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Czytaj książkę: «Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen», strona 37

Czcionka:

41
In Medelpad

Freitag, 17. Juni

Der Adler und der Junge waren am nächsten Morgen in aller Frühe wieder unterwegs, und Gorgo dachte, er werde an diesem Tage weit nach Västerbotten hinaufkommen, aber da hörte er ganz zufälligerweise den Jungen vor sich hinsagen, in so einem Land, wie in diesem hier, über das er jetzt hinfliege, könnten sich wohl Menschen unmöglich fortbringen.

Das Land, das unter ihnen lag, war das südliche Medelpad, und weit umher war nichts zu sehen als wilde, dunkle Wälder. Aber sobald der Adler hörte, was Nils Holgersson sagte, rief er: „Hier oben ist der Wald der Acker!“

Der Junge mußte daran denken, welch ein großer Unterschied doch zwischen den goldig schimmernden Getreidefeldern sei mit ihren weichen Halmen, die in einem Sommer in die Höhe schossen, und den dunkeln Tannenwäldern mit ihren harten Stämmen, die Jahre brauchten, bis sie zum Fällen herangewachsen waren.

„Wer sein Auskommen von so einem Acker haben will, muß ordentlich Geduld haben,“ erwiderte er.

Mehr wurde nicht gesprochen, bis sie einen Ort erreichten, wo der Wald gefällt und der Boden mit Baumstümpfen und abgehackten Zweigen bedeckt war. Während sie über dieses Rodland hinflogen, hörte der Adler den Jungen wieder vor sich hinsagen, das sei doch eine schrecklich häßliche und armselige Gegend.

„Dies hier ist ein Acker, der im letzten Winter geschnitten worden ist,“ sagte der Adler sogleich.

Der Junge dachte daran, wie die Schnitter in seinem Heimatdorfe am hellen Sommermorgen mit ihren blanken schönen großen Mähmaschinen auszogen und in ganz kurzer Zeit einen Acker geschnitten hatten. Aber der Ertrag dieses Ackers hier wurde im Winter geerntet! Wenn hoher Schnee lag und die Kälte am strengsten war, zogen die Holzfäller hinaus ins Ödland. Welch ein hartes Stück Arbeit war schon das Fällen eines einzigen Baumes! Um aber eine so große Strecke Wald, wie diese hier, auszuroden, mußten die Arbeiter wahrscheinlich mehrere Wochen im Walde gehaust haben.

„Das müssen tüchtige Leute sein, die einen solchen Acker schneiden können,“ sagte der Junge.

Nachdem der Adler wieder ein paar Flügelschläge getan hatte, sah der Junge eine kleine Hütte auf dem ausgerodeten Waldboden. Sie war aus groben, unbehauenen Baumstämmen zusammengezimmert, hatte keine Fenster, und als Türe dienten nur ein paar lose Bretter. Das Dach war mit Rinde und Zweigen bedeckt gewesen, die aber jetzt auseinandergefallen waren. Der Junge sah, daß innen in der Hütte nur ein paar hölzerne Bänke und ein paar große Steine waren, die als Herd gedient hatten. Als sie über die Hütte hinflogen, hörte der Adler den Jungen vor sich hinsagen, wer denn wohl in so einer elenden Hütte gewohnt haben könnte.

„Die Schnitter haben hier gewohnt, als sie den Waldacker mähten,“ versetzte der Adler.

Der Junge dachte daran, wie daheim in seiner Gegend die Schnitter am Abend froh und lustig von der Arbeit heimkehrten und ihnen das Beste, was Mutter im Vorratshause hatte, vorgesetzt wurde. Hier mußten sie nach der strengen Arbeit auf harten Bänken schlafen, in einer Hütte, die schlechter war als ein Schuppen. Und von was sie sich hier nährten, das konnte er einfach nicht begreifen.

„Ach, hier wird wohl den Schnittern kein Erntefest gehalten!“ sagte er.

Etwas weiter hin sahen sie unter sich einen furchtbar schlechten Weg; er war schmal und uneben, mit Steinen übersät und voll von Löchern und zog sich in Schlangenwindungen durch den Wald hin. An mehreren Stellen war er auch von Bächen durchschnitten; und während der Adler über diesen Waldweg hinflog, hörte er den Jungen sagen, was denn auf so einem Weg befördert werden könnte?

„Auf diesem Weg ist die Ernte in die Scheune geführt worden,“ sagte Gorgo.

Unwillkürlich mußte der Junge daran denken, welch ein Fest es daheim war, wenn die großen, mit zwei starken Pferden bespannten Erntewagen das Getreide vom Acker hereinholten. Der Knecht thronte hoch droben auf dem Wagen, die Pferde warfen sich stolz in die Brust, und die Dorfkinder, die auf den Wagen hatten hinaufklettern dürfen, saßen halb beglückt, halb ängstlich auf den Garben und schrien und lachten durcheinander. Hier aber wurden Stämme geladen und dann steile Abhänge hinauf- und hinabgefahren. Die Pferde mußten wie gerädert sein, und der Kutscher war gewiß oft der Verzweiflung nahe. „Da werden wohl nicht viel lustige Reden unterwegs hin und her fliegen,“ sagte der Junge.

Der Adler segelte mit gewaltigen Flügelschlägen weiter durch die Luft dahin, und so gelangten sie bald an einen Fluß. Hier sahen sie einen Platz, der mit Spänen, Holzstücken und Rinde bedeckt war, und der Adler hörte den Jungen sagen, warum es denn da drunten so unordentlich aussähe?

„Hier sind die Garben in Haufen gesetzt worden.“

Der Junge mußte unwillkürlich an die Garbendiemen in seiner Heimat denken, die dicht bei den Höfen errichtet werden, als wenn sie deren schönster Schmuck wären. Hier aber wurde die Ernte nach einem einsamen Flußufer geschafft und dann da liegen gelassen. „Ob wohl ein einziger Besitzer in diese Wildnis hier herauskommt, seine Diemen zu zählen und sie mit denen seiner Nachbarn zu vergleichen?“ rief der Junge unwillkürlich.

Bald erreichten sie einen großen Fluß, den Ljungan, der in einem breiten Tale dahinzieht, und da war mit einem Schlage alles so verändert, daß man hätte meinen können, man sei in einem ganz andern Lande. Der dunkle Nadelwald war auf den steilen Abhängen über dem Tale zurückgeblieben, und die Hänge prangten jetzt überall mit weißstämmigen Birken und Eschen. Das Tal war so breit, daß sich der Fluß an mehreren Stellen zu einem See erweitern konnte, und an den Ufern stand ein großer wohlhabender Hof dicht neben dem andern. Als nun die beiden über das Tal hinflogen, hörte der Adler, wie der Junge sich fragte, ob denn wohl die Wiesen und Äcker da drunten für diese ganze Bevölkerung ausreichten?

„Hier wohnen die Schnitter, die den Waldacker geschnitten haben,“ sagte der Adler.

Der Junge dachte an die niedrigen Häuser und die eng zusammengebauten Höfe in Schonen. „Hier wohnen ja die Bauern geradezu in Herrenhäusern, und es sieht aus, als lohne sich die Arbeit im Walde doch recht gut,“ sagte er.

Der Adler hatte die Absicht gehabt, quer über den Ljungan hinüberzufliegen; als er aber ein Stück weit über den Fluß geflogen war, hörte er den Jungen vor sich hinsagen, wer denn nun weiter für das Holz sorge, nachdem es in Haufen geschichtet worden sei? Da drehte Gorgo um und flog in östlicher Richtung weiter.

„Der Fluß sorgt weiter dafür; er führt es nach der Mühle,“ sagte er.

Der Junge dachte daran, wie sorgfältig man daheim mit den Garben umging, damit nichts verschleudert wurde. Hier kamen große Mengen von Balken den Fluß heruntergeschwommen, ohne daß sich jemand darum bekümmerte. Er war überzeugt, daß nicht die Hälfte von denen da ankommen würden, wo sie sollten. Die einen schwammen allerdings mitten in der Strömung, und dann ging alles gut, andre aber wurden gegen die Ufer getrieben, oder sie stießen an Landzungen an, wo sie dann in dem ruhigen Uferwasser der Buchten liegen blieben. In den Seen sammelten sich die Stämme in solch großer Zahl, daß sie oft die ganze Oberfläche bedeckten. Hier blieben sie liegen und schienen sich bis ins Unendliche ausruhen zu wollen. An den Brücken stauten sie sich, in den Wasserfällen brachen sie mittendurch, in den Stromschnellen wurden sie zwischen Steine hineingeklemmt und türmten sich zu hohen, schwankenden Stapeln auf.

„Ich möchte wohl wissen, wie lange diese Ernte braucht, bis sie die Mühle erreicht?“ sagte der Junge.

Aber Gorgo flog nur langsam immer weiter den Ljungan entlang. Zu wiederholten Malen hielt er sich mit weit ausgebreiteten Flügeln ganz still in der Luft droben, damit der Junge sehen konnte, in welcher Weise diese Erntearbeit vor sich ging.

Nach einer Weile gelangten sie an einen Platz, wo die Flößer an der Arbeit waren. Und der Adler hörte den Jungen fragen, was denn das für Leute seien, die da am Ufer hinliefen?

„Diese Leute sorgen für das Getreide, das sich unterwegs aufgehalten hat,“ sagte Gorgo.

Der Junge dachte daran, wie ruhig und still die Leute in seiner Heimat ihre Garben in die Mühle fuhren. Hier liefen die Männer mit langen Bootshaken in den Händen am Ufer hin und halfen den Stämmen mit vieler Mühe und Beschwerlichkeit weiter. Sie wateten ins Uferwasser hinaus, wobei sie von Kopf bis zu Fuß naß wurden. Sie sprangen von Stein zu Stein in die Stromschnellen hinein und schritten auf den schwankenden Stämmen so ruhig umher, wie wenn sie auf dem festen Boden gingen. Das waren kühne und entschlossene Männer!

„Wenn ich dies alles hier sehe, muß ich unwillkürlich an die Schmiede im Bergwerkdistrikt denken, die mit dem Feuer umgingen, als sei es vollständig ungefährlich,“ sagte der Junge. „Diese Flößer hier spielen mit dem Wasser, als seien sie dessen Herren. Sie scheinen es so unterjocht zu haben, daß es sich nicht mehr an sie heran traut.“

Ganz allmählich hatten sie die Mündung des Flusses erreicht, und nun lag der Bottnische Meerbusen vor ihnen. Aber Gorgo flog nicht geradeaus, sondern in nördlicher Richtung dem Ufer entlang. Er war noch nicht weit geflogen, als sie unter sich ein Sägewerk sahen, das eine förmliche kleine Ortschaft bildete; und während der Adler darüber hin und her schwebte, hörte er den Jungen vor sich hinsagen, das sei doch ein prächtiger großer Ort!

„Hier hast du die große Sägemühle, die Svartvik heißt,“ rief der Adler.

Der Junge dachte an die Windmühlen in seiner Heimat, die so friedlich von grünen Bäumen umgeben dalagen und langsam ihre Flügel drehten. Diese Mühle hier, wo die Waldernte gemahlen wurde, lag dicht am Meeresufer. Auf dem Wasser davor schwamm eine Menge Balken, von denen einer nach dem andern mit eisernen Ketten zuerst auf eine schräge Brücke und von da in ein scheunenartiges Haus hineingezogen wurde. Was da drinnen mit ihnen geschah, konnte der Junge nicht sehen, aber er hörte ein lautes Rasseln und Dröhnen, und auf der andern Seite des Hauses kamen kleine, mit weißen Brettern hochbeladene Wagen herausgerollt. Die Wagen fuhren auf blanken Schienen nach dem Zimmerplatz, wo die Bretter zu großen Stapeln aufgebaut waren, die ganze Straßen bildeten, gerade wie in einer Stadt die Häuser. An einer Stelle wurden neue Stapel gebaut, an einer andern die alten eingerissen und die Bretter auf zwei große Schiffe geladen, die schon ihrer Last harrten. Überall wimmelte es von Arbeitern, deren Häuser hinter dem Zimmerplatz lagen.

„Hier wird ja gearbeitet, daß schließlich der ganze Wald in Medelpad zusammengesägt werden wird,“ sagte der Junge.

Der Adler bewegte seine Flügel ein wenig, und sofort sah der Junge ein neues Sägewerk mit Sägemühle, Zimmerplatz, Hafen und Arbeiterwohnungen, das dem ersten ganz ähnlich sah.

„Hier ist noch eine von den großen Mühlen. Diese heißt die Bienenburg,“ sagte Gorgo.

„Ja, ich sehe wohl, der Wald gibt eine viel größere Ernte, als ich gedacht hatte,“ sagte Nils Holgersson. „Aber noch mehr solcher Holzmühlen gibt es doch wohl nicht?“

Der Adler bewegte nur ganz sachte die Flügel; er flog an einigen Sägewerken vorüber, und so gelangten sie rasch an eine große Stadt. Als der Adler hörte, daß der Junge fragte, was das wohl für eine Stadt sein könnte, rief er: „Dies ist Sundsvall. Das ist der Hauptplatz des Bezirks.“

Da mußte der Junge an die Städte drunten in Schonen denken, die gar so alt und grau und ernst aussahen. Hier oben im kalten Norden lag Sundsvall ganz drinnen in einer schönen Bucht und sah neu und vergnügt und strahlend schön aus. Von oben gesehen hatte die Stadt etwas überaus Lustiges, denn in der Mitte lag eine Gruppe schöner, hoher steinerner Häuser, die kaum in Stockholm ihresgleichen haben konnten; rings um diese hohen steinernen Gebäude her war ein freier Raum, und dann erst kam ein Kranz von Holzhäusern, die freundlich und gemütlich von kleinen Gärten umgeben dalagen, aber allem Anscheine nach sehr gut wußten, daß sie geringer waren als die steinernen Häuser und sich deshalb nicht ganz zu ihnen hinwagen dürften.

„Das ist ja eine sehr große, reiche Stadt,“ sagte der Junge. „Sollte der magere Waldboden dies alles hervorgebracht haben? Das ist aber doch wohl nicht möglich?“

Der Adler bewegte die Flügel und flog hinüber nach Alnön, das Sundsvall gerade gegenüber liegt. Hier konnte sich der Junge nicht genug verwundern über alle die vielen Sägewerke, die der Küste entlang lagen. Hier bei Alnön lagen sie dicht nebeneinander, und auf dem Festland gerade gegenüber lag auch Sägewerk neben Sägewerk, Zimmerplatz neben Zimmerplatz. Der Junge zählte mindestens vierzig, aber er glaubte, es seien noch mehr.

„Es ist doch recht merkwürdig, daß es hier oben so aussehen kann,“ sagte er. „So viel Leben und so viel Bewegung habe ich auf der ganzen Reise noch nirgends gesehen. Das ist doch ein wunderbares Land! Wohin ich auch kommen mag, überall gibt es etwas, wodurch sich die Menschen ihren Lebensunterhalt verschaffen können.“

42
Ein Morgen in Ångermanland

Das Brot

Samstag, 18. Juni

Als der Adler am nächsten Morgen eine Strecke weit nach Ångermanland hineingeflogen war, sagte er, heute sei er hungrig, er wolle sich etwas Nahrung verschaffen. Er setzte Nils Holgersson auf einer mächtigen Tanne ab, die auf einem hohen Felsen stand, und flog davon.

Der Junge machte sich einen guten Sitzplatz auf einem gegabelten Ast, und von da aus schaute er nach Ångermanland hinunter. Es war ein wunderschöner Morgen, die Sonne vergoldete die Baumwipfel, ein sanfter Wind strich wie liebkosend durch die Nadeln, und ein lieblicher Duft stieg aus dem Walde auf. Dem Jungen war froh und sorglos zumute; er dachte, niemand könnte es besser gehen als ihm.

Nach allen Seiten war die Aussicht offen, und er konnte frei umherschauen. Gegen Westen war das Land voller Felsenkuppen und Berggipfel, die in der Ferne immer höher und wilder wurden. Ostwärts war auch hügeliges Land; da aber senkte es sich und wurde niedriger, bis es sich drunten am Meere schließlich ganz flach hinzog. Überall blinkten Bäche und Flüsse, die, so lange sie zwischen den Bergen flossen, einen gar beschwerlichen Lauf mit vielen Stromschnellen und Wasserfällen hatten, sich aber ausbreiteten, glänzend hell und breit wurden, sobald sie sich der Küste näherten. Den Bottnischen Meerbusen konnte Nils Holgersson auch sehen. In der Nähe des Landes war er mit Inseln gespickt und in Landzungen ausgezackt, aber weiterhin lag die Wasserfläche dunkelblau glänzend da wie ein Sommerhimmel.

„Dieses Land sieht aus wie ein Flußufer, gleich nachdem es geregnet hat,“ dachte der Junge. „Viele kleine Bäche fließen heraus und graben Furchen in den Boden, die sich winden und hinschlängeln und ineinanderlaufen. Und es ist in der Tat ein recht schöner Anblick. Ich erinnere mich wohl, daß der alte Lappe auf Skansen immer sagte, der liebe Gott habe Schweden, als er es auf der Erde ausbreitete, verkehrt hingestellt. Die andern lachten ihn aus, aber er blieb bei seinem Ausspruch und sagte, wenn sie gesehen hätten, wie schön es da droben im Norden sei, dann würden sie wohl einsehen, daß es nicht von Anfang beabsichtigt gewesen sei, ein solches Land so abseits zu legen. Und ich glaube fast, darin hatte er recht.“

Nachdem sich der Junge an der Landschaft satt gesehen hatte, nahm er sein Ränzel ab, zog ein Stück feines Weißbrot heraus und begann zu essen.

„Ich glaube, ich habe in meinem ganzen Leben noch kein so gutes Brot gegessen,“ sagte er. „Und wieviel ich noch habe! Das genügt noch für mehrere Tage. Gestern um diese Zeit hätte ich nicht geglaubt, daß ich heute im Besitz von solchem Reichtum sein würde.“

Während er lustig kaute und drauf los aß, dachte er daran, auf welche Weise er das Brot bekommen hatte.

„Es schmeckt mir gewiß auch deshalb so ausgezeichnet, weil ich es auf eine so schöne Weise erhalten habe,“ sagte er.

Schon am Abend vorher hatte der Königsadler Medelpad verlassen, und kaum hatte er die Grenze von Ångermanland erreicht, als der Junge ein Wiesental und einen Fluß erblickte, die an Schönheit und Größe alles andre, was er bisher gesehen hatte, übertrafen.

Das Tal lag ungeheuer breit zwischen den Bergen, und der Junge fragte sich, ob nicht am Ende dieses Tal in frühern Zeiten von einem andern Flusse, einem viel größern und breitern als dem jetzigen, ausgegraben worden sein könnte. Nachdem das Tal hergestellt gewesen war, mußte es durch irgendein Ereignis mit Sand und Erde verschüttet worden sein, zwar nicht vollständig, aber doch ein gutes Stück an dem Gebirge hinauf. Durch das Geröll hindurch hatte sich dann der jetzige Fluß, der sehr breit und wasserreich war, auch ein tiefes Bett gegraben. Er hatte seine Ufer wunderschön ausgeschnitten: bald umsäumten ihn Abhänge, die in roter, blauer und gelber Blumenpracht bis herauf zu dem Jungen leuchteten, bald ragten die felsigen Strecken, die dem Wasser zu hart zum Durchbrechen gewesen waren, wie steile Mauern und Türme am Flußufer auf.

Als der Adler den Jungen so hoch droben durch die Lüfte getragen hatte, war es diesem gewesen, als könne er zu gleicher Zeit in drei verschiedene Welten hineinschauen. Ganz drunten im Tale, wo der Fluß hinzog, war die eine Welt. Da wurden Balken fortgeflößt, da eilten Dampfboote von Brücke zu Brücke, da klapperten die Sägewerke, da wurden große Frachtschiffe beladen, da wurde der Lachs gefangen, da wurde gerudert und gesegelt, da flogen unzählige Schwalben, die ihre Nester in der Nähe des Ufers hatten, hin und her!

Aber ein Stockwerk höher, sozusagen zur ebenen Erde, die sich ganz bis an den Rand der Berge erstreckte, war die zweite Welt. Da lagen Gehöfte, Dörfer und Kirchen; da bestellten die Bauern ihre Felder, da weidete das Vieh, da grünten die Wiesen, da waren die Weiber in ihren kleinen Gemüsegärten eifrig an der Arbeit, da zogen sich die Landstraßen in vielen Krümmungen hin, da brauste die Eisenbahn einher!

Und dann, weit entfernt von all diesem, droben auf den waldbestandenen Höhen, da war die dritte Welt. Da lag das Weibchen des Auerhahns auf seinen Eiern, da stand der Elch im tiefen Waldesdunkel verborgen, da lauerte der Luchs, da knabberte das Eichhörnchen, da dufteten die Tannen, da blühten die Heidelbeeren, da schlug die Drossel ihre Triller!

Als Nils Holgersson das reiche Flußtal erblickte, fing er an, über Hunger zu klagen. „Nun habe ich seit zwei vollen Tagen nichts zu essen bekommen,“ sagte er, „und ich bin ganz ausgehungert.“

Gorgo war der Gedanke unerträglich, es könne nachher heißen, dem Jungen sei es bei ihm schlechter gegangen als bei den Wildgänsen, und er flog deshalb sogleich langsamer.

„Warum hast du das nicht früher gesagt?“ fragte er. „Du kannst so viel zu essen haben, wie du nur willst. Wenn du einen Adler als Reisekameraden hast, brauchst du nicht zu hungern.“

Gleich darauf gewahrte Gorgo einen Bauern, der drunten am Flusse ein Feld besäte. Das Saatkorn trug der Mann in einem Korbe vorn auf der Brust, und so oft der Korb leer war, holte er sich neuen Vorrat aus einem Sack, der drüben am Rande des Ackers stand. Der Adler vermutete mit Recht, daß dieser Sack mit dem Besten gefüllt sei, was sich der Junge nur wünschen könnte, und er ließ sich deshalb an dieser Stelle hinuntersinken.

Aber ehe der Adler den Boden erreicht hatte, entstand um ihn her ein entsetzlicher Lärm; in dem Glauben, der Adler wolle sich auf einen Vogel stürzen, kamen Krähen, Sperlinge und Schwalben mit lautem Geschrei eilig dahergeflogen.

„Weg, weg, du Räuber! Weg, weg, du Vogelmörder!“ schrien sie; und sie verführten einen solchen Spektakel, daß der Bauer aufmerksam wurde und herbeilief. Da war der Adler gezwungen, zu fliehen, und der Junge hatte auch nicht ein einziges Körnchen bekommen.

Diese kleinen Vögel hatten sich zu sonderbar benommen; nicht genug, daß sie den Adler in die Flucht zwangen, sie verfolgten ihn auch noch eine gute Strecke das Tal entlang. Und überall wurden die Leute auf das laute Vogelgeschrei aufmerksam; die Weiber liefen vor die Häuser heraus und klatschten so laut in die Hände, daß es wie Gewehrsalven klang, und die Männer kamen mit der Flinte in der Hand herbeigelaufen.

Und so ging es jedesmal, sobald sich der Adler auf die Erde hinabsinken ließ. Der Junge hatte die Hoffnung, der Adler werde ihm etwas Nahrung verschaffen können, schon aufgegeben. Ach, er hatte bis jetzt gar nicht gewußt, wie verhaßt und verabscheut Gorgo war! Dieser tat dem Jungen herzlich leid, und er meinte fast, es geschähe ihm unrecht.

Nach einer Weile flogen sie über einen schönen Bauernhof hin, wo die Hausfrau offenbar großen Backtag gehabt hatte. Die frischgebackenen Weißbrote standen zum Abkühlen auf dem Hofplatz, und die Bäuerin selbst stand zur Aufsicht daneben, damit weder Hund noch Katze eines davon stibitze.

Der Adler hätte sich auf den Hof hinabsinken lassen können; aber vor den Augen der Bäuerin wagte er die Brote nicht anzugreifen. Ratlos flog er hin und her; ein paarmal war er schon dicht über dem Schornstein, flog aber jedesmal wieder in die Höhe.

Jetzt gewahrte die Bäuerin den Adler; sie hob den Kopf und sah ihm nach.

„Wie sonderbar dieser Vogel sich benimmt!“ sagte sie. „Ich glaube gar, er möchte eines von meinen Brötchen.“

Es war eine sehr schöne Frau, groß und blondhaarig, mit einem offenen, fröhlichen Gesicht. Sie lachte herzlich, nahm eines der Brötchen von der Platte und hielt es hoch über ihrem Kopf empor. „Wenn du es willst, dann hol es dir!“ rief sie.

Der Adler konnte nicht verstehen, was sie sagte; aber er war sich doch sogleich klar darüber, daß sie ihm das Brot geben wollte. Blitzschnell schoß er hinunter, schnappte ihr das Brot aus der Hand und schoß wieder in die Luft hinauf.

Als der Junge den Adler das Brot ergreifen sah, traten ihm die Tränen in die Augen; einerseits aus Freude, weil er nun mehrere Tage lang nicht zu hungern brauchte, andrerseits aber, weil er tief gerührt war, daß die Bäuerin ihr Brot mit einem wilden Raubvogel geteilt hatte.

Und während Nils Holgersson nun hier in dem Tannenwipfel saß, konnte er sich, sobald er nur wollte, das Bild der großen, blondhaarigen Frau ins Gedächtnis zurückrufen; er sah sie ganz deutlich vor sich, wie sie auf dem Hofplatz stand und das Brot in die Höhe hob. O, sie hatte ohne Zweifel gewußt, daß der große Vogel ein Königsadler war, ein Räuber, den die Leute sonst mit scharfen Schüssen begrüßen, und sie hatte wohl auch das sonderbare Wesen bemerkt, das der Adler auf dem Rücken trug; aber sie hatte nicht erst lange gefragt, wer die beiden waren; sobald sie begriff, daß sie hungrig waren, hatte sie ihnen von ihrem guten Brot mitgeteilt!

„Wenn ich einmal wieder ein Mensch bin,“ dachte der Junge, „dann mache ich mich auf den Weg und suche die schöne Bäuerin an dem großen Flusse auf, um ihr dafür zu danken, daß sie so gut gegen uns gewesen ist.“