»Verdammt gescheites Weib!« rief Linday, und seine Augen blitzten vor Ärger.
»Was in aller Welt hat dich denn ausgerechnet nach Klondike geführt?« fragte sie eines Tages.
»Zu viel Geld. Keine Frau, die es ausgeben konnte. Ich wollte auch mal Ruhe haben. Vielleicht ein bisschen überarbeitet. Ich versuchte es mit Kolorado, aber ihre Telegramme verfolgten mich, und einige kamen sogar höchst persönlich. Da ging ich nach Seattle. Genau dieselbe Geschichte! Ransom brachte mir seine Frau in einem Extrazug. Ich konnte mich nicht davon drücken. Die Operation war erfolgreich. Die Zeitungen kriegten Wind davon – den Rest kannst du dir denken. Ich musste mich irgendwo verstecken. Also ging ich nach Klondike … Und … da fand Daw mich, als ich in einer Hütte am Yukon saß und Whist spielte.«
Es kam der Tag, an dem Strangs Bett in die freie Luft getragen wurde und er im Sonnenschein liegen durfte.
»Lass mich ihm jetzt sagen, was kommen soll«, sagte sie zu Linday.
»Nein, warte«, antwortete er.
Einige Zeit darauf konnte Strang auf dem Rand seines Bettes sitzen. Und bald konnte er, auf beiden Seiten gestützt, die ersten unsicheren Schritte wagen.
»Lass mich jetzt mit ihm sprechen«, bat sie.
»Nein. Ich will diese Sache zuerst voll und ganz durchführen. Noch ist eine kleine Starre im linken Arm übrig. Es ist an sich nur eine unbedeutende Geschichte, aber ich will ihn so machen, wie Gott ihn einst gemacht hat. Ich habe mir vorgenommen, den Arm morgen noch einmal zu operieren und den Dreck in Ordnung zu bringen. Er wird wieder ein paar Tage auf dem Rücken liegen müssen. Schade, dass ich kein Chloroform mehr habe. Er muss eben die Zähne zusammenbeißen und aushalten. Das kann er auch. Er hat Energie für ein ganzes Dutzend Männer.«
Es wurde Sommer. Der Schnee schmolz – nur die fernen Gipfel der Rocky Mountains schimmerten noch weiß. Die Tage wurden länger, bis es überhaupt keine Dunkelheit mehr gab. Die Sonne tauchte nur gegen Mitternacht wenige Minuten hinter den Horizont – so hoch im Norden waren sie. Linday hörte nie mit der Arbeit an Strang auf. Er studierte seinen Gang, seine Bewegungen, untersuchte ihn immer wieder, ließ zum tausendsten Male alle seine Muskeln spielen. Er ließ ihn ins Unendliche massieren, bis er erklärte, dass Tom Daw, Bill und der Bruder glänzend vorbereitet für eine Anstellung als Masseure in einem türkischen Bad oder einem Schönheitsinstitut wären. Aber Linday war immer noch nicht zufrieden. Er ließ sein ganzes Repertoire von medizinischen Kunststücken und Kniffen spielen, um nachzuprüfen, ob irgendwo noch eine Schwäche verborgen läge. Er befahl ihm, wieder eine Woche zu Bett zu bleiben, öffnete das eine Bein, machte ein paar Kniffe mit den Adern, schabte ein Stück des Knochens, das nicht größer als eine Kaffeebohne war, bis nur die rosig-gesunde Oberfläche übrigblieb, die er mit dem lebendigen Fleisch zunähte.
»Lass mich jetzt mit ihm reden«, bettelte Madge.
»Noch nicht«, lautete seine Antwort. »Du darfst es ihm erst sagen, wenn ich ganz fertig bin.«
Der Juli verging. Der August näherte sich bereits seinem Ende. Da geschah es, dass Linday Strang aufforderte, auf die Elchjagd zu gehen. Linday ging mit, um ihn zu beobachten und zu studieren. Strang war schon von der schlanken Kraft einer Katze. Er ging, wie Linday noch nie einen Mann gehen gesehen, ohne die geringste Mühe. Er ging mit dem ganzen Körper. Es war, als ob alle schmiegsamen und weichen Muskeln des Rückens bis zu den Schultern hinauf beim Gehen verwendet würden. Aber es war keine Schwere dabei zu spüren. Er ging so leicht, dass die Bewegung voll geschmeidigster Anmut war. So mühelos, dass das Auge sich in Bezug auf die Schnelligkeit der Bewegungen täuschen ließ und sie unterschätzte. Es war der unbezwingliche Schritt, von dem Tom Daw gesprochen hatte. Linday folgte ihm mit Mühe; er schwitzte und stöhnte vor Anstrengung. Hin und wieder, wenn der Boden sich dazu eignete, lief er kurze Strecken, sonst hätte er überhaupt nicht mitkommen können. Und als sie zehn Meilen gegangen waren, machte er halt und warf sich ins Moos.
»Genug«, rief er. »Ich kann nicht mehr Schritt mit Ihnen halten.«
Er wischte sich das schweißbedeckte Gesicht, während Strang sich auf einen Fichtenstamm setzte. Er lächelte dem Arzt freundlich zu. Und mit dem tiefen Gemeinschaftsgefühlt des Pantheisten umfasste er die ganze Landschaft mit seinem Lächeln.
»Und Sie fühlen keinen Stich, keine Schmerzen oder nur die Andeutung von Schmerzen?« fragte Linday.
Strang schüttelte den Kopf mit dem lockigen Haar und reckte seinen geschmeidigen Körper. Und jede Fiber an ihm lebte und freute sich des Lebens.
»Es wird schon gehen, Strang. Einen Winter oder zwei müssen Sie freilich noch damit rechnen, dass Sie Kälte und Feuchtigkeit in den alten Wunden spüren. Aber das wird vorübergehen, und es ist auch möglich, dass Sie überhaupt nichts merken werden.«
»Mein Gott, Doktor, Sie haben wahre Wunder mit mir vollbracht. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich kenne ja nicht einmal Ihren Namen.«
»Spielt auch gar keine Rolle. Ich habe Sie durchgebracht, und das ist die Hauptsache.«
»Aber Ihr Name muss doch sicher bei den Menschen draußen in der Welt bekannt sein«, erklärte Strang hartnäckig. »Ich wette, dass ich ihn kennen würde, wenn ich ihn erführe!«
»Das glaube ich auch«, lautete Lindays Antwort. »Aber das hat nichts mit der Sache zu tun. Ich will nur noch eine letzte Prüfung vornehmen, und dann bin ich fertig mit Ihnen. Jenseits der Wasserscheide, an der Quelle dieses Baches, liegt ein Nebenfluss des Großen Windy. Daw erzählte mir, dass Sie letztes Jahr drüben waren, nach der mittleren Verzweigung und wieder zurück gingen und nur drei Tage dazu brauchten. Er sagte auch, dass Sie ihn bei dem Spaziergang beinahe kaputt gemacht hätten. Jetzt müssen Sie hier warten und heute noch hier lagern. Ich werde Daw mit der Lagerausrüstung schicken. Dann müssen Sie nach der Verzweigung und wieder zurück gehen und zwar ebenso schnell wie voriges Jahr.«
»Jetzt hast du eine Stunde zum Packen«, sagte Linday zu Madge. »Ich werde vorausgehen und das Kanu fertigmachen. Bill wird den Elch holen. Er kann erst gegen Abend wieder da sein. Wir können heute noch meine Hütte erreichen, und in einer Woche sind wir bereits in Dawson.«
»Ich hatte gehofft …« Sie schwieg stolz.
»Dass ich die Verabredung vergessen würde?«
»Nein. Vertrag ist Vertrag; aber du hättest ihn nicht in so gehässiger Weise auszuführen brauchen. Du bist nicht korrekt gewesen. Du hast ihn für drei Tage weggeschickt und es mir dadurch unmöglich gemacht, Abschied von ihm zu nehmen.«
»Kannst ja einen Brief hinterlassen …«
»Ich werde ihm alles sagen.«
»Selbst das Geringste weniger als alles würde inkorrekt gegen uns alle drei sein«, lautete die Antwort Lindays.
Als er alles im Kanu verstaut hatte und zurückkehrte, war der Brief schon geschrieben.
»Lass mich ihn lesen«, sagte er. »Wenn du nichts dagegen hast.«
Sie zögerte einen Augenblick. Dann reichte sie ihm den Brief.
»Sehr offenherzig«, sagte er, als er ihn gelesen hatte.
»Nun, bist du fertig?«
Er trug ihr Bündel zum Kanu hinunter. Dann kniete er nieder, um mit der einen Hand das Boot festzuhalten, während er die andere ausstreckte, um ihr behilflich zu sein. Er beobachtete sie sehr scharf, aber sie reichte ihm ihre Hand, ohne zu zittern, und schickte sich, ruhig und entschlossen, an, hineinzusteigen.
»Warte einen Augenblick«, sagte er. »Du erinnerst dich sicher der Geschichte, die ich dir damals erzählte … der Geschichte von dem Wunderelixier. Ich vergaß dir den Schluss zu erzählen. Als die Frau seine Augen bestrichen und sich bereit gemacht hatte, abzureisen, sah sie sich zufällig in einem Spiegel und bemerkte, dass sie ihre Schönheit wiedererlangt hatte. Und er öffnete die Augen, konnte sehen und schrie auf vor Glück, als er ihre Schönheit sah. Und dann nahm er sie in seine Arme …«
Sie stand da, voller Spannung, aber doch beherrscht, und wartete, was er weiter sagen würde. Eine wundervolle Hoffnung begann ihren Glanz über ihr Gesicht und ihre Augen zu breiten.
»Du bist wirklich sehr schön, Madge«, sagte er. Und er machte eine kleine Pause. Dann fügte er trocken hinzu:
»Was weiter geschah, ist unschwer zu denken. Und ich bilde mir ein, dass Rex Strangs Arme auch nicht sehr lange leer bleiben werden. Und jetzt – leb wohl!«
»Grant …«, sagte sie. Sie flüsterte es nur. Und in ihrer Stimme verbargen sich alle die Worte, die sie nicht auszusprechen brauchte, um verstanden zu werden.
Er ließ ein kleines spöttisches Lachen hören.
»Ich wollte dir nur zeigen, dass ich doch nicht so schlimm bin, wie du gedacht hast. Glühende Kohlen, du weißt ja …«
»Grant …«
Er sprang ins Kanu und streckte ihr eine schlanke, nervige Hand entgegen.
»Leb wohl!« sagte er.
Sie legte ihre beiden Hände um die seine.
»Du liebe starke Hand«, murmelte sie. Und sie beugte sich und küsste die Hand.
Er stieß sie zurück, schob das Kanu vom Ufer ab und tauchte die Paddel in den schnell strömenden Fluss. Dann glitt das Boot in den Bannkreis des Strudels, wo das Wasser glasig quoll, bevor es in weiße Wolken brodelnden Gischtes verwandelt wurde.
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Ich will dir sagen, was wir tun: »Wir würfeln darum.«
»Einverstanden«, sagte der andere und wandte sich an den Indianer, der in einer Ecke der Hütte saß und Schneeschuhe ausbesserte. »Hör, du, Billebedam, lauf so schnell du kannst nach der Hütte von Oleson und sag ihm, dass wir seinen Würfelbecher leihen möchten.«
Diese plötzliche Aufforderung während einer ernsten Besprechung über Arbeiterlöhne und Holz- und Lebensmittelpreise überraschte Billebedam. Zudem war es sehr früh am Tage, und er hatte noch nie erlebt, dass Männer von der Art Pentfields oder Hutchinsons gewürfelt oder gespielt hätten, ehe die Arbeit des Tages getan war. Als er aber seine Wanten anzog und zur Tür hinausging, blieb sein Gesicht so ausdruckslos wie das Gesicht eines Yukonindianers.
Obgleich die Uhr schon acht zeigte, war es draußen noch ganz dunkel, und in der Hütte selbst brannte eine Talgkerze, die in einer leeren Whiskyflasche steckte. Sie stand auf dem tannenen Tisch inmitten eines Wirrwarrs von schmutzigen Zinntellern. Der Talg von unzähligen Kerzen war an dem langen Hals der Flasche herabgeträufelt und zu einem Gletscher in Taschenformat erstarrt. Der kleine Raum, der das Innere der Hütte bildete, war so wenig aufgeräumt wie der Tisch. In einer Ecke an der Schirmwand waren zwei Schlafstellen übereinander eingerichtet. Die Decken lagen noch so unordentlich da wie am Morgen, als die beiden Männer aus ihnen herausgekrochen waren.
Lawrence Pentfield und Corry Hutchinson waren Millionäre, obgleich sie nicht danach aussahen. Es war gar nichts Außergewöhnliches an ihnen zu sehen, wenn sie auch in jedem Michiganlager als hervorragende Typen von Holzhändlern gegolten hätten. Aber draußen in der Dunkelheit, wo viele Löcher in der Oberfläche der Erde klafften, waren zahlreiche Männer damit beschäftigt, Schmutz, Kies und Gold aus der Tiefe dieser Löcher heraufzuholen, und andere Männer erhielten fünfzehn Dollar täglich, um das alles aus dem Felsgrund zu kratzen. Jeden einzigen Tag wurden Tausende von Dollars in Gold dort abgekratzt und an die Oberfläche gebracht, und alles gehörte den Herren Pentfield und Hutchinson, die ihren Platz unter den reichsten Goldkönigen der Bonanza einnahmen.
Pentfield brach zuerst das Schweigen, nachdem Billebedam gegangen war, indem er die schmutzigen Teller weiter auf den Tisch schob und auf dem frei gemachten Raum einen Zapfenstreich mit seinen Knöcheln schlug. Hutchinson putzte die blakende Kerze und rieb den Ruß nachdenklich mit Daumen und Zeigefinger vom Docht.
»Ich möchte wirklich, Teufel noch mal, dass wir beide aus diesem Dreck herauskämen!« rief er plötzlich. »Dann würde alles wieder in Ordnung sein.«
Pentfield blickte ihn düster an.
»Wenn deine verfluchte Hartnäckigkeit nicht wäre, würde es sowieso in Ordnung sein. Du brauchst doch nur aufzustehen und zu fahren. Ich werde inzwischen nach dem Rechten sehen, und nächstes Jahr reise ich dann.«
»Warum sollte ich weggehen? Ich habe niemand, der auf mich wartet.«
»Deine Familie«, unterbrach Pentfield ihn grob.
»Ganz wie bei dir«, fuhr Hutchinson fort. »Ein Mädel, meine ich, und das weißt du auch …«
Pentfield zuckte finster die Achseln. »Sie kann warten, denke ich.«
»Aber jetzt wartet sie schon zwei Jahre.«
»Und ein drittes wird sie nicht übermäßig älter machen.«
»Das wären also drei Jahre! Denk daran, alter Knabe, drei Jahre an diesem Ende der Erde, diesem Abladeplatz der Verdammten.« Hutchinson hob seinen Arm und stieß einen Seufzer aus, der fast wie Worte klang.
Er war einige Jahre jünger als sein Partner, nicht älter als sechsundzwanzig Jahre, und doch stand eine gewisse Schwermut in seinem Gesicht geschrieben – jene Schwermut, welche die Gesichter von Männern prägt, die sich vergeblich nach etwas sehnen, das ihnen lange vorenthalten wird. Dieselbe Schwermut stand auch in Pentfields Gesicht geschrieben und hatte sich in seinem Achselzucken ausgedrückt.
»Mir träumte heute Nacht, ich wäre bei Zinkand«, sagte er. »Die Musik spielte, Gläser klirrten, Stimmen summten, Frauen lachten, und ich selbst bestellte Eier – ja, mein Lieber, Eier, Spiegeleier und hartgesottene Eier und weiche Eier und Rühreier und Eier auf jede denkbare Art zubereitet. Und ich verschlang sie ebenso schnell, wie sie mir gebracht wurden.«
»Ich würde Salate und Gemüse bestellt haben«, kritisierte Hutchinson hungrig. »Dazu einen mächtigen, blutigen Braten und junge Zwiebeln und Radieschen, so knusprig, weißt du, die knacken, wenn man sie zwischen die Zähne kriegt.«
»Ich hätte das wahrscheinlich auch nach den Eiern bestellt, wenn ich nicht aufgewacht wäre«, antwortete Pentfield.
Er nahm ein von den Fahrten stark mitgenommenes Banjo vom Fußboden und begann einige unzusammenhängende Töne zu klimpern. Hutchinson wurde unruhig und atmete schwer.
»Lass das …«, platzte es in plötzlicher Wut aus ihm heraus. »Lass das, zum Teufel! Es macht mich verrückt. Ich halte es nicht mehr aus.«
Pentfield schleuderte das Banjo auf das eine Bett und zitierte:
»Hör mich flüstern, was der Schwächste nicht gesteht:
Ich bin ja Vergangenheit und Qual: die Stadt!
Ich bin alles, was in Abendkleidung geht!«
Der andere Mann rückte auf seinem Platz hin und her und stützte schließlich seinen Kopf auf den Tisch. Pentfield nahm wieder das eintönige Trommeln mit den Knöcheln auf. Ein lautes Knacken der Tür erregte seine Aufmerksamkeit. Der Frost kroch wie ein weißes Laken an der Innenseite empor. Pentfield begann leise vor sich hin zu singen:
»Die Vögel sammeln sich zum Zug,
zu Meere schwimmt der Lachs, und kahl
sind alle Bäume. Und wir zwei mein
Kind, wo hausen wir einmal?«
Wieder herrschte Schweigen, das erst gebrochen wurde, als Billebedam kam und den Würfelbecher brachte.
»Sehr kalt«, sagte er … »Oleson sagen mir, Yukon sein heute Nacht zugefroren.«
»Hörst du, alter Freund!« rief Pentfield und klopfte Hutchinson auf die Schulter. »Wer gewinnt, darf morgen früh um diese Zeit nach dem Lande Gottes abfahren!«
Er hob den Becher und ließ die Würfel fröhlich rasseln.
»Was spielen wir?«
»Richtiges Pokerwürfeln«, antwortete Hutchinson.
»Los, lass sie rollen!«
Pentfield schob die Teller mit lautem Geklirr vom Tisch hinunter und warf alle fünf Würfel. Beide sahen eifrig hin. Der Wurf war ohne Paare und ein Fünfer die höchste Zahl.
»Niete«, seufzte Pentfield.
Nach langem Zögern nahm Pentfield alle fünf Würfel vom Tisch auf und legte sie in den Becher.
»Ich würde an deiner Stelle auf den Fünfer halten«, schlug Hutchinson vor.
»Nein, das würdest du nicht, wenn du dieses siehst«, antwortete Pentfield und würfelte wieder. Wieder kam kein Paar, die Würfel zeigten aber diesmal in ununterbrochener Reihenfolge zwei bis sechs.
»Das war mein zweiter Wurf«, seufzte er. »Du brauchst gar nicht zu würfeln, Corry. Du kannst gar nicht mehr verlieren.«
Der andere schob ohne ein Wort die Würfel zusammen, schüttelte den Becher und ließ sie in einem Bogen auf den Tisch fallen. Dann sah er, dass in dem Wurf ebenfalls nur ein Sechser war.
»Ebensoviel wie du, das schon, aber ich muss es besser machen«, sagte er, nahm die vier Würfel und ließ die Sechs liegen. »Aber jetzt bist du hin!«
Aber sie rollten und zeigten zwei, drei, vier und fünf also auch nur eine Niete und weder besser noch schlechter als Pentfields Würfe.
Hutchinson seufzte.
»Kommt nicht einmal unter Millionen Würfen vor«, sagte er.
»Auch nicht in Millionen Leben«, fügte Pentfield hinzu. Dann nahm er den Würfelbecher und warf schnell. Drei Fünfer erschienen, und als er nach einigem Zögern zum zweiten Mal warf, erhielt er einen vierten Fünfer. Hutchinson schien jede Hoffnung auf einen Sieg aufgeben zu sollen.
Aber schon beim ersten Wurf erhielt er drei Sechser. Ein großer Zweifel tauchte in den Augen des anderen auf, während er selbst wieder Hoffnung schöpfte. Er hatte noch einen Wurf übrig. Noch eine Sechs – und er konnte über das Eis nach dem salzigen Meere und den Staaten wandern!
Er schüttelte die Würfel im Becher, tat, als ob er werfen wollte, zögerte und schüttelte sie noch einmal.
»Na, los, los doch! Brauch nicht den ganzen Tag dazu«, rief Pentfield ein wenig scharf, seine Nägel bogen sich, so fest drückte er die Finger gegen die Tischplatte, um seine Erregung zu beherrschen.
Der Würfel rollte; eine Sechs begegnete ihren Blicken. Beide Männer saßen da und starrten sie an. Hutchinson warf einen verstohlenen Blick auf seinen Partner, der ihn – noch verstohlener – auffing und den Mund verzog, um zu zeigen, wie gleichgültig es ihm sei.
Hutchinson lachte, als er aufstand. Es war ein nervöses, ängstliches Lachen. Hier schien es fast unangenehmer zu gewinnen, als zu verlieren. Er trat zu seinem Partner, der ihm übermütig zurief: »Jetzt hör aber auf, Corry. Ich weiß schon genau, was du sagen willst: Dass du lieber bleiben und mich reisen lassen willst und dergleichen. Brauchst es also gar nicht erst zu sagen. Du hast deine Familie in Detroit, die du besuchen kannst, und das genügt. Außerdem kannst du ja das einzige für mich erledigen, was ich besorgt hätte, wenn ich selbst gefahren wäre …«
»Und das ist?«
Pentfield las die ganze Frage in den Augen seines Partners und antwortete:
»Jawohl, eben das ist ’es. Bring sie mit hierher. Der ganze Unterschied besteht also darin, dass wir in Dawson und nicht in San Franzisko Hochzeit halten …«
»Aber, lieber Junge«, wandte Corry Hutchinson ein. »Wie in aller Welt soll ich sie denn hierherbringen? Wir sind doch nicht Bruder und Schwester. Und die Sache ist umso schlimmer, als ich sie ja noch gar nicht gesehen habe. Außerdem wäre es auch nicht ganz einfach, zusammen zu reisen, weißt du. Natürlich würde es ja alles in Ordnung sein – das wissen wir beide ja am besten. Aber bedenke doch, wie es nach außen hin aussehen würde, Mensch!«
Pentfield fluchte in seinen Bart und wünschte das »Aussehen« nach einer weniger kühlen Gegend als Alaska.
»Wenn du mal zuhören und dich nicht gleich auf das hohe Roß setzen wolltest«, sagte sein Partner. »Dann wirst du merken, dass das einzige Anständige, das ich unter diesen Umständen tun kann, wäre, dich statt meiner dieses Jahr reisen zu lassen. Es ist ja nur ein Jahr bis zum nächsten Jahr, und dann werde ich meinen Ausflug machen …«
Pentfield schüttelte den Kopf, obgleich man sehen konnte, dass er bei dieser Versuchung schwankte.
»Es geht nicht, Corry, alter Bursche. Ich weiß deine Freundlichkeit zu schätzen und so weiter, aber es geht nicht. Ich würde mich jede Stunde bei dem Gedanken schämen, dass du hier an meiner Stelle schuften müsstest.«
Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er suchte in seinem Bett und brachte es in seinem Eifer ganz in Unordnung, fand aber schließlich doch eine Schreibunterlage und einen Bleistift, setzte sich an den Tisch und begann schnell und sicher zu schreiben.
»Hier«, sagte er, als er den schnell hingekritzelten Brief seinem Partner überreichte. »Das brauchst du nur abzuliefern, und die Sache ist in Ordnung.«
Hutchinson ließ seinen Blick darüber schweifen und legte es wieder auf den Tisch.
»Aber wie kannst du wissen, dass ihr Bruder bereit ist, die niederträchtige Reise hierher zu machen?« fragte er.
»Oh, er wird es schon für mich tun – für mich und seine Schwester«, antwortete Pentfield. »Er ist ein Chechaquo, weißt du, und ich würde sie ihm allein nicht anvertrauen. Aber mit dir zusammen ist es ja eine leichte und ganz sichere Reise. Sobald du angekommen bist, gehst du zuerst zu ihr und bereitest sie vor. Dann kannst du zu deiner eigenen Familie im Osten fahren, und im Frühling werden sie und ihr Bruder dann bereit sein, mit dir zu reisen. Sie wird dir sehr gut gefallen, das weiß ich, auf den ersten Blick sogar. Und hiernach wirst du sie erkennen, sobald du sie siehst.«
Er öffnete die Kapsel seiner Uhr und zeigte ihm das an der Innenseite des Deckels aufgeklebte Bild eines jungen Mädchens. Corry Hutchinson betrachtete sie, und Bewunderung trat in seine Augen.
»Mabel heißt sie«, fuhr Pentfield fort. »Und es ist vielleicht gut, dass du gleich weißt, wo du ihr Haus zu finden hast. Sobald du in San Franzisko angekommen bist, nimmst du eine Droschke und sagst nur: ›Holmesplatz, Myrdon Avenue.‹ Ich glaube nicht einmal, dass es nötig ist, Myrdon Avenue hinzuzufügen. Der Droschkenkutscher wird schon wissen, wo Richter Holmes wohnt.«
»Und weißt du«, fügte Pentfield nach einer Pause hinzu, »es wäre keine schlechte Idee, wenn du mir noch einige Sachen mitbringen wolltest, die … hm …«
»Ein verheirateter Mann muss seine Sachen in Ordnung haben«, platzte Hutchinson grinsend heraus. Pentfield grinste ebenfalls.
»Natürlich – Servietten und Tischtücher, Laken und Kissenbezüge und dergleichen. Und bring eine Garnitur aus guter Seide mit. Weißt du, es ist ja kein Spaß für sie, sich hier niederzulassen. Du kannst das ganze Zeugs mit dem Dampfer durch die Beringstraße schicken. Und wie wäre es mit einem Klavier?«
Hutchinson fand diese Idee glänzend. Sein Widerstand war verschwunden, und er begann, sich für seine Mission zu erwärmen.
»Weiß Gott, Lawrence«, sagte er, als die Beratung vorbei war und sie beide aufstanden. »Ich werde dir dein Mädel in der richtigen Aufmachung herbringen. Ich werde das Kochen besorgen und für die Hunde sorgen, und ihr Bruder braucht nur für ihre Bequemlichkeit zu sorgen und alles zu tun, was ich etwa vergessen sollte. Und ich werde verflucht wenig vergessen, darauf kannst du dich verlassen.«
Am nächsten Tage schüttelte ihm Lawrence Pentfield zum letzten Male die Hand und folgte ihm mit den Blicken, als er mit seinen Hunden den zugefrorenen Yukon aufwärts in der Richtung der salzigen See und der großen Welt verschwand. Pentfield ging zu seiner Bonanzamine zurück, die ihm jetzt tausendmal trauriger als sonst erschien, aber er sah dem langen Winter tapfer entgegen. Es gab Arbeit genug zu tun, Männer mussten beaufsichtigt, Anleitungen für das Schürfen nach der unregelmäßigen Goldader gegeben werden. Aber sein Herz war nicht bei dieser Arbeit. Er hatte überhaupt kein Interesse für irgendwelche Arbeit, bevor die aufgestapelten Stämme für die neue Hütte, die auf dem Hügel hinter der Mine erbaut werden sollte, eingerammt wurden. Es sollte eine große Hütte werden, recht gemütlich und in drei schöne Räume geteilt. Jeder Stamm mit der Hand gehobelt und viereckig zugeschnitten – ein kostspieliger Einfall, da die Arbeiter einen Tagelohn von fünfzehn Dollar erhielten. Aber nichts erschien ihm zu kostspielig, wenn es sich um das Heim handelte, in dem Mabel Holmes leben sollte.
So ging er also an den Bau der Hütte und sang dabei: »Und wir zwei – mein Kind, wo hausen wir einmal?« Er hatte auch einen Kalender an die Wand über den Tisch gehängt, und das erste, was er jeden Morgen tat, war, dass er den Tag durchstrich und nachzählte, wie viele Tage es noch dauerte, bis sein Partner im Frühling das Yukoneis herabgesaust käme. Eine andere Idee, die er hatte, bestand darin, dass niemand in der Hütte am Hügel schlafen durfte. Sie musste jungfräulich dastehen, bis sie bezogen wurde, wie es auch die viereckigen gehobelten Stämme aus frischem Holz waren. Und als sie fertig dastand, ließ er ein großes Schloss an der Tür befestigen. Kein anderer als er selbst durfte eintreten, und er gewöhnte sich daran, viele Stunden dort zu verbringen. Und wenn er die Hütte verließ, strahlte sein Gesicht wie eine Sonne, und ein warmes, frohes Licht leuchtete in seinen Augen.
Im Dezember erhielt er einen Brief von Corry Hutchinson. Er hatte gerade Mabel Holmes kennengelernt. Sie sei genau, wie sie sein sollte, um Lawrence Pentfields Gattin zu werden, schrieb er. Er war begeistert, und sein Brief brachte das Blut in den Adern Pentfields zum Brausen. Andere Briefe folgten, einer unmittelbar auf den anderen, und manchmal zwei oder drei auf einmal, wenn der Dampfer die Post sackweise brachte. Und alle waren im selben Ton gehalten. Corry war soeben von der Myrdon Avenue gekommen, Corry war gerade unterwegs nach der Myrdon Avenue, oder Corry war in der Myrdon Avenue. Und er blieb länger und immer länger in San Franzisko, und von der Reise nach Detroit war überhaupt nicht mehr die Rede.
Lawrence Pentfield begann zu finden, dass sein Partner doch ziemlich viel Zeit in Mabels Gesellschaft verbrachte, wenn man bedachte, dass er seine Familie im Osten besuchen wollte. Er ertappte sich sogar dabei, dass er sich bisweilen darüber grämte, wenn er sich auch mehr gegrämt haben würde, wenn er Mabel und Corry nicht so gut gekannt hätte. Andererseits hatten Mabels Briefe immer so viel von Corry zu erzählen. Es ging auch als roter Faden durch sämtliche Briefe eine gewisse Furcht, ja, beinahe ein Unwille vor der Fahrt über das Eis und der Hochzeit in Dawson. Pentfield antwortete herzlich und verlachte ihre Furcht, denn er glaubte, dass eher physische Angst vor den Gefahren und Entbehrungen dahinter steckte, und verstand nicht, dass nur frauenhafte Scheu sie diktierte.
Jedoch der lange Winter und das unerträgliche Warten, dem schon zwei lange Winter vorausgegangen waren, übten doch einen großen Einfluss auf seine Stimmung aus. Die Beaufsichtigung der Arbeiter und das Interesse für die Goldader konnten die Langeweile des täglichen Einerleis nicht unterbrechen, und gegen Ende Januar machte er verschiedene Ausflüge nach Dawson, wo er sie für eine Weile an den Spieltischen vergessen konnte. Und da er einen Verlust ertragen konnte, gewann er natürlich, und »Pentfields Glück« wurde eine stehende Redensart unter den Pharaospielern.
Sein Glück folgte ihm bis in die zweite Woche vom Februar. Wie lange es ihm sonst gefolgt wäre, ist schwer zu sagen, denn da hörte er, nach einem größeren Gewinn, überhaupt auf zu spielen.
Es war in der Oper, und eine Stunde hatte es schon ausgesehen, als ob er auf keine Karte setzen könnte, ohne zu gewinnen. In einer Pause, als gerade ein Spiel beendet war, und während der Croupier die Karten zusammenraffte, bemerkte Nick Inwood, der Besitzer der Spielhölle, ohne Zusammenhang: »Hören Sie, Pentfield, Ihr Partner macht aber schöne Geschichten in den Staaten!«