Czytaj książkę: «Hans Weigel», strona 5

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Als Weigel aus den Zeitungen vom Tod Arthur Schnitzlers am 21. Oktober 1931 erfuhr, schrieb er für die französische Literaturzeitschrift Les Nouvelles littéraires ein paar Zeilen – es war übrigens der einzige kleine Artikel, den er je in Französisch schrieb – „mehr Nachricht als Nekrolog“: „Als er starb, habe ich schon um ihn getrauert, nach dem Zweiten Weltkrieg begann ich ihn allmählich zu erkennen. Die Schuld an dem Lebenden kann nicht getilgt, nur eingestanden und bereut werden.“24 Immer wieder sollte Weigel sich nach dem Zweiten Weltkrieg für Schnitzlers literarisches Fortleben einsetzen. Er sah sich selbst als „Wiederentdecker der ersten Stunde“.25 Und Schnitzler sollte später für Elfriede Ott und ihn „eine Art Familienheiliger“26 werden, zu dem er eine starke Beziehung hatte.

Aber ganz untätig war Weigel in Paris dann doch nicht: Er übersetzte Jules Supervielles L’enfant de la haute mer (Das Kind der hohen See) und die Novelle Les Mots (Die Worte) (immerhin 34 DIN-A4-Seiten) von André Baillon aus dem Französischen ins Deutsche.

Nach seiner Rückkehr aus Paris kam Weigel zum ersten Mal aktiv in Berührung mit der Welt der Bühne: Zu Beginn des Jahres 1932 gründeten der Leiter der Bühnenabteilung der Universal Edition, Hans Heinsheimer, und der Komponist Max Brand die „Wiener Opernproduktion“, um Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bertolt Brecht und Kurt Weill am Wiener Raimund Theater, das damals dem Volkstheater angeschlossen war, in Szene gehen zu lassen. Bereits 1929 war Die Dreigroschenoper aufgeführt worden. Formell befand sich der Sitz der Gesellschaft in der Margaretenstraße 22, der großen Wohnung von Weigels Eltern, seiner offiziellen Adresse. Weigel wurde mit in die abenteuerliche Produktion eingebunden, indem er für die Organisation der gesamten Vorbereitung und für die Verrechnung verantwortlich war.

Lotte Lenya und Kurt Weill

Nachdem ein Orchester und ein Ensemble zusammengestellt worden waren, konnten Kurt Weills Frau Lotte Lenya für die weibliche Hauptrolle der Jenny und der vortreffliche junge Tenor Otto Pasetti, der 1945 eine wichtige Rolle bei Hans Weigels Rückkehr nach Österreich spielen sollte, für die Rolle des Jimmy engagiert werden. Für die einzige Sprechrolle fiel die Wahl auf einen Anfänger: Kurt Meisel, der später als Schauspieler und Regisseur bekannt werden sollte. Die einfache Dekoration – sie bestand im Wesentlichen aus drei verschieden langen Stangen – stammte von Lizzi Pisk, die als Reinhardt-Seminaristin hauptberuflich Leiterin einer Gymnastikschule und die als Regisseurin, Zeichnerin und Choreografin „genialisch allround begabt“27 war. Mit ihr sollte Weigel in der Folge eine jahrelange Freundschaft verbinden, die nach dem Krieg wiedererstand.

Selbst Proben fanden in Weigels elterlicher Wohnung statt, da sein Vater damals beruflich halb in Prag tätig war. Nachdem Weigel bei diesen die stumme Rolle des Tobby Higgins in der großen Gerichtsszene markiert hatte, entschied Regisseur Heinsheimer, diese Rolle bei Weigel zu belassen. Higgins wird in diesem Stück des vorsätzlichen Mordes zwecks Erprobung eines alten Revolvers angeklagt. Da er sich mimisch mit dem Gericht über eine Bestechungssumme einigt, wird er freigesprochen, geht danach „triumphierend über die Bühne und wird von den Gerichtssaalkiebitzen gefeiert. […] Es war meine erste und letzte Rolle auf der Bühne, ich stand nicht auf dem Theaterzettel, aber ich musste immerhin: sitzen, deuten, gehen. Das würde ich mich heute [Anfang der 1970er-Jahre] nicht mehr getrauen“.28

Waren die Hauptproben chaotisch, so gestaltete sich die Generalprobe als Katastrophe. Die Premiere am Dienstag, dem 26. April 1932, lief dann jedoch ohne gröbere Zwischenfälle ab, wie sich Weigel später erinnerte: „Lotte Lenya war grossartig und wurde bejubelt. Die Gerichtsszene hatte (auch bei allen Wiederholungen) spontanen Applaus. Aber das Ganze bewirkte nichts.“29

Die österreichischen Zeitungen lehnten Musik und Inhalt der Oper ab, manche ließen zumindest die Aufführung und die Protagonisten der Hauptrollen gelten, wie in der konservativen Neuen Freien Presse am 28. April 1932: „Und das Ganze soll eine Oper sein! Schon alleine eine solche Gattungsbezeichnung ist eine Brüskierung jeglichen Stilgefühls. […] Für die vielen kleinen Rollen hatte man junge Talente geworben, die, wenn auch nicht immer ausreichend, mit Feuereifer bei der Sache waren. [Armella Bauer und Otto Pasetti wurden vom Ensemble hervorgehoben.] Als der Star der Truppe ist Lotte Lenya anzusprechen, die mit klagender Kinderstimme, verschwollenen Augenlidern und geradezu fatalistischer Apathie der Dirne Jenny die charakteristischen Züge einer erschreckenden Dekadenz verlieh.“

Unter dem Titel Oper der Zeit würdigte Das Kleine Blatt, ebenfalls am 28. April, die Weill’sche Musik: „Wie schon in ihrer berühmten Dreigroschenoper haben sie die Oper des Geldes geschrieben. […] Zu diesem Thema, das für eine Oper neuartig in seiner Unerbittlichkeit, in seiner schneidenden Ironie, in seiner Gesinnung ist, hat Kurt Weill eine neuartige Musik geschrieben, die von schmissigen Songs bis zur Fuge und der Nachahmung klassischer Muster vielerlei Elemente enthält […]“

Die Reichspost jedoch verriss am selben Tag Inhalt und Musik: „Der dramatische Gehalt: Kaum der Rede wert – eine so sinnlos zügellose Orgie rohester Instinkte und Ansichten – die oft schier tollhäuslerische Musik: den Jazzrhythmus bevorzugende Musik schreckt vor grellsten Kakophonien nicht zurück – eine Pein der ganze Abend mit der Dürftigkeit fast sämtlicher Leistungen, mit seiner schon unerlaubt primitiven Bühne.“

Die ebenfalls negative Stückkritik von Hans Ewald Heller auf der ersten Seite der Wiener Zeitung gipfelte in einem Vorwurf: „Dass aber Sensationslust einen an sich kaum nennenswerten künstlerischen Gedanken mit dem Pseudoflitter eines nicht existenten Ethos behängt, das ist der große Vorwurf, den man dem musikalischen Kampfgenossen Bert Brechts nicht ersparen kann. […] – Was soll das alles?“ Lediglich die Aufführung selbst, das Dirigat von Gottfried Kassowitz und die Leistung von Lotte Lenya fanden Anerkennung. Bei ihr steigerte Heller seine Anerkennung: „[…] eine meisterhafte Darstellerin, eine Persönlichkeit, die so eigenartig wirkt, dass die Frage, ob sie überhaupt singen, sprechen oder tanzen kann, völlig belanglos wird.“

In seinem Schreiben vom 10. Mai 1932 dankte Hans Heinsheimer seinem jungen Mitarbeiter Weigel aus einem „wirklichen Bedürfnis heraus“: „Ich möchte Ihnen nochmals aufs allerherzlichste und aufrichtigste für die wirklich unmenschliche Arbeit danken, mit der Sie in den letzten Wochen unsere Unternehmung unterstützt haben. Es ist nicht eine Phrase, sondern meine feste Überzeugung, dass ohne Ihre hingebungsvolle, unglaublich genaue und gleichzeitig wirklich inspirierte Mitarbeit diese ganze Aufführung in dieser Form gar nicht hätte zustande kommen können […]“

Doch trotz dieses ersten Schrittes in die Bühnenwirklichkeit sah Hans Weigel sich in dieser Zeit als mehrfach gescheiterter „Möchtegern-Autor“: „Ich war [1933] allerdings noch immer nicht Schriftsteller, ich hatte den Beruf weiter umkreist wie ein Trabant einen Stern und mich von einer neuen Seite her einem Zugang gegenüber gesehen; doch der Bühneneingang des Theater schloss sich wieder.“30

Nicht umsonst bezeichnete er sich an anderer Stelle als „Spätblüher“. Viel hatte er bisher nicht geschrieben, doch erinnerte er sich später an seine erste Kritik für irgendeine „obskure Tageszeitung“, die er für eine an ihn weitergegebene Freikarte fürs Volkstheater zu schreiben hatte. Es war eine sehr positive Besprechung gewesen, worauf er im Nachhinein stolz war, da er zu einem damals völlig unbekannten französischen Autor gestanden hatte, der später berühmt werden sollte: Es war Marcel Pagnol, das Stück hieß Marius.

Aus Paris war er immerhin mit einer Talentprobe, dem Libretto zu seiner satirischen Oper Zweibettzimmer, zurückgekehrt, das ein Freund vertonen sollte, was aber nie geschah. Auch das Verschicken des Librettos an verschiedene Kunstschaffende blieb ohne Reaktionen. Die Jahre 1932 und 1933 empfand Weigel also als Jahre „der vergeblichen Versuche und der Ratlosigkeit“31. 1932 versuchte er anlässlich einer weiteren Reise nach Berlin noch einmal „vergeblich“ in der von ihm so sehr geschätzten Stadt Fuß zu fassen. Die Ausgangssituation in seinem posthum veröffentlichten Roman Niemandsland, den er am Beginn seiner Emigrationszeit 1938 geschrieben hatte, zeigt hier eine gewisse Parallele auf: Dem Wiener Protagonisten Peter ist dieses Fußfassen in Deutschland als Regisseur an einem Theater geglückt, nach der Machtübergabe an Hitler muss er aber als Jude Deutschland verlassen. Weigel hatte in dieser Zeit ernsthaft daran gedacht, sein Glück in Deutschland zu finden, wie dies vielen Österreichern in der Zwischenkriegszeit bis 1933 möglich war. Auch war er in dieser Zeit „ein politischer Ignorant, verschwommen links, weil man damals als vernünftiger österreichischer Vierundzwanzigjähriger wirklich nicht anders konnte“.32 Und mehr oder weniger links blieb er sein ganzes Leben eingestellt, ohne sich jedoch je vor den Karren der Parteipolitik spannen zu lassen.

Wiener Kleinkunst und Operette vor 1938

Anfang der 1930er-Jahre wurde Hans Weigel bei Gründungen literarischer Kabaretts zur Mitarbeit aufgefordert – er sagte mehrmals zu und hörte dann nichts mehr davon. Die Wiener Kleinkunst hatte bereits etwas früher zu wachsen begonnen: Schon 1926 war von Studenten, Mittelschülern und Arbeiterjugendlichen ein (sozialdemokratisches) politisches Kabarett gegründet worden, bei dem Viktor Grünbaum (der später als Victor Gruen bekannt gewordene Architekt) und Jura Soyfer mitagierten, der um vier Jahre jünger als Hans Weigel war. Seit 1927 gab es im Porrhaus das „Jüdisch-Politische Cabaret“ und 1932 wurden verschiedene Arbeiter- und Bauerntheatergruppen zu den „Roten Spielern“ zusammengeschlossen. Die „Blaue-Blusen“-Gruppen warben mit satirischen Liedern und Rezitationen für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, mit den „Roten Spielern“ waren es insgesamt acht Gruppen, die in vierzig Orten in der Umgebung von Wien unter anderem auch Werke von Bertolt Brecht, Ernst Toller, Jura Soyfer und Erich Kästner darboten.

Aus einem bunten, animierten Abend des „Bund junger Autoren Österreichs“, bei dem Harald Peter Gutherz, Hans Horwitz und Rudolf Spitz mitwirkten und den Hans Weigel als Zuschauer verfolgte, entstand – nach Weigels Aussagen – die Idee, „die Kleinkunstbühne ‚Literatur am Naschmarkt‘ zu gründen. Horwitz, Spitz und ich [waren befreundet und] sollten mitwirken“.1 Nach Aussage von Rudolf Weys, Mitbegründer und Hausautor der „Literatur am Naschmarkt“ und hauptberuflich als Prokurist der Buchhandlung Rudolf Heger in der Wollzeile tätig, wollte er selbst schon im Sommer 1932 im Café Dobner an der Linken Wienzeile eine Kleinkunstbühne gründen. Aufgrund künstlerisch und politisch divergenter Meinungen mit seinem Mitstreiter Lothar Metzl kam es jedoch vorerst zu keiner Eröffnung. Im Frühjahr 1933 war es der ungarische Journalist F. W. Stein, der Weys vorschlug, mit ihm gemeinsam ein Kabarett im Café Dobner unter dem Mantel des Vereins „Bund junger Autoren Österreichs“ ins Leben zu rufen, nachdem es bereits die „überaus restlos radikal kabarettistische“ Kleinkunstbühne „Der liebe Augustin“ gab. Diese war von Stella Kadmon im Keller des Café Prückel mit dem genialen Conférencier und Hausdichter Peter Hammerschlag, dem Poeten der ersten Stunde, sowie dem Hauskomponisten Franz Eugen Klein gegründet worden. „Der liebe Augustin“ hatte den Beweis erbracht, dass im Keller eines Cafés mit Tischen und Bedienung Kabarett gespielt werden konnte.

Hans Weigel erinnerte sich später: „Als der ‚Liebe Augustin‘ noch ganz klein war, wurde von mir manches zum erstenmal aufgeführt, ein Sketsch [Die göttliche Dolores] zunächst, dann noch einer, dann andere, ohne viel Gewicht; einmal sprang ich auch, vor knapp zwanzig Gästen, als Conférencier ein, aber es war das Gegenteil eines Durchbruchs.“2 Denn um überhaupt irgendetwas zu erarbeiten, hatte Weigel sich hoffnungsvoll auf das Ausdenken und Schreiben kabarettistischer Texte verlegt.

Doch fuhr er bald nach diesem bunten Abend im Jahr 1933 mit seinen Eltern in die Sommerfrische an den Millstätter See, wo ihn die Nachricht erreichte, dass Horwitz und Spitz sich mit dem Bund junger Autoren zerstritten hatten und ihr eigenes Kabarett, „Die Stachelbeere“, im Garten des Café Döblingerhof im 19. Wiener Gemeindebezirk (Billrothstraße 49) eröffnen wollten. Weigel selbst war nicht vom ersten „garantiert straffreien, girlfreien, und jargonfreien“ Programm an mit dabei, doch hatte er vor seiner Sommerreise Rudolf Spitz Texte übergeben. Den Sketch Gespräch im Jahre 1983 (!) übernahm Spitz als letztes Stück vor der Pause in das Eröffnungsprogramm.

Hans Weigel intensivierte die Freundschaft mit Hans Horwitz – Musiker, wie viele seiner Freunde in dieser Zeit – nach seiner Rückkehr aus der Sommerfrische: „[…] so fand [für ihn] zum erstenmal das statt, was Zusammenarbeit heisst und was gerade mit ihm so köstlich war. Er sass am Klavier, ich stand in der Klavierbeuge, Auge in Auge mit ihm, mein Schreibzeug vor mir auf dem Klavierdeckel. Wir liessen gemeinsam Text und Musik entstehen.“3 Weigel wurde vom vierten bis zum sechsten Programm ständiger und emsiger Texter der „Stachelbeere“, das als ein besonderes, weil aus der Musik geborenes Kabarett angesehen werden konnte.

Schon beim bunten Abend des Bundes junger Autoren war die Vermischung ganz unterschiedlicher Musikstücke, wie etwa des damals sehr populären Schlagers Gruß und Kuss, Veronika mit einer Melodie aus Richard Wagners Tannhäuser, zur eigenen Musiknummer spontan entstanden. Sie wurde für die Programme der „Stachelbeere“ vervollkommnet. So entstanden später Veronika im Venusberg oder das Tonstück Eine Minute Frühlingsstimmen an der schönen blauen Donau.

In ihren zeitkritischen Programmen thematisierten die jungen Mitglieder satirisch Psychoanalyse, Opernpathos, Sportfimmel, die aktuelle politische Situation und die anhaltende Arbeitslosigkeit in Wien, wobei viel improvisiert wurde.

Hans Horwitz – er wurde als der musikalische Satiriker angesehen – fungierte als Hauskomponist, neben ihm spielte Heinrich Krips, Bruder des bekannten Dirigenten Josef Krips, Klavier. Rudolf Spitz schrieb Beiträge, spielte und übernahm die Conférence und der arbeitslose Buchdrucker Josef Pechacek trug seine Songs und Arbeiterlieder selbst vor. Hilde Sykora fungierte als Tänzerin des kleinen Ensembles, in dem auch Grete Spohn und Elise Springer auftraten. In einer Kritik der Arbeiter-Zeitung vom 8. Oktober 1933 hieß es: „Die jungen Leute sind mit viel Ernst und Spielfreude bei der Sache; sie brauchen jedoch einen Regisseur, der die Texte zufeilt und die schauspielerischen Uebertreibungen abschafft.“

Am 3. November 1933, also kurz nach der „Stachelbeere“, wurde „Literatur am Naschmarkt“ im Café Dobner eröffnet: mit Texten von Rudolf Weys und Harald Peter Gutherz als Mittelding zwischen literarischem Theater und leicht satirischem Brettl, weitgehend liberal, ohne linke Schlagseite, pro-österreichisch, aber gegen die Diktatur. Schon bald erhielt dieses wohl erfolgreichste Kabarett, das bis März 1938 22 Programme herausbrachte, scherzhaft – aber durchaus berechtigt – die Bezeichnung „Burgtheater der Kleinkunst“. Während die Stachelbeere aufgrund der Entfernung vom Stadtzentrum dahinvegetierte, da sich nur wenige Leute in die Billrothstraße bemühten, und schließlich im Oktober 1934 in den Theaterraum des Café Colonaden (Rathausplatz 4) übersiedelte, blühte Literatur am Naschmarkt regelrecht auf. Die Stachelbeere eröffnete mit ihrem zehnten Programm Kunterbunte Wunderschau am 23. Oktober 1934 und wurde vom elften Programm an bis 19. November 1935 von Literatur am Naschmarkt personell, organisatorisch und auch finanziell unterstützt. Nach dem ersten Programm der Spielzeit 1935/​36 wurde die Kabaretttätigkeit der Stachelbeere schließlich beendet, da sich einerseits die Arbeit zweier Kabaretts unter einer Leitung als schwierig herausstellte und es andererseits Schwierigkeiten mit dem Kaffeehausbetreiber gab.

Schon zwei Jahre zuvor, im Winter 1933/​34, hatte Hans Weigel mit Erfolg Kontakt zu Literatur am Naschmarkt gesucht. Ab dem sechsten Programm schien er als Autor bei der Stachelbeere nicht mehr auf, da er vermutlich frühzeitig erkannt hatte, dass die Kleinkunst im Döblingerhof nicht den Durchbruch erreichen konnte. Bei Literatur am Naschmarkt ging es jedoch gut voran: „Mit einem ersten Beitrag [dem Chanson Die Mission des Kinos] war ich im vierten Programm, gegeben im April/​Mai 1934, recht unbemerkt dabei gewesen. Im folgenden Sommerprogramm waren es schon mehrere Nummern. Dann fand eine Tournee durch die österreichischen Länder statt. Von Herbst an war ich ein voll eingesetzter Autor und konnte zum ersten Mal Geld als Ertrag schriftstellerischer Arbeit nach Hause nehmen. Es wäre zu wenig gewesen, um davon zu leben, obwohl die Mitarbeit durchaus einem Hauptberuf gleichkam. […] Ich habe das alles als Vorbereitung für eine eventuelle spätere Arbeit an ‚echten‘ Theatern in mich aufgenommen. […] Ich habe dort unschätzbare Lehrjahre verbracht und weiß nicht, was aus mir und ob überhaupt ein Schreibender aus mir geworden wäre, wenn es nicht zu dieser ‚Lehrzeit‘ gekommen wäre.“4

In diesem fünften Programm gab es von Hans Weigel vor dem Mittelstück die Kurzszene Das kleine Glück und danach das von Erich Pohlmann hervorragend gebrachte Sprechsolo Wippchen plädiert, frei nach Julius Stettenheims berühmten Wippchen-Zitaten. (Stettenheim nannte seinen fiktiven, aufschneidenden Redakteur in der Beilage zum Berliner Kleinen Journal vor der Jahrhundertwende Wippchen.) Unter dem Pseudonym Ludo Wild steuerte Weigel in diesem Programm noch eine frei verarbeitete Übersetzung aus dem Ungarischen, Café Schäfchenwolke, bei, in der sich drei enragierte Kartenspieler nach ihrem Tod bei einer himmlischen Kartenpartie zusammenfinden, sowie das von Hilde Volk vorgetragene und von Ferdinand Piesen vertonte Chanson Das gebildete Mädchen.

Weigel verstand sich trotz verschiedener Naturelle sehr gut mit Rudolf Weys, der als „ungekrönter König der Autoren“ galt. In Gerichtstag vor 49 Leuten beschrieb Weigel ihre Zusammenarbeit und Freundschaft: „Weys war gewiss nicht kompromißlerisch, er war ein Demokrat, ein Liberaler, er war zeitkritisch, kulturkritisch, aber er war so ungeheuer österreichisch, daß er an Österreich auch in der Ausdrucksform durch Ständestaat und Diktatur glaubte. Ich glaube an jenes bessere Österreich, das ich durch Ständestaat und Diktatur verraten sah und das für mich erst 1945 begonnen hat, mit dem wesentlichen Unterschied: gewiß kein Staat ohne Mängel, aber einer, dessen Mängel man ungestraft beim Namen nennen konnte [was Weigel in der Zweiten Republik auch unentwegt zum Missfallen vieler tat]. – Doch wir waren einig in der Kritik an vielen Entsetzlichkeiten der Gegenwart, an der Jugendfeindlichkeit, an der steril gewordenen bürgerlichen Gesellschaft, am korrupten Journalismus, am Rundfunk – damals RAVAG genannt –, an den niedergehenden Theatern […]“5

Für das fünfte Programm im Sommer 1934 schrieb Weys nach Hans Weigel das erste eigenständige Mittelstück A.E.I.O.U. – Wenn Österreich gewonnen hätte, nach Weys’ Ansicht aber war das erste Mittelstück von ihm bereits im zweiten Programm mit dem Titel Die Metamorphosen des Herrn Knöllerl. Das Mittelstück zwischen Bestell- und Bezahlpause galt als neue Gattung im Kabarett, das in der Kleinkunst als Synthese von Theater und Kabarett angestrebt wurde. A.E.I.O.U. entwarf ein Bild der Welt unter der Voraussetzung, dass Österreich den Ersten Weltkrieg gewonnen habe: Engländer schnorren Österreich um Anleihen an, der Stationsvorstand von Hetzendorf wird mit dem Verkehr im Suezkanal nicht fertig, ein vorgeschobenes Postamt amtiert im Ural. Auch Hans Weigel begann für die „Literatur am Naschmarkt“ Mittelstücke zu verfassen, unter anderem Die drei Wünsche (zusammen mit Weys) oder Marie oder der Traum ein Film mit einem sehr patriotischen Walzertext:

Anderswo macht uns das Leben Freude,

Aber mich g’freut’s nur in Wien.

Anderswo gibt’s noch viel schönere Gebäude,

Aber mich g’freut’s nur in Wien.

Mancher lässt sich am Rhein begraben,

Am Don, an der Seine, im Tessin,

Ich will mein Grab nur am Donaustrand haben,

Es stirbt sich am besten in Wien.

Wien bleibt Wien,

Kein Kenner die Tatsache leugnen mag,

Wien bleibt Wien,

Was immer sich anderswo ereignen mag.

Wien bleibt Wien,

So mächtig, so fesselnd, so echt,

Wien bleibt Wien,

Und das geschieht ihm ganz recht.6

Dieses Drei-Wünsche-Programm war überaus erfolgreich, lief vom 8. November 1934 bis 20. Februar 1935 bei fast durchwegs ausverkauftem Haus für über 11.600 Besucher und erhielt nicht nur zur Premiere, sondern auch zur 100. Aufführung sehr lobende Kritiken, die in Urteilen wie „zeitnah“, „aktuell“ und „wirklich geistreich“ gipfelten.

Für das Abschlussprogramm der Saison 1934/​35 (3. Mai bis 30. Juni 1935) brachte Hans Weigel mit Tag der Musikpflege im letzten Drittel des Programms einen seiner Höhepunkte in der Kleinkunst, einen kabarettistischen, musikalischen Volltreffer, basierend auf dem im April desselben Jahres offiziell eingeführten „Tag der Musikpflege“ zur Popularisierung von Musikveranstaltungen und Hausmusik. Zur originellen Musik von Herbert Zipper – alias Walter Drix – schrieb Weigel Texte über den Alltag einer gutbürgerlichen Familie: Zähneputzen im Stil von Christoph Willibald Gluck und Georg Friedrich Händel, nach dem Frühstück und dem Zur-Schule-Gehen eine Schulstunde als Tango, während der Vater im Büro einen Geschäftsbrief in Form einer Bachfuge diktiert, das Mittagessen erfolgt als Walzer, der nachmittägliche Arztbesuch im rasanten Rossini-Tempo. Das Nachtmahl mit dem Lesen der Zeitung im Stile Jacques Offenbachs beschließt diesen turbulent lustigen Reigen. Hier brachte Weigel zum ersten Mal und sehr konsequent Alltagstätigkeiten in musikalischer Form dar, was später von anderen in ihren Programmen kopiert werden sollte. In den Kritiken stand zu lesen: von „einem überaus witzigen musikalischen Angsttraum“ und von „einer dramaturgischen und musikalischen Meisterleistung, auf deren geniale Lösung Walter Drix und Hans Weigel mit Recht stolz sein konnten […]“.7


Jura Soyfer

Auch Jura Soyfers Der Lechner Edi schaut ins Paradies entstand für dieses Kabarett. Der weit links stehende Soyfer kann als die eigenwilligste und stärkste dramatische Begabung dieser Kleinkunstära angesehen werden. Weitere Autoren waren Peter Hammerschlag, Kurt Nachmann, Lothar Metzl, Franz Paul. Regie führten Walter Engel, ab dem achten Programm künstlerischer Leiter, Hermann Kner, Martin Magner und Leo Aschkenasy (später Leo Askin), während der später bekannte Regisseur und Weigels Freund Rudolf Steinboeck als liebenswürdiger Schauspieler neben Hilde Krahl, Heidemarie Hatheyer, Carl Merz, Wilhelm Hufnagel, Leon Epp, Manfred Inger, Hugo Gottschlich und Oskar Wegrostek auftrat.

Lothar Metzl zählt zu den besten Autoren der „Literatur am Naschmarkt“. Er emigrierte 1938 nach Amerika. 1982 wurde ihm im Roten Salon des Wiener Rathauses das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien verliehen. Die Laudatio dazu hielt am 29. Juli Hans Weigel, in der er auch auf die Kleinkunstautoren vor 1938 zu sprechen kam: „Unter uns allen waren zwei Genialische. Das eine war der Jura Soyfer und das andere Lothar Metzl. Lothar Metzl war ungeheuer fruchtbar, ungeheuer vielseitig in seinem Schreiben […]“8 Auch mit ihm zusammen hatte Hans Weigel Kabaretttexte geschrieben, unter anderem über den viel gelobten und mehrfach prämierten, aber – in Weigels Augen – schrecklichen Paula-Wessely-Film Episode (1935), in dem die Inflationszeit verlogen dargestellt wurde. Im Sketch spielte Hilde Krahl Paula Wessely. Ein für Weigel wichtiger Sketch, nicht zuletzt weil sein Vorbild Alfred Polgar darüber im Prager Tagblatt anerkannte: „Dass es gescheite und witzige Leute sind, die hier Kabarett machen, zeigen sie dann noch in einer Parodie, die dem Film ‚Episode‘ gilt und in der endlich einmal so lustig wie deutlich ausgesprochen wird, wie Menschen von Geschmack und künstlerischem Anspruch über dieses hochgepriesene Filmwerk denken.“9

Als schärfstes der Wiener Kabaretts der Zwischenkriegszeit galt das „ABC“ (Alsergrund, Brettl, City), das mit seinem ersten Programm Alles schon dagewesen im März 1934 im Café City im 9. Bezirk (Porzellangasse 1) eröffnete. Im Juni 1935 übersiedelte das „ABC“ in die Räume des Kabaretts Regenbogen im Café Arkaden (dem heutigen Café Votiv, Wien I., Universitätsstraße 3), bezeichnet als „ABC im Regenbogen“. Regisseure waren Leo Aschkenasy, Karl Forest und Herbert Berghof. Auch hierfür stellte Weigel ebenso Texte zur Verfügung wie Peter Hammerschlag, Jura Soyfer, Gerhard Hermann Mostar und Fritz Eckhardt, der wie Aschkenasy neben anderen als Schauspieler auftrat. Viele von ihnen sollten in den Nachkriegsjahren bekannte und geschätzte Schauspieler werden, etwa Cissy Kraner, Robert Lindner, Josef Meinrad, Lilli Palmer, Peter Preses, Hans Sklenka, Willi Trebisch … Für das ABC im Regenbogen schrieben Weigel und Soyfer unter den Pseudonymen Julius Hansen und Walter West gemeinsam den Einakter Brand im Opernhaus, in dem die Nachricht, dass die Wiener Staatsoper abgebrannt sei, durch telefonische Interventionen in der Redaktion immer mehr verharmlost wird, bis zum Schluss nur mehr „Brandgeruch am Opernring“ übrig bleibt. Josef Meinrad spielte die Rolle des Lokalredakteurs.

Viele dieser Kleinkunststücke gingen vom Blödeln über ein Thema aus. Weigel erklärte das 1981 in Gerichtstag vor 49 Leuten, seinem Buch über die Wiener Kleinkunst dieser Jahre, so: „Mir war das in Österreich rare Kunststück gelungen, aus einem Witzbold, einem, der gerne Späße macht, der Freude an der Improvisation hat, einer zu werden, der dies alles aus dem Nebenbei ins Zentrum geholt hat, der dies sozusagen von Beruf aus betreibt. Ich konnte nun einigermaßen Dialoge schreiben, Chansons verfertigen, ich war ehrgeizig und dürstete nach Bestätigung.“10 Doch kam auch die politische Auseinandersetzung nicht zu kurz: Man suchte und fand stets neue Umwege zur oppositionellen Kritik an den österreichischen Zuständen und nahm immer wieder gegen das Deutsche Reich Stellung. Da dies im Wien der Dreißigerjahre Seltenheitswert hatte, wurden alle wachen, nicht konformistischen Publikumsschichten fast magnetisch angezogen. So wurden die Kleinkunstbühnen, die sich mehr erlauben durften als die Zeitungen, über Nacht zum Ventil. Und besonders die ab Februar 1934 verbotenen Sozialdemokraten fanden dort eine Art Heimstätte eines ihnen verwandten Geistes. Vor allem aber war dem echten Theater in der Literatur am Naschmarkt immer ein Platz vorbehalten. Es wurden Einakter von den Textern selbst geschrieben oder sie wurden bei bekannten Dramatikern wie Molière, Nestroy oder unter anderen auch dem Franzosen Paul Géraldy geholt.

In diesen Jahren, also in etwa ab 1933/​34, war Hans Weigel also zu einem – wie er sich selbst nannte – „Verfertiger von Texten“, also zum Schriftsteller, aber noch nicht zum „Schriftstellereibesitzer“ geworden. Eigentlich relativ spät, wenn man bedenkt, dass der gleichaltrige Friedrich Torberg Der Schüler Gerber schon einige Jahre zuvor geschrieben hatte. Kurzgeschichten und Essays von Weigel wurden da und dort in Printmedien aufgenommen, so zum Beispiel, um einige zu nennen, der Essay Ratschlag für den Umgang mit Schriftstellern im Bayrischen Anzeiger München (2. Februar 1934) und in den Danziger Neuesten Nachrichten (12. Februar 1934). Hier schon zeigte sich, dass Weigel ein geschickter Vermarkter seiner Texte war, denn nach dem Krieg erschien derselbe Text ein weiteres Mal in der Welt am Abend (2. Mai 1947). Die Humoreske Das verstümmelte Telegramm erschien im Prager Tagblatt (31. Dezember 1933) und im Pforzheimer Anzeiger (4. Juni 1934). Zu dieser Zeit arbeitete er in Wien bereits mit einer der Internationalen Literarischen Agentur“ im Palais Schwarzenberg zusammen. Sie platzierte zum Beispiel sein Wiedersehen am Ostermontag in der Freien Stimme Klagenfurt und im Volksblatt Graz (jeweils 1. April 1934).

Manche seiner sehr witzigen Chansons, Texte, Dialoge, Sketches sind im Nachlass von Hans Weigel erhalten, so auch die Szene Lehár kontra Goethe in Form einer Gerichtsverhandlung, die er zusammen mit Jura Soyfer verfasste: Goethe steht vor Gericht, weil er behauptet hat, die von Franz Lehár in Friederike verwendeten Texte Sah ein Knab ein Röslein stehn … und O Mädchen, mein Mädchen … stammten von ihm, seien ein Plagiat. Der „schwer vorbestrafte“ Johann Wolfgang von Goethe wird als Angeklagter vom Gerichtsvorsitzenden vernommen. Er ist „wohnhaft in Wien gegenüber dem Schillerdenkmal“, hat „seine Strafe im Salzburger Festspielhaus und im Wiener Burgtheater abgebüßt“ und wird vom Vorsitzenden verurteilt:

Der Angeklagte Johann Wolfgang Goethe, Klassiker, wird ehrenrühriger Äusserungen gegen die größten Meister der Literatur für schuldig erkannt. Der Wahrheitsbeweis, dass die fraglichen Textstellen aus „Frederike“ von ihm seien, wird als misslungen erachtet. Der Angeklagte wird verurteilt: 1. eine alljährliche Verfilmung unter der Regie von Max Reinhardt zu erleiden, verschärft durch harte Schlager, 2. lebenslänglich dem deutschen Dichter Gerhard Hauptmann ähnlich zu sehen. Sohin ist die Causa Goethe erledigt.

Goethe: Der Casus macht mich lachen.

Vorsitzender: Haben Sie noch etwas zu bemerken?

Goethe: Sagt Eurem Hauptmann: Vor eines Greises Majestät hab’ ich sonst immer schuldigen Respekt, er aber kann mich …

Es ist allgemein bekannt, dass Krisenzeiten und besonders Diktaturen stets reichlich Stoff für Kritik bieten und dass das Kabarett in solchen Zeiten, sofern es nicht kategorisch und beinhart unterdrückt wird, zur Hochblüte wächst. Zwar gab es in diesen Jahren auch Zensoren, mehr oder weniger milde, mehr oder weniger kompromissbereite, doch man konnte sich mit ihnen einigen, auch wenn hie und da ein Text verboten wurde, wie zum Beispiel einer, in dem Göring und Goebbels auftraten und selbst Hitler in einer der Personen leicht erkannt werden konnte.

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