Tabu Liebe in Gefahr

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Z serii: Tabu #2
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Tabu Liebe in Gefahr
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Ute Dombrowski

Tabu Liebe in Gefahr

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

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Tabu

Liebe in Gefahr

Ute Dombrowski

1. Auflage 2017

Copyright © 2017 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski

Titelfoto: Lisa Kabel

Lektorat/Korrektorat: Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Irgendwann ist das Leben vorbei und bis dahin sollte man glücklich sein. Katja Sommerschein wusste das, aber sie wusste nicht, wie sie jemals wieder glücklich werden konnte.

Sie hatte vor einiger Zeit ihr Kind verloren und wie betäubt das Krankenhaus verlassen. Nicks Schmerz zu sehen und ihm nichts sagen zu können, um ihn zu trösten und dabei noch ihr eigenes Leid zu ertragen, konnte sie nicht aushalten. So musste sich Nicks Mutter um zwei gebrochene Menschen kümmern.

Man hatte ihnen gesagt, dass es gut wäre, dem totgeborenen Jungen einen Namen zu geben, und so hatten sie ihn Jannis genannt. Man hatte ihnen gesagt, dass es gut wäre, sich zu verabschieden, und so hatten sie die kleine Urne im Friedwald beerdigt. Sie hatten alles getan, was man ihnen gesagt hatte, aber nichts war gut.

Irgendwann konnten Katja und Nick nicht mehr zusammen weinen, sie hörten auf zu reden und trennten sich, obwohl sie sich liebten. Nick zog zurück zu seiner Mutter und später nach Berlin, wo ihm seine Firma einen neuen Ausbildungsplatz vermittelt hatte. Der Abstand half ihm, wieder auf die Beine zu kommen.

Katja war allein zurückgeblieben und beschäftigte sich rund um die Uhr mit dem WARUM. Sie konnte nicht verstehen, warum ausgerechnet sie so viel Leid erleben musste und als sie sich einredete, dass das die Strafe für die vielen falschen Entscheidungen war, fasste Bea sie an den Schultern und schüttelte sie.

„Du bist nicht schuld! Es war ein tragisches Unglück. Katja, bitte lass dich nicht verrückt machen und versuche wieder zu leben.“

„Wie soll das denn gehen? Ich bin Lehrerin und muss jeden Tag Kinder sehen, glückliche, lebendige Kinder. Jannis darf niemals glücklich sein, er wird nie zur Schule gehen! Und nur, weil ich krank war. Das ist alles so unfair!“

Katja weinte nun wieder jeden Tag, sie wunderte sich manchmal, wie viele Tränen in einem Menschen waren. Bea tröstete sie, so gut sie konnte. Aber sie konnte nichts dagegen tun, dass Katja sich allein und schuldig fühlte. Sie waren noch einige Male bei Peter Freitag, dem Psychologen aus dem Krankenhaus, gewesen und der hatte Katja geraten, wieder arbeiten zu gehen. Sie sollte Strategien entwickeln, um die positiven Erinnerungen in den Vordergrund zu rücken.

Die Liebe zu ihrem Beruf trieb sie dann tatsächlich in die Schule zurück, wo sie von den Kollegen warmherzig empfangen wurde. Niemand fragte, keinem musste sie etwas erklären und so ging sie wieder an die Arbeit. Wenn sie die Schüler über ihre Hefte gebeugt sitzen sah, ging ihr Blick über ihre Köpfe hinweg und sie konnte nur daran denken, dass Jannis niemals mit anderen Kindern lernen durfte. Sie musste sich oft zusammenreißen, um nicht aus dem Klassenzimmer zu rennen.

Heute war Samstag und sie war wie so oft seit vier Uhr wach. Wie jede Nacht hatte sie sich herumgewälzt und irgendwann die Augen geöffnet, um in die Dunkelheit zu starren. Es war eine Dunkelheit, die auch in ihrem Herzen Einzug gehalten hatte. Manchmal stellte sie sich vor, es wäre alles nur ein böser Traum gewesen, aber wenn sie zur Besinnung kam, war Jannis immer noch tot und Nick nicht mehr bei ihr.

„Soll das ewig so weitergehen?“, flüsterte sie in die Stille.

Mit einem Ruck setzte sie sich auf.

„Nein! Ich muss etwas tun.“

Sie schaltete das Licht ein, schwang entschlossen die Beine aus dem Bett und schlüpfte in ihre Sachen, die sie sich am Abend bereitgelegt hatte. Arbeiten, Essen und Schlafen hatten in der letzten Zeit ihr Leben bestimmt und nun begann sie den immer wiederkehrenden Ablauf zu durchbrechen. Sie fuhr zum Bäcker, holte sich frische Brötchen und eine Zeitung, deckte liebevoll den Tisch, kochte sich ein Ei und genoss den Morgen, der freundlichen Sonnenschein brachte. Sie saß in der Küche am Tisch, einen Fuß auf dem Stuhl, trank einen Schluck Kaffee und rief Bea an.

„Ja?“, meldete diese sich gähnend.

„Habe ich dich geweckt? Das tut mir leid. Bea, ich muss wieder aus meinem Loch herauskommen, sonst gehe ich kaputt. Denkst du, das ist richtig?“

„Aber ja!“, rief Bea erfreut und war nun wach.

„Ich will ein bisschen durch den Wald laufen, kommst du mit?“

Bea versprach, in einer halben Stunde bei Katja zu sein. Sie war froh, dass ihre Freundin anscheinend den Weg aus dem Kummer gefunden hatte. Katja war aufgestanden, hatte alles abgeräumt, abgewaschen und kramte nun im Wohnzimmerschrank, bis sie einen Bilderrahmen wie eine Trophäe in die Luft hielt. Sie eilte ins Schlafzimmer, entnahm der Erinnerungskiste in ihrem Nachtschrank das kleine Ultraschallbild von Jannis und rahmte es vorsichtig ein. Danach stellte sie es auf das Fensterbrett und strich zärtlich mit dem Finger darüber. Ein winziges Lächeln suchte und fand seinen Weg aus Katjas Traurigkeit.

„Du bist immer bei mir, mein kleiner Engel. Hier kannst du alles sehen und wenn ich abends im Bett liege, erzähle ich dir, was ich erlebt habe.“

Im Wald an der Seite ihrer Freundin ließ sie sich den Kopf vom scharfen Ostwind freipusten. Ja, dachte sie, ich werde wieder leben. Bea hatte nach ihrer Hand gegriffen und genickt.

*

Ab und zu trafen sich Katja und Bea zum Kaffee oder liefen durch die Stadt. In der Schule hatte sich alles eingespielt und sie hatte wieder Spaß am Unterrichten. Es war, als hätten auch die Schüler aufgeatmet, dass ihre Frau Sommerschein zur liebgewonnenen Leichtigkeit zurückgefunden hatte.

Zu Ostern war Katja bei ihrer Kollegin Lena eingeladen, aber sie fürchtete sich ehrlich vor diesem Nachmittag. Lena hatte zwei kleine Kinder: Nadja, drei Jahre, und Manuel, der schon acht war. Als Katja den Zeigefinger auf den Klingelknopf legte, dachte sie einen Augenblick daran, heimlich zu verschwinden. Aber dann wurde die Tür aufgerissen und Manuel stand vor ihr. Der kleine blonde Junge ließ sie einfach stehen.

 

„Mama, da ist so eine Frau!“

Lena kam lachend zur Tür und ließ Katja eintreten. Ihre ganze Familie war da und Katja befürchtete neugierige Blicke und Fragen. Das Gegenteil war der Fall. Die Menschen waren freundlich, keiner fragte und niemand erwartete, dass Katja etwas erzählte. Die Offenheit war ehrlich und so fühlte sie sich sofort gut und heimisch. Manuel hatte sie nur kurz angeschaut, aber die kleine Nadja kroch direkt auf ihren Schoß.

„Warum hast du kein Kind mitgebracht?“, fragte sie und Katja musste schlucken.

Sie hielt sich tapfer und antwortete: „Ich habe keine Kinder, aber wenn ich mal welche habe, dann bringe ich sie mit, versprochen.“

Nadja sah sie streng an, dann kicherte sie.

„Dann kriege mal ein paar Mädchen. Mit Jungs spielen ist doof.“

Manuel hatte aufgehört, den Kuchen auf seinem Teller zu zerhacken und schnipste einen Krümel herüber. Lena schimpfte, aber alle lachten.

„Mädchen sind viel doofer.“

Er streckte seiner Schwester die Zunge raus und hieb nun wieder auf den Kuchen ein, der im Eiltempo in seinem Mund verschwand. Katja fühlte sich plötzlich sehr wohl.

In dem Moment wusste sie, dass es wieder bergauf ging. Sie dachte: Man kann tatsächlich seinen Schmerz überwinden und aus allem Leid wird Erinnerung. Der Tod eines geliebten Menschen hat nicht die Macht, alles zu zerstören. Das Leben ging tatsächlich weiter. Vor kurzem wollte sie noch sehr gern jedem ins Gesicht schlagen, der mit diesem Satz daherkam. Sie drückte Nadja fest an sich und kicherte mit ihr.

Lena lächelte und nickte ihr aufmunternd zu. Katja dankte ihr leise für die Einladung. Nach den Osterferien verging die Zeit, die ihr bis dahin als eine unendlich langsame Schnecke vorgekommen war, wie im Fluge und schon waren Sommerferien, sechs Wochen, die sie nach langer Zeit alleine verbringen würde. Aber Katja wollte kein Trübsal blasen und schmiedete Pläne.

Sie nahm sich vor, mehr Sport zu machen, sich um den Garten zu kümmern und einige Tage mit Städtereisen zu verbringen. Zu Bea wollte sie nicht, denn Nick verbrachte seinen Urlaub bei ihr. Er kam mit einem „netten Mädchen“, wie Bea am Telefon berichtet hatte.

„Das ist sehr gut“, sagte Katja, „so findet er zurück ins Leben und kommt auf andere Gedanken.“

Sie war ehrlich froh und auch erleichtert. Ein bisschen regte sich manchmal das schlechte Gewissen in ihr, dass sie wieder Spaß am Leben hatte. Morgens im Bett beschloss sie ganz spontan, an die Ostsee zu fahren. Sie stand auf, trank eine Tasse Kaffee und packte ein paar Sachen zusammen. Die Sonne schien und sie machte sich voller Energie auf den Weg. Irgendein Zimmer würde sie schon finden. Unterwegs hielt sie kurz an und frühstückte in einer Autobahnraststätte.

Tatsächlich war in „ihrem“ Wellness-Hotel noch ein Zimmer frei. Katja warf die Tasche auf das Bett und ging direkt an den Strand. Dort mietete sie sich einen blauweißen Strandkorb und genoss die Sonne, die ihre Haut und ihr Herz erwärmte. Am Abend aß sie im Hotel und fiel sofort ins Bett. Der nächste Tag war genauso schön sonnig und sie war schon morgens an den Strand gelaufen.

Nachmittags wollte sie auf der Promenade in einem kleinen Café einen Cappuccino trinken und eine frische Waffel essen. Dazu setzte sie sich an einen leeren Tisch am Fenster. Ein kleines Schraubglas mit Sand und Muscheln war die einzige Dekoration.

Sie bestellte und ließ den Blick durch den vollen Raum wandern. Plötzlich entdeckte sie an einem der hinteren Tische Daniel Hardeg mit einer sehr blonden Frau. Sie hoffte, dass er sie noch nicht gesehen hatte und verschlang die Waffel, die die Kellnerin ihr eben brachte. Den heißen Cappuccino konnte sie nicht so einfach hinunterstürzen, also trank sie ihn nur zur Hälfte aus und winkte nach der Rechnung. Gerade als sie aufstehen und gehen wollte, trafen sie ihre Blicke. Katja wollte weglaufen, da lächelte Daniel sie an und kam zu ihr herüber. Die Blondine machte einen langen Hals und stöckelte ihm hinterher.

„K … K … Katja“, stotterte Daniel, „schön dich zu sehen.“

„Ich mache Urlaub und will gerade weg.“

Daniel hatte ihr die Hand entgegengestreckt und sie fasste vorsichtig zu. Es durchzuckte sie wie ein Blitz und eine Gänsehaut lief ihr von Nacken hinunter bis zu ihren Zehenspitzen.

„Wer ist das denn, Schatz?“, fragte die Blondine, die ihr Daniel nun als seine Verlobte Linette Laroux vorstellte.

„Und das ist meine ehemalige Lehrerin, Frau Sommerschein.“

„Ah ja, Lehrerin.“

Linette musterte Katja von Kopf bis Fuß und grinste dann einfältig. Katja zwang sich zu einem Lächeln und wusste nicht, was sie mehr ärgerte: die „Verlobte“ oder dass er „Frau Sommerschein“ gesagt hatte. Es sah so aus, als hätte Daniel wieder einmal nichts aus der Vergangenheit erzählt. Linette war jung, stark geschminkt und hatte eine große Oberweite, die in einem zu engen Shirt schlecht verpackt war. Der Bund ihrer Jeans endete knapp unter dem freiliegenden Bauchnabel, in dem ein himmelblaues Steinchen glitzerte. Eine pinkfarbene Sonnenbrille saß auf ihrem wallenden Haar.

„Ich muss los! Schönen Urlaub noch“, rief Katja und drehte sich zur Tür um.

Sie lief aus dem Café und spürte Daniels Blick in ihrem Rücken. Im Hotel warf sie sich verwirrt auf das Bett. Sie hatte Daniel nach der Trennung nicht wiedergesehen, aber als er sie eben angesehen hatte, waren alle Gefühle wieder da und das gefiel ihr absolut nicht. Es war der denkbar ungünstigste Augenblick gewesen, denn sie wollte sich nicht mehr verlieben und Daniel war verlobt.

„Was will der denn mit so einer?“, fragte sie die Deckenlampe, aber die schwieg ratlos. „Ich muss hier weg!“

Mit neuer Energie sprang sie aus dem Bett und lief auf den Parkplatz, um das Prospekt vom Reisebüro aus dem Auto zu holen. Sie hatte sich mehrere Hotels angekreuzt und wollte diese nun abtelefonieren, um so schnell wie möglich aus Daniels Nähe zu entkommen.

Als sie durch die Hintertür nach draußen trat, traf sie gleich noch einmal der Schlag. Am anderen Ende des Parkplatzes stand Daniels Sportwagen. Nun muss ich erst recht hier weg, dachte sie und rannte zurück ins Zimmer, um zu telefonieren. Das Schicksal schien gegen sie zu sein, denn nirgends war etwas frei. Also trat sie im Foyer an den Tresen und erklärte der netten jungen Dame ihr Problem.

„Ich habe schon überall angerufen, aber es ist nichts frei. Ich liebe ihr Hotel, doch ich kann nicht mit meinem Exfreund und seiner Verlobten unter einem Dach wohnen.“

„Ich verstehe, warten Sie einen Moment, dann sehe ich mal im Computer nach.“

Nach drei Minuten sah sie Katja mitleidig an und zuckte mit den Schultern.

„Ich bedaure, aber ich kann Ihnen nicht helfen.“

„Dann werde ich morgen abreisen, so leid mir das auch tut. Machen Sie bitte alles für neun Uhr fertig.“

„Sehr wohl, Frau Sommerschein. Gönnen Sie sich doch heute Abend nochmal ein schönes Essen. Wir haben frischen Fisch auf der Karte.“

Katja nickte und bedankte sich bei der freundlichen Frau. Das mit dem Abendessen war eine gute Idee, aber nur, wenn Daniel und Linette nicht im Restaurant saßen. Als sie wieder nach oben gehen wollte, ging hinter ihr die Tür auf und die beiden betraten das Foyer. Katja schaute weg und lief los. So sah sie nicht mehr Daniels traurige Augen.

Später hatte Katja geduscht und schlich zum Restaurant. Als sie kein bekanntes Gesicht entdeckte, ließ sie sich von einem Kellner in die hinterste Ecke an den Tisch begleiten. Er nahm ihre Bestellung auf und war fort. Nach den Essen, frischem Fisch mit Kartoffeln und Salat, trank sie den Rest Wasser aus und wollte gehen.

Die Tür öffnete sich und Daniel steuerte zielgerichtet auf ihren Tisch zu. Er setzte sich unaufgefordert.

„Ich wusste, dass du hier bist. Dein Auto stand auf dem Parkplatz.“

„Ja, ich bin aber morgen schon wieder weg.“

„Katja“, sagte Daniel leise und legte seine Hand auf ihre, „warum habe ich das Gefühl, dass du vor mir davonläufst?“

Sie riss heftiger als gewollt die Hand zurück und erwiderte: „Wie kommst du denn darauf? Ich fahre noch woanders hin. Was machst du eigentlich hier? Wo ist deine Verlobte?“

„Wellness. Ich wollte dich sehen.“

„Ich muss jetzt los.“

Sie waren aufgestanden und sahen sich in die Augen. Daniel hielt sie am Arm fest. Katja konnte direkt in sein Herz schauen und wollte nur noch weg von ihm.

„Katja, bitte …“

„Nein, Daniel. Ich muss jetzt gehen. Bitte vergiss mich. Es ist besser so.“

Sie lief los und zitterte an ganzen Körper, als sie in ihrem Zimmer angekommen war. Weinend sank sie auf das Bett. Seine Berührung brannte immer noch auf ihrer Haut. Sie presste das Kissen auf ihr Gesicht und seufzte.

„Warum tust du mir das an?“

Nach einer Weile wischte sie sich die Tränen ab, packte den Rest ihrer Sachen ein und legte sich ins Bett. Der Schlaf wollte nicht kommen, stattdessen verfolgten sie die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit. Nur mühsam kam sie zur Ruhe und schlief mit einem Gedanken ein, der plötzlich dagewesen war: Ich liebe dich, Daniel.

*

Am nächsten Morgen war Katja die Flucht vor Daniel gelungen. Sie hatte bezahlt und war davongefahren. Von ihrer ersten Rast aus rief sie Karim an. Die Begegnung vom Vortag hatte sie aus dem Konzept gebracht und sie erhoffte sich kluge Worte von ihrem ägyptischen Freund.

„Schön, dass du anrufst, meine Liebe. Wie geht es dir denn?“

Katja berichtete von der deutlichen Verbesserung, die sie spürte, und Karim freute sich mit ihr.

„Endlich, Katja, ich bin froh, denn ich habe mir sehr viele Sorgen gemacht.“

„Ähm … ich muss dir noch etwas sagen. Du glaubst nicht, was ich erlebt habe. Ich habe an der Ostsee Daniel und diese Linette getroffen. Es war entsetzlich.“

Katja hörte Karim lachen und fand es alles andere als lustig.

„Was gibt es denn da zu lachen? Woher hat der Kerl so eine Frau? Ich wollte nur einen Kaffee trinken, da stand er plötzlich vor mir und hat mir Linette als seine Verlobte vorgestellt. Wusstest du davon?“

Sie berichtete von der Begegnung im Café, dem Zusammentreffen in der Hotelhalle und Daniels Auftritt im Restaurant.

Karim hatte ein schlechtes Gewissen, natürlich hatte er gewusst, dass Daniel Linette kennengelernt und sich mit ihr verlobt hatte. Aber von Anfang an war ihm klar: DAS konnte er Katja auf keinen Fall erzählen.

Er druckste herum und sagte leise: „Es tut mir leid, aber ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Ich wollte nicht, dass du noch mehr Kummer hast.“

Katja reagierte ungehalten: „Warum sollte mich das bitteschön jucken, was Daniel tut? Er kann sich meinetwegen verloben, mit wem er will.“

„Und warum bist du dann weggerannt?“

Oh Mann, dachte Katja, jetzt hat er mich durchschaut.

„Es war mir einfach unangenehm“, log sie, „vor allem, weil er mich als Frau Sommerschein, seine ehemalige Lehrerin, vorgestellt hat. Und am Abend hat er dann so getan, als wenn ich ihm noch irgendetwas bedeute. Als ob wir noch zusammengehören. Nein!“

Karim sah Katja vor sich, wie sie sich sprichwörtlich um Kopf und Kragen redete. Er wusste, dass Daniel sie immer noch liebte und Thea hatte ihm bei einem langen Telefonat von dem Arrangement erzählt, das Daniel für seine Eltern eingegangen war, aber er brachte es nicht über das Herz, Katja etwas davon zu sagen. Das sollte Daniel mal schön selbst tun, wenn ihm etwas an ihr lag. Außerdem ahnte er, dass Katja ihm die Gleichgültigkeit nur vorspielte.

„Ich muss jetzt weiter, mein Freund, und melde mich, wenn ich daheim bin.“

Sie legten auf und Katja schämte sich, weil sie Karim nicht reinen Wein eingeschenkt hatte. Wenn sie an Daniels Blicke und seine Berührungen dachte, lief ihr ein Schauer über den Rücken und ihr Herz klopfte wild. Sie fuhr den Rest der Strecke in einem Rutsch durch und ließ sich zuhause erschöpft und verschwitzt auf die Hollywoodschaukel sinken. Sanft schaukelte sie vor sich hin und schloss die Augen, um sie gleich danach wieder aufzureißen. Nein, dachte sie, ich muss mich ablenken.

Sie packte die Tasche aus, stellte die Waschmaschine an und schaute in den Kühlschrank. Der war fast leer und so nahm sie ihren Einkaufskorb, um einkaufen zu fahren. Vorher rief sie Bea an und meldete sich zurück.

 

„Nanu? Du bist schon wieder da?“, fragte die Freundin überrascht.

„Ich habe mich einsam gefühlt und dann …“

„Was dann? Ein Mann?“

Katja erwiderte lachend: „Und was für ein Mann. Daniel war mit seiner Verlobten auch dort.“

Sie berichtete nochmal, was geschehen war, und auch Bea lachte herzhaft.

„Und da bist du angehauen? Warum?“

„Ich … ich … ich fand es unpassend.“

„Das ist nicht dein Ernst! Oh, wir müssen uns treffen und reden, meine Liebe. Nick und Lauren fahren in drei Tagen, da kannst du schon mal den Sekt kaltstellen. Und du wirst mir alles ganz genau erzählen.“

Katja versprach es und machte sich auf den Weg in den Supermarkt. Am Abend telefonierte sie noch einmal lange mit Karim, aber sie vermieden das Thema Daniel und Linette. In der Nacht träumte Katja von einer großen Hochzeit in Südfrankreich und sie sah sich, wie sie Linette die blonden Haare hochsteckte. In ihrem Traum waren sie die besten Freundinnen. Sie wachte schweißgebadet auf und war froh, als sie zuhause in ihrem Bett lag.

Am frühen Morgen klingelte ihr Handy. Katja ging gähnend dran. Es war Karim.

„Was willst du denn schon so früh? Ich schlafe noch.“

„Das tut mir leid, aber ich habe eine Idee. Wenn du nicht mehr an der Ostsee bist und nun noch so lange Ferien hast, dann kannst du doch zu mir kommen! Ich bin bei Marie und hüte das Haus, denn sie ist in Chile bei einem Winzer. Sag bitte nicht nein. Du kannst dich erholen, die Sonne und das Meer genießen und abends sitzen wir zusammen am Pool und reden.“

Warum eigentlich nicht? Katja sagte zu, sprang voller Elan aus dem Bett und suchte im Internet nach einem Flug. Am nächsten Nachmittag konnte sie dort sein, in Südfrankreich, weit weg von Daniel. Sie rief Karim nochmal an und sagte Bescheid, dann informierte sie auch Bea.

„Aber danach treffen wir uns!“

„Ja“, sagte Katja, „das machen wir, dann habe ich auch etwas zu erzählen.“

Sie überprüfte, ob die Wäsche getrocknet war und begann erneut zu packen. Einfach verschwinden und an etwas anderes denken, dachte Katja, als es an der Tür läutete. Sie ließ die Tasche auf dem Bett stehen und eilte hinunter.

Es war Daniel. Katja starrte ihn ungläubig an.

„Was willst du denn hier? Wo ist Linette? Du bist doch an der Ostsee?“

„Wie du siehst, bin ich hier. Ich habe Linette gesagt, dass ich etwas Geschäftliches erledigen müsse. Linette ist mit ihrem Wellness-Programm beschäftigt.“

„Ach, das ist ja sehr interessant, aber was willst du dann bei mir?“

„Ich wollte zuerst einmal einen Kaffee.“

Katja ließ Daniel wortlos an sich vorbeigehen und wusste in diesem Moment, dass es ein riesiger Fehler war. Sie fragte sich im Stillen: Was hat er sich nur dabei gedacht?

Daniel ging gleich auf die Terrasse, während Katja sich in der Küche zu schaffen machte. Eine Viertelstunde später balancierte sie ein Tablett mit Tassen, Kaffeekanne und Milch nach draußen. Mit zitternden Händen stellte sie das Geschirr zurecht und goss ein. Dann wollte sie Daniel an den Tisch bitten und als sie sich umdrehte, stand er direkt vor ihr. Sein Blick sagte alles und ehe Katja bis drei zählen konnte, hatte er sie an sich gezogen. Seine Lippen berührten zärtlich ihren Mund und sie gab jeglichen Widerstand auf. Gierig schlang sie die Arme um seinen Hals und ließ sich ins Schlafzimmer tragen.

Dort stutzte Daniel und schaute auf die Reisetasche, die auf dem Bett stand.

„Willst du nochmal weg?“

Katja antwortete nicht, sondern zog das Gepäck mit einem Ruck vom Bett. Sie ließ sich fallen und genoss Daniels starke Arme, seine Lippen auf ihrer heißen Haut und seine wilde Begierde. Später lag sie erschöpft in seinen Armen und hatte die Augen geschlossen, als er seine Frage wiederholte.

„Willst du nochmal weg?“

Plötzlich war Katja wieder vollkommen klar und setzte sich mit einem Ruck auf.

„Oh nein, was haben wir getan? Das war ein großer Fehler. Wir dürfen uns nicht lieben und schon gar nicht miteinander schlafen. Du bist verlobt!“

Daniel wollte sie an sich ziehen, aber Katja stieß ihn weg.

„Wir müssen sofort damit aufhören. Außerdem fliege ich morgen nach Südfrankreich zu Karim.“

Daniel war es, als hätte Katja ihm einen Dolch ins Herz gestoßen. Er setzte sich neben sie und sah sie traurig an.

„Seid ihr jetzt zusammen?“

„Nein, das sind wir nicht, aber wenn es so wäre, könnte dir das doch egal sein. DU bist der, der bald heiratet. Habt ihr schon einen Termin für eure Traumhochzeit? Mann, wie konnte ich mich nur auf das hier einlassen!“

„Der Termin ist der erste Oktober. Ich weiß, es klingt falsch, aber ich will nur dich! Ich wollte immer nur dich!“

Katja kamen die Tränen und sie zog sich schnell an, damit er es nicht sah. Daniel tat dasselbe und sie gingen nach unten, wo Katja ihn zur Haustür schob.

„Bitte geh! Wir dürfen das nie wieder tun.“

Sie hatte die Lippen zusammengepresst und den Kopf weggedreht, als Daniel sie küssen wollte. Mit hängenden Schultern stieg er in sein Auto und fuhr fort. Katja schloss die Tür und sackte auf der Treppe zusammen. Nun kam der Schmerz und sie weinte bittere Tränen. Aber dann hob sie trotzig den Kopf.

„Vielleicht ist ja Karim der Richtige.“

Wütend über sich selbst und den Rest der Welt begann sie, im Garten die Sträucher zu schneiden, bis sie Rückenschmerzen hatte. Sie duschte und legte sich auf die Couch. Der Wecker war gestellt, Südfrankreich und Karim warteten.