Ganz für mich allein

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Z serii: Eltville-Thriller #3
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Ganz für mich allein
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Ute Dombrowski

Ganz für mich allein

Fall 3

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

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Ganz für mich allein

Ute Dombrowski

1. Auflage 2017

Copyright © 2017 Ute Dombrowski

Umschlag: Ute Dombrowski

Lektorat/Korrektorat Julia Dillenberger-Ochs

Satz: Ute Dombrowski

Verlag: Ute Dombrowski Niedertiefenbach

Druck: epubli

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und Selbstverlegers unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Und manche, so da lächeln, fürcht ich, tragen im Herzen tausend Unheil.“

William Shakespeare

Julius Cäsar, 4. Aufzug, 1. Szene, Octavius

Er sah die junge Frau auf der anderen Straßenseite den Gehweg betreten. Sie zog den Mantel vor ihrer Brust enger zusammen und schaute nach links und rechts. Dann lief sie los. Kurze Zeit später verließ sie die hell erleuchtete Hauptstraße und verschwand in der Dunkelheit der engen Gasse, die zum Rhein führte. Es war kurz vor Mitternacht. Er hatte lange dort gestanden und hoffte, dass sie endlich aus dem Haus kommen würde. Nun atmete er auf.

Er drückte sich mit der Schulter an der Mauer ab, wo er im Schatten des Torbogens gewartet hatte, zog sich die große Kapuze über das Gesicht und folgte der Frau schnellen Schrittes, ganz leise und unbemerkt. Seine Augen waren mit einer weißen Maske bedeckt. Leichter Nieselregen machte den Abend im Januar ungemütlich. Die Absätze der Frau klapperten laut auf dem Pflaster. Die Temperatur lag knapp über Null, ein unangenehmer Wind zerrte an ihrem Mantel.

Jetzt war sie stehengeblieben und sah sich ängstlich um, als hätte sie ein Geräusch wahrgenommen. Rasch presste sich der Mann mit der schwarzen Kleidung an die Mauer. Die Frau zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf und lief weiter.

Als sie die Umrisse des alten Oestricher Krans vor sich sah, bog sie nach rechts auf den Parkplatz ab, wo sie auf ihr Auto zuging. Sie hatte es wie immer heute früh hier abgestellt, weil es der einzige Ort war, wo man kostenlos parken konnte. Im Ortskern nach einem Parkplatz zu suchen, war ihr auf die Nerven gegangen und so genoss sie bei schönem Wetter den kleinen Fußmarsch durch die romantischen Gassen des Ortes. Heute allerdings hätte sie das Auto gerne in der Nähe ihres kleinen Cafés gehabt.

Sie hatte noch aufgeräumt, nachdem Günther, der letzte Gast, den warmen Raum verlassen hatte.

„Bis morgen, Mädchen. Gute Nacht. Lass dich nicht wegfangen.“

„Ach was!“, hatte sie ihm hinterhergerufen und abgewinkt.

Sie holte das Geld aus der Kasse, rechnete ab und schloss alles im Tresor ein. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, das Geld nicht im Dunkeln zur Bank zu tragen, sondern tat das stets vor der Arbeit am kommenden Mittag.

Das kleine Café öffnete um zwölf Uhr und schloss meistens schon um acht. Heute hatte es einen Gitarristen gegeben, der wunderbare, melancholische Klänge durch den Raum schwingen ließ. Er war nach der fünften Tasse Cappuccino und drei Laugenbretzeln genauso schweigend gegangen wie er mit fliegenden Fingern völlig in sich gekehrt seiner Gitarre die Melodien entlockt hatte. Die eigenartige Stimmung hatte sich auch auf die Gäste übertragen, die ihr Café bis zum letzten Platz gefüllt hatten. Niemand hatte gesprochen, selbst die Tassen flüsterten nur leise mit Löffel und Teller. Nachdem die junge Frau die Tische abgeräumt und abgewischt hatte, setzte sie sich noch kurz an die kleine Theke und streckte die Füße aus.

Vor zwei Stunden war auch das Licht im gegenüberliegenden Taschenladen ausgegangen und die Inhaberin, die jetzt noch einmal nach dem Rechten sah, winkte ihr durch die Scheibe freundlich zu, als sie zu ihrem Auto eilte.

Zitternd durchsuchte sie ihre Handtasche nach dem Autoschlüssel, denn sie wollte schnell in ihre warme Stube im Weingut ihrer Eltern nach Eltville zurückfahren. Als er nirgends zu finden war, breiteten sich die Unruhe und das Unbehagen rasch in ihrem ganzen Körper aus.

Plötzlich legte sich eine Hand von hinten auf ihren Mund, irgendetwas drückte auf ihren Kehlkopf und ehe sie schreien konnte, wurde ihr die Luft abgeschnitten. Sie begann um sich zu schlagen, aber die Schlinge um ihren Hals zog sich unerbittlich enger.

Der Mann mit der weißen Maske hatte die Frau gegen das Auto geschoben und stemmte sich mit ganzer Kraft gegen sie. Ihre Abwehr wurde schwächer und als er spürte, wie sie in sich zusammensackte, ließ er sie vor ihrem Auto zu Boden sinken. Er zog noch eine Weile an dem Seil, das er extra für diesen Moment gekauft hatte, um sicher zu gehen, dass sie nicht wieder zu sich kommen würde.

Bevor er ging, fühlte er an ihrem Hals nach dem Puls. Nichts regte sich. Das Leben hatte die Frau verlassen. Der Mann atmete auf, zog sich die Maske vom Gesicht und steckte das Seil ein.

„Nummer eins“, flüsterte er erleichtert und eilte durch die Dunkelheit davon.

2

Michael Verskoff brummte ein mürrisches „Guten Morgen“ in die kleine Runde, die sich auf dem Parkplatz am Oestricher Kran eingefunden hatte. Die Kollegen hatten den Bereich weiträumig abgesperrt. Von der Bundesstraße am Rheinufer brandete der Lärm des Berufsverkehrs herüber. Blaulicht durchschnitt die Dunkelheit und wütend hupende Autofahrer fuhren am Parkplatz vorbei. Sie kamen jeden Morgen hierher und stellten ihre Fahrzeuge ab, um entweder im Ort zu arbeiten oder als Pendler umzusteigen. Heute war das nicht möglich.

 

„Was ist passiert?“, fragte Michael Jürgen von der Spurensicherung, der schweigend und routiniert seine Arbeit tat.

„Siehst du doch. Oder denkst du, die Dame hält hier ein Schläfchen? Wo ist denn deine Dame? Und vor allem, wo ist der junge Mitarbeiter?“

Michael achtete nicht weiter auf seinen Kollegen und trat an die Leiche heran. Die Frau war jung und hübsch, aber ihre schönen Gesichtszüge waren qualvoll verzerrt. Sie lag auf dem Rücken und man sah deutlich die Strangulationsmale am schlanken Hals. Sie trug einen hellen Mantel und elegante Schuhe. Ihre Handtasche stand neben ihr und der Inhalt war um sie herum verstreut.

Michael seufzte. Frauenhandtasche - eine eigene Welt, dachte er. Wenn er sah, was seine Freundin und Kollegin Bianca so alles in ihrer Handtasche mit sich herumtrug, hatte er schon oft den Kopf geschüttelt. Auf seine Frage, was sie mit dem ganzen Zeug wolle, hatte sie gegrinst und erklärt, dass das die Dinge seien, die eine Frau immer brauche.

„Ich habe keine Ahnung, wo Benedikt sich schon wieder herumtreibt. Sein Handy ist aus. Fehlt etwas?“, fragte er nach hinten.

Jürgen schüttelte den Kopf.

„Es ist alles da: Ausweis, Geld, alles. Es war kein Raubmord. Sie heißt Sophia Wieselburger, dreißig Jahre alt, wohnt in Eltville. Der Täter hat sie erdrosselt.“

„Du weißt also bereits, dass es ein Täter war. Na fein, hast du auch schon seine Adresse?“

„Mein lieber Kollege, wenn ich dich nicht so gut kennen würde, würde ich denken, dass du ein richtig fieser Typ bist, aber ich kombiniere mal: Bianca ist nicht da und du hast deshalb so schlechte Laune.“

Der Kommissar nickte und grinste. Er war unrasiert, die blonden, kurzen Haare standen in alle Richtungen, er hatte dasselbe Hemd an wie am Vortag und sich in den letzten zwei Tagen von Fastfood und Kaffee ernährt.

„Entschuldige, aber du hast recht. Bianca ist auf dem Lehrgang. Sie soll schließlich meine Vorgesetzte werden.“

„Wie geht es dir damit? Schon blöd, dass ihr wegen eurer Beziehung als Team auseinandergerissen werdet. Aber vielleicht ist es auch besser so.“

„Ich weiß nicht, was ich denken soll. Wir waren immer ein gutes Team und hatten viel Erfolg. Aber der Chef meint nun mal, dass es ordentlicher ist. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gefällt, wenn sie meine Chefin ist. Sie ist ziemlich streng.“

Die Männer lachten, was im Moment so gar nicht zur Situation passte und es entging ihnen nicht, dass die ältere Frau, die die Tote gefunden hatte, den Kopf schüttelte und ungehalten fragte, ob sie gehen dürfe.

Michael trat zu ihr und sagte neutral: „Natürlich dürfen Sie nicht gehen. Ich bin Kommissar Verskoff. Wer sind Sie und wie haben Sie die Tote gefunden?“

„Ich dachte immer, dass die Polizisten freundlich mit den Mitbürgern, die ihre Steuer zahlen, umgehen und ich hoffe, dass Sie eine unrühmliche Ausnahme sind. Ich bin Johanna Bilkrat. Ich stelle mein Auto hier ab, wenn ich zur Arbeit komme. Dann laufe ich das letzte Stück. Sie sehen ja, dass hier noch nicht viel los ist. Ich habe gleich gewusst, dass etwas nicht stimmt. Und da lag sie dann. Die arme Sophia. So eine nette Person.“

Sie maß Michael mit einem Blick, der deutlich sagte, dass er nicht zu den netten Personen zählte.

„Wo arbeiten Sie denn? Ich würde denken, sie …“

„… sind schon zu alt dafür? Unverschämt. Es geht sie zwar nichts an, aber ich habe keine riesige Beamtenpension und verdiene mir morgens etwas mit Putzen dazu. Ich reinige hier alle Arztpraxen.“

„Woher kennen Sie die Tote?“

„Sie betreibt ein kleines Café am Markt. Gestern war Musik dort.“

Michael wollte etwas sagen, aber er schüttelte den Kopf. Mit einem unfreundlichen Knurren schickte er die Frau, deren Daten Jürgen bereits notiert hatte, nach Hause. Wütend rauschte Johanna Bilkrat davon.

Der Spurensicherer hatte grinsend zugehört.

„Dann hoffe ich, dass Bianca bald zurück ist. Du bist sehr unsensibel.“

„Ich gehe mal und suche das Café.“

Michael machte sich auf den Weg. Jürgen hatte recht, aber er fühlte sich sehr einsam und irgendwie unvollständig, wenn Bianca und er nicht zusammen sein konnten. Noch drei Tage, dachte er und lächelte.

Das Café mit dem klangvollen Namen „Sophias Melodie“ lag an einem kleinen Marktplatz, der zum Parkplatz umfunktioniert worden war. Schon um diese unfreundliche Uhrzeit war alles voller Autos. Sicher gehörten sie den Anwohnern und Geschäftsleuten, die hier in den kleinen Orten im Rheingau vom Tourismus und der Winzerkultur lebten. Vor dem Taschenladen gegenüber saß eine Frau auf einer Bank und rauchte. Neben ihr auf dem kleinen Tisch stand eine Tasse Kaffee. Sie hatte eine unförmige Strickjacke um sich geschlungen und schaute müde unter dem wirren blonden Haar hervor. Argwöhnisch beäugte sie Michael, der versuchte, durch die Scheiben des Cafés ins Innere zu sehen.

„Was machen Sie da?“

Michael drehte sich um und kam zu ihr herüber. Er grüßte kurz und setzte sich auf den freien Platz. Nachdem er in die Innentasche seiner Jacke gefasst hatte, präsentierte er der Frau seinen Dienstausweis.

„Ach du Schande, Kripo. Ist etwas passiert?“

„Sie sind?“

„Dorothee Enzmacher. Ich bin die Besitzerin des Taschenladens. Jetzt sagen Sie schon! Was ist denn los?“

Michael fröstelte und fragte sachlich: „Kennen Sie die Besitzerin des Cafés?“

„Sophia? Ja, natürlich kenne ich sie. Wir sind Nachbarn und fast schon Freundinnen. Oh nein!“

Sie schwieg und sah den Kommissar ängstlich an. Ein leichtes Zittern durchlief ihren Körper.

„Was ist passiert?“, flüsterte sie nun voller Entsetzen.

„Frau Wieselburger ist heute Nacht Opfer eines Verbrechens geworden. Wir haben sie tot aufgefunden, auf dem Parkplatz am Rhein.“

Die Frau hatte zu weinen begonnen und schüttelte immer wieder den Kopf.

„Oh nein“, murmelte sie, „ich habe ihr ständig gesagt, dass sie hier einen Parkplatz anmieten soll, damit sie im Dunkeln nicht mehr durch die Gegend laufen muss. Oh, wie fruchtbar! Wer tut so etwas? Sie ist ein Engel und hat doch keine Reichtümer! Nicht einmal die Einnahmen hatte sie dabei. Die bringt sie immer erst mittags zur Bank.“

„Es wurde wahrscheinlich nichts gestohlen, also muss es einen anderen Grund geben.“

„Aber … aber … sie wurde doch hoffentlich nicht noch … ähm … missbraucht?“

„Darüber darf ich Ihnen nichts sagen. Ich hätte noch einige Fragen, aber können wir nicht irgendwo hineingehen?“

Dorothee stand auf und nahm Michael mit in das warme Geschäft. Dort ging sie in den hinteren Bereich, wo sich anscheinend die Werkstatt befand, schaltete das Licht ein und brachte ihm unaufgefordert eine Tasse Kaffee mit. Michael hatte sich auf einen Sessel gesetzt und ließ seine Blicke an einem Bücherregal entlangwandern. Es war schon eine Ewigkeit her, dass er mal ein Buch gelesen hatte, so lange, dass er sich nicht mal mehr an den Titel er­innerte. Außerdem fragte er sich, was ein Bücherregal in einem Taschengeschäft zu suchen hatte.

Dorothee folgte seinem Blick und setzte sich auf den breiten Rand des Regals. Ein Lächeln saß in ihren Augenwinkeln.

„Ich liebe Bücher. Sie enthalten mehr Leben als die Realität. Sie öffnen neue Welten und bringen mich an den Rand menschlicher Abgründe. Ich lese oft hier und auch so manche Kundin, wenn sie darauf wartet, dass ich ihre Tasche repariere. Lesen Sie?“

Michael schüttelte den Kopf und nippte an dem heißen, schwarzen Getränk. Sogleich fühlte er sich wohlig warm.

„Frau Enzmacher, wer könnte einen Grund haben, Frau Wieselburger zu töten? Hatte sie Feinde? Neider? Ex-Männer?“

„Niemand hatte einen Grund! Sophia ist eine ganz liebe Person. Sie ist immer nett und freundlich und wenn einer zu wenig Geld hatte, hat sie ihm auch schon mal einen Kaffee ausgegeben. Ich sage doch: Sie ist ein Engel.“

Sie schwiegen eine Weile. Dann schluchzte Dorothee plötzlich los.

„Ihre armen Eltern! Sie lebt bei ihnen auf dem Weingut und kümmert sich rührend um die beiden. Wissen die schon Bescheid?“

Michael schüttelte den Kopf.

„Ich fahre gleich zu ihnen. Hatte Sophia einen Freund? Oder einen Mann?“

„Ich glaube, im Moment ist sie alleine. Irgendwann hatte sie mal einen Freund, einen richtig hübschen mit toller Ausstrahlung. Er saß manchmal bei ihr im Café und hat sie oft abgeholt, aber eines Tages kam er nicht mehr. Das ist schon ein oder zwei Jahre her.“

„Danke, Frau Enzmacher, auch für den Kaffee. Den hatte ich echt nötig. Hier ist meine Karte. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an, auch wenn es Ihnen unwichtig scheint. Eine Frage noch: Sind Sophias Eltern gesund und fit?“

„Sie werden es verkraften, das meinen Sie doch, oder?“

Michael nickte und verabschiedete sich. Jürgen war noch beim Sichern der Spuren, ein weiterer Streifenwagen stand an der Straße und sperrte den Bereich jetzt komplett ab. Es wurde langsam hell und Michael schaute den Rücklichtern des Leichenwagens, der eben fortgefahren war, hinterher.

3

Bianca Bonnét gähnte herzhaft, als sie das Haus verließ. Es war später Nachmittag und die Dunkelheit lauerte zwischen den Autos auf dem Parkplatz hinter dem Gebäude der Polizeischule. Als ihr Vorgesetzter sie vor einem halben Jahr in sein Büro gerufen und ihr verkündet hatte, dass sie wegen ihrer Beziehung besser nicht mehr mit Michael arbeiten sollte, dachte sie, er würde sie versetzen. Ihre Überraschung war groß, als er sie als seine zukünftige Nachfolgerin auf einen mehrteiligen Lehrgang schickte.

Am Abend war Bianca beim Essen damit herausgerückt und Michael hatte sie angestarrt.

„Du wirst meine Chefin?“

Bianca hatte genickt und sich auf die Unterlippe gebissen.

„Okay“, hatte Michael nach einer Weile gesagt. „Schön, ich glaube, du kannst das.“

In seinem Kopf war ein Gedanke aufgekommen, der sich gut anfühlte: Wenn Bianca im Büro saß, wäre sie nicht mehr den Belastungen und Gefahren der Straße ausgesetzt. Er fühlte eine tiefe Liebe zu ihr, die aber immer mit einer unbestimmten Angst einherging.

„Ich mag gar nicht im Büro hocken!“, hörte er wie aus weiter Ferne Biancas Stimme. „Ich will lieber im Außendienst Fälle lösen und nicht irgendwelchen Schreibkram erledigen.“

„Schatz, du wirst sicher manchmal mit rauskommen. Aber sieh es doch mal so: Wenn sie dich versetzen würden, könnten wir uns kaum sehen, denn niemand würde auf unser Leben Rücksicht nehmen, schon gar nicht der Dienstplan. Wer weiß, wofür es gut ist.“

Bianca hatte sich daraufhin beruhigt in die Arbeit gestürzt. Viele von Michaels Kollegen hatten gestichelt und irgendwann war ihm die Idee gekommen, dass er sich bald Biancas Anweisungen unterwerfen musste, auch wenn sie ihm nicht in den Kram passten. Seit Nele weg war, wehte ein scharfer Wind, denn die Polizei und die Staatsanwaltschaft mussten ihren guten Ruf wiederherstellen. Es hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass die schöne Staatsanwältin die Rächerin der Schwachen gewesen war. Viele Leute hatten applaudiert, aber man hatte auch die Nase gerümpft und gefragt, wie es sein könne, dass die, die das Recht vertraten, sich nicht an die Regeln hielten.

Nele saß nun im Gefängnis und würde nie wieder herauskommen. Bianca seufzte, sie konnte die Beweggründe gut nachvollziehen, aber sie mussten sich nun mal ans Gesetz halten, da konnte man nicht einfach losgehen und morden. Sie hatte sich vorgenommen, sich in ihrer baldigen Position als Leiterin der Dienststelle noch mehr anzustrengen, Verbrechen zu bekämpfen. Mit Michael wusste sie einen fähigen und unermüdlichen Kommissar hinter sich.

Jetzt war Bianca am Auto angekommen und rief ihn an.

„Hallo, mein Liebster, ich sitze hinter dem Steuer und komme gleich heim. Hast du mich vermisst?“

„Süße, du fehlst mir so sehr! Wie gut, dass der Kram bald vorbei ist. Ich bin kein Mensch ohne dich. Komm schnell, ich habe gekocht. Ich liebe dich.“

„Ich dich auch.“

Sie legte auf, startete den Motor und schaltete das Licht ein. Während ihr Blick die Ausfahrt suchte, klopfte es an die Scheibe ihres Wagens. Erschrocken wandte Bianca den Kopf zur Seite und schaute in die sanften Augen eines gutaussehenden Mannes. Sie ließ die Scheibe einen Zentimeter hinunter.

 

„Ja bitte?“

„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken, aber bei Ihnen brennt nur eine Rückleuchte.“

„Oh danke, das muss neu sein. Ich werde mich morgen sofort darum kümmern.“

„Nichts zu danken“, sagte der Mann mit einem gewinnenden Lächeln und verschwand in der Dunkelheit.

Bianca atmete auf und fuhr heim zu Michael, der sie schon sehnsüchtig erwartete. An der Tür küsste er sie innig und nahm ihr den Mantel ab.

„Wie wars?“

„Paragraphen werden mich durch meine Träume verfolgen. Ansonsten ging es. Wieder eine Woche rum, noch dreimal, mein Süßer, dann ist es vorbei.“

„Es ist immer schrecklich, wenn du einmal im Monat für eine ganze Woche weg bist.“

„Jetzt bin ich ja zuhause. Und du musst morgen mal nach meinem Rücklicht sehen. Ich hatte eben beinahe einen Herzinfarkt. Ich wollte gerade noch schauen, wo der Ausgang von diesem riesigen Parkplatz ist, da klopft ein Typ an meine Scheibe. So im Dunkeln war das sehr unangenehm. Man weiß ja, was da alles passieren kann.“

„Ja, wir arbeiten gerade an einem Fall, wo eine Frau auf dem Parkplatz in Oestrich erdrosselt wurde.“

Bianca lief es eiskalt über den Rücken, wenn sie an den Schrecken von vorhin dachte und ließ sich von Michael alles über den Fall berichten.

„Sie wurde nicht ausgeraubt und auch nicht missbraucht?“

„Nein, irgendwer hat diese nette junge Frau aus einem anderen Grund ermordet. Wir stehen noch ganz am Anfang. Die Eltern sind zusammengebrochen vor Schmerz. Es war schlimm. Wie sagt man den Eltern, dass ihr einziges Kind tot ist? Erwürgt von einem bösen Menschen …“

„Es gibt kein Rezept für so etwas. Das tut mir sehr leid, Michael. Ich wünschte, ich wäre bei dir gewesen.“

„Werde du mal eine gute Chefin, das reicht mir schon.“

Er küsste sie zärtlich und zog sie nach dem Essen auf die Couch, wo sie sich liebten. Bianca fühlte sich in Michaels Armen sicher und gab sich ihm ganz und gar hin.

Am nächsten Morgen saßen sie im Büro mit Jürgen und Michaels neuem Partner zusammen, um den Fall zu besprechen. Bilder des Opfers lagen auf dem Tisch und Jürgen hatte eben zusammengefasst, was er an Spuren gefunden hatte.

„Ich denke, die hatte was mit einem heißen Kerl, hat ihn abserviert, der war sauer und hat sich gerächt. Oder ein Ex ist aufgetaucht und hat sie erwischt und umgelegt.“

Bianca sah zu Benedikt Mayfardt, dem neuen Partner von Michael. Der blonde, sportliche Mann hatte vor zwei Wochen seinen dreißigsten Geburtstag gefeiert, aber vom Erwachsensein war er noch weit entfernt. Allerdings hatte er einen guten Spürsinn und Michael hatte sein anfängliches Entsetzen über das spätpubertäre Verhalten seines neuen Kollegen abstellen können. Seine blauen Augen leuchteten stets und Bianca hatte so eine Ahnung, dass dieser schöne Mann wusste, wovon er sprach. Ständig redete er über die Damen, die sich ihm ganz zwanglos hingegeben hatten.

„Dann sei froh, dass du nicht der Typ warst, mit dem sie ihn betrogen hat“, sagte Bianca lachend.

„Warum?“, fragte Benedikt naiv.

Nun lachten auch Michael und Jürgen los, aber der junge Mann stand auf der Leitung.

„Na, wir haben ja noch keine männliche Leiche gefunden, die dazu gehört, also kann unser Kollege noch nicht ruhig schlafen“, brummte Jürgen gemütlich.

„So eine hübsche Frau“, sagte Bianca nachdenklich. „Wenn sie nicht ausgeraubt wurde, dann hat Benedikt vielleicht recht. Eine Beziehungstat. Wo wollt ihr anfangen?“

Michael plante: „Benedikt kann mal schauen, ob ihre Familie etwas über die Ex-Freunde weiß, ich rede nochmal mit der Frau vom Taschenladen und höre mich im Ort um. Man kannte sie dort recht gut. Vielleicht finde ich jemanden, der etwas beobachtet hat.“

Sie erhoben sich, die Männer verließen das Haus und Bianca meldete sich beim Chef, um sich mit Bürokram ärgern zu lassen.

An der Tür sagte Jürgen leise zu Michael: „Schade, dass sie nicht mehr mitmischt. Ich habe immer ihren siebten Sinn bewundert. Und unser Kleiner kann sie nicht ersetzen.“