen.

„Weißt du was? Am besten, wir treffen uns in einer Stunde am Schwimmbad. Es ist kalt und regnet, also sind wir da alleine. Lass uns miteinander reden.“

Nach diesen Worten legte er einfach auf und musste sich setzen, denn seine Knie waren weich wie Gummi. Er raufte sich die Haare.

Auch Katja musste sich setzen. Er weiß es, dachte sie, er weiß, dass ich in ihn verknallt bin. Verwirrt eilte sie durch die Wohnung und blieb im Schlafzimmer vor dem Spiegel stehen.

„Ich kann mich doch nicht mit ihm treffen!“, rief sie ihrem Spiegelbild, das ganz rote Wangen hatte, zu und schüttelte den Kopf.

Sie hielt das Handy in der Hand und überlegte. Soll ich ihn anrufen? Soll ich mich lieber von Angesicht zu Angesicht mit ihm unterhalten? Und in diesem Augenblick traf Katja eine Entscheidung, obwohl sie ahnte, dass sie damit etwas ins Rollen brachte, das nicht sein durfte.

Sie ging ins Bad, zog sich um und lief zum Auto, das vor der Garage parkte. Sie öffnete die Tür und setzte sich hinein, um gleich darauf wieder auszusteigen und in der Einfahrt hin und her zu laufen. Ihre Gefühle fuhren Achterbahn, sie zitterte vor Aufregung, aber sie konnte nicht anders: Katja schaltete den Verstand ab und setzte sich ins Auto, um zum Schwimmbad zu fahren.

Dort wartete Nick bereits. Er hatte seinen Eltern gesagt, dass er zu einem Kumpel müsse, um mit ihm noch etwas für ein Referat zu besprechen. Es fiel ihm nicht leicht, seine Eltern zu belügen, aber er hätte ihnen ja schlecht die Wahrheit sagen können: Hört mal, Eltern, ich liebe Katja und treffe mich jetzt mit ihr, um zu schauen, ob sie mich auch liebt.

Er stieg vom Motorroller und musste lachen. Die Vorstellung in seinem Kopf war lustig, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass Katja ihn nicht lieben durfte. Er richtete sich schon mal darauf ein, dass sie ihm ordentlich die Meinung sagen würde. Den Gedanken, dass sie gar nicht kommen könnte, hatte er vollkommen verdrängt. So wie Katja den Gedanken verdrängt hatte, dass alles nur ein großes Missverständnis war und Nick sie auslachen würde, wenn sie mit ihm über ihre Gefühle sprechen wollte.

Nick sah das kleine rote Auto den Berg herunterkommen und leckte sich über die trockenen Lippen. Katja hielt neben ihm an und stieg aus. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Oder doch? Sie könnte Nick sachlich erklären, dass eine Beziehung zwischen einer Lehrerin und ihrem Schüler nicht möglich war und dass sie das auch seinen Eltern nicht zumuten könnten. Nun kam Nick zu ihr und als er vor ihr stand und sie unsicher ansah, wusste sie, dass sie nicht vernünftig sein wollte. Sie wollte Nick.

Er hatte sich genauso wenig unter Kontrolle und erwartete schon eine Abfuhr, aber dann schaute er in Katjas Augen und konnte direkt in ihr Herz blicken. Dort waren Liebe und Begehren, keine Ablehnung, kein Verstand, der ihnen sagte, das alles zu lassen.

„Komm, wir gehen ein Stück“, hörte er nun Katjas zitternde Stimme.

Sie liefen in Richtung Schwimmbad und außer dem Wind, der die Tropfen von den kahlen Ästen der Bäume schüttelte, hörte man nur noch die Vögel, die sich vom schlechten Wetter nicht beirren ließen. Es hatte aufgehört zu regnen, hinter den Wolken versuchte die Sonne, sich gegen den lauernden Winter aufzulehnen.

„Nick, es ist nicht richtig, dass wir uns hier treffen, aber ich denke, wir müssen miteinander reden.“

„Ich weiß“, sagte Nick und sah sie ebenso wenig an wie sie ihn. „Ich sehe doch jeden Tag, wie du mir aus dem Weg gehst, dabei kann ich an nichts anderes denken als an dich.“

Erschrocken blieb Katja stehen und griff nach seinem Arm.

„Das darf nicht sein. Du darfst das nicht und ich auch nicht.“

„Heißt das, du fühlst dasselbe?“

„Schon die Gedanken sind falsch, Nick. Ich bin deine Lehrerin und eine erwachsene Frau. Wir sollten wieder gehen, denn ich bin ziemlich durcheinander und kann im Augenblick gar nicht so richtig denken. Schon überhaupt nicht, wenn du mich so ansiehst.“

„Ich denke, die Gedanken sind frei? Also darf man denken und fühlen, was man will. Das hast du uns so erklärt.“

„Es ist schon richtig, aber doch nicht so!“

Katja hatte ihren Verstand wiederentdeckt und kämpfte nun gegen ihre Gefühle an. Eine Beziehung mit Nick war nicht möglich. Punkt. Schluss. Aus. Ein Sonnenstrahl schlüpfte zwischen den Bäumen hindurch und ließ ihr Haar glänzen. Nick atmete tief ein und wollte gerade ihre Hand nehmen, da wandte sich Katja ab und lief weiter. Er folgte ihr. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her und hingen ihren Gedanken nach. Ab und zu warf Nick einen Blick zur Seite.

Er dachte: Sie sieht so jung aus. Niemals würde jemand vermuten, dass sie schon über dreißig ist. Wenn sie die Haare nach hinten streicht und lächelt, ist sie ein junges Mädchen und genau so will ich sie. Ich will diese Frau!

Am Ende des Weges blieb Katja abrupt stehen.

„Ach Mist, ich bin total verrückt, aber ich muss dir etwas sagen. Ich bin … ähm … ich … ähm …“

Nick sah sie erwartungsvoll an und seine Hoffnung stieg ins Unermessliche. Bitte sag es!

„Ich bin total verknallt in dich und es ist absolut falsch!“

Er biss sich auf die Unterlippe und griff nun mutig nach ihrer Hand, die sie ihm aber sofort entzog.

„Katja, es kann nicht so falsch sein, wie du denkst. Ich fühle dasselbe für dich.“

„Oh nein, bitte nicht! Das darf nicht sein. Du solltest dich mit Mädchen in deinem Alter treffen, sie küssen und umarmen und …“

„Das will ich aber nicht“, kam es über seine Lippen, als wäre er ein kleiner, trotziger Junge.

Augenblicklich mussten beide lachen und es war befreiend und sorglos. Katja schüttelte den Kopf und lief zurück zum Auto. Als Nick sie eingeholt hatte und vor ihr stand, legte sie zärtlich eine Hand an seine Wange. Er hielt ganz still und atmete nicht, nur um diese Berührung nicht zu verlieren.

„Nick, es darf nicht sein und dennoch komme ich nicht dagegen an. Was soll denn nun werden?“

„Ich weiß es nicht“, sagte er leise und er wusste es wirklich nicht.

Konnte sie dieses Abenteuer wagen und eine Beziehung mit Nick eingehen? War sie bereit, sich in die Gefahr zu begeben, ihren Job und ihre Freunde zu verlieren?

„Komm, jeder fährt jetzt heim. Lass uns nachdenken. Ich glaube zwar nicht, dass es eine Chance für uns gibt, aber vielleicht …“

Die Sehnsucht in ihrer Stimme hörte auch Nick. Es war genau das, was er selbst fühlte.

„Darf ich dich wieder anrufen?“

Katja nickte und stieg ins Auto.

*

Spät am Abend klingelte Katjas Handy und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, als sie sah, dass es Nick war.

„Nick, ich musste die ganze Zeit an dich denken.“

„Mir ging es nicht anders. Meine Mutter hat mich mit einem Stirnrunzeln angesehen und gefragt, was los ist. Es war gruselig, ich hatte Angst, sie würde mir ins Herz schauen und alles sehen.“

Katja wusste gar nicht, was sie sagen sollte, so sehr fürchtete sie, dass Bea wirklich etwas wissen könnte. Sicher würde sie nicht zusehen und es akzeptieren. Nick wurde streng erzogen, an erster Stelle kam die Schule, dann der Sport. Es war sein Ziel, Profifußballer zu werden und da musste man halt diszipliniert sein. Die Schule hier bot eine Menge Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen und der Sportlehrer hatte Nick schon zu mehreren Probetrainings begleitet. Bea hatte ihr neulich erzählt, dass ihr Sohn sich an einer Sportschule in München beworben hatte.

„Ich darf gar nicht daran denken, was sie mit uns machen würde, wenn sie wüsste …“

Nick lachte am anderen Ende.

„Sie würden dich erschießen und mich einsperren. So cool meine Eltern auch sind, bei sowas verstehen sie sicher keinen Spaß. Ich wollte dir noch sagen, dass du mich in der Schule gerne links liegenlassen darfst.“

„Was dachtest du denn? Dass wir knutschend auf dem Pausenhof stehen? Geh jetzt schlafen. Wir sehen uns morgen, in Ordnung?“

„Gute Nacht, Katja. Ich werde von dir träumen.“

Katja schlief unruhig und wälzte sich schon sehr früh am Morgen völlig wach herum. Sie fieberte dem Wiedersehen mit Nick entgegen und wäre doch am liebsten im Bett geblieben, um ihm nicht zu begegnen. Was hatte sie gestern nur getan? Sie hatte ihm tatsächlich gesagt, dass sie verknallt war. Was, wenn sie von irgendjemandem erwischt werden? Katja malte sich aus, wie sie vor der Schulleitung stand und sich rechtfertigen musste. Sie sah Bea vor sich, die ihr mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Sie sah Nick, der seine Sachen packte, um in ein Internat zu gehen. Eine Träne lief über ihre Wange und tropfte auf das Kopfkissen. Mit einem Ruck setzte sie sich auf.

„Wenn Nick an der Sportschule angenommen wird, bin ich aus dem Schneider. Ich sehe ihn dann zwar nicht mehr, aber vielleicht findet er dort eine Freundin und ich hier meinen Verstand wieder.“

Mit diesem Gedanken legte sich Katja hin und schloss die Augen. Aber sie fand keinen Schlaf mehr, also stand sie früher auf als nötig und fuhr vor der Schule noch zum Bäcker, um sich etwas für das Frühstück zu holen. Da es noch nie vorgekommen war, dass Katja überpünktlich im Lehrerzimmer saß, wunderte sich ihre Kollegin Lena sehr.

„Nanu? Bist du aus dem Bett gefallen?“

Lena war so alt wie sie, glücklich verheiratet und sie hatte zwei zauberhafte Kinder. Sie führte ein geordnetes Leben und war für Katja immer ein Vorbild gewesen. So wie Lena zu leben wäre gut: Einen Mann haben, ein Haus bauen, eine Familie gründen. Mit einer Gänsehaut im Nacken dachte Katja an Nick. Konnte sie jemals mit ihm zusammen sein? Dürften sie sich je in der Öffentlichkeit zeigen? Würde es Menschen geben, die zu ihnen standen und sie unterstützten?

Sie seufzte. Lena setzte sich mit einer Kaffeetasse neben sie.

„Was ist denn mit dir los? Ist etwas passiert?“

„Nein, nein, alles ist gut. Ich konnte nur nicht schlafen und jetzt bin ich ziemlich müde.“

Mit einem unguten Gefühl im Bauch ging Katja in den Unterricht. Direkt in der ersten Stunde hatte sie Nicks Klasse in Deutsch. Mit einem schnellen Blick sah sie ihn auf einem neuen Platz in der hinteren Reihe sitzen. Sein Lächeln war unergründlich, darum beachtete ihn Katja gar nicht. Später lief sie durch die Klasse und kontrollierte die Texte der Schüler, außer den von Nick. Er meldete sich und brachte sein Heft unaufgefordert nach vorne.

„Sie haben mich vergessen, Frau Sommerschein.“

Katja erschrak, als ein kleiner Zettel zwischen den Seiten herausfiel. Schnell griff sie danach und verbarg ihn in der Hand, erklärte Nick zwei Fehler und schickte ihn auf den Platz zurück. Nach dem Klingeln blieb sie noch im Raum und las zitternd, was er geschrieben hatte.

„Ich muss dich unbedingt sehen!!!!!“

Katja lächelte und dachte: Ich muss dich auch sehen … und spüren und küssen und … Dann wischte sie den Gedanken weg und betrat mit ernstem Gesicht den Flur, um ins Lehrerzimmer zu gehen.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du verliebt bist“, flüsterte Lena. „Du siehst so verklärt aus.“

Katja erschrak gleich wieder. Dass man ihr das so deutlich ansah, machte das ganze Problem nicht besser. Sie schaute Lena streng an.

„Was denkst du dir denn? Ich bin müde und nicht verliebt. Oder vielleicht ein ganz kleines bisschen.“

„Kenne ich ihn? Sieht er gut aus?“

„Ja, er sieht gut aus und nein, du kennst ihn nicht. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste. Zufrieden?“

 

Lena nickte und es klingelte, was Katja noch nie so herbeigesehnt hatte wie jetzt gerade. Sie eilte in den Kunstraum, wo sie mit den Schülern der fünften Klasse zwei Stunden lang Figuren aus Pappmaché herstellte. Danach sah der Raum aus wie nach einer Schlammschlacht. Statt ins Lehrerzimmer zu gehen, füllte Katja einen Eimer mit Wasser und begann die Tische zu wischen. Plötzlich hörte sie die Tür und drehte sich um.

Im Türrahmen stand Nick und grinste. Er kam näher, nahm sich einen zweiten Lappen und half Katja schweigend bei der Arbeit. Als sie sich am letzten Tisch trafen, sahen sie sich kurz an. Katja leerte den Eimer aus und legte die beiden Lappen auf die Heizung.

„Ich war ganz fleißig. Können wir uns heute sehen?“

„Wie stellst du dir das vor? Das geht nicht, auch wenn ich noch so gerne Zeit mit dir verbringen möchte.“

„Ach Mensch, das ist doch blöd. Ich muss andauernd an dich denken. Kann ich nicht mit zu dir kommen? Du wohnst doch ganz alleine. Da kann uns keiner sehen. Deine Nachbarn denken, du gibst mir Nachhilfe.“

„Es geht nicht.“

„Dann gehen wir ins Kino.“

„Wir können doch nicht zusammen ins Kino gehen! Bist du verrückt?“

„Ach bitte“, flehte er, „nur einen Film anschauen in der Nachmittagsvorstellung. Wir tun so, als ob wir uns zufällig treffen.“

„Oh Mann, damit du endlich Ruhe gibst: Ja, wir gehen ins Kino. Aber wir treffen uns wirklich ganz zufällig.“

Freudestrahlend rannte Nick aus dem Kunstraum und direkt in die Arme von Robert Beier.

„Was machst du hier?“, bellte dieser ihn an.

„Ich … ich habe Frau Sommerschein geholfen. Darf ich jetzt durch?“

Robert trat zur Seite und ließ Nick vorbei. Dann grinste er Katja an, die auch gehen wollte.

„Katja, morgen ist Konferenz, wollen wir nicht beide zusammen essen gehen in der Mittagspause?“

„Nein, wollen wir nicht“, entgegnete Katja abweisend. „Ich gehe immer mit Lena.“

Damit schob sie sich an ihm vorbei und schloss die Tür ab. Eilig lief sie die Treppe hinauf, nahm im Lehrerzimmer ihre Sachen vom Stuhl und fuhr heim. Dort schüttelte sie sich, als sie an die Begegnung mit ihrem Kollegen dachte. Robert Beier sah zwar gut aus, aber er war arrogant und selbstverliebt. Niemals würde sie mit ihm essen gehen.

Wenn er einen Moment früher gekommen wäre, dachte Katja und ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie griff nach dem Handy, um Nick abzusagen, ließ es aber sinken.

„Nein, das kann ich nicht. Ich will ihn so gerne sehen. Und wenn es im Kino ist, egal.“

Es kribbelte heftig in ihrem Bauch, als sie ins Foyer des Kinos trat und Nick ihr fröhlich zuwinkte.

„Hallo Frau Sommerschein, das ist ja eine Überraschung. Was machen Sie denn hier?“

„Ähm, Film gucken. Was dachtest du denn?“

Sie standen an der Kasse und sahen den Inhaber lachen.

Nick erklärte: „Das ist meine Lieblingslehrerin.“

Der Mann nickte.

„Wollen wir nebeneinander sitzen oder dürfen Sie das als meine Lehrerin nicht?“

„Ich darf.“

„Sehr gut, ich gebe Ihnen auch eine Limo aus. Wir können ja ein bisschen quatschen.“

Nun sagte der Inhaber: „Ihr sollt nicht quatschen, sondern den Film schauen. Also dann mal viel Spaß.“

Er reichte Katja und Nick die Karten und ging an den Tresen nebenan, um Nick zwei Flaschen Limonade zu geben. Der bedankte sich artig, der Inhaber zwinkerte.

„Wenn dir das bessere Noten bringt …“

Nick schüttelte den Kopf und wandte sich Katja zu. Sie lief voran und setzte sich weit ab von den anderen Gästen in die letzte Reihe.

„Bist du verrückt?“, fauchte sie ihn an. „Mit dir gehe ich nie wieder ins Kino. Das war so übertrieben, niemand glaubt uns, dass wir uns zufällig getroffen haben.“

Nick hatte den Kopf eingezogen, aber jetzt erklärte er: „Also weißt du, warum schimpfst du denn mit mir? Kein Mensch interessiert sich dafür, dass wir im Kino sind. Denk doch nicht immer, dass uns jemand beobachtet oder so. Wir sind ganz alleine hier.“

Katja hatte sich wieder beruhigt, als die Dunkelheit des Kinosaales sie einhüllte. Nach dem Film war es auch draußen dunkel. Nick hielt sie am Arm fest, als sie schnell ins Auto steigen wollte.

„Bist du noch böse?“

Sein Blick ließ Katjas Ärger und Ängste wegschmelzen.

„Nein, du Esel, aber solche Aktionen sparen wir uns in Zukunft. Ich konnte gar nicht auf den Film achten, weil ich nur Angst hatte, dass uns einer sieht. Morgen ist Konferenz, aber übermorgen nehme ich dich mit zu mir und wir kochen etwas zusammen.“

Nick strahlte wie ein kleiner Junge über das ganze Gesicht. Er beugte sich zu Katja hinunter und küsste sie auf die Stirn. Katja zuckte zurück.

„Lass das, sonst überlege ich mir das mit übermorgen nochmal.“

„Ich bin ganz brav, verlass dich drauf. Ich freue mich jetzt schon. Gute Nacht, Katja.“

„Wenn du mich noch einmal in der Öffentlichkeit küsst, flippe ich aus. Jetzt hau ab. Bis morgen. Gute Nacht.“

Sie legte wieder ihre Hand an seine Wange und dachte: Warum fühlt es sich so richtig an und ist so falsch?