Czytaj książkę: «Ein ganz klarer Fall», strona 4

Czcionka:

»Als Seelenklempner werden wir ja auch nicht bezahlt“, fauchte Hübner böse.

»Aber auch nicht dafür, unsere persönlichen Urteile und Eindrücke abzugeben, ohne zu wissen, was wirklich dahinter steckt. Deshalb müssen wir recherchieren, bevor wir etwas anrichten, was nicht wieder gut zu machen ist. Marita könnte noch leben, hätten sich nicht zu viele Menschen durch voreiliges Urteilen und oberflächliches Handeln diesen Fall zu einfach gemacht. Wenn man selbst nicht betroffen ist, ist es auch einfach.« Kullmann schnappte nach Luft, sein Gesicht war purpurrot und Schweiß stand auf seiner Stirn.

»Warum erregt dieser Fall dich denn so? Es liegt 15 Jahre zurück.«

»Weil ich die Ermittlungen geführt hatte und es nicht erreichen konnte, dass der Täter zur Verantwortung gezogen wurde. Deshalb.«

Eine kurze Pause trat ein.

Dann meinte Kullmann wieder ruhiger: »Ich möchte gerne, dass du Nachforschungen anstellst, ob es etwas über den Fall von Maritas Mutter gibt. Ich will wissen, wer der Polizist war, der damals im Verdacht stand.«

Auf Hübners ungläubigen Blick hin, klärte er diesen über den Unglücksfall der Mutter auf, was selbst Hübner mit Betroffenheit zur Kenntnis nahm. Daraufhin verschwand er wieder.

Langsam erhob Kullmann sich von seinem Platz und schritt hinüber in Ankes Büro, um sich noch Kaffee nachzuschenken. Als er das Zimmer betrat, sah er sie so beschäftigt über einigen alten Akten, dass sie sein Eintreten nicht bemerkte.

»Welche Akten lesen Sie da?«

Erschrocken fuhr sie auf. »Ach Sie sind es.« stieß sie aus. Sie berichtete, dass sie auf der Suche, nach dem Fall von Maritas Mutter sei, dass sie bisher aber noch keine Anhaltspunkte gefunden habe.

»Was interessiert Sie so an den Fall der Mutter?«, fragte Kullmann besorgt, weil er ahnte, dass sie den gleichen Verdacht hegte.

»Ich weiß, dass es kaum bei unserem aktuellen Fall weiterhelfen wird, aber die Vergangenheit hat mich zurzeit eingeholt. Ich kann mich nicht richtig von diesem Fall trennen«, lächelte sie schwach.

»Es ist schon ein anonymer Anruf gekommen, Herbert Klos habe den Tod verdient“, erwähnte Kullmann eher beiläufig, während der zur Kaffeemaschine schritt und sich nachschenkte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Ankes Reaktion.

»Vielleicht erinnern sich noch andere an diesen Vorfall, wenn sie den Namen Herbert Klos hören.«

»Sicher. Gibt es eigentlich eine Akte über den Fall Josef Klos, Herberts Vater? Der Fall wurde damals niemals aufgeklärt, deshalb interessiert er mich.«

»Ich kann ja mal nachsehen.« Anke stand auf und ging in Richtung Aktenaufbewahrung.

»Anke, Sie sind ein wunderbarer Mensch, bitte bleiben Sie immer so und passen Sie gut auf sich auf.« meinte Kullmann, als er ihr nachsah, wie sie auf die Aktenablage zuging. Verwundert über diese väterliche Sorge drehte sie sich um und schaute ihn fragend an. Kullmann lächelte sie an und verließ ohne weitere Worte ihr Zimmer.

*

In seinem Büro wartete Hübner bereits auf ihn.

»Ich habe zwar nichts über Maritas Mutter erfahren, aber dafür habe ich die Anschrift von Elvira Reinhardt. Das könnte uns vielleicht wieder in die Gegenwart zurückbringen.«

»Zum Glück gibt es da ja noch Anke“, murrte Kullmann, weil er ahnte, dass der junge Kollege ihr den Auftrag weitergab. Aufträge, die ihm keinen Erfolg verschaffen konnten, leitete er besonders gerne weiter. Sein Erfolg ging ihm über alles. Wie er solch ein Verhalten missbilligte, dachte Kullmann voller Ingrimm. Hübner war schließlich nicht mehr so jung, um immer noch dieses vorpubertäre Denken und Streben rechtfertigen zu können. In diesem Berufszweig auf der Erfolgsleiter empor zu klettern, war ein langer und schwieriger Weg. Geduld oder Beziehungen, das waren die einzigen Möglichkeiten, den Erfolg zu beschleunigen und Hübner besaß seines Wissens keins von beidem.

»Allerdings habe ich meine Gründe, wenn ich Anweisungen

gebe. Sogar ich tue nichts, ohne zu überlegen“, fügte er noch sarkastisch an.

»Norbert, ich verstehe dich nicht mehr. Warum sollen wir in einem Fall herumwühlen, der 15 Jahre zurückliegt und längst abgeschlossen ist. – Zumal mittlerweile Täter und Opfer tot sind. Es ist mir ein Rätsel, welche Überlegungen du in dieser Sache angestellt hast? Wir müssen weiterarbeiten, es leben noch viele Menschen. Und es wird auch noch viel passieren. Wir können nicht bei jedem Fall die Nerven verlieren und uns selbst für alles verantwortlich machen. Wir können nur versuchen, eine gute Arbeit zu leisten und somit ein wenig zu helfen. Mehr aber auch nicht.«

Das klang zwar vernünftig, musste sich Kullmann eingestehen, doch er kannte Hübner. In den 5 Jahren, die sie zusammenarbeiteten, hatte er ihn bestens kennengelernt. Hübner konnte sich auf jede Situation bestens einstellen. Er war wie ein Chamäleon, das immer seine Farbe der jeweiligen Umgebung anpassen konnte, wo es auch war. Dadurch hatte es den Vorteil nicht entdeckt zu werden. In Hübners Fall war es ähnlich, sein wahres Gesicht wurde niemals entdeckt.

»Willst du behaupten, dass ich keine gute Arbeit leiste, nur weil ich emotional veranlagt bin?«, hakte er gereizt nach.

Hübner schüttelte den Kopf und schaute schuldbewusst unter sich. Er spürte wohl, dass er mit seiner Tirade zu weit gegangen war.

»Gut. In gewisser Weise gebe ich dir sogar Recht«, gab Kullmann zu Hübners Erstaunen nach. Er hatte einfach kein Interesse daran, sich mit Hübner auseinanderzusetzen, da sie wohl kaum einer Meinung sein würden. Er musste Hübner einfach Zeit lassen, gewisse Dinge zu verstehen und er war sich sicher, dass dieser Zeitpunkt noch kommen würde.

»Also, was haben wir über Elvira Reinhardt?«, fragte er, um somit seine Bereitschaft, das Kriegsbeil wieder zu begraben, zu zeigen.

»Sie ist die einzige, die wir kennen, die Kontakt zu beiden Toten hatte. Am 14.6.1988 hatte sie schriftlich der Firma Schulz KG gekündigt, fristlos. War zwei Monate arbeitslos und fing dann bei der Firma Boh und Co an zu arbeiten. Das Seltsame daran ist, bei Schulz KG war sie führend in der Verkaufsabteilung und hatte eine große Verantwortung und bei der Firma Boh und Co, das ist eine Autovermietung, arbeitet sie nur als kleine Schreibkraft. Dieser freiwillige Schritt nach hinten ist mir suspekt«, berichtete Hübner.

»Vielleicht ist sie nicht die Sorte Mensch, die gerne Verantwortung tragen, hast du schon mal daran gedacht?«, zweifelte Kullmann sogleich. »Deine Suche nach Verdächtigen ist ja schon zwanghaft.«

»Sicherlich, aber irgendwo müssen wir ja einen Anfang finden.

Ich glaube nicht, dass wir den in der Vergangenheit von vor 15 Jahren finden, sondern eher hier und heute«, stellte Hübner ironisch klar.

»Aber es ist doch nicht auszuschließen, dass der Ursprung dort zu finden ist“, rechtfertigte Kullmann sich impulsiv. Er war diese ständigen Seitenhiebe dieses jungen Kollegen leid. »Wer weiß, wie viel Hass sich in all den Jahren angestaut hat. Jeder Mensch verkraftet sein Schicksal auf seine Weise, da gibt es keine Verhaltensregeln. Jeder Mensch handelt anders. Du kannst keinen in ein Schema pressen.«

»Nun gut, aber es ist bestimmt kein Fehler, auch die Gegenwart nicht ganz zu vergessen. Immerhin hatte diese Elvira Reinhardt die beiden gekannt und ist seltsamerweise kurz nach einem Erlebnis, das sie wahrscheinlich ganz alleine mit Klos und Wehnert hatte, aus der Firma verschwunden. Könnte da denn nicht ein Zusammenhang mit dem besagten Abend und der plötzlichen Kündigung bestehen?

Wie wir nun wissen, ist Klos nicht der, den er vorgegeben hat. Und wenn jemand vor Jahren es schon fertigbrachte, ein Mädchen zu vergewaltigen, der scheut sich vielleicht auch nicht vor einem weiteren Mal. Vielleicht finden wir ja, wenn wir weiter recherchieren, noch so einen Fall in Klos’ Leben. Man kann ja nie wissen.«

»Da muss ich dir Recht geben. Vielleicht war ich emotional zu stark mit diesem alten Fall verbunden. Also – zurück zur Gegenwart: Es ist wohl das Beste, wir fahren zu Elvira Reinhardt«, gab Kullmann nach.

Wieder versöhnt gingen die beiden nebeneinander durch den Flur an Ankes Büro vorbei, die immer noch vor diesen alten Akten saß. Kullmann schüttelte den Kopf bei diesem Anblick. »Dieses Mädchen verdirbt seine ganze Jugend mit alten Akten. Anstatt mit jungen Leuten auszugehen. So etwas verstehe ich nicht.«

»Oh, so ganz verdrossen ist ihre Jugend nicht«, grinste Hübner.

Kullmann spürte wieder, wie Ärger in ihm aufstieg. Aber er mäßigte sich. Sie hatten sich gerade wieder versöhnt; diesen Zustand wollte er nicht sofort wieder zerstören. Lieber schwieg er auf dem Weg zum Dienstwagen.

Elvira Reinhardt wohnte ebenfalls im Stadtteil Malstatt. Inzwischen kannten die beiden Polizeibeamten dieses Viertel. Lieber war es ihnen stets gewesen, gerade Malstatt meiden zu können, da es dort bereits schwere Fälle von Verbrechen aufzuklären galt. Nun war es in kurzer Zeit bereits das dritte Mal, dass sie nicht umhin konnten.

Nach einigem Suchen fanden sie das Haus, in dem Elvira Reinhardt wohnte. Sie hielten den Wagen im Halteverbot und gingen zur Tür. Als sie die Namen auf den Klingeln absuchten, fanden sie ihren nicht.

»Was machen wir nun? Hier stehen 20 Namen, sollen wir alle anklingeln und nach Frau Reinhardt fragen?«, überlegte Kullmann.

»Was bleibt uns anderes übrig?«

Ein kleiner, dreckiger Junge stellte sich demonstrativ hinter die beiden Männer und rief: »Ihr seid ja Bullen.«

Die beiden schauten sich entsetzt um, aber als sie den kleinen Jungen sahen, lachten sie.

»Hast du was gegen uns?«, meinte Kullmann.

»Ja, alle haben was gegen die Bullen. Ganz besonders mein großer Bruder.« Mit diesen Worten rannte er weg.

Hübner wandte sich wieder der Klingel-Liste zu und begann, die erste zu betätigen. Nichts. Dann versuchte er es mit der nächsten. Wieder nichts. Nur ein Hund begann zu bellen. Er machte noch einige Versuche, doch außer einem ordinären Fluchen aus einem Fenster in der dritten Etage, konnten sie nichts erreichen. Daraufhin gaben sie sich geschlagen und fuhren wieder zurück.

Kapitel 3

Völlig unausgeschlafen war er an diesem Sonntagmorgen aufgestanden. Die ganze Nacht ging ihm der Bericht über den Tod von Herbert Klos und Jürgen Wehnert durch den Kopf. Es gelang ihm nicht abzuschalten. Auch nicht, nachdem sich die Sonne durch die dichten Wolken durchrang und dem Tag ein freundliches Gesicht gab. Er saß bereits seit Stunden am Küchentisch und rührte immer noch in seiner ersten Tasse Kaffee, die seine Frau ihm hingestellt hatte, ohne zu bemerken, dass dieser bereits kalt war. Die Regentropfen schimmerten wie Perlmutt auf dem Laub des Rhododendrons im Garten. Zwitschernde Spatzen flogen um den Busch herum und suchten emsig nach einem Landeplatz. Eine Siamkatze, die Katze seiner Frau, saß regungslos auf dem Boden und schaute den Vögeln zu, den richtigen Augenblick abpassend, um zuschlagen zu können. Doch während er seinen Kaffee weiter umrührte, bemerkte er diese kleinen Ereignisse in seinem Garten gar nicht.

Dazu war er zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt.

Immer wieder dachte er, so musste es kommen. Hatte er selbst nicht auch ein Stückchen dazu beigetragen, dass es so kommen würde. Es genügte ihm nicht, dass sein Erfolg ihm damals wichtiger war als alles andere. Seine berufliche Verbesserung war schließlich mit viel mehr Geld verbunden. Er hatte damals eine 20-jährige Tochter. Sie lebte in seinem Haus und bekam ein uneheliches Kind. Da konnte er jeden Pfennig nur zu gut gebrauchen. Jeden Tag sah er sie.

Seine Tochter hatte das Haus niemals verlassen. Sie war lange Zeit unglücklich darüber, von dem Vater des Kindes verlassen worden zu sein. Alle Verwandten und Bekannten waren entsetzt über das Verhalten dieses Mannes. Er bekam die schlimmsten Titel angehängt, als sei das, was er getan hatte das schlimmste Verbrechen auf dieser Welt.

Aber was wusste diese Familie schon von Verbrechen. Was wussten sie schon, was wirklich ein Verbrechen war. Heute war seine Tochter glücklich mit ihrem Kind und dem Mann, den sie später heiratete.

Nathalie war ein hübsches Kind, lebhaft, voller Tatendrang und voller Ideen. Sie war 15, bald war ihr 16. Geburtstag. Ein Alter, das den alten Mann erschrecken ließ.

Aber warum hegte er immer noch nach so vielen Jahren diese Hassgefühle? Es war nun 27 Jahre her und noch immer überkam ihn ein ganz seltsames Gefühl, wenn er nur an sie dachte. Lange dauerte es, bis er endlich erfuhr, wer der Täter war. Der Fall wurde schließlich ganz geschickt vertuscht. Durch Intrigen, die er selbst wohl am besten kannte und beherrschte, was er sich nun im Alter schmerzlich eingestand. Warum war ihm nach so vielen Jahren diese verhängnisvolle Akte in die Hände geraten? Warum musste er es erfahren? Ist die Wahrheit immer so wichtig?

Und nun erfuhr er über den Aktuellen Bericht von dem Mord an Herbert Klos. Allerdings war er zusammen mit einem Mann erschossen worden, den er nicht kannte. Vielleicht war ja seine Sorge unbegründet, vielleicht stand die Tat ja in keinerlei Zusammenhang. Doch trotzdem konnte er nicht abschalten. Er hatte Gleiches mit Gleichem vergolten. Sollte das nun das Ergebnis sein? Das wäre noch viel schlimmer, als er sich hätte träumen lassen. Soweit wollte er dieses Spiel nicht treiben, und schon gar nicht, dass ein ihm völlig fremder Mann zum Opfer seines persönlichen Rachefeldzuges wurde. Es gab also doch noch Menschen, die weit unerschrockener waren, als er selbst.

»Was ist los mit dir, Opa? Du rührst den Kaffee bald wieder heiß“, kam Nathalie die Marmortreppe heruntergelaufen. Sie trug ein weißes Kleid mit bunten Blumen, ihr dunkles langes Haar war zu einem schweren Pferdeschwanz zurückgebunden mit einer weißen Schleife, wodurch sie kindlich und weiblich zugleich aussah. Ihre großen strahlenden dunklen Augen blickten ihn an und bohrten sich, wie so oft mit einem Stich in sein Herz.

»Glaubst du das geht?«, fragte er matt lächelnd.

»Ich weiß nicht, aber wenn du dir lange genug Zeit lässt, bestimmt“, lachte sie nur und verließ gefolgt von ihrer Mutter das Haus.

Endlich nahm er den Löffel aus der Tasse und legte ihn beiseite.

Wieder und wieder ging er alles durch, was er in seinem Leben bisher getan hatte. Er kam zu dem Ergebnis, dass er alle Eigenschaften in sich barg, die ihn nun im hohen Alter, wohlbehütet in einer wunderbaren Familie, schmerzlich berührten. Er war nicht nur korrupt, er war eiskalt berechnend. Wie war so was möglich?

Er war niemals in finanziellen Schwierigkeiten, und doch war er vom Ehrgeiz getrieben. Er war bereit, alles zu tun, um diesen hochdotierten Posten im Ministerium für Rechtspflege zu bekommen, was ihm letztlich auch gelang. Aber zufrieden war er wohl niemals. Dabei hätte alles so einfach sein können.

»Warum redest du nicht mit mir über dein Problem?«, stand seine Frau plötzlich neben ihm. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ins Zimmer gekommen war. Erschreckt schaute er zu ihr auf und wehrte wortlos ab.

»Bist du krank? Oder was ist mit dir los? Du kannst doch nicht plötzlich über Nacht Probleme bekommen haben, von denen du vorher nichts wusstest“, meinte sie nur ratlos.

Seine Frau war liebevoll, immer schon für die Familie da.

Sie hatte nie einen Beruf erlernt und doch war sie in einigen Frauenbewegungen engagiert, ohne dabei ihre Pflichten innerhalb der Familie zu vernachlässigen. Sie war klug, sie registrierte alles, was sich in der Familie ereignet mit Schweigen und vergaß es niemals. Auch seine plötzliche Beförderung von vor 14 Jahren verwunderte sie, aber sie äußerte sich niemals. Sie löcherte ihn auch nie mit Fragen, was ihm schon immer angenehm war. Aber manchmal glaubte er, dass sie weit mehr wusste, als er ahnte.

Er dachte einmal, er habe sie aus Liebe geheiratet, doch das war es nicht. Wenn er es sich recht überlegte, war es nur das Anlehnungsbedürfnis, geliebt hatte er eine andere, die er nie bekam. Die Liebe kam nur von seiner Frau, die sich aber niemals darüber beklagte. Sie akzeptierte ihn, so wie sie ihn kannte und verlangte auch niemals mehr von ihm. Auf diese Weise verlief ihre Ehe auch harmonisch. Eigentlich hatte er keinen Grund, sich zu beklagen, oder sein Schicksal anzuzweifeln. Und doch ließ es ihn niemals in Ruhe.

»Ob es ein Problem ist, weiß ich noch nicht, das wird sich noch herausstellen.«

Mit diesen Worten verließ er das Haus.

*

Stockend fuhr er durch den dichten Berufsverkehr. Es war Montag und es regnete, das waren die zwei schlimmsten Faktoren im Leben eines jeden arbeitenden Menschen. Auf den Straßen konnte man das am besten feststellen, denn jeder hupte hitzig, blendete auf oder riskierte einen Unfall durch unnötige Überholmanöver, die höchstens zwei Autolängen einbrachten. Kullmann blieb ruhig. Er hatte schlecht geschlafen und war noch müde. Ihm fehlte jegliche Energie, sich an diesem Treiben auf der Straße zu beteiligen, sein Kampf galt nur den Augenlidern, dass sie ihm nicht zufallen würden. Die ganze Nacht gingen ihm zwei Menschen durch den Kopf: Marita Volz und Anke Deister. Einmal fragte er sich, was Marita wohl in den letzten Stunden ihres Lebens empfunden haben muss, wie sie diese Ungerechtigkeit ertragen haben muss, die ihr angetan wurde. Und ein andermal überlegte er, wie weit wohl die Freundschaft zwischen Anke Deister und Andreas Hübner ging. Er machte sich ernste Sorgen um Anke. Sie wirkte, seit sie den Fall von Marita ausgegraben hatte, selbst so zerbrechlich, so hilfebedürftig.

Hübner konnte er bestimmt nicht das Einfühlungsvermögen

zutrauen, das Anke jetzt wohl brauchte. Hoffentlich nutzte er ihren schwachen Moment nicht für seine eigenen Vorteile aus. Ach, diese Gedanken wollten ihn einfach nicht in Ruhe lassen. Vielleicht waren seine Bedenken auch zu voreilig, er musste erst einmal abwarten. Und wenn es doch so schlimm wäre, wie er sich ausmalte, ließ Anke sich bestimmt nicht von einem betagten Mann wie ihm helfen. Sie würde ihn, wie er es schon von vielen anderen gehört hatte in seinem Leben, an seine eigenen Angelegenheiten erinnern.

Ein Autofahrer hinter ihm hupte ohrenbetäubend, wodurch er aus seinen Gedanken gerissen wurde. Tatsächlich, er hatte ganz vergessen, weiterzufahren, als die Schlange sich weiterbewegte. Hastig legte er einen Gang ein und holte die Lücke wieder auf.

Nach einer Dreiviertelstunde Autofahrt kam er endlich auf seiner Dienststelle an. Das Büro von Anke war noch leer. Das von Hübner ebenfalls. Gerade begann sein Gehirn wieder zu arbeiten, ob es da einen Zusammenhang gab, doch im gleichen Augenblick verbot er sich jeden Gedanken darüber. Zielstrebig ging er in Ankes Büro, wo die abteilungseigene Kaffeemaschine stand, und stellte Kaffee auf, damit er endlich munterer wurde.

Als er sein Büro betrat, lag dort eine ganz dicke Akte über der Überschrift: Josef Klos, geb. 6.1.1921, verstorben am 25.4.1976.

Augenblicklich war er hellwach. Neugierig begann er in der Akte zu blättern und fand als erstes ein Foto von der Leiche, die 2 Tage nach dem Mord im Wald aufgefunden wurde. Dem Anschein nach wurde ihm beim Waldlauf aufgelauert und auf ihn geschossen.

Er hatte zwei Einschüsse am Hals und in der Brust. Nach dem Autopsie-Bericht war der Tod erst mehrere Stunden später eingetreten. Es gab mehrere Verdächtige, die verhört wurden, aber es konnte niemand überführt werden. Unter ihnen tauchten Namen auf, die Kullmann bekannt waren. So zum Beispiel Walter Gaus, der Strafverteidiger von Marita Volz. Zu seinem Erstaunen hatte Gaus zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die kleine unbedeutende Kanzlei, sondern hatte sich innerhalb kurzer Zeit gut etabliert. Er war Teilhaber an einer der größten Kanzleien in der Stadt. Dieser Aufstieg kam bei den Ermittlungen den Kollegen verdächtig vor, so dass er mehrere Male vorgeladen wurde. Er hatte allerdings ein Alibi, und es gab auch keine Anhaltspunkte, dass der Tod von Josef Klos ihm einen Vorteil verschafft hätte. Der Leiter der Mordkommission war der Hauptkommissar Peter Balduin, der den Verdächtigen dann auch bald wieder entließ. Kullmann erinnerte sich wieder, dass Walter Gaus vor einigen Jahren an einem Herzinfarkt gestorben war. Die Zeitungen schrieben nämlich einen großen Bericht über ihn und sein Leben. Er war diesen großen Artikel wert, denn er hatte sich im Laufe der Zeit zu einem der bekanntesten und teuersten Anwälte der Stadt heraufgearbeitet. Hauptkommissar Balduin war wenige Jahre nach diesen Ermittlungen zum Amtsleiter des Kriminalamtes befördert worden. Aber auch das lag schon mehrere Jahre zurück. Balduin war seit Januar 1987 ein gut situierter Pensionär. Kullmann erinnerte sich noch so genau, weil sein Abtritt überraschend kam und im Landeskriminalamt gebührend gefeiert wurde. Nun bewohnte er mit seiner Frau ein schmuckes Häuschen im Stadtteil Bübingen und genoss seinen Lebensabend.

Die Tür zum Korridor ging auf und Hübner und Anke Deister kamen plaudernd herein. Als sie sahen, dass Kullmann bereits in seinem Büro war, wurden sie still und jeder verschwand in seinem Büro. Das war mehr als eindeutig, dachte Kullmann, wieder schlagartig in die Gegenwart zurückgeholt.

»Guten Morgen, Chef. Sie haben ja schon Kaffee aufgestellt«, kam Anke munter in sein Büro und schenkte ihm ein. Sie wirkte so fröhlich und ausgelassen an diesem Morgen, was Kullmann sofort den Eindruck vermittelte, dass ihre Schwermut und Zerbrechlichkeit vom Vortag nur Einbildung war. Mit ihrem bunten T-Shirt und ihrer engen Jeans wirkte sie wie ein vor Leben sprühender Teenager.

»Vielen Dank, auch für diese Akte«, meinte er nur kurz und bemühte sich, sie nicht anzustarren. Er empfand, dass sie an diesem Morgen besonders hübsch aussah.

»Die ist wirklich interessant, aber ich glaube nicht, dass es uns in unserem Fall weiterhelfen wird«, meinte sie gelassen. »Der Mord an Klos wurde niemals aufgeklärt. Aber es ist schon komisch, dass Vater und Sohn doch auf ähnliche Weise sterben. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«

»Na, na. Herbert Klos hat schließlich auch noch einen Sohn. Wir wollen doch kein Unheil heraufbeschwören«, wehrte Kullmann ab.

Beschwingt verließ Anke das Zimmer. Kullmann schaute ihr nach und staunte über die Wechselhaftigkeit dieser jungen Leute. Sie war an diesem Tag so herrlich unbeschwert. Von ihrer Melancholie vom vergangenen Tag war nichts mehr festzustellen. So gefiel sie ihm gleich viel besser, auch wenn dieser Sinneswandel mit Sicherheit auf Hübner zurückzuführen war. Wieder in die Akte Klos vertieft, schlürfte er an seinem Kaffee, wobei er feststellte, dass dieser zu stark war. Der Fall war nach einiger Zeit eingestellt worden, weil kein Täter zu ermitteln war, trotz dieser langen Liste von Verdächtigen. Nachdenklich erhob er sich und ging zu Hübner ins Büro.

»Guten Morgen, Andreas.«

»Guten Morgen, Norbert. Was gibt es? Du bist so höflich«, entgegnete Hübner, der die Tageszeitung vor sich liegen hatte und darin las.

»Was hatte dieser anonyme Anrufer zu dir genau gesagt?«, wollte Kullmann wissen.

»Er sagte: Endlich hat es den richtigen Klos erwischt, der es verdient hat. Lange habe ich darauf gewartet«, zitierte Hübner. »Warum interessiert dich das?«

»Weil ich gerade in der Akte von Josef Klos geblättert habe. Der Fall wurde niemals aufgeklärt und in dem Zusammenhang ist mir dieser Anruf wieder eingefallen.«

Hübner erhob sich rasch und folgte ihm: »Du meinst, dass der Anschlag damals gar nicht dem Vater galt, sondern seinem Sohn Herbert?«

»Es wäre doch nicht auszuschließen, oder?«

Hübner war verwundert. »Du bist also wieder im Jahr 1975 und glaubst, dass das Attentat im Zusammenhang mit dieser Marita Volz stand?«

»Schau dir doch einfach mal das Foto von Josef Klos’ Leiche an! Er trug einen Trainingsanzug und ein Stirnband, wodurch er durchaus auch für jünger gehalten werden konnte«, meinte Kullmann und hielt dem jungen Kollegen das Foto entgegen.

»Ja, machte Herbert Klos denn auch regelmäßig seinen Waldlauf?« fragte Hübner ironisch. Mürrisch betrachtete er sich das Bild und gab Kullmann widerstrebend recht: Tatsächlich wirkte Josef Klos jung in dieser Aufmachung.

»Das weiß ich natürlich nicht, aber beide lebten zu dem Zeitpunkt noch in einem Haus. Es ist doch durchaus möglich, dass er beobachtet wurde, ohne dass der Täter bemerkte, dass er den Falschen beobachtete.«

Anke, die das Gespräch mit angehört hatte, gesellte sich interessiert hinzu. »Aber, warum glauben Sie, hat der Täter 14 Jahre gewartet, bis er nochmals zuschlägt?« fragte sie. Diese Frage war nicht schlecht, musste Kullmann ihr eingestehen. Er nickte nur nachdenklich mit dem Kopf. »Vielleicht hat sich etwas Vergleichbares wie vor 15 Jahren zugetragen, wodurch der Täter wieder an alles erinnert wurde.«

»Sie meinen, Herbert hat wieder eine Frau vergewaltigt?«, platzte Anke entsetzt heraus.

»Nach der Theorie Ihres Freundes Hübner, scheut sich jemand, der es vor Jahren schon einmal fertigbrachte, ein Mädchen zu vergewaltigen, nicht vor einem weiteren Mal«, bemerkte Kullmann bissig, wobei er die entrüstete Reaktion der beiden genau bemerkte.

Hübner verschwand wütend aus dem Zimmer. Anke schaute ihm dabei verwirrt nach, blieb aber bei Kullmann stehen. Als sie alleine waren meinte sie nur: »Warum reagieren Sie so aggressiv darauf, dass Hübner und ich uns gut verstehen?«

Kullmann war verwirrt über Ankes Offenheit und schwieg.

»Sie mögen Andreas nicht besonders, ist es das?«

»Nein, das sehen Sie falsch«, rechtfertigte er sein Verhalten. »Ich arbeite gerne mit ihm zusammen, aber seine Lebensweise gefällt mir nicht. Dadurch, dass wir täglich zusammen sind, habe ich einiges über ihn erfahren, ob ich das nun wollte oder nicht. Und genau deshalb mache ich mir Sorgen um Sie. Es tut mir leid, aber ich kann meine Sorgen Ihnen gegenüber nicht so einfach abstellen, auch wenn es mich nichts angeht.«

Anke lächelte. »Sie können nicht einfach behaupten, dass es Sie nichts angeht. Im Grunde genommen sind wir wie eine Familie und müssen miteinander auskommen. Deshalb bin ich froh, einen Vorgesetzten wie Sie zu haben. Durch Sie fühle ich mich hier so richtig wohl. Sie wirken manchmal wie ein Vater auf mich.«

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer und ließ den Duft ihres Parfüms und den Klang ihrer Worte zurück. Trotzdem ärgerte Kullmann sich darüber, etwas zu ihr gesagt zu haben, er hatte sich doch vorgenommen, ruhig zu bleiben. Um sich abzulenken, vertiefte er sich wieder in die Akte Josef Klos, konnte aber keine Besonderheiten mehr entdecken. Ein Zeitungsartikel war dazu geheftet, mit einem Foto von Hauptkommissar Peter Balduin.

Wenige Jahre später unterstand Kullmann der Amtsleitung von Balduin, wie er sich noch gut erinnerte. Balduin war ein unangenehmer Mensch. Chauvinistisch und voyeuristisch. Zu dieser Zeit gab es wenige Kolleginnen, da Balduin nicht bereit war, Frauen in den Polizeidienst einzustellen. Seiner Meinung nach gehörte eine Frau hinter den Herd. Zum Glück war seine Dienstzeit nicht lange. Nach einigen Jahren als Amtsleiter ließ er sich in den Ruhestand versetzen.

Sein Telefon läutete. Es war Hübner aus dem Nachbarzimmer.

»Also, bevor ich hier meine Zeit mit Akten aus 1975 vertrödele, fahre ich in die Firma Schulz KG und verhöre dort noch weitere Zeugen. Was ist, kommst du mit?«

Kullmann gab sich geschlagen. Die Akte Josef Klos hatte er durchstudiert und nichts gefunden, was verdächtig hätte sein können. Also gab es wirklich nichts besseres, als weiter zu ermitteln.

»Ja, ich komme mit.«

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