Mörderischer Handel

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Z serii: Eltville-Thriller #6
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Mörderischer Handel
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Ute Dombrowski

Mörderischer Handel

Fall 6

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Mörderischer Handel

Ute Dombrowski

1. Auflage 2019

Copyright © 2019 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski

Lektorat/Korrektorat Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

O wie der Falschheit Außenseite glänzt!“

William Shakespeare

Aus „Der Kaufmann von Venedig“

1.Aufzug, 3. Szene, Antonio

„Reinhold geht in Pension.“

„Welcher Reinhold?“, fragte Bianca.

„Unser Chef. Er hatte ja damals auf Drängen des Staatsanwaltes deine Stelle übernommen. Jetzt will er nicht mehr. Seine Frau ist schwer krank und er möchte sich um sie kümmern. Bewirb dich doch wieder.“

Bianca Verskoff runzelte die Stirn. Damals war es eine Herausforderung gewesen, aber die endete in einer Tragödie. Sie war nicht dafür gemacht, den Chef zu spielen. Sie wollte draußen sein, den Tätern direkt auf der Spur.

„Nein, ich bin kein Schreibtisch-Mensch, ich muss raus an die Front.“

Ferdinand Waldhöft lehnte sich zurück und sah Bianca offen an.

„Ich könnte mir die Arbeit im Büro gut vorstellen. Man trifft wichtige Entscheidungen, koordiniert die Ermittlungen. So etwas liegt mir, ich kann gut organisieren.“

„Dann bewirb du dich doch! Mit dir als Chef wäre es sicher entspannt. Du bist fair, korrekt und bleibst auch bei Stress ruhig.“

Ferdinand hatte, seit er von Reinholds Entschluss erfahren hatte, öfter darüber nachgedacht, ob er für so eine Aufgabe geeignet war. Die Qualifikationen besaß er. Vielleicht sollte er es versuchen?

„Glaubst du, die nehmen einen wie mich?“

Bianca stand auf und holte sich eine Tasse Kaffee, mit der sie sich ans Fenster stellte.

„Doch“, sagte sie, „doch, du wärst ein guter Dienststellenleiter. Außerdem bist du einer von hier. Es wäre schon besser, wenn man uns keinen Fremden vor die Nase setzt, dem man nichts rechtmachen kann. Geh hoch und rede mit Reinhold.“

„Morgen, ich muss noch einmal drüber schlafen. Schließlich kann ich dann nicht mehr mit dir im Team arbeiten. Das ist gerade das Beste an meinem Job.“

„Ach du meine Güte, ich bin ja nicht aus der Welt. Ich komme dann jeden Tag zehnmal in dein Büro und berichte von den großen und kleinen Katastrophen. Aber danke für die netten Worte. Ich arbeite auch sehr gerne mit dir zusammen. Du bist mir im letzten Jahr ein echter Freund geworden.“

„Den Dank kann ich nur zurückgeben. Ich hatte schon Angst, dass du wieder ins Archiv gehst. Dabei waren wir doch sehr erfolgreich.“

Es klopfte und der Staatsanwalt Dr. Rosenschuh stand wie immer ohne Aufforderung direkt im Büro.

„Schon wieder eine Kaffeerunde? Haben Sie nichts zu tun?“

„Wir planen gerade den Tag, also nur mit der Ruhe. Gott sei Dank haben sich die Verbrecher aus Eltville zurückgezogen.“

„Oh, der schlaue Herr Kommissar kann hellsehen. Wollten Sie nicht den Unfall mit der Leiche im Rhein aufklären?“

„Das hat sich erledigt, es war wohl wirklich ein Unfall. Der Mann war betrunken und ist auf den Steinen am Ufer herumgeklettert. Er ist abgerutscht und wurde mitgerissen, denn die Strömung ist dort sehr heftig.“

„Und warum habe ich den Bericht noch nicht auf meinem Schreibtisch?“

„Weil er eben erst ausgedruckt wurde. Ich war schon unterwegs und wollte nur noch etwas Merkwürdiges mit Hermann besprechen.“

„Was denn Merkwürdiges? Ein Unfall ist doch super. Das geht uns nichts mehr an.“

„Er hatte blaue Flecken an den Handgelenken. Vielleicht ist das ein Hinweis auf …“

„Auf ein Verbrechen? Ach was! So ein Säufer hat schon mal blaue Flecken, egal wo. Konstruieren Sie keinen Mord, geben Sie mir den Bericht und fertig!“

Bianca war an den Schreibtisch getreten und schob die grüne Mappe zu Dr. Rosenschuh. Sie schwieg, denn jedes Wort wäre zu viel gewesen. Der Staatsanwalt hasste sie von ganzem Herzen und es war ihm ein Dorn im Auge, dass sie nicht wieder im Archiv verschwunden war. Er hätte Reinhold mehr Druck machen sollen, aber der Dienststellenleiter hatte Bianca gern wieder aufgenommen.

„Kümmern Sie sich um Sachen, die wichtig sind!“, blaffte der Staatsanwalt.

In diesem Moment klingelte sein Handy. Er nahm den Ordner, drehte sich um und im Hinausgehen ging er ans Telefon.

„Du sollst mich hier nicht anrufen“, sagte er überraschend leise und zog die Tür hinter sich ins Schloss.

„Hast du schon mal bemerkt, dass der Rosenschuh sich verändert hat?“, fragte Bianca nachdenklich.

„Meinst du damit, dass er nett und freundlich geworden ist?“

Die Kommissare lachten los und sie ahnten, dass Dr. Rosenschuh noch vor ihrer Bürotür stand.

„Das wird nie passieren, keine Angst. Aber“, flüsterte sie nun, „ich sehe ihn öfter mit dem Handy in der Hand und wenn es mal klingelt, dann verschwindet er schnell. Hat er etwas zu verbergen?“

„Vielleicht geht er fremd. Ist der eigentlich verheiratet?“

„Er ist geschieden, das hat mir Jürgen mal erzählt. Der Job war ihm wichtiger als seine Familie. Er hat wohl auch eine Tochter. Aber ich muss zugeben, dass mir sein Leben herzlich egal ist. Wer will schon so einen Mann?“

„Gut“, erwiderte Ferdinand, „dann kommt er nicht als Kandidat für dich infrage. Hast du dich mal mit einem Mann getroffen?“

 

Seitdem Bianca hierher zurückgekehrt war, hatte sie sich geöffnet und mit Ferdinand über ihre Trauer und ihre Ängste geredet, obwohl es sie viel Kraft und Mut gekostet hatte. Ferdinand hatte zugehört, sie ernstgenommen und nicht gewertet. Und was ganz wichtig gewesen war: Er hatte ihr keine Ratschläge gegeben, wie sie ihre Trauer und somit ihr Leben in den Griff bekommen konnte. Bianca hatte sich gefangen, ging regelmäßig zum Friedhof, redete nach wie vor mit Michael, aber nun hatte sie auch einen echten Freund, dem sie sich anvertrauen konnte. Sie war unendlich dankbar und nahm ihm diese Frage jetzt auch nicht übel.

„Ich weiß nicht, ob ich das schon kann. Wenn ich mich wieder einem Mann zuwende, dann muss es so richtig knallen, wenn du verstehst, was ich meine. Schmetterlinge im Bauch und rot werden. Aber ein Mann, der in meinem Leben einen Platz haben will, muss auch die Vergangenheit akzeptieren. Ich werde Michael immer lieben, nur weil er nicht mehr lebt, ist das nicht weniger geworden.“

„Das verstehe ich. Denkst du, Michael würde wollen, dass du für immer allein bleibst?“

„Nein, ich denke, er würde mir Mut machen, eine neue Beziehung einzugehen, aber im Moment reicht es mir völlig, einen so guten Freund wie dich und eine Freundin wie Riva zu haben. Ich bin froh, dass es euch gibt.“

„Wenn einer kommt, der dich umhaut, dann lass es zu. Das ist alles, was ich verlange. Ist das zu viel?“

Bianca lächelte und schüttelte den Kopf.

„Weißt du was?“, rief Ferdinand. „Du hast recht, ich gehe jetzt mal hoch zu Reinhold und rede mit ihm über meine Idee.“

2

Am nächsten Morgen stand Hermann Pfriehl, der Gerichtsmediziner, im Büro bei Bianca, als Ferdinand mit belegten Brötchen ankam. Er stellte die Tüte neben die Kaffeemaschine und sah die Kollegen aufmerksam an.

„Herrmann, guten Morgen, besuchst du uns? Das ist aber nett. Kaffee?“

„Gerne“, sagte der Mann freundlich, „aber eigentlich bin ich dienstlich hier. Bianca hat mich wegen des Toten im Rhein angerufen.“

Ferdinand grinste.

„Du böses Mädchen, hast du nicht unseren strengen Staatsanwalt gehört? Keine Ermittlungen bitte. Da wird er ausrasten, wenn die blauen Flecken doch von einem Verbrechen stammen.“

„Tja, meine lieben Kriminalisten, das müsst ihr dann in Kauf nehmen. Der Mann ist zwar im Rhein ertrunken, aber irgendjemand hat ihn festgehalten. Wir haben im Nachgang weitere blaue Flecken in der Nackengegend entdeckt. Es ist, als hätte ihn jemand beim Ertrinken unterstützt.“

„Und der Alkohol im Blut?“, fragte jetzt Bianca.

„Vielleicht hat man ihm den eingeflößt. Darum die blauen Handgelenke. Ihn danach mit dem Kopf unter Wasser zu halten, ist eine leichte Übung.“

„Ja … Wenn ich da an Alexander denke …“

Sie schluckte. Die Bilder des schlimmsten Tages in ihrem Leben waren wieder hochgekommen, als ihr die Parallelen zwischen der Vorgehensweise des damaligen Mörders und den Verletzungen des Opfers heute bewusst geworden waren. Sie atmete tief durch.

„Der hat den alten Mann damals auch einfach so lange unter Wasser gedrückt, bis er tot war. Vorher hatte der Tote fast zwei Flaschen Schnaps getrunken.“

Hermann zuckte mit den Schultern.

„Wie das abgelaufen ist, müsst ihr herausfinden, ich kann nur sagen, dass die Umstände für einen Mord sprechen. Und jetzt kann ich einen Kaffee gebrauchen.“

Bianca schenkte ein, sie frühstückten, dann verließ Hermann das Büro. Ferdinand sah seine Kollegin an.

„Wer sagt es ihm?“

„Ich mache das, Dr. Rosenschuh kann mich sowieso nicht leiden, also ist ein weiterer Anschiss auch egal. Ich rede vorher mit Reinhold und danach gehen wir an die Arbeit. Hat der Mann Angehörige? Kommt er aus Eltville?“

Ferdinand schlug die Akte des Gerichtsmediziners auf und las vor: „Bernd Fregge, vierundsiebzig, alleinstehend, Besitzer eines Hauses in der Felsstraße. Das sind die schönen alten Stadthäuser.“

„Ich weiß, wir haben uns damals auch ein Haus in der Straße angesehen, aber das war nicht bezahlbar. Wenn er dort ganz allein gewohnt hat, muss er ja gut gelebt haben. Vielleicht wohnt aber noch jemand in dem Haus. Wir fahren sofort, den Staatsanwalt kann ich auch später informieren.“

Sie nahm ihre Tasche und Ferdinand folgte ihr zum Auto. Nach zehn Minuten standen sie in der engen Straße und fanden das Haus direkt. Die Fassade war vor kurzem erneuert worden, alles sah gepflegt und sauber aus. In den Fenstern erblickte Bianca blühende Orchideen und einige Kübel im Eingangsbereich hatte man auch sehr hübsch bepflanzt.

Sie stiegen die Treppe hinauf und klingelten. Drinnen ertönte ein Glockengeläut, aber niemand öffnete. Bianca und Ferdinand betraten die Straße und schauten sich um. Gegenüber kam gerade eine ältere Frau aus dem Haus und schaute die Kommissare äußerst misstrauisch an. Bianca ging zu ihr und grüßte sie freundlich.

„Wissen Sie, ob außer Herrn Fregge hier noch jemand wohnt?“

„Nein, der alte Herr war ganz allein seit dem Tod seiner Frau. Was wollen Sie denn von ihm?“

Bianca zeigte ihren Ausweis und die Frau entspannte sich sichtbar.

„Gott sei Dank, niemand von den Immobilienfritzen. Ich hatte schon Angst. Der alte Fregge ist am Wochenende in den Rhein gefallen und ertrunken. Wenn der sich mal nicht umgebracht hat.“

„Wie kommen Sie denn darauf?“

„Die haben den Tag und Nacht belauert.“

„Wer DIE?“, fragte nun Ferdinand, der auch über die Straße gekommen war.

„Diese Typen, die sahen düster aus. Bernd hat mir gesagt, dass sie sein Haus kaufen wollten. Unbedingt, sagte er, aber er hat nicht im Traum daran gedacht, das Haus wegzugeben. Hier hat er gelebt und hier war er glücklich, hier sind seine Erinnerungen an schöne Zeiten. Aber seit er allein war, hatte er sich zurückgezogen und immer noch getrauert. Und dann ständig diese komischen Männer, nein, nein, der ist ins Wasser gegangen. Es tut mir leid um ihn.“

„Hatte er Kinder? Wer erbt das Haus jetzt?“

„Sie hatten keine Kinder, darum war auch immer die Katze da. Die ist jetzt bei seinem Nachbarn. Manchmal nehmen auch Freunde von ihm das Tier.“

„Danke für die Informationen. Waren diese Männer, wie sie sagen, auch bei jemand anderem?“

„Ja, die ganze andere Straßenseite haben sie belästigt. Aber bei denen ist im Moment keiner da. Die sind alle arbeiten. Was macht denn eigentlich die Kriminalpolizei hier, wenn es doch Selbstmord war?“

Bianca sagte ruhig: „Wir untersuchen auch solche Fälle. Hier ist meine Karte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt oder diese Männer hier noch einmal auftauchen, würden Sie uns anrufen?“

Die Frau nickte und ging zur Mülltonne. Bianca und Ferdinand liefen wieder über die Straße und riefen den Schlüsseldienst. Die Hausschlüssel waren weder in der Hosentasche noch in der Jacke des Opfers gewesen. Aber es war möglich, dass sie im Rhein versunken waren.

Der Monteur, den sie schon viele Jahre kannten, öffnete ohne große Umstände die alte Haustür und war schnell wieder verschwunden. Ferdinand ging voran und sah sich zuerst in der großen Wohnküche um. Es war alles aufgeräumt und ordentlich. Bianca schaute in die anderen Räume im Erdgeschoss, aber auch hier sah alles normal aus. Das Katzenkörbchen stand im Wohnzimmer. Im Obergeschoss gab es ein Schlafzimmer mit Ehebett und drei weitere Schlafräume, in denen die Möbel mit weißen Tüchern abgedeckt waren. Das Ehebett war nur auf einer Seite bezogen, auf der anderen lag eine getrocknete Rose.

Bianca lächelte, denn diese kleine Blume strahlte unendliche Liebe aus, die über den Tod hinausging. Sie verstand sehr gut, dass der Mann das Andenken seiner Frau in Ehren halten wollte. Ferdinand, der zu ihr gekommen war, strich ihr sanft über den Arm, als er ihrem Blick folgte.

„Der Kühlschrank ist gefüllt, in der Obstschale ist frisches Obst, ein voller Wasserkasten steht in einer Ecke, also glaube ich nicht an Selbstmord. Wer deckt sich mit Lebensmitteln ein und bringt sich dann um?“

„Niemand“, erwiderte Bianca, „außerdem hätte er die Rose mitgenommen. Schau mal die Bilder auf den Nachtschrank. Sie waren ein schönes Paar.“

„Ich denke, es war Mord. Wir müssen etwas über diesen Immobilien-Deal herausfinden. Vielleicht hängt das alles damit zusammen.“

„Lass uns mal beim Nachbarn klingeln.“

3

Als sie wieder auf der Straße ankamen, betrat soeben ein Mann im schwarzen Hemd das Grundstück nebenan. Die Kommissare eilten ihm hinterher, denn er war schon fast im Haus verschwunden. Im Vorbeigehen las Bianca den Namen am Briefkasten.

„Herr Jischeck?“, rief sie.

Der Mann drehte sich um und lächelte.

„Ja bitte? Wer sind Sie und was kann ich für Sie tun?“

Bianca hielt ihm den Dienstausweis hin und stellte sich und Ferdinand vor. Peter Jischeck sah sie neugierig an.

„Sie sind hier wegen meines armen Nachbarn, oder? Bitte kommen Sie doch mit ins Haus. Ich kann Ihnen gerne etwas zu trinken anbieten und dann können wir uns unterhalten.“

Die ausgesprochene Freundlichkeit des Mannes erwärmte Bianca das Herz und die beiden Kommissare traten ein. Das Innere des Hauses war ähnlich aufgebaut wie das des Nachbarn, nur herrschte hier viel mehr Leben.

Bunte Bilder schmückten die Wände, dazwischen gab es Fotos mit Menschen aller Hautfarben und an den unterschiedlichsten Orten. Im Wohnzimmer prägten Bücher und von Kinderhand gezauberte Malereien das Bild. Bianca las: „Für Peter, du bist der Beste“. Auch das Schlafzimmer war voller Bücher und Erinnerungsstücke. Selbst auf dem Bett lagen Bücher und Fotos. Bianca musste schmunzeln, aber dann fiel ihr Blick auf den Talar, der auf einem Bügel am Schrank hing, mit einer Nadel war ein weißer Kragen festgesteckt, dessen zwei Zipfel ab der Mitte auseinanderklafften.

Peter Jischeck war dem Blick der Kommissarin gefolgt und lächelte sie freundlich und offen an.

„Sie sind Pfarrer?“

Er nickte und erwiderte: „Ich bin Pfarrer, sehr gut erkannt. Der weiße Kragen versteckt sich immer in der Wäsche, also habe ich ihn festgesteckt. Man nennt ihn Beffchen …“

„Das ist interessant, ich habe in meinem Beruf noch nie mit einem Pfarrer Kontakt gehabt. Nur bei der Beerdigung …“

Bianca stockte und Peter Jischeck wusste sofort, dass das kein Thema für ein spontanes Gespräch war. Geschickt lenkte er die Kommissarin in die Küche und erklärte den Berg der Kuchenpakete auf dem Tisch am Fenster. Auch Ferdinand musste jetzt grinsen.

„Hm, wir können uns beim Reden gerne eine Tasse frischen Kaffee gönnen und dazu ein Stückchen herrlichen Kuchen. Heute Nachmittag kommen Gäste, Freunde aus Syrien, wir reden über ihre Reise nach Deutschland und wie wir uns gemeinsam hier in Eltville engagieren können.“

Bianca und Ferdinand wussten sofort, dass dieser Mann etwas ganz Besonderes war. Gerne nahmen sie die herzliche Einladung an und Bianca half beim Zubereiten des Kaffees. Sie trugen zwei Tabletts hinaus in den Garten, wo unter dem Kirschbaum ein großer ovaler Tisch stand und zur Geselligkeit einlud.

„So, Frau Kommissarin, danke für die Hilfe, setzen Sie sich doch. Herr Kommissar, vielleicht können Sie ein wenig heranrücken. Sie kommen ja wegen meines Nachbarn. Der arme Kerl war heute auch eingeladen, aber nun kann er nicht mehr bei uns sein. Seine Katze Luna sitzt Tag und Nacht am Fenster und wartet, dass er zurückkommt.“

„Die ältere Dame von gegenüber sagte, Bernd Fregge und die Nachbarn Ihrer Straßenseite wurde von Männern belästigt“, begann Ferdinand jetzt. „Was können Sie uns dazu sagen? Sie wohnen ja schließlich auch auf dieser Straßenseite.“

„Also, ich hole mal ein bisschen weiter aus. Seit etwa drei Jahren geht hier in Eltville etwas vor sich, was mir absolut nicht zusagt: Alte Häuser verschwinden und kurze Zeit später stehen moderne und vor allem teure Neubauten an deren Stelle, obwohl die alten Häuser nicht in einem Zustand waren, dass man sie abreißen musste. Ich habe ein wenig recherchiert, weil ich auch immer preiswerte Wohnungen für Freunde suche, war im Amt und habe nachgefragt. Man wollte mir keine Auskunft geben und ich hatte das Gefühl, dass meine Fragen sehr unerwünscht waren. Die zuständige Sachbearbeiterin wollte mich sehr schnell wieder loswerden und hatte mich hinausbefördert.“

„Warum das denn? Das ist doch ein ganz harmloses Thema.“

„Anscheinend nicht, denn überall, wo ich gefragt habe, tat man so, als wäre das ein Tabu. Bei einem Gottesdienst hat mich dann eine alte Bekannte angesprochen, die sehr enttäuscht war. Sie hatte ihr Haus verkauft und war entsetzt, als es plötzlich abgerissen wurde. Ein Mann in Arbeitskleidung hatte ihr gesagt, dass der Schwamm im Mauerwerk war und es nicht gerettet werden konnte. Das müssen Sie sich mal vorstellen, du kommst aus nostalgischen Gründen zu deinem alten Haus, denkst, es ist in guten Händen und dann ist es weg. Traurig.“

 

„Und Sie denken, das geht nicht mit rechten Dingen zu?“, fragte Bianca nachdenklich und knabberte an ihrer Unterlippe. „Wie hängt das denn mit Ihrem Nachbarn zusammen?“

„Zwei Männer, die sehr düster aussahen, klingelten eines Abends bei mir und überreichten mir das Schreiben einer Immobilienfirma aus Frankfurt. Dann waren sie wieder weg. Ich bin hinterhergegangen und habe gesehen, dass sie auch bei meinen Nachbarn geklingelt haben.“

Ferdinand erkundigte sich, ob Peter Jischeck das Schreiben noch hatte und der holte es aus dem Arbeitszimmer.

Er las vor, was dort geschrieben stand: „Sehr geehrter Herr Jischeck, gerne möchten wir Ihnen ein besonderes Angebot unterbreiten. Im Rahmen der Erhaltung des außergewöhnlichen Charmes von Eltville suchen wir für unsere solventen Kunden schöne alte Häuser und bieten Ihnen neben einer modernen Wohnung im Rhein-Main-Gebiet eine Summe von fünfhunderttausend Euro. Wir sind bestrebt, das Gesicht der Stadt zu erhalten und hoffen auf Ihre Zustimmung. Mit freundlichen Grüßen … Mehr steht da nicht.“

„Das ist schon sehr dreist. Wow, einfach mal blanko eine halbe Million. Hört sich das seriös an? Ich bin mir nicht sicher.“

Ferdinand war aufgestanden und hatte die Rückseite des Hauses betrachtet. Es musste mal gestrichen werden und die Fenster waren schon einige Jahre alt, auch das Dach war nicht neu. Der Garten mit seinem alten Baumbestand reichte bis zu einem Zaun, hinter dem der Sülzbach plätscherte.

„Das klingt nicht seriös“, sagte Peter Jischeck, der jetzt neben Ferdinand stand. „Man hat sofort den Gedanken, dass es einen Haken gibt.“

„Sind Sie darauf eingegangen?“

„Nein, ich habe den Brief weggelegt und bisher kam nichts weiter. Beim Bernd war das anders. Ich bin allerdings auch oft unterwegs.“

„Hat Ihnen Bernd Fregge etwas Genaueres erzählt?“

„Er hat genau denselben Brief bekommen und als die Männer wieder aufgetaucht sind, hat er ihn vor deren Augen zerrissen. Er wollte einen Anwalt einschalten, weil er das Verhalten der Männer sehr unangenehm fand. Der eine hat sogar einen Blumentopf umgetreten. Das hat ihm Angst gemacht, aber wie die meisten hier würde er sein Haus niemals verkaufen.“

Ferdinand stutzte.

„Wie die meisten? Wollten Sie nicht sagen wie alle?“

„Nein, drei Häuser wurden bereits verkauft.“

„Wann fing denn das alles an?“

„Vor einem Jahr etwa. Die drei Häuser stehen aber immer noch leer.“

Sie liefen zurück zum Tisch, wo Bianca den Brief betrachtete. Der Name des Immobilienbüros sagte ihr gar nichts.

„Ludger von Etzelsbach. Immobilien rund um den Erdball. Was für ein Slogan. Ich möchte mir den Kerl gerne ansehen.“

„Dann machen wir morgen einen Ausflug in die Main-Metropole.“

„Sehr gut, schauen Sie dem Mann mal auf die Finger“, begeisterte sich Peter Jischeck und schlug auf den Tisch. „Es kann nicht sein, dass die schönen alten Häuser für diese modernen Bauten weichen müssen. Irgendwie befürchte ich nämlich, dass hier ein neuer Wohnkomplex entstehen soll.“

„Wir werden uns schlau machen. Bitte melden Sie sich umgehend bei uns, wenn es etwas Neues gibt“, sagte Bianca und gab ihm ihre Karte.

„Und passen Sie auf sich auf“, ergänzte Ferdinand.

Der Pfarrer zog die Augenbrauen hoch.

„Warum das denn? Ist der Tod von Bernd etwa kein Unfall gewesen?“

„Wir ermitteln noch. Haben Sie letzten Dienstag jemanden bei Ihrem Nachbarn gesehen?“

Peter Jischeck schüttelte den Kopf.

„Sie können Paula Grinzow fragen. Die ist die Nachbarin auf der anderen Seite und sie weiß immer alles, wenn Sie verstehen. Tag für Tag sitzt sie am Fenster und beobachtet das Geschehen.“

„Danke, Herr Jischeck, wir melden uns. Einen schönen Tag noch.“

Bianca und Ferdinand gingen durch den kühlen Hausflur wieder hinaus und auf der Straße bogen sie direkt nach rechts. Schon vom weitem sahen sie eine alte, weißhaarige Frau, die mit den Armen auf ein Kissen gestützt aus dem Fenster schaute. Neugierig streckte sie den beiden Ankömmlingen den Kopf entgegen.

„Sind Sie auch welche von den Immobilienleuten?“

Bianca grüßte freundlich und stellte sie vor. Gleichzeitig hielt sie der Frau ihren Ausweis hin.

„Ach, na sowas! Jetzt kümmert sich die Polizei darum?“

„Was meinen Sie?“, fragte Ferdinand.

„Die Typen kommen mit ihren Schmeicheleien nicht durch und schicken jetzt euch?“

„Nein, Frau Grinzow, im Gegenteil. Wir sind hier, weil wir Licht in die Angelegenheit bringen wollen. Dürfen wir hineinkommen?“

Bianca lächelte so nett sie konnte und nach kurzer Überlegung ließ die alte Frau sie eintreten.

„Ich lasse ja sonst niemanden ein, den ich nicht kenne. Man weiß ja nie, ob man dann nicht ausgeraubt wird oder tot in der Ecke liegt. Ich bin neunzig Jahre alt und hatte schon oft Angst.“

Als Bianca und Ferdinand wieder draußen auf der Straße standen, ahnten sie, dass hier ein ganz großer Fall seinen Anfang nahm.